Und seid ihr nicht willig, dann brauch ich Gewalt! Wie die CDU Greifswald eine Stadt für ihre politischen Ziele in Geiselhaft nimmt

Ein Gastbeitrag von Erik von Malottki

Prolog

Erik von Malottki, GreifswaldAnlass dieses Gastbeitrages ist die Bürgerschaftssitzung vom vergangenen Montag, die vor allem durch eine weitere Episode des CDU-geführten Kleinkrieges gegen den gewählten Oberbürgermeister Schlagzeilen machte. Der Grund dieses Mal: Ein Missverständnis über die Höhe der von der CDU erwirkten Kürzungen im Personalbereich, die in ihrer vollen Höhe zu Lasten des Bürgerservices gehen würden. Weitgehend unbeachtet von der Berichterstattung versuchte die CDU, eine Blockade des städtischen Haushaltes mit gravierenden Folgen für die dringend benötigten neuen Schulen und für Vereine der Jugend- und Schulsozialarbeit durchzusetzen.

Bisher war diese Art von Politik nur aus den Obstruktionsmaßnahmen von Tea Party Republikanern gegen Präsident Obama im sogenannten „Gouvernment Shutdown“ bekannt. Eine ganze Stadt in Geiselhaft der CDU? Am Ende scheiterte der Versuch, langfristig eine vorläufige Haushaltsführung zu erzwingen. Also alles nur ein Sturm im Wasserglas?

(Foto: webMoritz, Bearbeitung: Fleischervorstadt-Blog)

1. Akt „Die unbotmäßige Bevölkerung“

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Deutschlandfunk: Ukrainistik an der Uni Greifswald vor dem Aus?

Der Deutschlandfunk berichtete gestern über die prekäre Lage des Instituts für Slawistik und die drohende Schließung der Ukrainistik an der Universität Greifswald. 

Im Zuge der Umsetzung des Landespersonalkonzepts sind besonders die beiden Fachbereiche der Baltistik und der Ukrainistik existenziell bedroht. Mit einer Jubeldemo protestierten Greifswalder Studierende in der vergangenen Woche gegen die geplanten Kürzungsmaßnahmen und forderten das Land, das Rektorat und den Senat dazu auf, Lösungsmöglichkeiten zum Ausgleich der finanziellen Defizite zu entwickeln, um einerseits eine weitere Verschlechterung der Lehrbedingungen, andererseits die drohende Schließung einzelner Institute abzuwenden.

uni greifswald ukrainistik kuerzung dom(Foto: Fleischervorstadt-Blog)

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Jubeldemo feiert Sparsamkeit: Bald keine Universitätsstadt mehr!

Die Greifswalder Studierendenschaft plant morgen Nachmittag eine Jubeldemo auf dem Rubenowplatz, um den drohenden Verlust des Beinamens der Hansestadt zu feiern und Bildungsminister Mathias Brodkorb (SPD) einen warmen Empfang zu bereiten.

Angesichts der drohenden Schließung mehrerer Institute der Philosophischen Fakultät, gegen die die Studierenden der Greifswalder Universität mit ihrer Jubeldemo protestieren, sei der alte neue Leitspruch, „Lange Tradition. Kurze Wege. Weiter Blick.„, eine Farce — nicht mehr lange, und es würde in der Hansestadt mehr Nettos als Institute geben, heißt es in dem Aufruf, der auch vom AStA unterstützt wird. universitätsstadt greifswald

Musikwissenschaften, Baltistik und Slawistik sind existentiell bedroht

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OB-Wahl 2015: Hochheim kriegt Unterstützung von oben

Landesinnenminister Lorenz Caffier (CDU) gratulierte am vergangenen Montag seinem Parteikollegen Jörg Hochheim (CDU), der sich im ersten Wahlgang nicht deutlich genug gegen seine Konkurrenten Stefan Fassbinder (Die Grünen) und Björn Wieland (Die PARTEI) durchsetzen konnte, zur nicht überstandenen OB-Wahl: „Die Wählerinnen und Wähler von Greifswald würdigten mit diesem hervorragenden Ergebnis seine bisherige Arbeit als stellvertretender Bürgermeister. Jörg Hochheim wird sich in einer nun notwendigen Stichwahl am 10.05.2015 dem endgültigen Vertrauen der Wähler stellen. Hierfür wird die gesamte CDU Mecklenburg-Vorpommern noch einmal in den Tagen bis zur Stichwahl geschlossen kämpfen!“

