Podiumsdiskussion: Bürgerjournalisten, sterbende Redaktionen und andere Zankäpfel

Der Fachschaftsrat am Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaft (IPK) kündigt für das laufende Sommersemester eine Auseinandersetzung mit dem Großthema Netzpolitik an, dem sich mit unterschiedlichen Veranstaltungen genähert werden soll.

ipk fsr

Netzpolitik, das ist ein vielschichtiger Kosmos, der sich in kurzer Zeit und mit unregelmäßiger Beschäftigung kaum erschließen lässt. Aber: Netzpolitik geht uns alle an und ist ein Feld, auf dem sich viel tut! Daher ist es umso begrüßenswerter, dass sich mit dem FSR IPK endlich jemand aus der Deckung gewagt hat und die Ambition an den Tag legt, sich an diesem Komplex abzuarbeiten.

GLÄNZT, ABER SCHMECKT NICHT ALLEN: ZANKAPFEL BÜRGERJOURNALISMUS

Als Auftakt wird morgen um 16 Uhr im Konferenzsaal der Universität Greifswald eine Podiumsdiskussion beginnen. Das Thema der auf nur neunzig Minuten begrenzten Auseinandersetzung lautet Bürgerjournalismus contra Qualitätsjournalismus und greift damit einen der populärsten Zankäpfel auf, die regelmäßig zwischen Bloggern und etablierten Zeitungsjournalisten umhergeworfen werden.

journalismus krise neue medienEs wird um den gewachsenen wirtschaftlichen Druck gehen, mit dem etablierte Zeitungen im Online-Zeitalter konfrontiert werden, um schrumpfende Redaktionen und um vermeintliche Rationalisierungsnotwendigkeiten. Man könnte die Auflösung eines langgedienten journalistischen Modells besprechen und hoffentlich auch die Möglichkeiten, die sich durch eine vernetzte Gemeinschaft und einen neuen Meinungspluralismus ergeben – nicht zuletzt als partizipatorisches Moment in einer Demokratie, die ihr etabliertes Mediensystem als vierte Gewalt definiert.

VIELSEITIGES PODIUM: LOKALBLOGGER, PODCAST-LEGENDE UND KOMMUNIKATIONSWISSENSCHAFTLER

Für die Veranstaltung konnten die Organisatorinnen eine interessante Diskussionsrunde zusammenstellen – neben dem Greifswalder Blogger daburna konnte auch Ulrich Meyke eine Zusage abgerungen werden. Letzterer betreibt seit mehreren Jahren von Usedom aus eine Art Watchblog, in dem mit strengem Maß die Arbeit der Ostsee-Zeitung unter die Lupe genommen wird.

Weiterhin wurde Sebastian Jabbusch eingeladen. Der Pirat machte sich in Greifswald als maßgeblicher Geburtshelfer des webMoritz einen Namen, sorgte als Teil der Kampagne gegen den umstrittenen Namenspatron der Uni Greifswald, Ernst Moritz Arndt, für Furore und schreibt derzeit von Berlin aus an seiner Magisterarbeit Liquid democracy in der Piratenpartei. Passend zum Thema wird das Entstehen der Arbeit in einem Blog dokumentiert und reflektiert. Auf der letzten re:publica hielt Jabbusch auch einen Vortrag über liquid democracy.

dongges-jabbusch-pritloveProfessoraler Beistand kommt morgen von Prof. Dr. Patrick Donges, Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft. Donges hat zwar in den neunziger Jahren Journalistik studiert, publiziert und arbeitet aber eher in Sachen politischer Kommunikation und ergänzt damit den Diskussionszirkel um einen weiteren Blickwinkel. Donges‘ Publikationsliste ist hier einsehbar.

Der wohl prominenteste Gast des Nachmittags kommt aus den Reihen des Chaos Computer Clubs, ist anerkannter Podcaster (Chaosradio Express), religionsparodistischer Diskordiant und hört auf den Namen Tim Pritlove. Auf den britischen Staatsbürger machte ich schon einmal aufmerksam, als es um Flattr ging und der Podcaster selbst als Gast im Medienradio auftrat.

