Neonazis beim Zerstören von Wahlplakaten beobachtet — nun ermittelt die Polizei

In der vergangenen Nacht haben Neonazis erneut Wahlplakate der demokratischen Parteien zerstört oder beschmiert. Die Täter wurden bei ihrem Treiben beobachtet — nun ermittelt die Polizei.

Wie das Bündnis Greifswald Nazifrei mitteilt, waren die Neonazis entlang der Wolgaster Straße und an der Europakreuzung aktiv und zerstörten in der Nacht von Sonntag auf Montag zahlreiche Plakate der LINKEN, der Grünen, der Piratenpartei, der SPD, der FDP sowie der CDU. Die großen und teuren Stellwände wurden mit Parolen und NPD-Aufklebern beschmiert, die aufgehangenen Plakate wurden zumeist heruntergerissen und zerstört. Allein die Werbemittel der NPD blieben unangetastet und hängen jetzt insbesondere im Ostseeviertel häufig als einzig verbliebene Wahlwerbung an den Laternenmasten.

Die LINKE kündigte bereits an, Strafanzeige wegen Sachbeschädigung stellen zu wollen. Cornelia Schulze, Pressesprecherin von Greifswald Nazifrei, hofft, dass auch die anderen Parteien Anzeigen stellen und die polizeilichen Ermittlungen erfolgreich verlaufen werden. Für diese Hoffnung gibt es einen guten Grund, denn die Neonazis — zwei Männer und eine Frau — wurden von mehreren Augenzeugen bei ihrer Tat beobachtet. Die beiden Männer, die bereits in der Vergangenheit durch rechtsradikale Taten auffielen, gelten als stadtbekannte Neonazis. Die Beschmierung auf einem CDU-Plakat wurde mit ANG, einem Kürzel, das für Autonome Nationalisten Greifswald stehen soll, unterschrieben. Diese Gruppierung dürfte sehr eng — vielleicht sogar bis zur personellen Überlappung — mit den Nationalen Sozialisten Greifswald (NSG) verbunden sein. Beide Gruppen werden im aktuellen Verfassungsschutzbericht 2012 erwähnt.

In Verbindung mit ihrem Kürzel verwendeten die Autonomen Nationalisten Greifswald das Wort „Mauermörder“, wie es seit gestern Nacht auf einem Plakat der LINKEN zu lesen ist, schon einmal im März 2012. Damals besprühten sie den Hauseingang der Landtagsabgeordneten Mignon Schwenke (DIE LINKE) mit einer deutlichen Drohung („Mauermörder-Linkspartei! Schwenke, wir kriegen dich!“). Auch diese Tat fand Eingang in den Verfassungsschutzbericht 2012.

CDU Plakat beschmiert

Es bleibt zu befürchten, dass der Bundestagswahlkampf für die Neonazis noch lange nicht vorbei ist. Schon in der vergangenen Woche, als die NPD ihre Plakate in Greifswald anbrachte, wurde Wahlwerbung demokratischer Parteien zerstört oder beschmiert. In derselben Nacht sahen sich auch Anwohner der Grimmer Straße 2 genötigt, die Polizei zu rufen, nachdem sich etwa 15 bis 20 vermummte und zum Teil bewaffnete Neonazis auf der Straße versammelten und die Bewohner dazu aufforderten, ihr Haus zu verlassen.

Verfassungsschutzbericht 2012 veröffentlicht — wo lauert nun die größte Gefahr?

Gestern präsentierte Landesinnenminister Lorenz Caffier (CDU) den aktuellen Verfassungsschutzbericht für Mecklenburg-Vorpommern. Im Vergleich zum Bericht des Vorjahres, der nach einem längeren Rechtsstreit zwischen dem Innenministerium und drei alternativen Vereinen nur noch in stellenweise geschwärzter Fassung verbreitet werden darf, hat sich nicht viel verändert

Die rechtsextreme Szene bleibt ein Problem, der sogenannte „Linksextremismus“ soll das Potenzial dazu haben; der Islamismus ist — gleich nach der Punkband Feine Sahne Fischfilet — die größte Gefahr für unsere Sicherheit und schlussendlich bedrohen Spione einheimische Technologieunternehmen.

GEWALTBEREITSCHAFT UND MITGLIEDERZAHLEN DER RECHTSEXTREMEN SZENE BLEIBEN KONSTANT „Verfassungsschutzbericht 2012 veröffentlicht — wo lauert nun die größte Gefahr?“ weiterlesen

Greifswalder Verwaltung empfiehlt, mutmaßlichen Neonazi nicht zur Schöffenwahl zuzulassen

Die Greifswalder Stadtverwaltung hat bei der Auswahl der Bewerber zur Schöffenwahl, die in der Amtszeit 2014 bis 2018 am Amtsgericht Greifswald und am Landgericht Stralsund als ehrenamtliche Richter teilnehmen sollen, ganz genau hingesehen und einem mutmaßlichen Neonazi die Befähigung für das Amt abgesprochen.

