Kündigungen am Theater Vorpommern

Aus akutem Anlass und Gründen der Multliplikation ein Text von Nils Dicaz zu den bevorstehenden Kündigungen am Theater Vorpommern.

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Ein Großteil des Schauspielensembles muss 2012 gehen, wird vom neuen Intendanten einfach ausgetauscht. Rechtlich alles sauber, die formalen Fristen wurden eingehalten.

„Noch ist nichts entschieden“, zitierte die OZ im Juni den zukünftigen Intendanten, Herrn Löschner, doch bereits Mitte Mai hatten die Gesellschafter, vertreten durch Herrn Dr.Badrow (CDU), Herrn Dembski (SPD) und Frau Kassner (DIE LINKE) schriftlich die Vollmacht für Entlassungen erteilt. „Blicken Sie hoffnungsfroh in die Zukunft!“ sprach Geschäftsführer Dr. Steffens (CDU) zu Schauspielern auf der Premierenfeier am 30. April, ein paar Tage später unterzeichnete er die Vollmacht. OB Dr. König (CDU) erwähnt in seinem gedrechselten Vorwort im neuen Spielzeitheft die anstehenden Entlassungen mit keinem Wort. Herr Dembski (SPD) wirbt auf seinem Wahlplakat lieber mit dem Slogan: „sozial gerecht“!
Der Rausschmiss trifft überwiegend Väter und Mütter von Kleinkindern, allein erziehend oder familiär an die Region gebunden! Wurde Herr Löschner darüber informiert, dass er seinen neuen Posten hier deshalb erhalten kann, weil diejenigen, die er nun feuert, jahrelang auf Tariferhöhungen, Weihnachtsgeld usw. verzichteten? Christian Holm, Katja Klemt, Anke Neubauer, Marta Dittrich, Eva-Maria Blumentrath, Hannes Rittig, Catrin Darr oder Andreas Kohl inszenieren, organisieren, spielen, lesen, musizieren und moderieren überall dort, wo in Greifswald Kunst und Kultur im wahrsten Sinne des Wortes eine Stimme brauchen und das oft kostenlos für die Veranstalter.

Genau jene sind betroffen, die das zur Institution gewordene Tresenlesen etablierten, die Ausstellungseröffnungen zum zweifachen Erlebnis werden lassen, die Vorträge und Diskussionsrunden mit ihren Beiträgen beleben, sei es im Landesmuseum, dem Krupp- Kolleg oder der Universität, die die Lust am Theaterschauen- und spielen in die Schulen tragen, kurz – verlässliche Kooperationspartner, deren Namen sich in den Programmen des Nordischen Klanges, des Polenmarktes, der INSOMNALE, der Koeppentage finden. Herr Prof. Dr. Joecks (SPD), Vizepräsident der Bürgerschaft und Ausschussmitglied für Bildung und Kultur (!) hat dennoch kein Problem mit Kündigungen oder Nichtverlängerungserklärungen.

theater greifswald

Genau zwölf Tage nach seiner Unterschrift unter die Entlassungsvollmacht erhält Aufsichtsratsvorsitzender Nitschke (CDU/FDP-Fraktion) aus den Händen des Ministerpräsidenten Sellering (SPD) das Bundesverdienstkreuz mit den Worten: „Wir …haben viel erreicht. Dabei …kommt es immer auf einzelne Menschen an, die mit ihrem besonderen Engagement… viele andere motivieren und mitreißen.“

Genau das taten die von der Nichtverlängerung Betroffenen. Für den einen den Orden, für die anderen den Fußtritt! Herr Löschner hatte die Möglichkeit, vier Schauspielstellen neu zu besetzen, ohne eine einzige Nichtverlängerung auszusprechen. Das genügte den Ambitionen des designierten Intendanten nicht. Statt dessen wird die Dramaturgenstelle mit Herrn Löschners Bruder besetzt.

Diese ignoranten und unsozialen Entscheidungen „Künstlerische Freiheit“ zu nennen (Position der Kulturamtsleiterin, Frau Hauswald), grenzt an Zynismus. Niemand kann bisher Auskunft geben über das neue künstlerische Konzept des zukünftigen Intendanten, auch er selbst tat dies auf OZ-Nachfrage nicht. Wohl aber können viele Greifswalder die hervorragenden Leistungen der von der Nichtverlängerung betroffenen Schauspieler und Schauspielerinnen als solche beurteilen.

