Verfassungsschutzbericht 2014: Bitte mehr Zivilcourage, aber weniger Protest!

Im aktuellen Verfassungsschutzbericht zieht das Landesministerium für Inneres und Sport Bilanz über staatsgefährdende Umtriebe in Mecklenburg-Vorpommern. Ein konkreter Bezug zur Hansestadt Greifswald lässt sich darin nicht nur über ein Neonazi-Konzert herstellen, sondern auch über eine Hausbesetzung und zwei mehr oder minder hiesige Bands. 

Die Publikation, die über die wesentlichen Entwicklungen im Bereich des Rechts-, Links- und Ausländerextremismus sowie den islamistischen Extremismus in Mecklenburg-Vorpommern informieren will, fasst die „vielfältigen Gefährdungen“ der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zusammen, die „oft nur durch den Verfassungsschutz und unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erkannt werden“.

Wie Minister Caffier in einer dazugehörigen Pressemitteilung erklärte, würde die Behörde dadurch zu einem „unverzichtbaren Instrument des demokratischen Rechtsstaates für den Schutz der Bevölkerung“. Doch an Güte und Verlässlichkeit des Berichts bestehen auch in diesem Jahr Zweifel.

verfassungsschutzbericht mv 2014 (Titelbild der Publikation: „Die wehrhafte Demokratie“, Manfred Diekmann, 2009)

„Der Staat allein kann die vielschichtigen Probleme bei der Rechtsextremismusbekämpfung nicht lösen.“ (Lorenz Caffier)

Viel Neues gibt die Lektüre des Verfassungsschutzberichts nicht her: Die Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten ist im Vergleich zum Vorjahr zwar leicht gesunken, jedoch ist der Anteil von Gewalttaten angestiegen. Auch die Anzahl fremdenfeindlicher Übergriffe ist höher als 2013. Im Gegensatz zur bundesweit rückläufigen Entwicklung ist die rechtsextremistische Szene in Mecklenburg-Vorpommern stabil geblieben, allerdings hat es erneut szeneinterne Verschiebungen zuungunsten der NPD gegeben.

Der rechten Szene werden im Land insgesamt etwa 1400 Personen zugerechnet, von denen die Verfassungsschützer etwa die Hälfte als gewaltorientiert einschätzen.

Die Zahl rechtsextremer Musikveranstaltungen war im vergangenen Jahr zwar rückläufig, doch bei der Verhinderung und Auflösung von Neonazi-Konzerten kam es wiederholt zu Angriffen auf Polizeibeamte. In diesem Zusammenhang wird auch das von einem Großaufgebot der Polizei verhinderte Konzert in Greifswald erwähnt, zu dem sich im November 2014 mehr als 500 Neonazis im Gewerbegebiet Am Gorzberg eingefunden haben. Die Veranstaltung wurde von einem brandenburgischen Kommunalpolitiker der NPD organisiert, der in der rechtsextremen Musikszene des Raums Berlin/Brandenburg eine zentrale Rolle spielen soll und offenbar auch mit dem wegen Körperverletzung verurteilten Neonazi Marcus G. bekannt ist, der an der Greifswalder Universität Politikwissenschaften studiert.

Location für Nazikonzert in Greifswald

In dieser Halle (rechts im Bild) am Gorzberg trafen sich im vergangenen Jahr mehr als 500 Neonazis zu einem Rechtsrock-Konzert (Foto: Fleischervorstadt-Blog, 2014)

Innenminister Caffier betrachtet die fortgesetzten Attacken auf Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern als deutliche Warnzeichen und dürfte so manche Beobachter, die sich noch an die Polizeieinsätze gegen antifaschistische Demonstrationen und Blockaden — beispielsweise in Demmin, Stralsund oder Neubrandenburg — erinnern können, mit der Aussage überraschen, dass es wichtig sei, dass sich alle gesellschaftlichen Kräfte gegen rassistisch motivierte Gewalt stellen: „Der Staat allein kann die vielschichtigen Probleme bei der Rechtsextremismusbekämpfung nicht lösen. Vielmehr kommt es entscheidend auf eine mündige Bürgergesellschaft an, die rassistischen Umtrieben vor Ort Grenzen aufzeigt und die Demokratie kreativ mit Leben erfüllt.“

Es wäre wünschenswert, wenn aus dieser Forderung an die Zivilgesellschaft deeskalierende Anweisungen an die Polizeibeamten vor Ort erwüchsen und man zukünftig darauf verzichtete, friedliche Demonstranten bei winterlichen Temperaturen stundenlang einzukesseln oder die angeblich im Spam-Ordner des Ordnungsamts gelandeten Anmeldungen von Mahnwachen zu ignorieren, wie es zuletzt bei den Protesten gegen Mvgida in Stralsund geschehen ist.

