Auftaktdemonstration zur Castor-Woche

Glaubt man den Zahlen der Atomgegnerinnen und Castorskeptiker, beteiligten sich über 3600 Menschen am Sonnabend an der Demonstration gegen den geplanten Castor-Transport aus dem französischen Cadarache ins „Zwischenlager“ Lubmin,

Nur 1500 Teilnehmende zählte dagegen Franz-Robert Liskow von der Jungen Union, der in seinem OZ-Leserbrief einen „Demonstrationstourismus“ ausmachte und dem sich in den Demonstrationszug einreihenden Landesvater Erwin Sellering (SPD) vorwarf, die Atom-Debatte bewusst mit Lügen anzureichern, um bei der bevorstehenden Landtagswahl punkten zu können.

(Foto: Feldweg)

Die Grünen hatten ein Zählteam an der Spitze des Zuges platziert, das an der engsten Stelle der Route innehielt und die vorbeiströmenden Protestlerinnen zählte. Dort stellte man eine Beteiligung von 3100 Menschen fest. Die Polizei hingegen schätzte die Zahl der Teilnehmenden sehr niedrig ein und korrigierte sich im Laufe des Tages nach oben. Es gab also genügend Raum für Zahlenklaubereien.

Kein Grund zum Jubeln

Ganz gleich, welcher Teilnehmendenzahl man nun anhängig ist, rund 3000 Demonstrierende sind eher ein Anlass zur Sorge als ein Grund zum Jubeln.

Ja, es ist Dezember und viele Menschen haben viel zu tun und ja, es war kalt – erst hat es geschneit und später geregnet. Aber sind 3000 nicht auch sehr wenig eingedenk der Tatsache, dass tatsächlich viele Unterstützerinnen reisebusweise von außerhalb anreisten? „Demonstrationstourismus“ nennt das der zitierte kleingeistige Filius des hiesigen CDU-Kopfes Egbert Liskow, „bundesweite Mobilisierung und Solidarität“ heißt das bei den Veranstaltern.

Zieht man diese externen Besucher ab, wird die Beteiligung an der Demonstration überschaubarer, und subtrahiert man anschließend jene Menschen, die parteilich organisiert sind, wird es nochmals enger. Sind in einer Stadt mit mehr als 60.000 Einwohnern nicht mehr Menschen auf die Straße zu kriegen? Geistert durch die Köpfe und Identitätskonzepte der Greifswalder noch immer der Arbeitsmarktmotor Bruno Leuschner und fürchtet sich niemand vor der Strahlung? Oder ist den Menschen hier vor Ort schlichtweg egal, dass Lubmin zum „Zwischenendlager“ wird?

Nichtsdestotrotz war die Demonstration der größte Greifswalder Anti-Atom-Protest seit 1992. (Ein Bild des mit Demonstranten gefüllten Marktplatzes gibt es hier)

(Foto: Feldweg)

Parteien nutzten Demo als Bühne

Die Präsenz der politischen Parteien, ohne deren finanzielle Unterstützung die Veranstaltung so nicht hätte stattfinden können, empfanden viele Teilnehmer als befremdlich. Die wehenden Fahnen der LINKEN und der SPD passten sich nicht so recht in diese Szenerie ein, den Grünen sei Anti-Atom als ureigenes Parteiprogramm vergönnt, die lange nicht mehr gesichtete MLPD machte schmunzeln, mehr aber auch nicht.

Am lebendig fluktuierten Rednerpult wurde die milieuübergreifende Opposition wider die Bundesatompolitik deutlich, denn die Sprecherinnen rekrutierten sich aus sehr verschiedenen Lagern. Da waren die Professoren Michael Succow und Konrad Ott, Oskar Gulla (SPD) von der BI gegen das Steinkohlekraftwerk in Lubmin, Ulrike Berger (B90/Grüne), Bischof Hans-Jürgen Abromeit, Kerstin Rudeck (BI Lüchow-Dannenberg), Nadja Tegtmeyer vom hiesigen Anti-Atombündnis, Ingo Schlüter (DGB), Ulrike Mehl (BUND) und schließlich Verina Speckin (Mitglied Landesverfassungsgericht MV und Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein).