Künstlerische Freiheit kann immer nur eine individuelle sein, die niemanden von seiner moralischen und sozialen Verantwortung entbindet!

(Text: Nils Dicaz,  Diplom Maler/Grafiker, Künstlerischer Mitarbeiter am Caspar-David-Friedrich Institut)

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Mehr dazu:

  • Theaterchef entlässt 15 Mitarbeiter (Ostsee-Zeitung, 22.08)

nordoststreifen: „Europa“

Die Filmvorführungsreihe nordoststreifen verdient sich schon seit längerem Lorbeeren für ihr ausgesuchtes Programm. Wurde  während des Polenmarktes der Fokus auf das östliche Nachbarland gelegt, so ist es wenig verwunderlich, dass dieser Tage der Blick gen Norden gewandt wird.
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Dänemark ist nicht erst seit der Dogma-Gruppe Brutstätte großer Filmkunst und einer der wohl wichtigsten Regisseure dieses Landes ist zweifelsohne Lars von Trier (u.a. Hospital der Geister, Breaking the Waves, Idioten, Dancer in the Dark, Dogville, Manderlay, Antichrist). Im Rahmen des Nordischen Klangs 2011 wird heute im Pommerschen Landesmuseum von Triers Film Europa (DK/S/F/D/CH, 1991) gezeigt – eine cineastische Zitatmaschine in vorwiegend Schwarzweiß, die mit Mehrfachbelichtungen und Rückprojektionen zu einer experimentellen Bildschichtung wurde.

europa von trier (Foto: kino-zeit.de)

In Europa wird die Geschichte des deutschstämmigen Amerikaners Leopold Kessler (Jean-Marc Barr) erzählt, der kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland zurückkehrt und als Schlafwagenschaffner zu arbeiten beginnt.

„Fortan ist er einem merkwürdigen System absurder Vorschriften unterworfen, das inmitten des Chaos die in Deutschland ach so heilige Disziplin und Ordnung wieder herstellen soll. Auf seinen Fahrten quer durch das zerstörte Deutschland lernt er Katharina Hartmann (Barbara Sukowa), die Tochter des Besitzers von Zentropa, der während des Krieges die Waggons für den Transport von Juden in die KZs bereit stellte, und der nun so weitermacht, als sei nichts geschehen, kennen.

Natürlich verliebt sich Leopold in Katharina und natürlich wird seine Liebe schamlos ausgenutzt, denn die Untergrundorganisation der Nazis, die Werwölfe, sind immer noch aktiv, und der nichts ahnende Schlafwagenschaffner aus Amerika ist fester Bestandteil ihrer dunklen Pläne und Machenschaften – ein Opfer, das zum Täter wird.“ (kino-zeit.de)

Bei der International Movie Database (imdb) wird der Film mit 7,7 bewertet, einen englischsprachigen Trailer gibt es außerdem:

http://www.youtube.com/watch?v=rvnlawgfAY4

Fakten: 12.05. | 21 Uhr | Pommersches Landesmuseum | 3 EUR

Der Polenmarkt 2010 beginnt

Seit nunmehr zwölf Jahren findet in Greifswald der Polenmarkt statt und mit ihm hält wieder eine Fülle von Konzerten, Ausstellungen, Lesungen, Filmvorführungen und Partys in der Stadt Einzug.

Ähnlich dem Nordischen Klang richtet auch dieses Festival seinen Blick auf eine Region, einen Kulturraum, und versucht nach eigener Aussage „eine avangardistische und inspirierende Visitenkarte des Nachbarlandes zu kreieren“.

PROGRAMMATISCHE VIELFALT – VIELFÄLTIGE PROGRAMMATIK

polenmarkt greifswald coverWie dieses Anliegen in der Praxis gelingt, darüber gibt das wunderbar illustrierte und liebevoll gestaltete Programmheft Aufschluss, das auch in digitaler Form dargereicht wird.

