Die antifaschistische Hansestadt – eine Polemik

Hat schon jemand mitbekommen, dass beinahe alle GreifswalderInnen AntifaschistInnen sind? Der Eindruck drängte sich in der jüngsten Vergangenheit auf. Gegen Rechts ist mal wieder en vogue und viele springen noch schnell auf den Zug auf, es könnte ja bald wieder vorbei sein.

Die Aktionswoche gegen Rechts, eine Image-Kampagne der Sparkasse, wird nicht nur verklärt, sie ist im Grunde ein Schlag ins Gesicht jener, die sich tagtäglich mit dem Problem rechtsextremer Tendenzen und deren Folgen auseinandersetzen müssen (ich möchte an dieser Stelle nochmalig und ausdrücklich an die Schnapsidee des lokalen FDP-Landtagsabgeordneten Sebastian Ratjen erinnern, der sich aus vermeintlicher Solidarität mit einem mittlweile geschlossenen Modegeschäft in Textilien der rechten Modemarke Thor Steinar hüllen wollte).

Es pfeift der Wind of Change durch Greifswald

Die Ostsee Zeitung hievt Tag für Tag das Thema auf die erste Lokalseite und es wird sich gegenseitig zivilcouragiert überboten. Aus dem grundsätzlich fehlgeleiteten Präventionstag (des Präventionsrates) wurde eine Art Präventionswoche. Völlig übergangen wird in diesem Zusammenhang, dass das Wort -bzw. die Konstruktion Prävention- einhergeht mit der Idee von Kontinuität. Findet Prävention nicht kontinuierlich statt, verkommt sie zu blindem Aktionismus und hat mitunter den gegenteiligen Effekt.

Drei große Events mit Eintrittspreisen zwischen 15€ und 25€ wurden veranstaltet. Jedoch: Die klassische rechtsdrift-gefährdete Klientel ist jung, männlich wie perspektivlos, schlecht ausgebildet und in der Regel eher knapp bei Kasse als gut betucht. Diese Männer werden sicher für das Thema durch die Konzerte sensibilisiert und entscheiden sich anschließend, doch glühende Demokraten zu werden. Abgesehen vielleicht von der Veranstaltung mit Bülent Ceylan sehe ich keine Auseinandersetzung mit dem Thema. Im Gegenteil, das Label antifaschistisch wird weichgespült und inhaltlich ausgehöhlt.

Ich möchte keinen Pessimismus verbreiten, aber es geht steil bergab! Der „Wind Of Change“ pfeift mal wieder durch Greifswald. Nur diesmal hat er sich gedreht und weht gegen rechts, so diktierte uns kürzlich in Ankündigung der Scorpions die Ostsee Zeitung die Lesart der “Aktionswoche”. Den eigenen Zenit schon seit Jahren überschritten, dient sich mittlerweile sechzigjährige B-Prominenz als Träger der antifaschistischen Idee an. Doch damit nicht genug, es geht nämlich immer noch schlimmer: Jennifer Waist, Sängerin von Jennifer Rostock verrät beim Interview: eigentlich versuchen wir uns aus politischen Dingen rauszuhalten, aber gegen Rechts engagieren wir uns immer wieder gern. Ein Blick auf den Terminplan der Band bringt zutage, dass noch nie (!) ein Konzert dieser Band unter antifaschistischen Fahnen stattgefunden hat, die Krebshilfe zählt nicht.

Jennifer Rostock Greifswald

Nazis raus, Schwanz rein!

Wenn die Jennifer Waists dieser Region TrägerInnen dieses neuen Lokalphänomens werden, wird der Gehalt dieser Geisteshaltung über kurz oder lang verschwinden. Exemplarisch steht dieses Video des Greifswalder Konzertes (Minute 04:05), das eindrucksvoll Waists Vorstellung von Engagement gegen rechts illustriert: Nazis raus, Schwanz rein! Das kann nun wirklich nicht das Niveau sein, auf dem präventiv Rechtsextremismus begegnet werden soll.

Die immer geldknappe Stadt fördert offiziell diesen Humbug und die rechte Rekrutierungsabteilung wird sich vor Lachen schütteln und auf dem Boden wälzen. Und zurecht, lediglich 200 BesucherInnen zog es zu Jennifer Rostock. Das spricht für sich, wie ich finde.

