Reportage: „Da ist man lieber still“

Als die Band Feine Sahne Fischfilet die Veröffentlichung ihres Albums Wut im Bauch, Trauer im Herzen in Demmin feierten, enthoben sie die Release-Veranstaltung dem üblichen Rahmenfahrplan und konzipierten einen antifaschistischen Aktionstag in der Peenestadt. Teil des Programms  war die Vorführung des Film Da ist man lieber still – am rechten Rand der Republik — eine bestandsaufnehmende Reise durch Ostvorpommern.

Wir wundern uns, dass wir noch in Deutschland sind

Schauplatz der Reportage wurde unter anderem der schon von Wolf Biermann in einer Ballade besungene kleine Hafenort Lassan vor der Insel Usedom.

Am Peenestrom, am Peenestrom
Da liegt ein Wrack aus Holz und Stein
Seit fünf mal hundert gleichen Jahrn
die alte Stadt Lassan
Der Diesel tuckert sich sachte aus
Wir machen das Boot fest hinterm Wind
Und steigen an Land und wundern uns
daß wir noch in Deutschland sind

Heute wird sich allerdings niemand mehr darüber wundern, wenn er den Ort betritt, der mit einer offiziellen Arbeitslosenquote von über 25 Prozent alles andere als ökonomisch prosperierend vor sich hin dämmert.

Für ihren Film Da ist man lieber still – Am rechten Rand der Republik reiste Autorin Eilika Meinert durch die Dörfer und Kleinstädte Ostvorpommerns, traf auf Bürgermeister, Jugendliche, Landwirte und besorgte Eltern und machte sich auf, eine Antwort auf die Frage zu finden, warum die NPD in den nordöstlichsten Wahlkreisen der Bundesrepublik so erfolgreich sein konnte und wie sich der Bedeutungsverlust der etablierten Parteien erklärt.

Da ist man lieber still

(Filmstill)

Enttäuschungen über realexistierende Demokratie

Der Politikwissenschaftler Dr. Dierk Borstel, der ein knappes Jahr in die Provinz zog, um seinem Untersuchungsgegenstand möglichst nahe zu sein, und der nach dreijähriger Lehrtätigkeit an der Greifswalder Universität inzwischen im von Wilhelm Heitmeyer geführten interdisziplinären Zentrum für Konflikt- und Gewaltforschung (Universität Bielefeld) angekommen ist, beobachtete, wie die NPD bestimmte Begrifflichkeiten aufgriff und Leerstellen der etablierten Parten zu besetzen verstand. Er diagnostizierte Teilen der ansässigen Bevölkerung im Interview eine „Enttäuschung über realexistierende Demokratie„.

Der Film führt uns weiter nach Wolgast, wo ein Bürgermeister schon vor Jahren gegen den Rechtsruck seines Städtchens in Stellung gegangen ist. In der knapp 400 Einwohner zählenden Gemeinde Bargischow sprechen besorgte Eltern über eine rechte Jugendkultur, die mittlerweile den ganzen Ort erfasst hat. „Wenn das Leben still steht, wird Demokratie zur Parole“.

Rechtes Gedankengut, Alltagsrassismus und -antisemitismus haben ihr Zuhause in den Wohnzimmern der Republik gefunden und es sich dort bequem gemacht. Wie schwierig es ist, dieser Tendenz entgegenzuarbeiten und insbesondere die Folgegenerationen davor zu bewahren, solchen Hirngespinsten anheimzufallen, zeigen die bürgerlichen Versuche, mit Lesungen und Theater einen kulturellen Gegenentwurf zu etablieren.

Vereinssport als Lösung?

Der Film endet hoffnungsschimmernd mit der Begegnung einiger Sportler des American Football Teams Wolgast Vandals, die initiativ statt resignierend ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und im gemeinsamen Sport Sinngebung finden. Ob Vereinssport und Politik sich allerdings so konsequent ausschließen, wie es einer der Aktiven glauben machen will, bleibt zu bezweifeln, denn Politik bleibt selten vor Vereinspforten stehen.