Geschlossen kämpfen, das schließt offenbar auch ministeriale Unterstützung und einen überaus engagierten Innenminister Caffier mit ein, der den vor der Wahl veröffentlichten Terminplan über den Haufen warf und am Donnerstag nach Greifswald reiste, um dem amtierenden Oberbürgermeister Arthur König (CDU) die Genehmigung für den Doppelhaushalt 2015/16 zu überbringen — angeblich sogar mit einem Hubschrauber. Bislang hatte es gereicht, solche Dokumente mit der Post zu verschicken, aber in diesen Tagen lässt ein engagierter Innenminister nichts anbrennen und erklärt den Dokumententransport zur persönlichen Chefsache!

lorenz-caffier-franz-robert-liskow-greifswald600(Innenminister Lorenz Caffier, hier bei einer Plauderei mit Hochheim-Schwiegersohn und stellvertretendem CDU-Stadtverbandsvorsitzenden Franz-Robert Liskow (CDU) während der Eröffnungsfeier des Technischen Rathauses. (Foto: Fleischervorstadt-Blog, 2014)

Neben König waren auch Baudezernent Jörg Hochheim und Stadtkämmerer Dietger Wille (CDU) beim Empfang des Innenministers zugegen. Das sorgte für Verschnupfung auf Seiten der Grünen. Fraktionsgeschäftsführerin und Anwärtergattin Dr. Frauke Fassbinder wundert sich auf dem Grünen-Blog, warum nicht auch die Fraktionsvorsitzenden der Bürgerschaft eingeladen wurden: „Sie haben allemal mehr mit “Greifswalds solider Finanzpolitik” für die nächsten beiden Jahre zu tun als der Baudezernent. Denn letztlich war es die Bürgerschaft, die dem Haushalt den letzten Schliff gegeben hat und ihn in seiner jetzigen Form beschlossen hat…“

Es ist Wahlkampf, da wird natürlich um jede positive mediale Darstellung des eigenen Kandidaten und um jede euphorische Mitteilung bei Facebook geworben. Für Innenminister Caffier bedeutete das in diesem Fall einen zusätzlichen Ortstermin, den er kurzfristig — das heißt, nach Bekanntgabe des knappen Greifswalder Wahlergebnisses und der notwendigen Stichwahl — einschieben musste. Diese Kurzfristigkeit lässt sich beispielsweise daran ablesen, dass der Besuch in Greifswald nicht bei den offiziellen Terminmeldungen vor der Wahl (PM-Nr. 76/2015) auftauchte, sondern erst in einem fast identischen Dokument, das am Dienstag nach der Wahl einfach nochmal unter der gleichen Nummer (76/2015) verschickt wurde, obwohl die Dokumentenzählung zu diesem Zeitpunkt bereits bei Nummer 81 war. Das lässt sich nur noch über Googles Webcache rekonstruieren, denn die Terminmeldungen 76/2015 wurden angepasst und aktualisiert.

Hochheim Caffier

Um es vorsichtig auszudrücken: Ein Zusammenhang zwischen dem spontanen persönlichen Besuch des Landesinnenministers beim OB-Kandidaten und der unmittelbar bevorstehenden Stichwahl am nächsten Sonntag, bei der es sehr knapp werden könnte, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden.

(Screenshot: Jörg Hochheim, offizielle Facebook-Seite)

Jetzt geht’s an die Substanz: Universität Greifswald sichert vorläufig Stellen

Die Universität verwendet die 3,6 Millionen Euro, die für die Grundsanierung des quecksilberverseuchten Gebäudes der ehemaligen Physik bestimmt waren, um über 40 Stellen vorläufig zu verlängern. Dieser Beschluss wurde heute Nachmittag in einer Pressemitteilung bekannt.

