Aufarbeitungspläne in Greifswald: Uni unterm Hakenkreuz

Die Schweriner Volkszeitung berichtete heute, dass an der Universität Greifswald die NS-Vergangenheit der Hochschule aufgearbeitet werden solle. Die Forschungen sollen bis 2013 am Historischen Institut stattfinden.

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Nach Auskunft des Historikers Dr. Dirk Alvermann stünden dabei „die Gleichschaltung, die sogenannte personelle Säuberung und spätere Mobilisierung der Universität durch die Nazis“ im Fokus. Herauszufinden gelte es weiterhin, welche Rolle die Hochschule im Krieg spielte, ob auch Greifswalder Wissenschaftler für die Heeresversuchsanstalt in Peenemünde arbeiteten und welchen Inhalt die 20 Aufträge hatten, die die Wehrmacht nach Greifswald delegiert habe.

Dringliche Fragen, deren Beantwortung reichlich spät in Auftrag gegeben wird.

APROPOS AUFARBEITUNG

Während der Greifswalder Debatte um Ernst-Moritz-Arndt, die im März 2010 zugunsten der Nichtablegung des Namens endete, wurde darüber nachgedacht, eine Forschungsstelle zum umstrittenen Namenspatron einzurichten, um eine differenzierte Auseinandersetzung mit seinem Werk anzustoßen, das von Arndt-Gegnern als zum Teil antisemitisch, aggressiv-nationalistisch und fremdenfeindlich kritisiert wird.

Schade, dass die Aufarbeitung in Sachen Arndt ebenso wenig in Fahrt zu kommen scheint, wie die universitätseigene Forschung zur Rolle der Hochschule in der ehemaligen DDR. Über Parteibücher, Stasi-Aktivitäten und personelle Konsequenzen in den zwei Jahrzehnten vor 1989 ließe sich genug zutage fördern, um schon heute über 2013 hinausgehende Mittel zu beantragen und Stellen zu sichern, denn bekanntlich entstehen ja erst im Blick zurück die Dinge.

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Universität Greifswald arbeitet eigene NS-Vergangenheit auf (Schweriner Volkszeitung, 08.08.2011)

Wir und Ihr — wie sich das Anzeigenblatt „Land & Leute“ in die Atomdebatte einmischt *Update*

Das Bild des imaginierten Mobs, der zornig und zugleich hilflos Fackeln und Forken in die Höhe streckt, wurde jetzt schon mehrfach  verwendet, um eine Atmosphäre, einen Gefühlscocktail, zu beschreiben, der in der jüngeren Greifswalder Vergangenheit immer dann angerührt wurde, wenn identitäre Stellungskriege geführt werden, wie zum Beispiel bei der Debatte um den Namenspatron der örtlichen Universität, Ernst-Moritz-Arndt, oder bei der Kontroverse um das atomare Endlager Lubmin.

Scheiterhaufen statt Schmelztigel

Bislang fanden die aus der verklärenden Besinnung auf tragende Eckpfeiler der eigenen Biographie resultierenden, agressiven Verlautbarungen und entsprechenden Ressentiments in den Leserbriefspalten der Ostsee-Zeitung und in den Pressemitteilungen der CDU Greifswald ihr Zuhause. Jjetzt positioniert sich mit Land & Leute ein weiteres publizistisches Organ und gießt Öl ins Feuer der Anti-Atom-Diskussion. Scheiterhaufen statt Schmelztiegel!

Im editorialen Vorweg! des in Vorpommern erscheinenden Anzeigenblättchens wendet sich Herausgeber Claus Schwarz auch in der aktuellen Ausgabe wie gewohnt an seine Leserinnenschaft und schwadroniert diesmal über den Anti-AKW-Widerstand, der sich jetzt für den kommenden Castor-Transport Mitte Februar warmlaufe.

Die papiergewordene Diffamierung der sich gegen die Atommülltransporte engagierenden, sozial-ökologischen Bewegung zielt dabei wie gewohnt distinktiv auf das Misstrauen gegenüber dem Fremden, auf das Unterscheiden von Innen und Außen, von Ihr und Wir. Wann ist man Greifswalder genug, um sich für hiesige Belange einsetzen zu dürfen und aus dem prekären Status des wahlweise „ideologisch vorbelasteten Wichtigtuer-Studenten“ (Hans-Jürgen Schumacher), des „Westprofessors“ oder der Demonstrantin, die man in anderen Ländern „nackt übers Feld gejagt hätte“ (Leonhard Bienert), entlassen zu werden?

