Im Gespräch mit Anne Wizorek

Am 26. Oktober stellte die Autorin Anne Wizorek ihr Buch „Weil ein #Aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute“ im Koeppenhaus vor.  Im anschließenden Gespräch spricht die Feministin über die Sendung „Hart aber Fair“, antifeministische Backlashs, rassistische Instrumentalisierungen von Frauenrechten sowie über ihre persönlichen Strategien im Umgang mit Hass im Internet.

FVB: Anne Wizorek, wie wohl fühlst du dich mit dem Begriff „Netzfeministin“?

AW: Das schwankt. Ich finde es in dem Momentan unpassend, wo es als Label benutzt wird, um das abzuwerten, was Menschen tun, die vorwiegend im Internet aktiv sind, anstatt zu verstehen, dass da immer eine Verschränkung zwischen offline und online stattfindet. Es ist eben kontextabhängig: Zu markieren, dass Leute in meinem Umfeld und ich besonders netzaktiv sind, finde ich ok – als Abwertung ist es aber fehlgeleitet.

FVB: Ist dieser Begriff eine Fremdzuschreibung oder hast du ihn zuerst selbst verwendet?

AW: Ich selbst sage eigentlich immer, dass ich Feministin bin, insofern ist das eher eine Fremdzuschreibung. Aber ich reagiere darauf, wenn andere Leute mich so bezeichnen, erkläre, was für mich hinter diesem Begriff steckt und versuche, auch da wieder klarzumachen, dass es nicht den einen Netzfeminismus gibt, sondern – genauso wie offline – verschiedene Strömungen zusammenfinden und mit dem Internet einen Ort haben, an dem sie sichtbar werden.

Anne Wizorek Lesung Aufschrei

Anne Wizorek im Gespräch mit Prof. Eva Blome bei der Lesung im Koeppenhaus (Foto: Fleischervorstadt-Blog)

FVB: Du hattest im März einen heftig diskutierten Fernsehauftritt bei „Hart aber Fair“, der von mehreren Frauenverbänden kritisiert wurde. Zwischenzeitlich wurde der Beitrag depubliziert, später wieder online gestellt. Im September wurde die Sendung in fast identischer Besetzung wiederholt. Empfandest du das als angemessene Reaktion des WDR?

AW: Ich fand die Depublikation falsch. Für mich war klar, dass das die entsprechenden Zensur-Diskussionen auslösen würde und es vor allem negativ auf die entsprechenden Frauenverbände zurückfällt, statt ihre Kritik ernst zu nehmen. Die Verbände haben die Löschung ja nie gefordert, aber am Ende wurden sie viel eher dafür kritisiert als zum Beispiel der WDR. Für mich wäre der beste Umgang damit gewesen, zu sagen: „Ja, wir greifen das Thema nochmal mit einer neuen Runde auf und zeigen, dass wir das auch ernst nehmen können“, statt so, wie es jetzt mit der Zweitverwertung der ersten Sendung plus Zensurdebatte passiert ist, bei der nicht viele neue Aspekte dabei waren. Die Sendung ist dem Thema wieder nicht gerecht geworden.

FVB: Bereust du rückblickend, überhaupt bei Hart aber Fair mitgemacht zu haben?

AW: Es gibt da kein richtig oder falsch. Ich kann alle verstehen, die sich das nicht geben wollen, weil bereits vorher klar ist, dass eine konstruktive Diskussion gar nicht das Ziel der Sendung ist. Aber mir war es sehr wichtig, dabei zu sein, weil ich bestimmten Positionen, wie zum Beispiel denen von Birgit Kelle, Contra bieten und sie nicht einfach für sich stehen lassen möchte. Wenn ich die Chance dazu kriege, dann nutze ich sie!

„Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit zu instrumentalisieren, um rassistische Standpunkte zu rechtfertigen, ist gerade wieder sehr en vogue“ 

FVB: Birgit Kelle ist momentan sehr populär und legt einen genderwahnsinnigen Bestseller nach dem nächsten vor. Steht ein antifeministischer Backlash ins Haus oder rumort da nur etwas merklicher, das schon immer da war?

AZ: Antifeminismus ist schon immer da gewesen, aber ich empfinde Kelle durchaus als Teil eines Backlash. Es wird sichtbar, was wir einerseits schon alles geschafft haben, aber andererseits auch klar, dass das gegen uns verwendet wird. Dieses klassische „Wir-haben-doch-jetzt-alles-was-wollt-ihr-noch?“ wird gerne als Narrativ benutzt. Kelle hat sich selbst entlarvt: Bis vor kurzem riet sie sexuell belästigten Frauen noch, die Bluse zuzumachen, um Männer nicht „unnötig zu reizen“, und sich aber auch nicht zu beschweren, wenn sie eben belästigt werden. Wenn es um geflüchtete Männer geht, ist sie nun aber plötzlich der Meinung, dass von ihnen ein besonderes Risiko ausginge, obwohl Frauen doch tun und lassen können sollten, was sie wollen, ohne dabei in Angst vor sexueller Gewalt leben zu müssen. Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit zu instrumentalisieren, um rassistische Standpunkte zu rechtfertigen, ist gerade wieder sehr en vogue und ebenfalls Teil des Backlash.

