Pop am Wochenende: Philipp Priebe forscht auf seinem Debütalbum „The Being of the Beautiful“ nach dem Wesen des Schönen

Eine Musikbesprechung von Ferdinand Fantastilius

Wer schon länger als einen Bachelor in Greifswald weilt und in den letzten Jahren auf dem discohousigen Ohr nicht komplett taub war, wird seinen Namen sicher irgendwoher kennen. Mit seinen Live-Sets bespielte Philipp Priebe in ausgewählter Seltenheit diverse Orte des örtlichen Techno-Nachtlebens, hier und da erschienen von ihm angefertigte Remixe zu Stücken anderer Leute auf verschiedenen Ton(daten)trägern und als DJ Matula beschallte er vor geraumer Zeit gar die Indie-Diskotheken der Stadt. Jetzt veröffentlicht Priebe sein erstes Deep-House-Album.

Phillip Priebe official

Transzendentale Rinnsale: Melancho-House im Fluß

The Being of the Beautiful erscheint am 12. Mai 2014 beim japanischen Label IL Y A. Im Spätherbst 2013 tourte Philipp Priebe hierzu passend mit seinen neuen Stücken bereits im Labelland, nun erscheint das Langspieldebüt des Wahlgreifswalders endlich in den Plattenläden und auf digitalen Vertriebswegen. Ähnlich wie Christian Löffler auf seinem vor eineinhalb Jahren in Usedomer Abgeschiedenheit aufgenommenen Album A Forest (Rezension) zieht auch Philipp Priebe inspirierende Impulse aus der hiesigen Landschaftslage nah am Wasser.

Phillip Priebe

Die elf Stücke des Albums tragen ein Gespür für Weite und den Hang zur Fließwassermetaphorik in sich. Alles plätschert und pritschelt hier organisch um eine eigene Idee von House-Musik — mal wie algiger Süßwasserstrudel, mal smooth wie in bassige Buchten laufende Ozeankämme.

Elektronische Patternmusik, die also letztlich programmierte — damit notierte, also geschriebene  — Musik ist, bürdet sich — gerade durch ihr genreimmanentes „Boing-Bumm-Tschack“ — von Househaus aus erst mal eine gewisse systemische Strenge auf. Die Kunst hierbei ist nun, alles irgendwie sinnvoll so zu arrangieren, in kreativ schlüssiger Weise dergestalt ins Rollen zu bringen und letztlich alles so im Fluss zu halten, dass es als barschig gründelnder Groove tiefer geht, als nur ein gehampeltes Halleluja im Club. Dass die Musik ein Angebot zum Abhub in sich trägt. Dass sie mehr ist als nur ein dumpfdoller Nippelboard-Techno, der nur Knalleffekte um des Knallens willen und keinen Raum für Aufbau, keinen Sinn für Verlauf und gesunde Prokrastination kennt. Dass dich die Musik nicht unberührt lässt, dich erhebt und mitnimmt, darum geht es schließlich auch: Tanz die Transzendenz, Freundchen, Transzendenz!

Philipp Priebe zäumt das Technoseepferd jetzt von der aquatisch-romantischen Side of Sound auf. Seine Musik geht straight forward, zugleich aber auch melancholisch in alle Richtungen — in einem soßigen Vorwärtswandern stilsicher durch klingende Streubilder mäandernd, mit einem Gefühl für den nötigen Selbstlauf der Sounds. Die Stücke verfolgen eigene Routen. Ein auf wenige Oldschool-Sounds reduziertes Drumgerüst bildet die holzerdige Grundlage für ein wohlsortieres, halbschläfriges Gewusel aus moosigen Synthesizerwolken und schwebenden Tinkerbell-Glöckchen.

Sweep and Schwoof im Planktonwald

Impermanent Affection eröffnet die Klangreise mit sanften Flächen, in die sich langsam ein trocken-perkussiver Schub windet. Field Recordings oder ferne Vocals oszillieren irgendwo im Hintergrund, man weiß es nicht genau. Vieles bleibt im angenehm Verhuschten. Eine plinkernde Melodie holt einen aus der ersten Träumerei zurück ins Gegenwärtige, entlässt einen aber sogleich wieder auf neue schwelgerische Hörpfade in pastellbunten Wald- & Wiesen-Welten im Stereo. Tief verhallte Akkorde grundieren das tänzerisch lullernde Glöckchengefunkel. Im tiefsten Sinne ist das Deep House – in seinem wässrigen Geplätscher die Grenzen zur ambitionierten Bedroom-Electronica aufstoßend, in der Struktur dem Grundgerüst des House treu bleibend. Ein kleines, grünes Unterwasserhouse, in dessen Vorgarten Priebe zärtlich gärtnert.

Phillip Priebe official photo

Nach dem sumpfmoorig durch gedeckte Klangfarben wandernden Opener zieht das zweite Stück, Cry, die Stellschrauben am Mühlrad etwas lockerer und lässt den musikalischen Fluss mit seiner angeshuffelten Rhythmik in schwelgerischer Eigenrotation — nur von einem Sinn fürs elegante Milde gebremst — um wonnige Bass-Arpeggios mit Drive im Bauch kreiseln, so dass es anmutet wie leuchtender Krill in einer sonderbar choreografierten Strömung.