Da ist man lieber still zeichnet ein düsteres Bild eines Landstriches, der kaum eine Autostunde von Greifswald entfernt ist. Obwohl die Reportage inzwischen schon drei Jahre alt ist, wird sie mit Blick auf die bevorstehenden Landtagswahlen kaum an Aktualität eingebüßt haben.

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12 Gedanken zu „Reportage: „Da ist man lieber still“

  1. „und wenn man etwas fürs leben macht, macht man auch was gegen rechts“

    ungaublich, immernoch wird von den Dorfbewohnerinnen die Gefahr der NPD runtergespielt“ So lang die friedlich sind, solln sie mal machen“ oder “ ich will hier nur meine ruhe, wenn de was sagst, kriegst du eh gleich eine, da sag ich lieber nix“

    Ein Hoch auf die wenigen Menschen mit Courage in Vorpommern, die sich jeden Tag gegen rechts einsetzen.

    „Kultur rechnet sich eben immer“

  2. …eine Generation die es versteht keine Rollen ihrem Nachwuchs aufzudrücken und die vielleicht endlich mal bereit ist, sich selbst zu hinterfragen und sich damit auseinanderzusetzen was angebracht ist, im gemeinsamen Leben mit ihren Kindern von Anfang an…..wird keine Nazis mehr heranzüchten…..aber solange Jungs wie Schlägertypen heranwachsen müssen, damit Papi keine Angst haben muss-Sohnemann sein schwul oder solange die Mädchen nicht mehr die BravoProminutten nachahmen muss, damit Muddi froh ist…so ein anerkanntes Töchterlein zu haben …. tja solange dürfen wir wohl noch warten …. endlich miteinander etwas ändern zu können….. bähhhhhhhhhhhhhh

  3. Danke für’s Einstellen.
    Das Nichtsichbare versuchen, sichtbar zu machen – hat die Reportage geschafft. Überforderte Menschen, ungewisse Zukunft, aktive rechte Strukturen. Respekt vor den gezeigten engagierten Menschen.

    Uni Greifswald verlagern? Mehr Tourismus? Bewusst hinziehen? Menschen vorort besser schulen? Mir fällt keine Lösung ein.

  4. @Can Atasoy: Woher weißt du das diese Menschen *keine* Courage haben? Ich denke man sollte vorsichtig mit derlei Zuweisung sein, weil man sich damit nämlich auch noch von jenen entfernt die es gilt zu stärken und mitzunehmen. Ich bin in einem ähnlichen Umfeld aufgewachsen (allerdings in Ost-Sachsen) und kann diese Einstellung durchaus nachvollziehen. Derart Resignation entsteht sehr oft aus dem Umfeld (wie der Film zeigt) und ist keineswegs unbedingt Zeichen für Ignoranz oder dergleichen.

  5. Erinnert sehr an „Showdown in Anklam“ und greift ja auch die gleiche bzw ähnliche Thematik auf. Habe mich sehr gefreut, dass du hier auf die Doku ansprichst!
    Zitat von Daniel „Das Nichtsichbare versuchen, sichtbar zu machen – hat die Reportage geschafft. Überforderte Menschen, ungewisse Zukunft, aktive rechte Strukturen. Respekt vor den gezeigten engagierten Menschen.“
    Es ist immer wieder wichtig über sowas zu informieren! Obwohl die Leute, die wahrscheinlich am meisten machen könnten, diese Reportage (wie viele andere Beiträge) nie erreichen wird…

  6. Die Hoffnung auf positive Veränderung wird durch Initiativen wie den Vereinssport aufgezeigt, während die düstere Realität der Region im Fokus bleibt. Auch nach drei Jahren behält die Reportage ihre Aktualität, insbesondere im Kontext bevorstehender Landtagswahlen.

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