Desinformation und Diffamierung — liegt Rostock jetzt im Wendland?

Claus Schwarz glaubt, dass das Castor-Thema „von ‚AktivistInnen‘ aus dem Wendland und aus Berlin gesteuert“ würde, die „als treibende Kraft hinter den Aktionen“ stünden, und stützt diese Vermutung auf die falsche Behauptung, dass die tatsächlich auf das Rostocker Anti- Atom-Netzwerk (RAN) registrierte Webadresse LubminNixda.de Eigentümer im Wendland hätte. Auch das bundesweite Anti-AKW-Portal ContrAtom sei nicht von hier. Nebenbei bemerkt: Greenpeace und Robin Wood sind es auch nicht.

land und leute editorialDie Tatsache, dass zur Auftaktdemonstration des letzten Castor-Widerstands auswärtige Demonstranten gereist sind, verführt Schwarz, der belegfrei auf „regelrechtes Berufsdemonstrantentum“ hinweist, zu der Annahme, „dass die Bürger der Region offensichtlich eine andere Einstellung zum Thema haben“. Weiter verweist auf die vergangene Rolle des Kernkraftwerks als dominierender Arbeitgeber. Wer dort angestellt gewesen sei, könne eine „realistischere Einschätzung der Lage“ vornehmen  „als diejenigen, die ihre Aufgabe darin sehen, Katastrophenszenarien zu kultivieren und Ängste zu schüren“.

Er unterstellt den AKW-Gegnern, „wohlfeilen Profit für eigene Interessen zu erhoffen“, allen voran dem Ministerpräsidenten Erwin Sellering, dem es zwar frei stünde, zu demonstrieren, in „diesem speziellen Fall aber vielleicht doch eher ohne Bodyguard und Dienstwagen und ausnahmsweise in der zweiten Reihe“.

Fundierte Diskussion statt politischem Aktivismus

Wer selbst bei der Auftaktveranstaltung zugegen war, hat vielleicht vom Ministerpräsidenten, der sich zu Fuß inmitten des Demonstrationszuges bewegte, Notiz genommen und womöglich auch die hiesigen Sprecher und Rednerinnen der Kundgebung, wie zum Beispiel Nadja Tegtmeier (Anti-Atom-Bündnis), Dr. Hans-Jürgen Abromeit (Bischof der Pommerschen Ev. Kirche), Oskar Gulla (BI Kein-Steinkohlekraftwerk-in-Lubmin) oder Konrad Ott (Professor für Umweltethik/Uni Greifswald), gehört. Abschließend fordert der Schwadroneur, dass „der durchschaubaren Zielen dienende, populistische Aktivismus einer sachlichen, fundierten Diskussion Platz“ machen müsse, die „vor allem von der Bürgern der Region geprägt werden sollte„.

Wo genau diese sachlich fundierte Diskussion stattfinden soll, verrät Schwarz nicht. Am Ende sieht er gar sein eigenes Blatt, bei dem sich übrigens genauso wie bei LubminNixda.de der Ort der presserechtlichen Verantwortung von der Adresse der Domain-Registrierung unterscheidet, als Debattenarena.

Land & Leute: Parteipolitisches Podium und „redaktionelle“ Schmeicheleien für die Anzeigenkunden

Dass diese Wunschvorstellung albtraumhaft wäre, steht außer Frage. Ein kritischer Blick in das Anzeigenblättchen offenbart, wie Land & Leute zwischen parteipolitischem Populismus und anzeigehungrigen Schmeicheleien privatwirtschaftlicher Unternehmen laviert.

In der Jahreswechselausgabe darf zum Beispiel der Greifswalder Oberbürgermeister Arthur König (CDU) in einem Grußwort die eigene Arbeit verklären und behaupten, dass die Stadt „in den vergangenen Jahren solide gewirtschaftet“ hätte. Kein Wort vom Millionengrab Technisches Rathaus – stattdessen ist er voll des Lobes für die wirtschaftlich höchst diskutable Stadthalle und das 60.000 Euro teure Leitbild, das die Prognos AG für die Stadt schrieb.