Alte Physik in Greifswald(Foto: Kevin Neitzel)

Für die Jahre 2014 und 2015 rechnet die Hochschulleitung mit einem finanziellen Mehrbedarf in Millionenhöhe, doch bislang werden dafür keine zusätzlichen Mittel vom Land bereitgestellt. Während Bildungsminister Brodkorb (SPD) darauf verzichtet, sich für die Hochschulen des Landes stark genug zu machen, prüft der Landesrechnungshof die Kalkulation des Mehrbedarfs auf ihre Richtigkeit. Die Rektorin der Universität Greifswald, Professorin Johanna Eleonore Weber, kündigt in der Pressemitteilung „Strukturentscheidungen“ an, die mit der Schließung von Instituten und Studiengängen verbunden seien, wenn die Landesregierung im kommenden Jahr keine positiven Signale sende:

„Dieser Schritt fällt uns schwer. Wir erwarten aber, dass der Landesrechnungshof unsere Berechnungen und damit eine chronische Unterfinanzierung alsbald bestätigen wird. Mit dem Rückgriff auf die Rücklage schaffen wir die Möglichkeit, die befristeten Stellen für junge begabte Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler vorerst weiter zu finanzieren und gewinnen Zeit. Sollten im kommenden Jahr keine positiven Signale aus Schwerin kommen, wird die Universität Strukturentscheidungen treffen und einzelne Institute bzw. Studiengänge schließen müssen. Nun ist es am Land zu handeln, damit diese klugen jungen Menschen nicht das Land verlassen, weil sie keine Perspektiven in Mecklenburg-Vorpommern mehr für sich sehen.“

  • Universität Greifswald handelt und sichert vorläufig Nachwuchswissenschaftlerstellen (PM Uni Greifswald, 18.12.2013)
  • Hochschulen und Studierende fühlen sich von Brodkorb getäuscht (webMoritz, 14.11.2013)
  • Unsichtbare Gefahren – Schadstoffe in Unigebäuden (MoritzMagazin, 08.07.2010)

Greifswalder Jugendliche rufen zum Protest gegen befürchteten Kahlschlag in der Jugendarbeit auf

Schon wieder eine Mahnwache, schon wieder geht es um fehlendes Geld und eine ungewisse Zukunft. Doch diese Woche ist es nicht der AStA, der den Protest initiiert — es sind Greifswalder Jugendliche, die morgen gleich zu zwei Mahnwachen vor dem Rathaus aufrufen. Dort tagt ab 18 Uhr der Finanzausschuss in einer Sondersitzung, um über den Haushalt des kommenden Jahres zu beraten.

TEILE EINER GESCHICHTE, DIE SPÄTER VON ÄLTEREN „FRÜHER-WAR-ALLES-BESSER“-FREUNDEN ERZÄHLT WIRD 

Es gibt ein Defizit von neun Millionen Euro, das weggekürzt werden muss. Durch die bevorstehenden Sparmaßnahmen gilt die Finanzierung der freien Jugendarbeit als akut gefährdet. Die Streichung der bereits gekürzten Mittel würde für die beiden Jugendzentren Labyrinth und Klex das Aus bedeuten.

Eine lebendig genutzte Fahrradwerkstatt, gesellschaftlich aktive Pfadfindergruppen, selbstorganisierte Konzerte, Volxküchen, ein Filmclub, Proberäume mit Aufnahmemöglichkeiten und vor allem Raum für Begegnungen vieler Interessen unter einem Dach — das alles wäre dann Teil einer Geschichte, die zukünftige Jugendgenerationen höchstens noch aus den Erzählungen ihrer etwas älteren „Früher-war-alles-besser“-Freunde kennenlernen könnten, während sie in Ermangelung geeigneter Räume am Museumshafen herumlungern und anderen auf die Nerven gehen.

Es geht nicht um neun Millionen für die Jugendarbeit, es geht auch nicht um eine Million — zur Disposition steht ein Betrag von nur 200.000 Euro. Dass die Stadt diesen übernimmt, ist aber Voraussetzung dafür, dass auch die anderen Förderbeträge vom Landkreis und dem Sozialministerium fließen können.

Dabei handelt es sich um insgesamt 600.000 Euro – also 75 Prozent der Gesamtausgaben, eine ähnliche Quote wie bei vielen Greifswalder Baumaßnahmen (Stichwort: Zugbrücke über den Ryck). Mit diesem Geld wurden bisher die Schulsozialarbeit sowie die Jugendsozialarbeit im Labyrinth und im Klex finanziert.

