Neitzel geht – Donkey Princess kommt zu Besuch

Streng genommen hat Kevin Neitzel schon vor einigen Wochen seine Zelte in Greifswald abgebrochen und sich in Richtung Berlin aufgemacht. Ein würdevoller Abschied aus der Hansestadt wird morgen nachgeholt, denn das Quartiersbüro Fleischervorstadt hat ihn eingeladen, einige seiner Fotografien im Rahmen der Reihe Offenes Quartiersbüro auszustellen.

Neitzels Abgang ist bedauerlich, verliert die Stadt mit ihm doch auch einen Dokumentaristen, der sie in den vergangenen Jahren treu begleitete, mit seiner Kamera Veränderungen und vor allem subkulturelle Eruptionen festhielt.

kevin neitzel

Wenn es in dieser Zeit so etwas wie ein künstlerisches Seitenprojekt für Neitzel gab, dann sicher seine unverhohlene – manchernachts an hingebungsvolle Selbstaufgabe grenzende – Leidenschaft für Bier aus Sternburg, die ihn vor zwei Jahren mit einem Portrait sogar auf das Cover des markentreuen Fanzines Sterni brachte.

Die Abkehr vom Glanz des Großen

Die Abkehr vom Glanz des Großen und der Sinn für das Zauberhafte, das in kleinen Städten und im flachen Land der Provinz auffindbar sein kann, dürfen getrost als Parallele gelesen werden, die in der Neitzelschen Weltsicht zwischen dem süffigen Pils und der nordöstlichen Hansestadt verläuft und alles verbindet. Was muss es für ein Moment gewesen sein, als der mit viel Enthusiasmus veröffentlichte Sampler klein stadt GROSS – eine ebensolche Suche nach dem beschriebenen Provinzcharme – unter einer seiner eindrucksvollsten Fotografien in der INTRO besprochen wurde?

INTRO Greifswald

Nicht zuletzt ziert eine seiner vor Jahren festgehaltenen nächtlichen Momentaufnahmen der Bahnhofstraße den Kopfbereich des Fleischervorstadt-Blogs – von den unzähligen anderen Fotografien, die hier verwendet werden durften, ganz zu schweigen. An dieser Stelle sei eine ausführliche Begutachtung seiner fast 900 Impressionen Greifswalds, die bei Flickr weitgehend zugänglich sind, empfohlen.

Wem dafür die Zeit zu schade ist, sei die folgende Minigalerie mit drei Fotografien der Ausstellung ans Herz gelegt.

Zur Vernissage kommt Princess Donkey

Zur Ausstellungseröffnung hat sich neben Kevin Neitzel auch Donkey Princess angekündigt, die sich zuletzt mit einer intimen Performance dem dankbaren Publikum im IKUWO auslieferte. In Greifswald großgeworden, lebt sie inzwischen im gleichsam hanseatischen Hamburg.

princess donkey

Sie ist bekannt durch das Greifswalder Duo Lumières claires, dessen Veröffentlichung Please don’t focus on my mistakes. Please don’t focus on my mistakes Anfang 2009 für ein nordöstliches Licht am deutschen Popfirmament sorgte. Donkey Princess mag es etwas infantiler, arbeitet mit Keyboard und Akustikgitarre und betört neben ihrer wundervollen Stimme vor allem durch ihre unschuldige Bühnenpräsenz. Prinzessin Esel und Kevin Neitzel kooperieren nicht zum ersten Mal, was wäre für die Vernissage also naheliegender gewesen als das Konzert der Einen zu den Fotos des Anderen?

Nach der Vernissage ist die Ausstellung während der normalen Sprechzeiten des Quartiersbüros geöffnet.

(alle Fotos: Kevin Neitzel)

Fakten: 19.05. | 17 – 19 Uhr | Quartiersbüro (Bahnhofstr. 16)

Neues aus dem Hause „klein stadt GROSS“ *update*

Im Oktober 2009 wurde die Idee klein stadt GROSS ins subkulturelle Gedächnis der Stadt Greifswald eingebrannt. Damals wurden bildende Kunst und Musik aus der Hansestadt auf eine CD gebannt, in einen Stülpkarton überführt und auf roten Samt gebettet.

ksg-cover-webDie in Greifswald bisher einzigartige Veröffentlichung wurde von einem Veranstaltungsreigen begleitet, der einen ganz besonderen Vibe in die Stadt trug, der motivierte und Hoffnung schenkte. klein stadt GROSS, das war eine kulturelle Bestandsaufnahme und der Beginn einer Vernetzung, deren Fortführung sich zum Beispiel während der Insomnale beobachten ließ.

Die hochgesteckten Erwartungen einer innerstädtischen künstlerischen Verzahnung wurden zwar bisher nur teilweise erfüllt, nichtsdestotrotz darf man sich schon auf neue Werke der umtriebigen Gruppe freuen.