Die Verzahnung von „redaktionellen“ Anbiederungen an regionale Unternehmen und nebenstehenden, nicht als Werbung gekennzeichneten Anzeigen ebendieser Firmen, macht das Wirtschaftskonzept dieser Publikation noch deutlicher. Exemplarisch seien hier einige Beispiele aus der erwähnten Jahreswechselausgabe angeführt, die aufzeigen sollen, wie kritisch der dort praktizierte Hochleistungsjournalismus aussieht.

Ewig reproduzierter Ausschluss: Ihr vs. wir

Angesichts der Tiefe, mit der das frühere Kernkraftwerk in die Biographien und Identitäten vieler Ansässigen eingeschrieben ist, darf eine sachliche Diskussion über das Thema Atomkraft und radioaktiver Müll ohnehin nicht erwartet werden. Die ewig reproduzierten Ihr-Wir-Grenzziehungen generieren immer wieder Auschlüsse aus den geführten Diskursen und erzeugen eine Atmosphäre mentaler Verschlossenheit und paralysierter Abwehrhaltung, die alles andere als einladend und weltoffen daherkommt.

Der nächste Castor-Transport wird Mitte Februar stattfinden, eine große Demonstration auf dem Greifswalder Marktplatz, für die auch via Facebook mobilisiert wird, ist bereits für den 12. Februar angemeldet worden. Selbstverständlich sind Aktivistinnen von außerhalb gern gesehene Gäste, denen über die eingerichtete Bettenbörse von LubminNixda auch ein Schlafplatz vermittelt werden kann. Wer ortsansässig ist und den Protest mit der Bereitstellung seines Sofas unterstützen möchte, kann sich dort registrieren und auf diese Weise helfen.

*Update* 25.01.2011

Der Herausgeber von Land & Leute hat heute bereits drei E-Mails geschrieben und darin die Verwendung des inzwischen entfernten Redaktionsfotos untersagt und ein durch Vollzitation des Editorials 07/2010 verletztes Urheberrecht moniert. Achtet bitte in euren Kommentaren darauf, was ihr schreibt und ob ihr gegebenenfalls dadurch Rechte Dritter verletzt.

Ich selbst lese  die emsigen Versuche von Klaus Schwarz, diese Kritik an seinem Anzeigenblättchen zu stören, als Bestätigung und empfehle, diese aufgebrachte Mühe in die Erstellung redaktioneller Inhalte zu stecken. 

Tanzt den Arndt!

Alle deutschen Medien wiederholen heute unermüdlich die dpa-Meldung zur Exmatrikulation von Thor Steinar aus der Greifswalder Universität. Die Hedonistische Internationale Sektion Greifswald ihrerseits bringt den niemals in Vergessenheit geratenen Namenspatron der Hochschule – Ernst Moritz Arndt – wieder aufs Tableau der Streitigkeiten zurück.

Wer es versöhnlich mag, sollte mit Arndt spielen lernen. Per Mausklick lassen sich Arme und Beine dazu anhalten, gewünschte Bewegungsmuster von Aerobic bis Twist, über hippiesk oder windmühlenartig auszuführen. Eine schönere Ablenkung gab es schon lange nicht mehr, drum tanzt den Arndt!

GTV veröffentlicht Rückblick auf die Arndt-Debatte

Der Lokalsender Greifswald TV blickt in einer zwölfminütigen Sendung auf die Debatte über den umstrittenen Namenspatron der Universität Greifswald, Ernst Moritz Arndt, zurück. Dabei gelingt etwas, das die Ostsee-Zeitung nicht zu schaffen vermochte: eine ausgewogene Darstellung der Auseinandersetzung zwischen Umbenennungsgegnern und -Befürwortern.

Der Rückblick wird – fast schon ein wenig knoppistisch angehaucht — vom webMoritz-Chefredakteur Carsten Schönebeck klug kommentiert, beginnt mit der öffentlichen Lesung von Arndt-Texten vor der Mensa und endet mit der Senatsentscheidung am 17. März. Man sollte sich den Beitrag unbedingt ansehen.

Die Bedeutung von Ausgewogenheit

Wieso Ausgewogenheit bei diesem erstaunlich emotional behandelten Thema notwendig ist, konnte man dieser Tage in der Greifswalder Ostsee-Zeitung lernen. Dort wurde über einen Kommentar von Geographie-Professor Klüter zum Abstimmungsergebnis berichtet. Dieser OZ-Artikel wurde mit der Überschrift Arndt-Debatte: Klüter vergleicht Entscheidung mit Nazi-Beschluss versehen.