WENN SCHON NIEMAND VOR SCHAM IM BODEN VERSINKEN WILL, KANN MAN SICH AUCH AUS WUT ERHEBEN 

800.000 Euro, auf dieses Niveau wurde die freie Jugendarbeit in den vergangenen Jahren bereits heruntergekürzt. Zahlreiche kleinere Vereine und Initiativen mussten wegen fehlender Förderungen ihre Arbeit einschränken oder ganz einstellen.

Als Dezernent für Jugend (!), Soziales, Bildung, Kultur und öffentliche Ordnung müsste man angesichts dieser Zahlen vor Scham im Boden versinken, doch Ulf Dembski (SPD) ist noch immer da. Derzeit ist er schwer mit der Kita-Krisen-Reform beschäftigt, die ihn in den vergangenen Monaten ins Straucheln gebracht hat. Wenn aber schon niemand vor Scham versinken will, kann man sich auch aus Wut erheben — zumindest erstmal vorsichtig aus dem Sessel des Jugendzentrums.

Kürzungen der Jugendarbeit

An Wutgründen besteht kein Mangel. Da wäre zum Beispiel das Technische Rathaus, ein Bauprojekt, dessen Kosten sich inzwischen von sechs auf fast vierzehn Millionen mehr als verdoppelt haben. Personelle Konsequenzen für das finanzielle Fiasko sucht man auf verantwortlicher Seite der Stadt vergebens.

Der in den Skandal maßgeblich involvierte ex-Baudezernent Reinhard Arenskrieger (CDU) ist heute Vizepräsident des Landesrechnungshofes und Egbert Liskow (CDU) blieb trotz unwahrer Aussagen im anschließenden Untersuchungsausschuss Präsident der Greifswalder Bürgerschaft. Wie und vor allem was wird man, wenn einem soviel Rückgrat vorgelebt wird? Man versetze sich nur einmal in die Lage des verantwortlichen Proton-Mitglieds (so heißt die Konzertgruppe im Klex), das dem Plenum die plötzliche Kostensteigerung einer Veranstaltung von 600 Euro auf fast 1400 Euro erklären müsste. Ich würde höchst ungern tauschen wollen!

POLLERDIENSTE STATT TRISTESSE

Wütend kann auch die Posse um den Superpoller in Wieck machen, dessen Kosten sich inzwischen fast auf den zur Disposition stehenden Betrag belaufen. Die Angst davor, keinen Raum zur individuellen Entfaltung zu haben, ist offenbar so groß, dass die Jugendlichen sogar dazu bereit sind, ihr ehrenamtliches Engagement für die Stadt Greifswald auszuweiten, um fortan — ausgestattet mit Schlagbaum und Warnweste — Pollerdienst an der Wiecker Brücke zu leisten.

Bedingung dieses zynischen Vorschlags ist natürlich, dass ihnen die benötigten 200.000 Euro für die Sicherstellung ihrer Vereine und Freiräume gewährt würden.

(Foto: privat)

„Die freie Jugendarbeit ist kein Luxus, sondern notwendig für eine funktionierende demokratische Gesellschaft. Sie knüpft da an, wo es der Schule nicht möglich ist, Jugendliche zu erreichen.“ Mit diesen Worten rufen die Nutzer und Besucherinnen des Labyrinths und des Jugendzentrums Klex dazu auf, sich morgen vor dem Rathaus einzufinden und gemeinsam auf die prekäre Lage der Jugendarbeit in Greifswald aufmerksam machen.

Das Klex ist ein „essentieller Kulturraum“, die Jugend ist unsere Zukunft — und Du solltest morgen unbedingt auf dem Marktplatz sein, um allen zu zeigen, wie viele Menschen von diesen Mittelstreichungen betroffen sind und wie gut solche Pläne ankommen!

Fakten: 04.12. | 7-20 Uhr | Marktplatz

Es gibt morgen zwei Mahnwachen auf dem Marktplatz. Zur ersten (7-17 Uhr) rufen Nutzerinnen und Besucher des Klex und des Labyrinths auf. Die zweite Mahnwache von 17-20 Uhr hat der Stadtjugendring angemeldet.