0,69 Promille — Zur Bedeutung Arndts in der Politischen Ideengeschichtsschreibung

Prof. Dr. Hubertus Buchstein (Universiät Greifswald, Politische Theorie und Ideengeschichte)

Als ich vor nahezu 20 Jahren den Ruf an die Ernst-Moritz-Universität-Greifswald bekam und dies stolz im Kreis meiner politikwissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen berichtete, erhielt ich mehr als nur eine kritische Nachfrage wegen des Namensgebers der Universität. In späteren Jahren waren es vor allem Fachkolleginnen und -kollegen aus dem Ausland mit der Spezialisierung im Bereich der Politischen Ideengeschichte, die mich am Rande von Konferenzen oder Gastvorträgen unter Hinweis auf Schriften und das Wirken von Arndt irritiert auf den Universitätsnamen ansprachen. Für mich wurden diese Irritationen zum Anlass, mich näher mit Schriften von Arndt und dessen Wirkungsgeschichte zu beschäftigen.

Zeitung mit Fakten zum Namensstreit an der Universität GreifswaldIch gelangte nach diesen Lektüren zu dem Ergebnis, dass es besser wäre, wenn unsere Universität sich von Arndt als Namenspatron wieder verabschiedet und gehörte deshalb 2009 zu den Unterstützern eines entsprechenden Antrages im Akademischen Senat, der aber bekanntlich die notwendige Stimmenzahl nicht erlangen konnte. Zwar war ich darüber enttäuscht, dennoch war das Thema für mich seitdem aber mehr oder weniger erledigt; man muss nicht jede hochschulpolitische Auseinandersetzung immer wieder neu aufkochen — wir haben viel zu viele spannende Themen in der Forschung, für die es lohnt, seine Kräfte einzusetzen. Entsprechend habe ich mich bei der öffentlichen Namensdebatte des Frühjahrs 2017 soweit wie möglich zurückgehalten.

Diese Zurückhaltung vermag ich nach den üblen Ausfällen und Beschimpfungen, die im Zuge der neuesten Namensdebatte von einer ganzen Reihe der Befürworter des gegenwärtigen Namens gegenüber denjenigen an unserer Universität geäußert wurden, die für eine Loslösung von Arndt als Namenspatron plädierten, und den damit verbundenen Lobpreisungen des Werkes und Wirkens von Ernst Moritz Arndt nicht mehr aufrechterhalten. Dagegen rebelliert schlicht meine professionelle Ethik als Politikwissenschaftler mit dem fachlichen Schwerpunkt der Politischen Theorie und Ideengeschichte. Wenn viele Befürworter in der regionalen Öffentlichkeit zwar einräumen, dass sich in den Schriften von Arndt zwar eine Reihe antisemitischer, rassistischer und chauvinistischer Äußerungen findet diese Seiten seines Werkes aber von seiner großen Bedeutung als Verteidiger der Freiheit und Vordenker der Demokratie überstrahlt würde, so steht diese Beurteilung im krassen Gegensatz zum fachwissenschaftlichen Stand der Forschung im Bereich der Politischen Ideengeschichte. „0,69 Promille — Zur Bedeutung Arndts in der Politischen Ideengeschichtsschreibung“ weiterlesen

Warum die Universität keinen Namenspatron benötigt

Prof. Dr. Thomas Stamm-Kuhlmann (Universtät Greifswald, Allgemeine Geschichte der Neuesten Zeit, Dekan der Philosophischen Fakultät)

Zeitung mit Fakten zum Namensstreit an der Universität GreifswaldDer 28. Juni 1933 war ein symbolischer Tag. Es war der Jahrestag des Vertrages von Versailles. An diesem Tag gelobte die Universität Greifswald Revanche. Revanche für den verlorenen Weltkrieg, an dessen Entstehung Deutschland eine maßgebliche Schuld trug. An diesem Tag feierte die Universität ihren kurzzeitigen Professor als ihren Namenspatron. Nicht etwa, weil Arndt schöne Märchen und Kirchenlieder hinterlassen hatte. Oder weil er eine Schrift gegen die Leibeigenschaft verfasst hatte. Sondern, weil man sich daran erinnerte, dass er geschrieben hatte: „Das ist des Deutschen Vaterland, wo jeder Franzmann heißet Feind.“