Die ersten Reaktionen erfolgten prompt und stehen exemplarisch für den Umgang mit Arndt-Kritikern in Greifswald:

  • Er beschimpft ganze Berufsrichtungen (in gewisser Hinsicht als nicht mehr zurechnungsfähig)“ (Lothar Brandt aus Neuenkirchen)
  • Die Aktivisten von „Uni ohne Arndt“ (UoA) geben sich mit der demokratischen Entscheidung nicht zufrieden und versuchen
    weiter, Menschen zu manipulieren.
    “ (Simone Paluske aus Greifswald)
  • Bei diesen Äußerungen kann man Herrn Prof. Klüter nur nahelegen, dringend ein Seminar für Demokratie und Toleranz zu besuchen […] Es ist nicht möglich, einen solchen Menschen als ein moralisches Vorbild unserer Gesellschaft zu akzeptieren“ (Axel Hochschild, CDU)

Vielleicht wäre das Echo weniger volkszornig ausgefallen, hätte man für den Artikel eine sachlichere Überschrift entwickelt oder ihn am Ende gar abgedruckt. Eigentlich ist es fast schon verwunderlich, dass die Ostsee-Zeitung noch keine ihrer berüchtigten Online-Umfragen mit der Abstimmung über eine Entlassung Klüters durchgeführt hat.

Es wurde entschieden: Arndt bleibt uns erhalten!

Ach, hätte Katharina Winkler ihren Leserbrief schon ein Jahr früher an die Ostsee-Zeitung geschickt und ihre Erkenntnis mit uns geteilt — die langwierigste Greifswalder Debatte der letzten Dekade wäre uns erspart geblieben:

„Bereits in den 90er Jahren fand im Rahmen einer Konferenz der Arndt-Gesellschaft eine wissenschaftliche Untersuchung statt, in der ein Bielefelder Wissenschaftler nachwies, dass Arndt kein Antisemit war.“

Gestern hat sich nun der Senat mit einer Zweidrittelmehrheit für die Nichtablegung des kontrovers diskutierten Namenspatrons entschieden. Vor dem Hauptgebäude fand die Neuigkeit ein geteiltes Echo.

Dort waren — unterstützt von den Greifswalder Hedonisten, die mit dem kleinen Rabauken für gute Laune sorgten — die Arndt-Gegner versammelt. Die Musik aus dem Kinderwagen störte allerdings schnell die vor Andacht strotzende Mahnwache auf der gegenüberliegenden Seite.

Namensbefürworter mahnen gemeinsam mit Rechtsextremisten

Abhilfe schuf Sebastian Ratjen, der sich und seinen BMW als mobiles Soundsystem bei den Hedonisten empfahl und alsbald beide Lager mit Verdi beschallte. „Es wurde entschieden: Arndt bleibt uns erhalten!“ weiterlesen

Gastbeitrag: Der kernlose Mythos Ernst Moritz Arndt

Ein Gastbeitrag von Alexander Köcher

Am 17. März wird der Senat der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald über die Ablegung ihres Namenspatrons abstimmen. Viel ist in den vergangenen Monaten darüber debattiert worden und es ist damit ein Diskurs entstanden, der in diesem Zusammenhang höchst überfällig war. Ernst Moritz Arndt war ein antisemitischer Hetzer, Franzosenhasser und völkischer Nationalist, sagen die einen. Ernst Moritz Arndt war ein standhafter Vorkämpfer gegen Unterdrückung und für Demokratie und Freiheit, sagen die anderen.

Der Austausch der Argumente für diese divergierenden Positionen ist nicht immer sachlich verlaufen – so wie das bei politischen Debatten oft der Fall ist, weil das Politische auch von Befindlichkeiten lebt und eben häufig agonistisch statt konsensual funktioniert. Deshalb ist die vielfach angebrachte Kritik an der Debattenkultur, wie sie sich hier vollzogen hat, unberechtigt.

Verdichtungssymbol kultureller Identität

Für die hiesige Bevölkerung ist der Name eine Herzensangelegenheit; der gebürtige Rüganer Arndt ist in der Region ein Verdichtungssymbol kultureller Identität. Nicht nur die Universität, sondern auch Straßen und Schulen tragen seinen Namen. In Leserbriefen der Greifswalder Lokalausgabe der Ostseezeitung sind deshalb zugezogene Studierende und Professoren, die sich gegen den zweifelhaften Patron ausgesprochen haben, mit Hass und Häme überzogen worden.

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