ZWEIFEL AN GUTSCHES NEUTRALITÄT GEGENÜBER ALLEN BEVÖLKERUNGSSCHICHTEN 

In der Beschlussvorlage (pdf, 200 Kb), über die am 8. April die Greifswalder Bürgerschaft abstimmen wird, begründet die Verwaltung ihre Entscheidung mit „erheblichen Zweifeln“ an der notwendigen „Unvoreingenommenheit und Neutralität gegenüber allen Bevölkerungsschichten“ des Bewerbers Marcus Gutsche, der zum „Kern der aktiven Neonazi-Szene Greifswalds zählen“ soll. Um dies zu dokumentieren, wurde sein Name in der insgesamt 98 Personen umfassenden Vorschlagsliste, in die alle Bewerber aufgenommen wurden, die die gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 31 bis 34 GVG erfüllen, durchgestrichen.

schöffenliste marcus gutsche
(Auszug Vorschlagsliste Schöffenwahl)

Die Beschlussvorlage wird im April sehr wahrscheinlich die notwendige Zweidrittelmehrheit in der Bürgerschaft erreichen. Die Bürgerschaft hat das ausdrückliche Recht hat, sich gegen die Aufnahme von Bewerbern in die Vorschlagsliste auszusprechen. Im Herbst 2013 geht es dann vor einen Wahlausschuss beim Amtsgericht, der die Schöffen und Hilfsschöffen für den  Greifswalder Amtsbereich bestimmen wird.

RICHTIGE ENTSCHEIDUNG GEGEN VERNETZTEN ANTI-ANTIFA-FOTOGRAFEN

Die Entscheidung der Greifswalder Verwaltung, Marcus Gutsche bei der Schöffenwahl auszuschließen, ist folgerichtig und verhindert womöglich einen kleinen PR-Coup der Greifswalder Neonazis. Das verantwortungsvolle Ehrenamt, das von Bürgerinnen und Bürgern mit hohem Maße an „Unparteilichkeit, Selbstständigkeit und Urteilsfähigkeit“ bekleidet werden soll, ist nicht mit rechtsextremen Einstellungen und Menschenbildern kompatibel.

(Originalfoto: Indymedia)

Marcus Gutsche wurde in Berlin geboren und soll dort Mitglied der verbotenen Kameradschaft Tor gewesen sein. Er zog vor einigen Jahren nach Greifswald, um ein Studium an der hiesigen Universität aufzunehmen, doch seine Energie verlegte der heute Dreißigjährige nicht in den Hörsaal. Dafür engagierte er sich umso stärker in lokalen rechtsextremen Strukturen und auch über deren Ortsgrenzen hinaus.

Als Fotograf dokumentierte er NPD-Demonstrationen und politische Gegner. Solche Fotos fanden später ihren Weg auf den immer wieder mit Gutsche in Verbindung gebrachten Blog der Nationalen Sozialisten Greifswald (NSG), wo die Bildaufnahmen unter anderem Drohungen gegen Nazigegner illustrierten. Einer der Höhepunkte seiner anti-antifaschistisch motivierten Recherchearbeit war der Versuch, ein Treffen des städtischen Bündnisses gegen eine NPD-Demonstration im Mai 2011 zu infiltrieren.

NPD bleibt mit Infoständen in Greifswald auf Pleitekurs

Die NPD versuchte heute Vormittag in Greifswald einmal mehr, mit Infoständen zu punkten und für die rechtsextreme Partei zu werben. Dabei hätten die Neonazis aus der Vergangenheit der letzten Jahre eigentlich wissen müssen, dass sie hierorts mit dieser Aktionsform wenig ausrichten können, denn entweder werden sie von Demonstrierenden umgeben und niedergebrüllt, oder das Wetter ist gegen Nazis. „NPD bleibt mit Infoständen in Greifswald auf Pleitekurs“ weiterlesen

Erneuter Angriff auf das IKUWO

Der Verein Soziale Bildung (SoBi) veröffentlichte heute Nachmittag das Foto einer eingeworfenen Fensterscheibe des Rostocker Peter-Weiss-Hauses und kommentierte lakonisch: „Wer Nazis ein Dorn im Auge ist, macht alles richtig … Move on“. Der Grund für diese Erkenntnis war ein zuvor verübter Anschlag auf das Zentrum, für dessen Urheberschaft Neonazis verantwortlich gemacht werden.

ikuwo graffito

Die Bilanz der vergangenen Nacht macht frösteln, denn nicht nur in Rostock wurde ein Ort angegriffen, der sich deutlich gegen Rechts positioniert — auch der Anklamer Demokratieladen und das Greifswalder IKUWO waren von Farb- und Buttersäureattacken betroffen, die konzertiert in derselben Nacht verübt wurden.