FVB: Zuletzt erfuhr der Hashtag #Aufschrei in diesem Kontext eine völlig neue Popularität. Wie hat er sich damals entwickelt, nachdem das erste große Medienecho verhallt ist?

AZ: Unter diesem Hashtag waren von Anfang an nicht nur Geschichten von betroffenen Frauen und Männern zu finden, sondern auch Anschuldigungen und klassisches Victim Blaming – das hat sich mit zunehmender Sichtbarkeit der Debatte verstärkt, weswegen die Stimmen der Betroffenen zurückgegangen sind, denn auf diese Art und Weise sichtbar zu werden, bedeutet auch eine Angriffsfläche. Dabei waren besonders Maskulisten aktiv und es gab Stimmen, die meinten, dass #Aufschrei gescheitert sei. Antje Schrupp hat in diesem Sinne mal gemeint, dass #Aufschrei eigentlich nicht getrollt werden kann, weil das ursprüngliche Problem trotzdem sichtbar bleibt. Das sehe ich auch so, finde es aber wichtig, wenn #Aufschrei im Kontext dieser rassistischen Argumentationen verwendet wird, ganz klar zu sagen, was da passiert; festzuhalten, dass das nicht Teil des Feminismus ist, den ich vertrete.

FVB: Du hast in deinem Buch über #SchauHin geschrieben, einen anderen Hashtag, der ebenfalls Alltagsdiskriminierungen sichtbar machen soll.

AZ: #Schauhin ist im September 2013 von Kübra Gümüşay gestartet worden, einer befreundeten Aktivistin, die Muslima ist und Kopftuch trägt. Sie hat zwar #Aufschrei mitbekommen, aber festgestellt, dass sie sich gar nicht so sehr zum Mitmachen angesprochen fühlt, denn wenn sie angegriffen wird, ist das auch immer rassistisch konnotiert. Das zeigt sehr gut, wie wichtig es ist, immer wieder auch auf den Aspekt von Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung hinzuweisen. Kübra hat deswegen vorgeschlagen, einen eigenen Hashtag zu starten: #SchauHin. Mittlerweile ist daraus sogar eine kleine NGO geworden. Darin sind ein paar Aktivistinnen aktiv, die versuchen, Offline-Aktionen zu machen, zum Beispiel Veranstaltungen, auf denen Leute sich treffen, um ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus auszutauschen.

FVB: Sind Maskulisten und Antifeministen ein Problem im Internet?

anne wizorek aufschrei coverAZ: Ja natürlich. In erster Linie zehren sie sehr an Kraft und Ressourcen. Man muss immer abwägen, wie man mit bestimmten Sachen umgeht, weil sie auch immer wieder versuchen, den Diskurs an sich zu reißen. Zum Beispiel, wenn sie in Artikeln klassischer Medien, die sich um Geschlechterpolitik drehen, gezielt die Kommentarspalten entern und versuchen, ein Bild zu vermitteln, dass nicht der Realität entspricht. Nicht zuletzt gehören die stattfindenden Angriffe dazu, bei denen feministische Akteure und Akteurinnen diffamiert werden und deren Reputation beschädigt wird. Das reicht bis zu persönlichen Drohungen, wo nicht klar ist, ob man bei so einer angekündigten öffentlichen Veranstaltung wie heute damit rechnen muss, dass so jemand auftaucht. Insofern ist das tatsächlich ein großes Problem und Teil des Komplexes Hate Speech, durch den letztendlich die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird – gerade wenn immer wieder behauptet wird, dass man den Hass im Netz halt einfach aushalten müsse.

FVB: Wie hoch ist das Hasslevel, mit dem du persönlich konfrontiert bist.

AZ: Das schwankt und hat auch mit meiner eigenen Sichtbarkeit zu tun. Nach Auftritten wie bei Hart aber Fair wird das natürlich sehr viel mehr, ebbt aber auch wieder ab. Ein Grundrauschen ist aber immer da. Meine persönliche Strategie ist, meinen Posteingang und meinen Twitteraccount jeweils von befreundeten Männern so filtern zu lassen, dass ich immer nur die positiven und konstruktiven Sachen zu Gesicht bekomme. Das hilft mir sehr, weil ich so meiner Arbeit nachgehen kann, ohne damit rechnen zu müssen, jederzeit wieder so einen Kommentar sehen zu müssen. Es ist nicht so, dass mich das jedes Mal komplett aus der Bahn werfen würde, aber mehrere Kommentare dieser Art ziehen dich ja trotzdem runter, ohne dass du das willst. Wenn ich einen guten Tag habe, kann ich reingucken, ohne dass mich das trifft. Vor allem kann ich selbst entscheiden, wann das passiert, es trifft mich nicht einfach so unvorbereitet. Es ist ätzend, dass ich diesen Filter brauche, aber ich bin sehr dankbar für diese Option — es ist ein Stück Selbstbestimmung, das ich so zurückgewinne.

FVB: Vielen Dank für das Gespräch.

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