Anti-Atom Volksfest

Ansonsten war es einigermaßen volksfestlich, da gab es Biobratwurst und vegane Suppe, leichte Unterhaltung von Thomas Putensen und Band, brachte der Wahlgreifswalder Jan Degenhard den Spiritus der friedlichen Revolution aus dem Wendland mit und stimmte der Anti-Atom-Chor auf das Weihnachtsfest ein.

Allein das massive Polizeiaufgebot störte das sonnabendliche come together und zeugte davon, dass der Staat die Atomgegnerinnen ganz offensichtlich für viel gefährlicher hält, als sie eigentlich sind. Martialisch aufgerüstete Gruppen von Uniformierten belebten den Greifswalder Bahnhof und säumten die Demonstrationsstrecke.

Gegen 17 Uhr war der Spuk schließlich vorbei und die Protestler stoben davon. Ein letztes Mal lief das durch die Greifswalder Hedonistinnen adaptierte Pantha-du-Prince-Stück, dann war der Auftakt der Aktionswochen auch schon wieder Geschichte.

Beide musikalischen Beiträge der Hedonisten stehen selbstverständlich zum Hören und Herunterladen bereit. Wenigstens hat der Widerstand jetzt einen Soundtrack!

 



Podcast: Michael Succow und die rettenden Moore

Michael Succow wird nicht müde. Der inzwischen 69jährige international profilierte Wissenschaftler, unter anderem Träger des alternativen Nobelpreises, des Bundesverdienstkreuzes und der Greifwalder Rubenow-Medaille, konnte sich in den vergangenen Jahrzehnten zum Handlungsreisenden in Sachen Naturschutz entwickeln.

STELLVERTRETENDER UMWELTMINISTER, STIFTUNGSGRÜNDER & BODENEXPERTE

Er studierte in Greifswald Biologie und war in den letzten Wendemonaten stellvertretender Umweltminister in der Regierung Modrows. Noch gerade rechtzeitig zur letzten Sitzung des DDR-Ministerrats gelang ihm damals die Aufsetzung eines umfassenden Nationalpark-Programms, das mehr als fünf Prozent der Fläche der neuen Bundesländer unter strengen Naturschutz stellte. 1992 konzipierte er den damals in Deutschland einzigartigen Studiengang Landschaftsökologie.

(Foto: Wikipedia)

Inzwischen hat er eine Stiftungsgründung hinter sich, der Aktionsradius seines Engagements für den Naturschutz hat eine Osterweiterung erfahren: Von Kirgistan über Usbekistan und Aserbaidschan konnten „Millionen von Hektar wilder Steppen, Seenlandschaften und Wüsten in Schutzgebiete“ umgewandelt werden. Die Begeisterung für Asien ist nicht neu – schon in den Siebziger Jahren war der Bodenexperte in der Mongolei unterwegs.

MIT DEN MOORFORSCHERN IM OSTPREUSSISCHEN „DREILÄNDERWALD“

Vor kurzem begleitete eine Redakteurin der ZEIT Michael Succow und einige seiner mitstreitenden Forstwissenschaftler und Moorforscher auf eine Exkursion in die Rominter Heide. Die Reise diente der Vorbereitung neuer Schutzgebiete.

Hier im Südosten Kaliningrads werden die Weichen für eine nachhaltige Umstellung der Holzwirtschaft gestellt. Der sich über polnische, russische und litauische Grenzen erstreckende „Dreiländerwald“ soll zum Biosphärenreservat werden. Dabei sollen insbesondere Moore, denen aufgrund ihrer Speicherkapazitäten für Wasser- und Kohlenstoff ein besonders positiver klimatischer Einfluss attestiert wird, geschützt beziehungsweise renaturiert werden.

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Der ZEIT-Artikel ist in der Online-Ausgabe abrufbar und kann obendrein als gut dreizehnminütiger Podcast auch im Stream oder als heruntergeladene mp3-Datei gehört werden. Auch für jene Zeitgenossinnen, die nicht unbedingt einen Faible für landschaftsökologische Themen vorweisen können, sind die Beiträge hör- beziehungsweise sehenswert.

Außerdem sei auf das ebenfalls in der ZEIT erschienene Portrait Succows Der Moor-Mann hingewiesen. Hierbei geht es natürlich in erster Linie um die Biographie des Wissenschaftlers und weniger um Moore („urwüchsig wirkt er schon mit seinem Weihnachtsmannbart„).