Dort, in der Goethestraße, wurden gegen 4 Uhr zwei Vermummte gesehen, die mit Hilfe eines Feuerlöschers die Hausfassade des IKUWOs großflächig mit rotbrauner Farbe bedachten und im Eingangsbereich des Hauses Buttersäure verteilten. Außerdem wurde — bezugnehmend auf die regionale Band Feine Sahne Fischfilet — der Vorbau des Gebäudes beschmiert. Nach den Beschreibungen von Augenzeugen werden die Täter im Umfeld der Nationalen Sozialisten Greifswald (NSG) vermutet. Laut der Beobachtung eines Gastes sei das IKUWO bereits vor der Tat von einer dritten Person, die ebenfalls dem Umfeld der NSG zugeordnet wird, ausgespäht worden.

Fehlt der Polizei das Interesse an Aufklärung? 

Die Polizei schließt einen rechtsextremen Hintergrund nicht aus und ist sich noch nicht sicher, ob die Tat in Zusammenhang mit den Vorkommnissen in Rostock und Anklam steht. Es wurde Anzeige erstattet, doch das Vertrauen in Aufklärungsfähigkeit und -willen der Behörde ist gedämpft, nachdem die polizeilichen Ermittlungen zum Brandanschlag, der vor einem Jahr auf das internationale Kulturzentrum verübt wurde, ergebnislos im Sande verliefen.

In einer Pressemitteilung erklärt eine Sprecherin des IKUWO dazu: „Wir fragen uns, ob die Neonaziszene in Greifswald wirklich so groß ist, dass die Polizei jeglichen Überblick verliert, oder ob sie kein Interesse an der Aufklärung der Taten hat“. Der Kulturbetrieb des Hauses wird trotz des Angriffs uneingeschränkt weiterlaufen: „Solche Vorfälle können uns nicht einschüchtern, sondern bestärken uns in dem Engagement gegen Neonazi-Aktivitäten“.

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  • Neonazis attackieren linke Läden in Mecklenburg-Vorpommern (Kombinat Fortschritt, 04.05.2012)
  • Ein Angriff auf Eine_n ist ein Angriff auf Alle! (parallaxe, 04.05.12)
  • IKuWo mit Farbe und Buttersäure angegriffen (webMoritz, 04.05.12)

Arndt revisited. Über Urgreifswalder, Bauernbefreier und Kulturbolschewisten.

Ein Gastbeitrag von Laure-Anne Weinberg

Vor kurzem hat das Sommersemester begonnen und die Universitätsstadt Greifswald füllt sich langsam wieder mit Leben und jungen Studierenden. Gefüllt mit Erwartungen und neuen Eindrücken, erkunden die Neuankömmlinge ihre Hochschule und ihren Studienort. Nichts ahnen sie von der kräftezehrenden Debatte, die vor fast genau zwei Jahren ein unrühmliches Ende nahm, nachdem sie zuvor die Studierendenschaft bewegte, entzweite und entnervte.

„DAS ERGEBNIS DER DEMOKRATISCHEN ABSTIMMUNG MUSS NUN AKZEPTIERT WERDEN“

Denn der Streit um den Namenspatron der hiesigen Universität Ernst Moritz Arndt und das rational nicht zu erklärende Festhalten der Hochschulleitung am rassistischen Namensgeber, haben zwar Spuren in der Medienlandschaft hinterlassen und Einzug in Fachliteratur gehalten — nur an der Universität in Greifswald selbst ist man weit davon entfernt, sich weiterhin mit diesem unliebsamen und beschämenden Thema auseinanderzusetzen.

Wieso auch, schließt doch der Senatsbeschluss zur Beibehaltung des Namens Ernst-Moritz-Arndt-Universität mit dem beinahe schon patzigen Satz „Dem Senatsvorsitz ist bewusst, dass die Beibehaltung des Namens in der Öffentlichkeit umstritten sein wird. Das Ergebnis der demokratischen Abstimmung muss nun jedoch akzeptiert werden.“

Dass Demokratie von der beständigen Auseinandersetzung, von Meinungspluralismus, Reflektion und Kritik lebt, scheint sich hier noch nicht rumgesprochen zu haben. Die Diskussion um Arndt und die Art, wie sie geführt wurde, brachte Hochschule und Stadt sogar einen Eintrag in die Deutschen Zustände (Folge 9) ein — jenes Buch, das Jahr für Jahr Demokratiefeindlichkeit wissenschaftlich ergründet. Doch damit nicht genug der hochnotpeinlichen Preise, die man für diesen Namenszusatz zahlen muss.