Polizeieinsatz Demmin

Polizeieinsatz in Demmin (Meme: MdL Johannes Saalfeld via Facebook)

Lektüretipp: Eine profundere Analyse der rechten Szene in Mecklenburg-Vorpommern als der Verfassungsschutzbericht bietet die kostenlose Publikation Gefährlich verankert (2015) von Andrea Röpke.

„Die anarchistische Autonomenszene ist vor allem in den Universitätsstädten Rostock und Greifswald konzentriert.“ (Verfassungsschutzbericht 2014)

Der sogenannten linksextremistischen Szene in Mecklenburg-Vorpommern werden im aktuellen Verfassungsschutzbericht etwa 410 Personen zugerechnet. Trotz eines leichten Schwunds von etwa 10 Prozent sollen nach wie vor gewaltbereite „Linksextremisten“ den größten Anteil daran ausmachen und für den Anstieg der politisch motivierten Gewaltstraftaten verantwortlich sein, deren quantitatives Niveau 2014 nur knapp von den Rechtsextremen überboten wurde.

Im Unterkapitel zum Aktionsfeld autonomer Freiräume geht es dann ein weiteres Mal dezidiert um Greifswald, konkret um die mehrwöchige Besetzung und spätere Räumung des inzwischen abgerissenen Gebäudeensembles in der Brinkstraße 16/17 im November 2014. In seiner Pressemitteilung erkennt Lorenz Caffier im Verhalten der Besetzenden eine Geisteshaltung, „die grundlegende Prinzipien des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft missachtet und als eine Form der Menschenfeindlichkeit zu bezeichnen ist.“ Angeblich sei das Gebäude von den Besetzerinnen mit ausgelegten Fallen so präpariert worden, dass das Leben und die Gesundheit der eingesetzten Beamten gefährdet gewesen sei.

Räumung Brinkstraße Greifswald

Bürgerinnen solidarisieren sich mit den menschenfeindlichen Hausbesetzerinnen der Brinkstraße 16/17 (Foto: Fleischervorstadt-Blog, 2014)

Im eigentlichen Verfassungsschutzbericht wird die Räumung, bei der es „im Wesentlichen zu passiven Widerstandshandlungen“ kam, weniger dramatisch geschildert. Die Besetzenden kritisierten anschließend das unvorsichtige Vorgehen von Polizei und Bauarbeitern. So wurde unter anderem darauf verzichtet, während des umgehend vollzogenen Teilabrisses die Gasversorgung des Gebäudes abzustellen.

„In Bezug auf die Punkband „Feine Sahne Fischfilet“ hat sich gegenüber den Vorjahren keine Änderung der Rechtslage ergeben.“ (Verfassungsschutzbericht 2014)

Der Verfassungsschutz bleibt auch in Sachen antifaschistischer Subkulturförderung alten Prinzipien treu. So kommt auch der aktuelle Bericht nicht ohne die Nennung der inzwischen bundesweit erfolgreichen Band Feine Sahne Fischfilet aus, die zuletzt auf zahlreichen großen Festivals — unter anderem beim Rock am Ring — sowie als Vorband der Toten Hosen auftrat. Im Gegensatz zu den Publikationen der vergangenen drei Jahre verzichtete die Behörde im aktuellen Bericht jedoch auf weitere Details — damit wird der Band erstmals weniger Platz in einem Verfassungsschutzbericht eingeräumt als dem rechtsterroristischen NSU, der 2004 Mehmet Turgut in Rostock ermordete!

Neben Feine Sahne Fischfilet wird auch die Greifswalder Band Tesla Cessna erwähnt, deren LP 10inch revenge! im August 2014 durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert wurde. Die inzwischen nicht mehr aktive Band positionierte sich in ihren Texten nicht nur gegen Neonazis, sondern rief mit relativ robusten Zeilen zum gewaltsamen Widerstand gegen Polizeibeamte auf, weswegen die Erwähnung von Tesla Cessna weder überraschend noch wirklich ungerechtfertigt ist.

Innenminister Caffier will V-Leuten Straftaten zubilligen — Mord bleibt vorerst unerwünscht

Lorenz Caffier hat offenbar weder aus der NSU-Mordserie noch der zweifelhaften Rolle des Verfassungsschutzes gelernt und will weiter am V-Mann-Prinzip festhalten. Wie der NDR heute berichtete, fordert der Innenminister sogar eine Ausweitung der Befugnisse von V-Leuten im Bundesland. Verdeckte Ermittler sollen einem neuen Gesetzentwurf zufolge künftig auch erhebliche Straftaten unbehelligt begehen können. Prinzipiell sollen zwar keine Schwerkriminellen verpflichtet werden können, aber abgesehen von Mördern und Totschlägern seien Ausnahmen möglich. Auf die Verfassungsschutzberichte der kommenden Jahre darf man also gespannt sein.

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