Judith Schalansky – Verzeichnis einiger Verluste

Ein Gastbeitrag von Martin Hiller

Die in Greifswald geborene Schriftstellerin Judith Schalansky wird immer auch über ihre Arbeit als Buchgestalterin wahrgenommen. Der Schriftsatz, die Haptik des Buchumschlags, die Steifigkeit und Laufrichtung des Papiers und sicher auch das die Lesenden umfangende, sonderbare Gefühl der Teilhabe an der – Blatt um Blatt sich fortstrickenden – Aufschlüsselung und Belebung des auf Buchseiten in Glyphen und Zeichen festgehaltenen Textwerts – all das ist für Judith Schalansky gleichwertig zum Textkörper als Speicher aneinandergereihter Chiffren.

Für Judith Schalansky erscheint das Buch, so schreibt sie im Vorwort zu „Verzeichnis einiger Verluste“, als „vollkommenstes aller Medien“. Seine vermeintliche Limitiertheit in der Umrahmung durch zwei Buchdeckel, sieht sie als seine eigentliche Qualität, seinen sinnlichen Vorteil den körperlosen Medien gegenüber. Ein Buch, „in dem Text, Bild und Gestaltung vollkommen ineinander aufgehen“, sei als Kunstform und Medium in der Lage, „wie kein anderes die Welt zu ordnen, manchmal sogar zu ersetzen“.

In dem nun im Suhrkamp Verlag erschienenen „Verzeichnis einiger Verluste“ beschäftigt sich Schalansky mit nicht weniger als Allem und Nichts; mit dem großen Ganzen und – das liegt in der Natur der Sache – auch dem kleinen Bruchstückhaften. Das was als Verlust festgestellt wird, muss schließlich irgendwann mal da gewesen sein, in graduellen Abstufungen für manche mehr, für manche eben weniger.

Judith Schalansky

Judith Schalansky (Foto: Jürgen Bauer / Suhrkamp Verlag)

„Judith Schalansky – Verzeichnis einiger Verluste“ weiterlesen

Koeppentage 2016: „Ich versuchte die Stadt“

Am Montag beginnen die Greifswalder Koeppentage, die den 110. Geburtstag des Schriftstellers mit einem wohlkuratierten Programm feiern.

Die Koeppentage sind fester Bestandteil des Greifswalder Kulturrhythmus. Das Literaturfestival, das jährlich rund um den 23. Juni, dem Geburtstag des Schriftstellers und Greifswalder Ehrenbürgers stattfindet, wird in diesem Jahr unter dem inzwischen vielzitierten Motto „Ich versuchte die Stadt“ vom Koeppenhaus präsentiert.

koeppentage 2016 Vom 20. bis zum 29. Juni rücken acht Veranstaltungen Wolfang Koeppen und sein literarisches Werk in den Mittelpunkt. Im Fokus der diesjährigen Koeppentage steht der auf Greifswald bezogene, autobiografische Prosatext Jugend, der von einem jungen Außenseiter erzählt, der in seiner Geburtsstadt Greifswald niemals heimisch wird. Der Außenseiter, der mit dem Makel der Armut und der unehelichen Geburt behaftet, durch die Stadt streift und sich von den argwöhnischen Blicken der Bürger verfolgt wähnt. „In meiner Stadt war ich allein“, urteilt der Junge, feiert Niederlage und Zusammenbruch des Kaiserreiches und denkt an Flucht in die großen Städte und fernen Länder.

„In Greifswald wurde ich geboren, das lässt sich nicht leugnen…“

Die Koeppentage beginnen am Montag mit einer Ausstellungseröffnung im „Münchner Zimmer“, die den Versuch unternimmt, die Entstehungsgeschichte von Jugend zu skizzieren und anhand persönlicher Dokumente aus dem Nachlass des Autors die literarischen Erinnerungen an ein Leben in Greifswald Anfang des 20. Jahrhunderts  anschaulich zu machen. Zu den weiteren empfehlenswerten Veranstaltungen gehört auf jeden Fall die Präsentation der Werkausgabe und der digitalen textgenetischen Edition von Jugend mit der in Greifswald aufgewachsenen Autorin Judith Schalansky, dem Suhrkamp-Lektor Raimund Fellinger, Katharina Krüger, Elisabetta Mengaldo und Eckhard Schumacher. In fast identischer Besetzung sorgte dieses Podium bei den Koeppentagen des letzten Jahres für ungebrochene Erheiterung im Publikum und unter den Vortragenden.