Die Veranstaltungen sind auf viele Kulturräume der Stadt verteilt und der diesjährige Polenmarkt wird abwechselnd von der Medienwerkstatt, dem Pommerschen Landesmuseum, dem IKUWO, dem Antiquariat Rose, der Tschaika, dem St. Spiritus, dem Fallada- und dem Koeppenhaus beheimatet. Zwei Programmpunkte finden sogar in Stralsund statt.
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Die programmatische Vielfalt reicht dabei vom Pianisten mit Weltruhm, Andrzej Jagodziński, über die Punkbands Dead Yuppies und Narkolepsja aus Wrocław bis zum Electro-Ethno-Dancehall-Kombinat Masala aus Warszawa oder den aus Szubin stammenden Jazz-Freigeistern Contemporary Noise Sextet.

Neben Kulturveranstaltungen im klassischen Sinn wird es aber zum Beispiel auch eine Art Informationsbörse für Interessierte, die an einer polnischen Universität studieren wollen, geben. Und ganz gewiss wird auch dezidiert auf das Polonicum, ein vor kurzem eingerichtetes, zweisemestriges Zusatzstudium, hingewiesen werden.

LÄNGSTER POLENMARKT SEIT BESTEHEN

Daneben werden insgesamt acht Filmvorführungen offeriert, unter anderem der in der Kategorie Bester Dokumentarkurzfilm für den Oscar nominierte Berliner Mauerhasen, der von Kaninchen handelt, die in der unmittelbaren Nähe der Berliner Mauer lebten; Parallelen zur DDR-Bevölkerung werden in der „brilliant geschmiedeten Allegorie“ offenkundig.

Polenmarkt Cartoon

Noch nie war ein Polenmarkt so lang – ganze sechzehn (!) Tage wird Greifswald von den vielversprechenden Veranstaltungen beseelt werden, die einen sehr gelungenen Mix aus verschiedenen Regionen und Szenen erwarten lassen und unbedingt als „eine avangardistische und inspirierende Visitenkarte“ Polens funktionieren. Dafür ist dem Team hinter dem Polenmarkt schon vorab ein großes Dankeschön und Respekt für die bis hierher geleistete Arbeit auszusprechen.

Ab Donnerstag wird der Polenmarkt auch auf dem Fleischervorstadt-Blog das Thema schlechthin sein. Hier werden die wichtigsten Veranstaltungen angekündigt und wenn möglich auch dokumentiert. Ab morgen heißt dann also die Devise an den Tresen dieser Stadt Tyskie statt Lübzer oder Becks, in diesem Sinn: Na zdrowie!

Großes Kino aus Norwegen

In Kooperation mit der Kulturreferentin für Pommern und dem Filmclub Casablanca wird im Rahmen des Nordischen Klangs das preisgekrönte Regiedebüt des im dänischen Kopenhagen geborenen Norwegers Joachim Trier gezeigt.

repriseReprise (dt.: Auf Anfang, 2006) erzählt die Geschichte zweier Jungautoren, die versuchen, einen Verlag für ihren zweiten Roman zu finden. Dieses Unterfangen gelingt nur einem der beiden.

Der „essayistisch anmutende Versuch über die Alternativen, die das Leben bereithält, und die Folgen, die daraus erwachsen„, erinnert durch sein Spiel mit dem Möglichen ein wenig an Tom Tykwers Lola rennt (1998) und hat nach seiner Veröffentlichung zahlreiche Preise auf unterschiedlichen internationalen Filmfestivals gewonnen, unter anderem in Toronto, Istanbul, Karlovy Vary und Rotterdam.
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Eine ausführlichere Handlungsbeschreibung findet sich auf der Seite des Nordischen Klangs, eine Vorschau des vielversprechenden Films gibt es derweil hier.

Fakten: 07.05. | 21 Uhr | Pommersches Landesmuseum | 3 EUR

Langweiliger Nordischer Klang 2010?

Zum nunmehr 19. Mal wird in wenigen Tagen das Kulturfestival Nordischer Klang in Greifswald beginnen. Das diesjährige Programm ist dabei so aufgeräumt und gediegen wie die Veranstaltungsorte; befreit von Kanten und allem, was wehtun kann.