„Im Blick zurück entstehen die Dinge, im Blick nach vorn entsteht das Glück“

Kein gutes Projekt ohne richtigen Abschluss. In Sachen Dokumentation hat sich klein stadt GROSS redlich bemüht und sich alle Optionen für einen späteren medialen Rückblick offen gelassen. Es wurden akribisch alle Audio- und Videomitschnitte, alle Pressestimmen und Fernsehberichte und viele Fotos gesammelt. Dieses Archiv bildete die Grundlage für die heute – beziehungsweise im Herbst – erscheinenden Projektdokumentationen. Die popkulturellen Retrospektiven wurden – wie auch schon der Sampler – vom Quartiersbüro Fleischervorstadt gefördert und mit den Erlösen des Samplerverkaufs finanziert.

handbuch klein stadt grossIn einer sehr überschaubaren Auflage von nur fünfzig Exemplaren ist inzwischen das Handbuch eingetroffen, ein 72seitiges, zineartiges Druckwerk. Hier wird zurückgeblickt, Texte verschiedener Medien werden mit attraktivem Bildmaterial zu einer wunderschön und liebevoll gestalteten Kollage zusammengefügt und klein stadt GROSS erklärt sich – mit einem Blick in die Zukunft – selbst.

Noch ist unklar, wo die Hefte ausgelegt werden, aber im Quartiersbüro Fleischervorstadt wird man sicher fündig werden und es lohnt sich, versprochen. Wem dieser Weg zu weit ist, der kann sich an dieser Stelle das pdf-Dokument des Magazins (8,6MB) herunterladen.

Dokumentarfilm über Greifswalder Subkultur

Doch mit dem Handbuch allein ist es nicht getan. In Kooperation mit Greifswald TV entsteht derzeit eine Dokumentation, die das Arbeitsfeld von klein stadt GROSS unmittelbar betrifft. Unter der Regie von Christoph Eder, der bereits im Oktober für den Regionalsender einen kurzen Beitrag über Thema produzierte, wird bis zum Herbst 2010 ein Film fertiggestellt werden, der den Titel Klein Stadt Raum tragen wird. „Neues aus dem Hause „klein stadt GROSS“ *update*“ weiterlesen

Kulturelle Ausblicke aufs Wochenende

Die Semesterferien dauern an, aber das ist kein Grund, sich in die Wohnzimmer zu verkriechen. Eine kurze Vorstellung der heutigen Optionen des Amüsierbetriebes zwischen Synthie-Pop-Wave, Eventschiff und gediegenem Jazz aus Skandinavien.

Welle: Erdball in der Mensa

Schon seit beinahe 20 Jahre existiert die (New)Wave-Elektro-Formation Welle: Erdball, die mit einer tüchtigen Portion NDW-Feeling ins Haus bricht. Die Band ist für ihre eigenwillige und requisitenreiche Bühnenshow, für die ein Haufen Retro-Maschinen angefahren wird, berühmt. Ihr Sound verdient über alle Maße hinaus das Prädikat old-school.

welle: erdballAls Klangerzeuger tritt, neben vielen analogen Synthesizern, der Commodore 64 als vollwertiges Bandmitglied auf. Wo Künstler wie Kraftwerk, D.A.F., Grauzone oder Ideal in den 80er Jahren starteten, setzt Welle: Erdball wieder an und führt diese glorreiche Ära der deutschen Musikgeschichte weiter fort. In der Independent-Szene schon lange eine Kultband, zeigt Welle: Erdball auch auf Konzerten in ganz Europa, dass Elektronikmusik mit sehr viel Dynamik umgesetzt werden kann.

Auf dem webMoritz ist der Trailer zum Film Operation Zeitsturm verlinkt, an dem Welle: Erdball ebenfalls beteiligt sind und der in wenigen Wochen veröffentlicht wird. Hier das Video zum Stück 1000 weiße Lilien:

Nach dem Konzert laden die beiden Veranstalter (Mensaclub und Kiste) zu einer Aftershow-Party mit vier DJs auf zwei Floors. Zu erwarten sind dort dann neben Synthie Pop und Minimal Wave auch EBM, Industrial, Electro und Goth-Rock.

Augenfällig ist der grenzensprengende und exorbitant hohe Eintrittspreis. Der ist zwar nicht unbedingt sozial, aber vielleicht lernt man so hierzulande, dass Kultur ihren Preis hat. „Kulturelle Ausblicke aufs Wochenende“ weiterlesen

Projekt „klein stadt GROSS“ geht in die nächste Runde

Im Oktober 2009 wurde der Sampler klein stadt GROSS, der neben verschiedenen Greifswalder Musikern auch neun bildende Künstler und Künstlerinnen präsentierte und später auch miteinander vernetzte, veröffentlicht. Die CDs sind inzwischen beinahe ausverkauft.

schlagzeugDerweil kündigt die Projektgruppe eine neue Veröffentlichung an und bittet dafür um Mithilfe, um abermals sowohl als künstlerische Plattform als auch als lokalkulturelles Sammelbecken dienen zu können.