Arndt ist also als Hassprediger zum Namenspatron gemacht worden. Damit hatte sich die Universität dem Zeitgeist hemmungslos ausgeliefert. Wie sehr, wird aus der Ansprache ersichtlich, die der Theologieprofessor Heinrich Laag an diesem Tag gehalten hat. Darin heißt es:

„Noch lastet der Schandvertrag auf unserem Volke. Wir alle, liebe Kommilitonen, sind dazu berufen, die Fesseln zu sprengen. […] Nur wenn wir so denken, werden wir auch im Sinne des Führers unseres Volkes handeln, der es immer von neuem bezeugt hat, daß für den Aufstieg Deutschlands nicht in erster Linie Wirtschaftsprogramme, Organisationsfragen und äußerliche Dinge entscheiden, sondern daß Deutschland nur dann einer besseren Zukunft entgegengeführt werden kann, wenn eine geistige Erneuerung das Volk erfaßt.“1

In verschiedenen Stellungnahmen ist gefordert worden, die Universität dürfe sich dem Zeitgeist nicht unterordnen. Ich stimme dem zu. Die Universität kann sich, wenn sie die Werte der Wissenschaft hochhält, wie sie in unserem Leitbild niedergelegt sind, auch gegen den Zeitgeist stellen. Dann muss dies aber heißen, dass wir uns endlich vom Zeitgeist des Jahres 1933 freimachen müssen. Und auch der Zeitgeist von 2017 mit seinen Tendenzen zum autoritären Konformismus, wie er sich beim Greifswalder Marktplatzpranger gezeigt hat, fordert Widerspruch heraus. „Warum die Universität keinen Namenspatron benötigt“ weiterlesen

Wissenschaftler positionieren sich im Namensstreit an ihrer Universität

Greifswalder Wissenschaftler liefern Fakten zum Namensstreit und positionieren sich mit einer gemeinsam erstellten Zeitung in der wieder entfachten Arndt-Debatte.

Vorurteile korrigieren, Informationslücken füllen und Falschinformationen zurückweisen — das ist das Leitmotiv einer gemeinsamen Publikation von zwölf Greifswalder Wissenschaftlern zur Arndt-Debatte. Endlich melden sich Wissenschaftler in diesem neuerlichen Konflikt zu Wort, möchte man meinen. Denn zuletzt wurde die diskursive Hoheit von Akteuren besetzt, die meist durch Lautstärke und weniger durch fachliche Expertise auffielen.

Mit ihrer Zeitung wollen die Autoren darlegen, wie Arndt als Namenspatron einer modernen Universität zu beurteilen ist, und Zusammenhänge herstellen, deren Erläuterungen „nicht auf das Format eines Leserbriefs, einer Twitter-Meldung oder einer Demo-Parole zusammengestutzt werden können.“ Bewährt hat sich das Format Zeitung bereits im vorletzten Arndt-Streit; damals erschienen als gemeinsame Publikation der studentisch dominierten Pro- und Contra-Arndt-Initiativen. Die vorliegende Publikation Für die Universität Greifswald wurde von zwölf Wissenschaftlern verfasst, die sich allesamt kritisch zu Ernst Moritz Arndt positionieren. Ein Link zur gesamten Ausgabe der Zeitung befindet sich am Ende dieses Artikels.

In den kommenden zwei Wochen werden diese Beiträge einzeln auf dem Fleischervorstadt-Blog veröffentlicht. Begonnen wird selbstverständlich mit dem Editorial der Zeitung.

Zeitung mit Fakten zum Namensstreit an der Universität Greifswald

Zeitung mit Fakten zum Namensstreit an der Universität GreifswaldDiese Zeitung hat eine Vorgeschichte. 2001, dann 2010 und schließlich von Ende 2016 bis August 2017 wurde öffentlich darüber debattiert, ob die hiesige Universität ihren schon lange umstrittenen Namen endlich wieder ablegen solle. Nahezu 500 Jahre hieß sie einfach Universität Greifswald (wie die Universitäten Oxford, Chicago, Uppsala, Zürich, usw.). 1933 nahm sie Ernst Moritz Arndt als Namenspatron an. Das passte damals in das Weltbild des NS-Regimes: Arndt war Antisemit, er warnte vor „Bastardisierung“ der Deutschen, propagierte die deutschfranzösische Erbfeindschaft und befürwortete eine großgermanische Expansion. In der DDR schmückte sich unter veränderten politischen Vorzeichen 1954 die Universität wieder mit Arndts Namen. Diesmal passte Arndt für die tagespolitischen Bedürfnisse einer stalinistischen Geschichtspolitik.