Weiterhin findet eine Lesung mit dem Koeppenpreisträger 2014, Karl-Heinz Ott, statt. Der Autor schlug, wie es die Preisträger dieser Auszeichnung traditionell tun, den nächsten Koeppenpreisträger vor. Er sprach sich dabei für den Schriftsteller Thomas Hettche (Pfaueninsel) aus, dem der Preis am Donnerstag durch Oberbürgermeister Stefan Fassbinder verliehen wird. Am nächsten Freitag darf man sich dann auf die Goldene Zitrone Schorsch Kamerun freuen. Der Musiker, Theaterregisseur und Hörspielautor wird im Koeppenhaus aus seinem autobiographischen Roman Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens lesen, der nach einem mehr als zwanzig Jahre älteren und inzwischen nochmal neu aufgenommenen Song Schorsch Kameruns benannt ist.

Die Koeppentage enden am kommenden Sonnabend mit einem literarischen Rundgang durch Greifswald, bei der unter Federführung von Monika Schneikart (Universität Greifswald) Orte aufgespürt werden, an die in Jugend erinnert wird.

Greifswalder Koeppentage 2015

Vor genau 109 Jahren wurde Wolfgang Koeppen in Greifswald geboren. Mit den Koeppentagen erinnert ein jährlich stattfindendes Literaturfestival an Leben und Werk des Schriftstellers, der zu einem der bedeutendsten Romanciers der deutschen Nachkriegsliteratur werden sollte.

Unter dem Titel „Der geborene Leser, für den ich mich halte…“ präsentiert das Koeppenhaus anlässlich der diesjährigen Koeppentage vom 23. Juni bis zum 1. Juli ein wohlkuratiertes Programm. Dazu gehören zwei Ausstellungseröffnungen, Lesungen und Gesprächsrunden mit zeitgenössischen Autoren wie Judith Schalansky und Hans-Ulrich Treichel, ein Vortrag mit dem Leiter des Günter Grass Hauses in Lübeck und eine literarische Friedhofsführung.

koeppentage greifswald 2015 Die Koeppentage beginnen am Dienstagabend um 19 Uhr mit einer Ausstellungseröffnung des Wolfgang-Koeppen-Archivs der Universität Greifswald, die Einblicke in das passionierte, nicht auf den Bereich der Literatur beschränkte Leserleben Wolfgang Koeppens gewährt und anhand von Fundstücken aus seiner vielseitigen Privatbibliothek aufzeigt, wie Rezeption und Produktion von Literatur bei Koeppen ineinander übergehen. Eine thematische Einführung liefern Philip Koch und Archivleiter Prof. Eckhard Schumacher.

Schumacher hat zusammen mit Katharina Krüger die Koeppen-Ausgabe der literaturwissenschaftlichen Fachzeitschrift TEXT+KRITIK herausgegeben. Beide Herausgebenden werden den „Abend für Wolfgang Koeppen“ moderieren, der im Anschluss an die Ausstellungseröffnung um 20 Uhr beginnen wird. Als Gäste werden Raimund Fellinger, langjähriger Cheflektor im Suhrkamp Verlag, und die ebenfalls wie Koeppen in Greifswald geborene Schriftstellerin Judith Schalansky (Der Hals der Giraffe) angekündigt. Die Autorin wird einen Text lesen, in dem sie sich und ihr Schreiben in ein Verhältnis zu Koeppen setzt. In der darauf folgenden Gesprächsrunde wird Koeppen als Schriftsteller, Briefautor und Leser vorgestellt.

Judith Schalansky Greifswald Judith Schalansky (Foto: Fleischervorstadt-Blog, 2015)

„Lesen mit Koeppen“ heißt die Devise, wenn die beiden Schauspieler Christian Holm und Katja Klemt am Mittwoch jene Autoren in Auszügen vorstellen werden, denen Koeppen besonders nahe stand. „Greifswalder Koeppentage 2015“ weiterlesen

Judith Schalansky liest in Greifswald aus ihrem Bildungsroman „Der Hals der Giraffe“

Die in Greifswald aufgewachsene Autorin Judith Schalansky liest am Freitagabend im Kontext einer literaturwissenschaftlichen Tagung aus ihrem prämierten Roman Der Hals der Giraffe (2011). Einen passenderen Beitrag hätte man sich nur schwer vorstellen können.