Die wunderschönen Flächen, die sich auch auf den folgenden Stücken des Albums in ihrem Schimmern als priebesche Trademark-Chords herauskristallisieren, legen das Klangbett für lichtvolles Getwinkel und Getwankel. Immer wieder nehmen sich die Drums und Percussions selbst zurück, um Raum zu öffnen für die vielen kleinen melodischen Malereien und ihr spieluhrenartiges Eigenleben. Ein näselnder Synthesizer sweept sich wie ein freundlicher, großer Wal durch diesen Klang gewordenen Planktonwald in fluoreszierendem Meerschaum. Alles ist hier so herrlich und behutsam in den Stereoraum gesetzt, dass man nicht anders kann, als selbst ein kleines funkelndes Leuchtetier in diesem Schwarm aus Hooks & Sounds zu werden.

Ein Interlude (The Loss) setzt als kurzes Stück eine Zäsur in den Ablauf des Albums, bevor es mit Take Care wieder auf tomtom-getragene Tauchfahrt geht. Hier zieht sich eine pulsierende 808-Conga durch das Stück, wie ein stetes Echolot, auf- und abebbend in einem Fahnenwind aus Hall. Ein jazziges Piano und Fetzen von choralen Vocals tänzeln um einen Bau aus Synthesizer-Akkorden.

Das Wesen des Schönen in mildem Pump

Philipp Priebe hält es in seinen Stücken gern verhuscht und verweht. Tracknamen wie Glowing, Reflection und Deep Chrome Canyons spannen hier einen ansprechenden, ästhetischen Rahmen auf. Es geht um Licht, ums Flackern und Plätschern, um die Fetzen von Helligkeit, die sich durch ein samtiges Dunkel zischeln, um ein perlenhaftes Glimmern, um verschiedene Vorstellungen eines Wesens des Schönen.

Das Titel und damit quasi Kern gebende Stück des Albums, The Being of the Beautfiful, nimmt sich selbst beim Wort und liefert eine ebenso simple, wie ergreifende Akkordfolge als herzerweichendes Grundlagenloop, in das sich nach vier lichtsuhlenden Minuten eine erst mattierte, dann immer austernbrausender werdene Acid-Linie frisst und ein sandschrötiges Vocalsample hervorkrempelt, bis am Ende dieses spleenigen Törns das Traumwandlerische wieder Oberhand gewinnt und die Melancholia als heilsame Seekrankheit wieder die Decks bevölkert. Das nachfolgende Glowing schiebt das Klangbild mit seiner unterschwelligen Melodieverliebtheit und der Wärme der Pads und Keys erneut in Richtung fluides Schwipperschwapper à la Efdemin, Glitterbug und Soulphiction.

Phillip Priebe Being of the Beautiful

Ice Mountain zieht die Unterwasserthematik dann noch einmal von einer märchenhaft eisprinzessinartigen Seite auf und verklangbildlicht kristallines Mondlichtglitzern in den spektralen Brechungshorizonten eines Eisbergs als Prisma durch lange Chords und kurze Andeutungen von leise fallenden Flockensounds.

Wasserstraßentechno: Zurücknahme und Weglassung

Abgerundet wird das Album durch Remixe von den Patternvettern Steffen Kirchhoff, der Cry einer schmelzigen Chordflächenkur unterzieht und Lorin Sylvester (Me Succeeds), der mit seiner Interpretation des erwähnten Interludes das Album zum Ende hin wieder sanft in den audiophilen Bedroom wiegt.

Wiegenhaft plätschernd und in housigem Schunkel präsentiert es sich hier: das Being of the Beautiful. Das Wesen des Schönen und das Schöne und auch das Sein als Solches – mein Sein, dein Sein, irgendjemandes Sein, alles soll ein Sinnsein sein! — finden hier in unaufdringlicher Sanftheit eine Musik gewordene Entsprechung. Das erwähnte Technoseepferd wird hier zu einem House-Einhorn, einem edelschimmelweißen, feenhaften Ding, das da unten im Meer deiner salzigen Träume seine Runden zieht.

Schönheit, das vergessen oftmals ja viele, hat nämlich nichts mit Lautheit zu tun, ist nicht irgendein vordergründig präsentes Blenden, kein brüllposauniges, bürzelwackelndes Poserding, viel eher eben ein sedimenthaftes Schimmern und Funkeln — klandestin und sublim, Resultat einer Kunst der Zurücknahme und Weglassung: Minimal, weißt!

Eine erzählerische Qualität in die wortlose Musik zu bringen, Stimmungen zu malen — all das gelingt Philipp Priebe auf den Stücken seines Albums im Sinne eines Best-of-both-Worlds ganz wunderbar. Das hier ist Musik, für den Ohrensessel, genauso für ein tröpfelndes Insichselbstzerfließen während der Afterhour. Hörempfehlung für Leute, denen ein Herz im Gehörgang wächst und die gerne mal eine Herde Seepferde satteln wollen!