In zwei Diktaturen also wurde Arndt als Aushängeschild unserer Universität benutzt, behauptete man, sein Vermächtnis übernommen zu haben. Wie steht es heute mit diesem Erbe? Was möchte die Universität im Jahre 2017 mit diesem Namen signalisieren? „Wissenschaftler positionieren sich im Namensstreit an ihrer Universität“ weiterlesen

Chronik der laufenden Konterkulturrevolution: ARNDTernative für Deutschland in Greifswald?

Vorabdruck eines Beitrags von Prof. em. Dr. Jürgen Link aus der kommenden Ausgabe der „kultuRRevolution. Zeitschrift für angewandte Diskurstheorie

1933 verlieh Hermann Göring persönlich der Universität Greifswald den als Ehrentitel verstandenen Zusatz »Ernst-Moritz-Arndt-Universität«. Das geschah auf Bitten von Greifswalder Nazi- oder nazinaher Profs, die sich davon eine Aufwertung versprachen. Denn der auf Rügen geborene Arndt galt als Pommer, und er galt als einer der frühesten und wichtigsten Vordenker des Nationalsozialismus. 1945 erlosch mit dem Nazismus zunächst auch der Ehrentitel — bis ihn die DDR für sich beanspruchte und damit sozusagen konsakrierte.

deutsche schwadronage

Das konnte sehr überraschen — weil die damaligen Deutschen, einschließlich der von den Nazis vertriebenen Juden, Sozialisten, Kommunisten und Radikaldemokraten, sämtlich einige einschlägige Verse des »Dichters der Befreiungskriege« (gegen Napoleon) in der Schule hatten auswendig lernen müssen. Verse wie

»Was ist des Deutschen Vaterland?/ So nenne mir das große Land!/ Ist’s Land der Schweitzer? Ist’s Tirol?/ Das Land und Volk gefiel mir wohl./ Doch nein! nein! nein!/ Sein Vaterland muss größer sein!«

In fünf Strophen kommt der Refrain fünfmal, und dann die schaurigschöne Strophe: »Das ist des Deutschen Vaterland,/ Wo Zorn vertilgt den wälschen Tand./ Wo jeder Franzmann heißet Feind,/ Wo jeder Deutsche heißet Freund.« Oder das berühmte »Der Gott, der Eisen wachsen ließ«. Das sollte plötzlich nicht zur Archäologie des Nazismus, sondern der DDR gehören? „Chronik der laufenden Konterkulturrevolution: ARNDTernative für Deutschland in Greifswald?“ weiterlesen

Arndt-Debatte: Senat wird erneut über den umstrittenen Namenspatron abstimmen

Die Debatte um Ernst Moritz Arndt, den umstrittenen Namenspatron der Greifswalder Universität, geht in die nächste Runde. Hier erklärt Senatsmitglied Timo Neder, warum er sich an dem neuerlichen Antrag für eine Ablegung des Namens beteiligt.  

Im Januar sorgte eine Abstimmung des Akademischen Senats für ein überraschendes Ergebnis: Das seit vielen Jahren kontrovers diskutierte Namenspatronat der Greifswalder Hochschule sollte abgelegt werden. Was folgte war ein wochenlanger Furor in der Stadt in seiner häßlichsten Fratzenhaftigkeit. Dazu zählten Drohungen und Verwünschungen, die sich an Arndt-Gegner im Allgemeinen sowie gegen die an der Abstimmung beteiligten Senatsmitglieder im Besonderen richteten. Dazu zählten Demonstrationen und Aktionen von rechten und rechtsextremen Gruppen wie der Identitären Bewegung, der Provinz-Pegida FFDG oder der AfD, für die unter anderem die einschlägig verortbaren Mitglieder Holger Arppe und Ralph Weber öffentlich sprachen. Dazu zählte aber auch der öffentliche Pranger, den der CDU-Frontmann Axel Hochschild auf dem Marktplatz veranstaltete, um aus der akademischen Debatte einen kommunalpolitischen Vorteil zu ziehen.