(Foto: Susanne Schleyer, Suhrkamp)

Das von der Stiftung Buchkunst als „Schönstes deutsches Buch des Jahres 2012“ ausgezeichnete Werk erzählt von der alternden Biologie- und Sportlehrerin Inge Lohmark, die an einer von der Schließung bedrohten Schule in der vorpommerschen Provinz unterrichtet. Lohmark versucht vergeblich, den Verfall ihres Lebensumfelds durch eine evolutionistische Sichtweise zu rationalisieren und scheitert. Mehr als einmal wird deutlich, dass es sich bei dem Schauplatz der Erzählung um Anklam handeln muss.

„Judith Schalansky liest in Greifswald aus ihrem Bildungsroman „Der Hals der Giraffe““ weiterlesen

Judith Schalansky geht ins Kloster

Die Greifswalder Autorin und Buchgestalterin Judith Schalansky lebt seit dem 6. Juni im ehemaligen Kloster St. Afra in Meißen. Sie wird dort als inzwischen dritte Klosterhofschreiberin an einer neuen Veröffentlichung arbeiten. Ihre beiden Vorgängerinnen im St. Afra waren Angela Krauß und Christoph Kuhn.

judith schalansky

Schalansky wurde in Greifswald geboren und ist hier aufgewachsen. Sie lebt als freie Autorin in Berlin und wurde für ihre Arbeiten mittlerweile mit mehreren Literatur- und Designpreisen geehrt, unter anderem mit dem 1. Preis der Stiftung Buchkunst: „Schönstes deutsches Buch des Jahres“ und dem Förderpreis des Friedrich-Hölderlin-Preises der Stadt Bad Homburg.

Aus ihrer Feder stammen Fraktur mon Amour (2006), Blau steht dir nicht: Matrosenroman (2008), Atlas der abgelegenen Inseln: Fünfzig Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde (2009) und Der Hals der Giraffe: Bildungsroman (2011).

Ihren Bildungsroman Der Hals der Giraffe stellte das NDR-Kulturjournal vor wenigen Monaten in einem eigenen Beitrag vor.

 (Foto: Filmstill)

Judith Schalansky und ihre Inselwelten im Koeppen

Die verlorene Tochter kehrt — zumindest für einen Tag —  zurück. Heute Abend wird Judith Schalansky im Koeppenhaus aus ihrem jüngsten Werk Atlas der abgelegenen Inseln. Fünfzig Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde lesen, das von der Stiftung Buchkunst als schönstes Buch 2009 ausgezeichnet wurde, lesen.

Ihren Faible für das Maritime brachte sie schon mit ihrem 2008 bei mare erschienen Debüt Blau steht dir nicht zum Ausdruck, in ihrem Atlas bleibt die Greifswalderin beim Thema:

judith schalansky autorinDass es immer noch Orte gibt, die schwer zu erreichen sind, erscheint uns heute nicht mehr vorstellbar. Judith Schalansky aber hat sie gesammelt: fünfzig entlegene Inseln, die in jeder Hinsicht weit entfernt sind, entfernt vom Festland, von Menschen, von Flughäfen und Reisekatalogen. Aus historischen Begebenheiten und naturwissenschaftlichen Berichten spinnt Judith Schalansky zu jeder Insel eine Prosaminiatur, absurd-abgründige Geschichten, wie sie nur die Wirklichkeit sich auszudenken vermag, wenn sie mit wenigen Quadratkilometern im Nirgendwo auskommen muss.

Sie handeln von seltenen Tieren und seltsamen Menschen: von gestrandeten Sklaven und einsamen Naturforschern, verirrten Entdeckern und verwirrten Leuchtturmwärtern, meuternden Matrosen und vergessenen Schiffbrüchigen, braven Sträflingen und strafversetzten Beamten, kurzum: von freiwilligen und unfreiwilligen Robinsons.

Außerdem wurde dem Buch im letzten November der Designpreis der Bundesrepublik Deutschland 2011 (Silber) verliehen. Im folgenden Videointerview spricht Judith Schalansky über die Wiederentdeckung ihrer Obsessionen fürs Matrosenhafte, die Wirkung der tiefblauen Uniformen auf sie und ihre collagenartige Arbeitsweise.

Fakten: 04.02. | 20 Uhr | Koeppen | 5 / 3 EUR