Dieses Mal soll Filmkünstlern die Gelegenheit gegeben werden, ihre Arbeiten zu präsentieren. Im April wird daher statt einer CD eine DVD erscheinen, auf der Kurzfilme, Animationen und sonstige denkbare Varianten von bewegten Bildern zu sehen sein werden. Dazu sind alle Interessierten der Stadt aufgerufen, ihr Filmmaterial einzureichen. Inhaltlich sind dem künstlerischen Geist keine Grenzen gesetzt, denn auch diese Kompilation soll von Diversität und Individualität geprägt sein. Die besten Einsendungen werden dann in das DVD-Programm integriert.

Filmische Beiträge, ganz gleich, ob es sich dabei um Kurzfilme, Animationen oder etwas anderes handelt, sind bis zum – kein Witz – ersten April einzureichen. Die postalischen und elektronischen Kontaktmöglichkeiten findet man auf der KSG-Internetpräsenz.

Was wird außerdem auf der DVD sein? „Projekt „klein stadt GROSS“ geht in die nächste Runde“ weiterlesen

Pop am Wochenende: Leonard Las Vegas „No Need For Wires“

Die Reihe „Pop am Wochenende“ versammelt Greifswalder Musikgeschichte und hält über das klangliche Gegenwartstreiben in der wilden Provinz auf dem Laufenden.

Hinter dem glücksspielaffinen Namen steckt der mittlerweile in Würzburg lebende Berliner Wahlgreifswalder Alexander Leonard Stöckigt, der hier vier Jahre lang studierte und als Sänger und Keyborder der Band Jet Pilot auf sich aufmerksam machte. Soviel zur topographischen Verortung des Musikers. Noch in Greifswald mündete seine schier unerschöpfliche musikalische Produktivität im Soloprojekt Leonard Las Vegas, das es seit nunmehr fast vier Jahren gibt.

leonard las vegas

Sechs Veröffentlichungen später kann er mit blackjack illuminist nicht nur sein eigenes Label vorweisen, seit 2007 veröffentlichte Leonard Las Vegas  auch bei den Berlinern Record 1fourFIVE, die sich inzwischen vom reinen netlabel zur Plattform für physische Tonträger entwickelt haben. Das aktuelle Album Lightspeed Your Body, We’re Going Downtown ist also problemlos im Laden zu bekommen.

blackjack illuminist macht Leonard natürlich trotzdem und mit voller Überzeugung weiter, da erhierbei jeder CD ne eigene Note verpasse und das ganze im heutigen Zeitalter die Antithese zum Downloadwahn und zur Austauschbarkeit darstellt.

Seine Tour im Mai 2009 führte ihn bis Amsterdam, vor zwei Monaten trat er im Rahmen der Release-Woche des lokalen Samplerprojektes klein stadt GROSS in der Kiste auf. In der damaligen Veranstaltungsankündigung wurde auf den emotionalen Tourtrailer der Band hingewiesen, der unbedingt angesehen werden sollte.

Im Livebetrieb läßt sich der My Bloody Valentinsche Shoegaze-Sound des Ein-Mann-Projekt nur schwer umsetzen, daher scharte Leonard Las Vegas eine Band um sich, die ihn auf den Konzerten unterstützt und so die atmosphärischen Postrock-Kulissen livefähig macht.

Zur Ergänzung sei auf das von kid Atari produzierte Video des Stückes No Need for Wires des Albums Naked Feet On Highway Darkness verwiesen.

Pop am Wochenende: Kein Plan

Die Reihe „Pop am Wochenende“ versammelt Greifswalder Musikgeschichte und hält über das klangliche Gegenwartstreiben in der wilden Provinz auf dem Laufenden.

Spätestens seit ihrem – auch auf dem Lokalkompilat klein stadt GROSS erschienenen – unglaublich energetischen Song Enemy muss man Kein Plan einfach lieben. kein plan greifswald

Die Greifswalder Band hat sich in gleichbleibender Besetzung in den vergangenen Jahren verdammt gut entwickelt und spielt klassischen Skatepunk amerikanischer Prägung. Vor wenigen Tagen haben Kein Plan neue Stücke bei myspace veröffentlicht, ein neues, zweites Album ist im Entstehen.

Das neue Material kann sich sehen bzw. hören lassen. Es wurde im Rostocker Petemusik-Studio aufgenommen und ist wirklich gut produziert. Hervorhebenswert finde ich den genretypischen Einsatz des kollektiven shoutings. Großartig!

Bereits im April hat die Band das folgende D.I.Y.-Video zu ihrem Stück Keep On im Internet veröffentlicht. Hier bekommt man einen sehr guten Einblick in das Wesen und die Mentalität von Kein Plan.