Plakat eines Arndt-Anhängers bei der Menschenkette in Greifswald

Plakat bei der Pro-Arndt-Menschenkette (Foto: Fleischervorstadt-Blog, 02/2017)

Schlussendlich scheiterte die im Januar mit Zweidrittel-Mehrheit beschlossene Trennung von Namenspatron Arndt an formellen Fehlern des Prozederes, die dazu führten, dass das Bildungsministerium des Landes der beschlossenen Änderung nicht zustimmte. Wie der webMoritz berichtet, soll der Antrag über den Namen der Universität nach erfolgter Klärung rechtlicher Fragen und dem Beheben der Mängel in der Grundordnung demnächst erneut zur Abstimmung kommen. In einer Stellungnahme erklären die studentischen Senatsmitglieder, dass die Beschlussvorlage vom Januar aus formellen Gründen nicht zu Ende gebracht wurde und sie daher noch immer aktuell sei. Die studentischen Senatoren fühlen sich diesem Antrag nach wie vor verpflichtet und wollen das Verfahren sachgemäß beenden. 

Antragsteller zum neuerlichen Votum über Namenspatron Arndt

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Bündnis „Greifswald für alle“ verlangt Entschuldigung von Axel Hochschild

Eine Pressemitteilung des Bündnisses Greifswald für alle

Am 4. März spielte sich während der Demonstration der Bürgerinitiative „Ernst Moritz Arndt bleibt“ folgende Szene ab: Axel Hochschild, Fraktionsvorsitzender der CDU-Bürgerschaftsfraktion, verliest einzeln die Namen all derjenigen Abgeordneten, die gegen ein Einwirken der Bürgerschaft auf die Hochschule stimmten. Nach der Einleitung: „Das sind diejenigen, die gegen Greifswald gestimmt haben…“ lässt Hochschild nach jedem Namen eine kurze Pause, um seinem Publikum von knapp 400 Personen die Möglichkeit zu geben, die Betroffenen auszubuhen und auszupfeifen; eine Möglichkeit, die das sichtlich erregte Publikum gern ergreift.

„Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“

Axel Hochschild posiert vor ArndtEin solches Verhalten ist unter den demokratischen Parteien in Greifswald wohl bisher beispiellos. Was ist das Ziel einer solchen Aktion, bei der konkrete Einzelpersonen dem Zorn einer aufgebrachten Menge ausgesetzt werden? Schaut man beispielsweise an den rechten Rand, so wird mit der Denunziation antifaschistisch engagierter Menschen in sozialen Netzwerken oder auf öffentlichen Veranstaltungen eine Drohkulisse aufgebaut. Eine Drohkulisse, die dafür sorgen soll, dass sich diese Personen nicht mehr trauen sich zu engagieren. Will sich die CDU Greifswald wirklich auf dieselbe Stufe begeben?

Dazu kommt, dass die Position zum Verhalten der Universität für Hochschild offensichtlich untrennbar mit der Zustimmung oder Ablehnung der Stadt Greifswald selbst ist. Nur wer gegen die Umbenennung der Universität ist, scheint für ihn „für Greifswald“ zu sein. Alle anderen sind daher offensichtlich „gegen Greifswald“. Was die Benennung der Universität mit der Identifizierung mit Greifswald zu tun hat, ist allerdings nicht klar. So wird jegliche widersprechende Meinung delegitimiert, da diese schließlich „gegen Greifswald“ gerichtet sein müsste. So werden Menschen, die kein Problem mit der Umbenennung haben, automatisch als politischer Gegner ausgemacht, offensichtlich gilt: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Will die CDU mittragen, dass Konflikte wirklich auf diese Art vereinfacht und polarisiert werden?

Ist es angebracht, dass ein hochrangiges Parteimitglied die Regeln des demokratischen Umgangs miteinander so verletzt und seine Kollegen aus der Bürgerschaft so respektlos behandelt? Das Bündnis „Greifswald für Alle“ fordert Axel Hochschild zu einer öffentlichen Entschuldigung bei allen Betroffenen auf.

(Foto: CDU Greifswald, Bearbeitung: Fleischervorstadt-Blog)