Links:

 (Fotos: Jules Villbrandt)

Ferdinand Fantastilius ist Labelbetreiber (Rain, Dear! Recordings &  Revelations), Musiker (Huey Walker, The Splendid Ghetto Pipers) und schreibt in unregelmäßigen Abständen für den Fleischervorstadt-Blog 

Der Widerstand gegen den Castor geht auf die Straße

Wie bereits Anfang Januar angekündigt, wird in der nächsten Woche wieder Atommüll ins sogenannte Zwischenlager bei Lubmin transportiert werden. Hierbei sollen fünf Castorbehälter aus Karlsruhe überführt werden, die insgesamt 140 Glaskokillen enthalten.

Zweite Großdemonstration binnen dreier Monate

Lokale Anti-Atom-Aktivistinnen mobilisieren seit Wochen zu Protest und Widerstand gegen diesen Transport und rufen dazu auf, sich an der morgigen Demonstration zu beteiligen. Es ist der zweite große Anti-Atom-Protest in Greifswald binnen drei Monaten, denn schon im Dezember 2010 gingen über 2000 Menschen auf die Straße.

Atom Widerstand Greifswald

(Foto: Feldweg)

Am Sonnabend beginnt um 14 Uhr auf dem Markt die Auftaktdemo, die über die Lange Straße, den Karl-Marx-Platz und die Bahnhofstraße durch die Goethestraße, die Anklamer- und Brinkstraße schließlich über den Hansering und die Bachstraße zurück zum Ausgangspunkt führen wird.

Redebeiträge sind von Nadja Tegtmeyer (Anti-Atom-Bündnis NordOst), Holger (Nachttanzblockade Karlsruhe), Simone Leuning (AG Schacht Konrad), Pfarrer Matthias Gürtler (Ev. Kirchengemeinde) und Renate Backhaus (BUND) angekündigt, für einen musikalischen Beitrag sollen die Stormbirds sorgen. Es wurde auch eine Google Map eingerichtet, auf der neben der Route auch Parkplätze und die Orte der Zwischenkundgebung und des Abendprogramms vermerkt sind.

Aktionstag als Warm-up für den Castor

Die ganze Veranstaltung wird mit Sicherheit wie beim letzten Mal von einem Großaufgebot der Polizei begleitet und es ist nicht auszuschließen, dass von Seiten der Polizei der Protest gegen Atomkraft wieder gefilmt wird. Außerdem ist zu erwarten, dass Presse und Fernsehen bildreich berichten und viele Menschen zusätzlich private Aufnahmen machen werden. Wer darauf keine Lust hat, sei an dieser Stelle nochmal daran erinnert, an diesem Tag die für solche Bedenken anzuratende Kollektion aufzutragen. „Der Widerstand gegen den Castor geht auf die Straße“ weiterlesen

IKUWO-Jubiläumssause mit Feindrehstar

In diesen Wochen kreuzen sich einige subkulturelle Zeitlinien dieser Stadt: In fünf Tagen jährt sich die Räumung des AJZ/Café Quarks zum elften Mal, das WBS 70 ist seit Mitte Januar endgültig abgerissen. GrIStuF musste nach nicht einmal vier Jahren das Büro in der inzwischen liebgewonnenen Wollweberstraße wieder verlassen und am Dienstag ist das IKUWO zehn Jahre alt geworden.

Dieses beifallswürdige Jubiläum verlief einigermaßen unbemerkt im Hintergrund und darf nun schließlich am Wochenende ekstatisch gefeiert werden. Zur Geburtstagssause wurde die achtköpfige NuJazz-Funk’n’House-BigBand Feindrehstar aus Jena eingeladen, deren Bläsersatz von Schlagzeug, Percussions, Keyboards und einem DJ gestützt wird.

(Foto: Feindrehstar)

Nachdem die Band aus Jena schon vor einigen Jahren beim jazzanovaschen Sonarkollektiv veröffentlichte, ist im Sommer 2010 ihr aktuelles Album Vulgarian Knights bei Musik Krause, dem Schwesterbetrieb von Freude am Tanzen, erschienen. Eine genremäßige Selbstverortung wird mit der Schöpfung Krautclub vollzogen, die eigene Musik als Session-Vehikel beschrieben, das im geschwisterlichen Verbund mit den drei „Gebrothern NuJazz/Broken-Beat, Techno, House“ daherkommt.

„Feindrehstar steht tänzelnd für live gespielte Clubsounds jenseits der Genre-Schubladifizierungen auf den Bühnen der Welt und hat bis dato wohl (fast) jeden verschwitzt wie verwundert in die Rest-Nacht entlassen. Die sessionartigen Klang-Trance-Eskapaden des Oktetts verwirbeln druckvollen Funk-Bass und elegante NuJazz-Bläser mit treibendem House, Broken Beats oder fett shakendem Hip Hop zu einer Art organischem Neo-Kraut-Groove-Bastard mit historischem Bewusstsein und ultimativem Bewegungsimperativ.“

Anschließend geht es mit Funk und House in die Nacht, dirigiert von DJ Légères (Jena).

Fakten: 29.01. | 22 Uhr | IKUWO | 5-8 EUR (freiwillige Selbsteinschätzung)