Gealterte B-Prominenz gegen Rechts

Reinhard Amler, Leiter der Lokalredaktion der Ostsee Zeitung, schwärmte heute halbseitig über die Scorpions: „Es war ein Konzert der Superlative, weil alles stimmte – sogar das Wetter. Aus ganz Deutschland waren die Besucher gekommen. Und aus dem Ausland.“ In dem relativ langen Artikel findet sich exakt eine einzige Erwähnung der “Aktionswoche”: „Auch Oberbürgermeister Dr. Arthur König, der die Schirmherrschaft für die Aktion gegen Rechts, dessen Höhepunkt das Scorpions-Konzert war, übernommen hatte, war glücklich.“

Scorpions in Greifswald

Angesichts dieser inflationären und desaströsen Tendenzen in Sachen “bürgerlichen Antifaschismus” wünsche ich mir sehnlichst ein neues Thema, dass genügend Raum zur Profilierung bietet und der antifaschistischen Idee nicht den inhaltlichen Boden unter ihren Füßen weichkocht.

4 Gedanken zu „Die antifaschistische Hansestadt – eine Polemik

  1. Tja, echt traurig…fast schon makaber. Auch das am Wochenende stattfindende Bürgerforum weiß ich noch nicht so recht einzuordnen. Wie ich mitbekommen habe, ist es das erklärte Ziel, die Kandidatur von NPD- Schergen auf kommunaler Ebene zu verhindern. Schön und gut, mag man nun denken, aber für mich sieht „Kampf gegen Rechts“ hierzulande immer so nen bissl nach Image- Bewahrung aus. Mit nem verhinderten NPD- Mandat ist noch lang nicht das Problem gelöst, geschweige denn das Phänomen erkannt. Scorpions, Jennifer Rostock … alles nur PR- Scheiße.
    Aber beruhigt bestimmt das Gewissen ungemein, wenn man weiß, man hat 25 Euro für ne Konzertkarte ausgegeben – und das im Dienste einer guten Sache.

  2. Paar Dinge muss ich hierzu anmerken:

    1. Die Scorpions waren schon spätestens seit der Wende deutlich und immer wieder engagiert gegen rechts. Dass die Truppe in Deutschland ihren Zenit längst überschritten hat, ist eine andere Sache.
    2. Dass sich immer wieder verschiedene Kreise und Institutionen wieder gegen Rechts engagieren, wurde endlich zeit. In dem Zusammenhang eine Polemik gegen „bürgerlichen Antifaschismus“ zu machen, halte ich für mehr als unangebracht. Links-Rechts-Gequassel ist in dem Zusammenhang blödsinnig.

  3. danke für den kommentar.

    zu 1.)

    ich habe mich nicht zur politischen einstellung geäussert, meine kritik betraf die überschreitung des zenits. es erscheint mir aussichtsreicher, künstler einzuladen, die eher als ideenträger, als projektionsfläche dienen, identitätspotentiale bieten. und die zielgruppe ist unter 40, deswegen wäre eine etwas „jugendgemässere“ band angebracht gewesen.

    zu 2.)

    deine kritik kann ich in diesem punkt nicht annehmen. wenn das engagement so aussieht, dann wird „richtigen“ initiativen die arbeit eher erschwert als vereinfacht. links-rechts-gequassel gab es nicht in dieser form. nur wenn die sparkasse die einladung zur bürgerkonferenz gegen rechts mit der begründung abehnt, die aktionswoche sei einen tag zuvor beendet worden, dann sollte der finger in genau dieser wunde stecken und flott im kreis gedreht werden.

  4. ok, dass die spk so reagiert hat, wusste ich bislang noch nicht. Was ich eigentlich aus der sogenannten Freitagsrunde geworden? Dort war doch eine Zusammenarbeit über die politischen und gesellschaftlichen Grenzen hinweg angefangen worden. Nur auf so einer Basis kann wirklich eine echte Arbeit gegen rechts gelingen.

    Es ist natürlich die Frage, welche „jugendgemäße“ Band man hätte einladen sollen. Mir fallen da spontan nur die Hosen oder die Ärzte ein (die auch ein entsprechendes Massenpotential haben).

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