Exkurs: Pritlove war federführend in die beeindruckende Lichtinstallation Blinkenlights involviert, die zuerst im Berliner Haus des Lehrers (2001) und später in Paris (2002) sowie in Toronto (2008) aufgebaut wurde. Dieser BBC-Bericht zeigt den wohl beeindruckendsten Riesenmonitor in der französischen Hauptstadt.

Der podcastende Ehrengast freut sich auf Greifswald und die Online-Community freut sich auf ihn. Es ist überraschend, wie vielen dieser Name ein Begriff ist und wie viele Leute seiner Einladung zum Hörerinnentreffen antworteten, die der Podcaster erst kürzlich auf seinem Blog veröffentlichte. Denn nach der Podiumsveranstaltung soll es ab 19 Uhr in kleinerer Runde im Café Caspar weitergehen.

WO SIND DIE BETROFFENEN DER OSTSEE-ZEITUNG?

So gut gelungen die Zusammenstellung des Podiums auch sein mag, man kommt nicht umhin, das Fehlen der hiesigen Lokaljournalistinnen der Ostsee-Zeitung zu monieren. Denn gerade an diesem Printprodukt dürften viele Aspekte, die in der Diskussion aufkommen könnten, greifbar werden: seien es die regelmäßig von Ulrich Meyke dokumentierten, sinkenden Verkaufszahlen des Lokalblatts oder der zunehmende Trend zum Multiredakteur, der nicht nur die dpa-Meldungen umschreibt, sondern bald auch noch für die Akquise von Anzeigenkunden verantwortlich ist.

mediacrisisSchon jetzt kursiert das Gerücht, dass auf den Zeitungsfotografen Peter Binder, der jahrzehntelang für die OZ arbeitete und sich nun in Richtung des wohlverdienten Ruhestands knipst, keine neue Fotografin nachfolgen wird. In Zukunft wird also die Bebilderung von den schreibenden Journalisten übernommen – eine Entwicklung, die bei der OZ bereits beobachtbar ist.

Mit Netzpolitik hat sich der Fachschaftsrat ein nahezu unerschöpfliches Themenfeld gewählt, dessen Vielschichtigkeit es erlaubt, auch noch die nächsten Jahre mit einem kontinuierlich laufenden Veranstaltungsprogramm dieser Art zu füllen. Ein Anfang ist gemacht, jetzt bedarf es nur noch Durchhaltevermögens und Kreativität bei den Organisatorinnen. Bitte weiter so!

Fakten: 24.05. | 16 Uhr | Konferenzsaal der Uni (Domstr. 11)

(Illustration: Mark Stivers)

11 Gedanken zu „Podiumsdiskussion: Bürgerjournalisten, sterbende Redaktionen und andere Zankäpfel

  1. interessantes thema, aber erstens zu viele teilnehmer für ne 90 minuten diskussion und zweitens sind die blogger vollkommend überrepräsentiert. man kann nicht so eine podiumsdiskussion machen und dann 4 blogger und keinen journalisten da hinsetzen.

  2. Danke für den schönen Beitrag Jockel,

    an der Stelle möchte ich mal meine Kritik am Titel äußern:

    1.) Journalismus ist ein schwieriger Begriff den ich generell sehr vorsichtig nutzen würde. Längst nicht alle „klassischen“ Medien (OZ / BILD-Zeitung etc.) fallen unter die Rubrik „Journalismus“. Und auch nicht alle Blogger fallen darunter. Kurzum: Der Begriff ist unnötig aufgeladen, wenn man über den Medienwandel allgemein und die Verschiebung von den „Professionellen“ zu den „Amateuren“ sprechen will.

    2.) „Bürgerjournalismus“ finde ich ebenfalls ungünstig, da auch Professionelle Redakteure Bürger sind.

    3.) „Qualitätsjournalismus“ ist bereits eine mutige Behauptung. Meine Erfahrung: Je eher sich Leute diesen Begriff ans Hemd heften, umso weniger steckt dahinter.

    4.) Last but not least stört mich das „vs“ weil es einen unnötigen Gegensatz aufbaut, den ich gar nicht sehe.

    Naja – ich bin sehr gespannt auf morgen und freue mich auf die Debatte.