DIE UNIVERSITÄT UND DER NATIONALSOZIALISTISCHE UNTERGRUND

Die Alma Mater Gryphiswaldensis begibt sich mit ihrem Klammern an Arndt und seinem Vermächtnis in denkbar schlechte Gesellschaft. So berief sich der sogenannte Thüringer Heimatschutz, aus dem sich bekanntlich die Mördergruppe des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) rekrutierte, ebenfalls auf Ernst Moritz Arndt und sein Vaterlandslied.

Die ersten Verse des nationalistischen Gedichtes, das sich in erster Linie durch einen propagandistischen und nahezu blutrünstigen Sprachduktus auszeichnet, sind dabei nicht selten als Fronttransparent vor Demonstrationszügen der selbsternannten Heimatschützer und Neonazis hergetragen worden.

Befragt man Wikipedia zum Vaterlandslied von Arndt, bekommt man die Information, dass das Lied besondere offizielle Pflege im ersten Weltkrieg und zu Zeiten des Nationalsozialismus erfuhr. Ein verirrter Dichter, dessen Werk besonders von jenen beklatscht wurde, die Todesfabriken bauen ließen und Weltkriege entfachten, taugt im einundzwanzigsten Jahrhundert noch als Leitfigur einer Hochschule?

EINE FRAGE DER DEUTUNGSHOHEIT 

Längst ist die entscheidende Frage geworden, wer die Deutungshoheit über Arndt und seine Hinterlassenschaften besitzt.

Betrachtet man die Umstände der Namensverleihung und wirft einen Seitenblick auf die erwähnten Fronttransparente des Thüringer Heimatschutzes oder bemerkt, dass die Greifswalder Neonazis Arndts Konterfei auf ihrer Internetseite zum Markenzeichen politischer Verirrung erhoben haben, wird klar: am leichtesten fällt die Wiedererkennung in Arndt jenen, die rassistischen Wahn, Völkerhass und Antisemitismus als politische Notwendigkeit ansehen.

(Titelgrafik Nationale Sozialisten Greifswald)

Eine offensive und kritische Auseinandersetzung mit dem Nazi-Idol Arndt und seinen Schriften wäre bei der getroffenen Senats-Entscheidung absolut notwendig gewesen und von einer Universität als Hort der Wissenschaft auch irgendwie zu erwarten, doch das Gegenteil ist der Fall. Die Hochschule ging vielmehr verschämt aus der Debatte und verharrt in dieser geduckten Haltung, die sie gegenüber einigen besonders laut jaulenden grauen Wölfen eingenommen hat — bis heute. Dabei hätte die Universitäts- und Hansestadt, der „Leuchtturm der Region“ (CDU), noch einiges an Strahlkraft gewinnen können.

Eine Hochschule, die sich nach fast 80 Jahren von ihrem rassistischen und judenfeindlichen Namenspatron löst, den ihr die Nazis 1933 aufgezwungen haben, das hätte mit Sicherheit viel positives Echo gegeben, zumal doch die hiesige Region schon lange als Hochburg der Rechtsextremen gilt.

ES GING NIE NUR UM ARNDT

Tatsächlich lässt sich jedoch die These aufstellen, dass es in all den Debatten der letzten 20 Jahre nie nur um Arndt ging. Es ging nie wirklich darum, ob Arndts Werk tauglich ist, identitätsstiftend für junge Menschen in der akademischen Ausbildung zu wirken. Natürlich taugt es dazu nicht, diese Frage wurde schon früh relativ schnell beantwortet. Es ging in erster Linie auch immer darum, progressiven Entwicklungen Einhalt zu gebieten, den Jungen, den vermeintlich Fremden, den imaginierten Linken den Kampf anzusagen.

Die Art und Weise wie Sebastian Jabbusch, Initiator von Uni ohne Arndt, in der Debatte vor zwei Jahren an den medial-öffentlichen Pranger gestellt wurde, war unwürdig und demaskierend zugleich. Plötzlich wurde die Ebene der sachlichen Argumentation, die so oft von der Uni-ohne-Arndt-Gruppe eingefordert wurde, mit Leichtigkeit verlassen. Plötzlich ging es nicht mehr um Ernst Moritz Arndt, den angeblichen Bauernbefreier und Kampflieddichter, plötzlich ging es um Sebastian Jabbusch, den angeblichen Ausschläfer und Langzeitstudenten.

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