Auftakt mit Valkyrien Allstars

valkyrian allstarsFür einen mehr oder minder folkloristischen Auftakt werden Valkyrien Allstars aus dem norwegischen Oslo sorgen. Die Band ist mit ihren drei Hardangerfiedeln ungewöhnlich besetzt und wird von einer Schlagzeug-Kontrabass-Sektion unterstützt. Ob das Konzert allerdings – wie im Programmheft formuliert – den stärksten Festivalauftakt in der Geschichte des Nordischen Klangs darstellt, wird sich noch zeigen.

Fakten: 06.05. | 20 Uhr | Stadthalle | 16 EUR (8 EUR erm.)

rogerberg bigbandDie schwedische Sängerin Sylvia Vrethammar, die im vergangenen Jahr ihr vierzigjähriges Bühnenjubiläum feierte, beherrscht die Kunst des Entertainments. Sie wird von der Roger Berg Big Band begleitet. Das dänisch-schwedische Orchester ist nach seinem Schlagzeuger Roger Berg benannt, spielt sehr lebendig und auf hohem Niveau.

Fakten: 08.05. | 20 Uhr | Stadthalle | 20 EUR (14 erm.)

Kein Fieber der Vorfreude

Diese ausschnitthaften Einblicke ins Festivalprogramm könnten jetzt noch weitergeführt werden und zum Beispiel Väinö Jalkanens Klavier-Rezital beinhalten oder neben den Bands Pollux und Kilimanjaro auch das Peter Wilgotsson Saxophon- und Orgelduo, Frida Ånnevik oder die dänischen Dinosaurier The Savage Rose. Über das bedauerliche Fehlen eines frischen Akzentes kann das aber leider auch nicht hinwegtrösten, zumal der Eintritt nicht billiger wird. Kultur hat eben ihren Preis, erst recht beim Nordischen Klang.

nordischer klangObwohl alle eingeladenen Künstler und Bands auf höchstem Niveau spielen, löst das Festivalprogramm in seiner Gesamtheit alles andere als fiebrige Vorfreude aus. Amüsant könnte es vielleicht mit Múgsefjun aus Reykjavík werden, wenngleich die Erwartungen an isländische Musik anders geartet sind und hier wieder Potentiale verschenkt wurden. Auch die Jazz-Nacht im Medienzentrum verspricht einiges, aber den großen Wurf sehe ich bei den diesjährigen Musikveranstaltungen leider nicht.

Höhepunkt Filmvorführung

Mein persönlicher Höhepunkt des Nordischen Klangs 2010 wird eine Filmvorführung; und zwar die schwedisch-norwegischen Produktion Reprise (2006), die an dieser Stelle nochmal gesondert angekündigt werden wird.

Freunde von Kettengedichten und Internet können sich bis dahin mal drüben auf dem Ostsee-Blog umschauen und überprüfen, wie weit das deutsch-schwedische Renga gediehen ist.

Moritz TV widmet sich dem Nordischen Klang

Anfang Mai fand in Greifswald zum achtzehnten Mal das skandinavische Kulturfestival Nordischer Klang statt. Anlass genug für Moritz TV, ihre jüngste Sendung der Veranstaltungsballung zu widmen.

Der erste Teil stellt zwei Studentinnen vor, die beim Nordischen Klang aktiv sind. Etwas gewöhnungsbedürftig, aber dennoch einigermaßen witzig ist ein kurzer landeskundlicher Überblick über Finnland. Danach reihen sich Eindrücke von der Eröffnungsveranstaltung.

Der zweite Abschnitt beinhaltet ein langes und unterhaltsames Interview mit dem scheidenden Festival-Mitorganisatoren Walter Baumgartner und es wird das Konzert von Stockholm-Lisboa-Project begleitet. Von dieser Band wird auch eine CD verlost.

Der dritte Teil bietet Interviews mit den Finnen Domination Black und dem norwegischen Musiker Haakon Haga. Ausserdem gibt es Eindrücke vom Impro-Battle zwischen Improsant aus Greifswald und einer norwegischen Theatergruppe im IKUWO zu sehen.

Friethjof Strauß, der künstlerische Leiter des Nordischen Klangs, läutet den viertel Teil der Sendung ein. Daran fügen sich ein Interview mit dem Aktionskünstler Petter Gantelius und Aufnahmen seiner Show. Schließlich gibt der Abspann über die personellen Verantwortlichkeiten der Sendung Aufschluss.