Showdown in Anklam

Viele werden den vorgestern Nacht im ZDF ausgestrahlten Dokumentarfilm Showdown in Anklam. Eine Stadt kämpft um die Demokratie. von Anita Blasberg, Marian Blasberg und Lutz Ackermann verpasst haben. Die politische Reportage taucht zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung ein in den Anklamer Kommunalwahlkampf und zeichnet ein düsteres Bild des politischen Systems in der 13.000-Einwohner-Stadt Ostvorpommerns.

DAS „SYSTEM GALANDER“

Getreu der Maxime Jede Stadt kriegt den Bürgermeister, den sie verdient ist in den vergangenen Jahren eine von Unternehmern dominierte, unpolitische Wählergemeinschaft (IfA) entstanden, die alsbald den zwischenzeitlich suspendierten Bürgermeister Michael Galander stellte.

Der aus den alten Bundesländern nach Anklam gezogene Bauunternehmer etablierte seit seiner Amtsübernahme im Jahr 2002 zügig ein mehr oder minder funktionierendes System aus Anhängerschaften und Aufragsvergaben und konnte so einen Großteil der Anklamer Mittelschicht an sich binden. Teure Dienstwägen, kostspielige Dienstreisen und ein beinahe fürstliches Amtsgebaren erregten die Gemüter der verbliebenen Kommunalpolitikerinnen. Ermittlungen wegen Untreue stellte die Staatsanwaltschaft allerdings wegen mangelnder Erfolgsaussichten ein.

Stolpersteine und Unmöglichkeiten der Verwaltung wurden von Galander hemdsärmelig aus dem Weg geräumt: „Was vorher nicht möglich war von Amtswegen, das hat irgendwie gefunkt„, so eine Anklamer Eigenheimbauerin im Film.

ANKLAMER PARTEIEN NAHEZU BEDEUTUNGSLOS

Die klassischen Parteien sind mit Ausnahme der NPD, die sich in Anklam und Umgebung über vergleichsweise astronomische Wahlergebnisse freuen durfte, nahezu bedeutungslos. Allein die Versuche eines jungen Anklamer Polizisten, für die CDU ins Rathaus gewählt zu werden, wurden mit mehr als 20 % der abgegebenen Stimmen honoriert. Gereicht das hat nicht, um sich Galanders Bürgermeisterkandidatur in den Weg zu stellen.

Hartz4 und die drückende Perspektivlosigkeit haben die Anklamer Bürger und Bürgerinnen demokratiemüde gemacht. Davon profitiert neben dem unpolitischen Bürgermeister Michael Galanders besonders der NPD-Landtagsabgeordnete Michael Andrejewski. Der NPD-Kader, dem die Bürgermeisterkandidatur wegen offenkundigen Zweifeln an seiner Verfassungstreue nicht genehmigt wurde, wohnt in Anklam und holt mit seiner wöchentlichen Hartz4-Beratung die Bürger in ihren Lebenswirklichkeiten ab.

Doch in dem Film geht es überraschenderweise nur am Rande um die Neonazis Ostvorpommerns, vielmehr stehen der Verfall einer politischen Kultur und das verzweifelte Aufbegehren der verbliebenen Politikerinnen im Fokus. Die Reportage erinnert, nicht zuletzt durch das triste Szenario des Kommunalwahlkampf an Andreas Dresens großartige Reportage Herr Wichmann von der CDU.

GREIFSWALDER GESICHTER IM ZDF

Die Reportage möchte ich allen wärmstens ans Herz legen und eine eindringliche Empfehlung aussprechen, sich Showdown in Anklam. Eine Stadt kämpft um die Demokratie. anzusehen, zum Beispiel mithilfe der ZDF Mediathek. Im gerade angebrochenen Zeitalter der Depublikation ist aber eine langfristige Verfügbarkeit des Videos nicht zu gewährleisten, daher sei auch noch auf die folgenden Links zu youtube verwiesen.

Weitere hier verfügbare Dokumentationen zum Thema Rechtsextremismus:

16 Gedanken zu „Showdown in Anklam

  1. Danke für den Hinweis! Als Fernsehloser kam ich nicht in den Genuss und konnte das jetzt nachholen. Finde die Doku wirklich sehr gelungen und habe sie gleich weiterempfohlen. Aber Daniel und Torsten waren doch mehr „kurz“ als „in Erscheinung“ – typisch Greifswalder – immer die eigene Präsenz in OVP übertreiben 🙂

  2. Sehr bitter, wenn ich sehe, wie die Vorteile einer freien Gesellschaftsordnung an ganzen Regionen vorbeiziehen und ihren Abfall zurücklassen, der dann als Nährmedium für extreme Auswüchse fungiert.

  3. @besorgter Bürger

    Vielleicht sind gerade in Bezug auf Anklam und die Technokratie eben die „extremen Auswüchse“ nur das deutlichste Symptom für die Krise einer Demokratie, die nicht mehr demokratisch ist und einer Politik aus der das Politische herausgedrängt wurde.

  4. @JS
    Die IfA ist natürlich schon allein aufgrund der Tatsache, dass Menschen sich und ihre Interessen dort organisieren, politisch. Ich bin aber einem anderen Verständnis von ‚politisch‘ anhängig, dass sich auf Programmatiken, Ideologien und Positionen bezieht. Und bei aller ideologischen Befreitheit und dem fehlen einer umfassenden Programmatik ist diese Organisation in ihrem Wesen für mich unpolitisch.

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