    P.S.: Ich hätte mich auch über einen Vertreter der „Professionellen“ gefreut. Vielleicht sitzen sie ja morgen zufällig im Saal und man kommt „improvisiert“ ins Gespräch?

  3. Ich hab den Veranstalter angeschrieben. Der sagt, es ist nicht geplant. Daraufhin hab ich jetzt noch mal Tim angeschrieben und ihn gebeten nen Micro mitzunehmen.

    Qualität ist dann wahrscheinlich eher mies, aber es sollte klappen. Sonst lieber Jockel: Einfach morgen nochmal beim webMoritz oder bei radio 98eins vorbeilaufen. Die haben immer nen Aufnahmegerät rumstehen.

    Ich schaffe das nicht, komme direkt vom Zug zum Veranstaltungsort.

    Gruß, Seb

  4. Erstmal vielen Dank für den guten Artikel.

    Also ich sehe gerade in den aufgeworfenen Bemerkungen von Sebastian zahlreiche Diskussionspunkte. Hier wird von Behauptungen, Gegensätzen und Aufladungen gesprochen. Gute Vorraussetzungen sich bestimmte Begrifflichkeiten einmal genauer anzuschauen.

    Ob von Anfang an ein großer Konsens im Raum steht, dass sehe ich so noch nicht. Gerade die Gegensätze in der Verbreitung und Wirkung „Neuer Medien“ obliegt unterschiedlicher Einschätzungen.

    Ich finde die Themen- und Gästeliste sehr ambitioniert und habe gerade mit einem Vertreter der moritzMedien gesprochen der mir zusagte eine Audioaufzeichnung der Veranstaltung vorzunehmen. Wollen wir das beste hoffen und uns auf interessante Gäste freuen.

  5. Hallo,

    es gibt eigentlich nicht – so meine Meinung – einen Unterschied zwischen Qualitätsjournalismus und Bürgerjournalismus. Wo überhaupt bleibt de Staats als Unterstützer so wie beim Bürgerfunk?

    Wie bemißt man Qualität? Anhand der Leserzahlen, die man so herrlich im Internet messen kann?

    Wie kommt dann der Print-Journalismus weg? Hat eine überblätterte Magazinseite, weil das Thema öde ist, keine Qualität oder doch – nur weil es Stern oder Spiegel ist.

    Oder haben die Verlage Angst, etwas vom online-Werbekuchen zu verlieren? Oder liegt das eher an schlecht optimierten Arbeiten von Media-Agenturen.

    Bürgerjournalismus ist wichtig und gut, genau wie die gute alte Schülerzeitung. In den 80er Jahren kam der Offene Kanal im Fernsehen auf und die gibt es je nach Gebiet noch heute im Fernsehen. Dann gibt es den Bürgerfunk

    Und der Gesetzgeber hat dafür gesorgt, daß die Bürger tagtäglich eine gewissen Stundenzahl auf Topfrequenzen im Privatfunk senden dürfen.

    Sei es der Heimatverein aus einem Staddteil, die Gamertruppe aus woauchimmer und ein Kurs der Volkshochschule. Warum dann Diskussionen über Bürgerjournalismus, der in den anderen Verbreitungskanälen Gesetz ist (Radio).

    Im Grunde genommen würde das dem entsprechen, daß Spiegel, WELT und die Marktführer einen Bereich grundsätzlich Bürgern vorbehalten müssen. Dabei dürfen die Redaktionen nicht eingreifen, sondern müssen per Gesetz oder per Staatshilfe die gesamte Technik kostenlos zur Verfügung stellen.

    So lautet die Frage – wo bleibt die staatsliche Unterstützung für die Seiten, die Bürgerjournalismus betreiben.

    Viele Grüße
    Conny
    http://www.hier-schreiben-buergerjournalisten.com

  6. @Sebastian Jabbusch

    Wenn Tim sein Zeug mitbringt wird die Qualität eher überragend, nur von ihm selbst wirds nicht viele Kommentare geben weil er ständig an den Settings schraubt.

    Ich werd es nicht schaffen, aber wer Lust hat kann ja mal ganz laut „Der Chat ist offline“ rufen und schauen wie die Mannschaft reagiert 🙂

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