Ich habe ja bereits gestern auf den in meinen Augen unsinnigen Flashmob in der Universitätsbibliothek hingewiesen, der heute um 15 Uhr startete.
Angesichts einer allerorten prophezeiten Bildungskrise muss das Treiben wirklich grotesk gewirkt haben. Hier ist ein erstes Bild, das der webMoritz veröffentlichte. Eine Galerie mit weiteren visuellen Eindrücken ist hier erreichbar.
*Update* 28.06.2010
Am 21.05.2010 fand übrigens ein kurzer und wilder Sturm der Greifswalder Universitätsbibliothek statt, der dann doch etwas lässiger als jener war, um den es hier eigentlich ging.
1. Warum wird an Flashmobs der Anspruch getragen „politisch“ zu sein?
Wieso wird dieser Anspruch und somit die Kritik nicht an/gegen beliebige andere Entitäten erhoben? Beispielsweise: Fußballvereine, Studentenclubs, zwei beliebige Personen, die irgendwo herumstehen, Musiker, Bücherläden, Hundebesitzer, Autoheckscheiben.
Zahlosen Dingen gestehen wir ohne Murren zu, dass sie „unpolitisch“ sein dürfen beziehungsweise „nur“ Spaß machen dürfen. Worin besteht der strukturelle Unterschied zwischen meinem Picknick im Park, Reitunterricht, einem Dominastudio und einem Flashmob? Wo bleibt der Aufschrei, dass tausende Greifswalder Studenten tagtäglich vollkommen unpolitisch vor sich lernen, fern sehen, Skat und Volleyball spielen, ohne auch nur einen Button zu tragen.
Andersherum: Welche Bedingungen muss etwas erfüllen, um sich dafür rechtfertigen zu müssen NICHT „unpolitisch“ oder „sinnlos“ zu sein.
Ich denke für die meisten Teilnehmer von Flashmobs sprechen zu können, dass sie wohl zum politisch aktivsten 10tel der Studierendenschaft zählen.
2. Sind Flashmobs „unpolitisch“?
Ich denke nein. Ich halte Interpretationen für plausibel, die die Aktionsform als solche als Botschaft/Inhalt deuten.
http://www.files.to/get/729697/fd9aq4jbqe
@markus:
die zweckhaftigkeit als unterscheidung von smart- und flashmobs hatte ich versucht herauszustellen.
der große unterschied zwischen flashmob und einer runde skat ist, dass die interaktionen in der gruppe ein viel größeres aktionistisches potential haben als ne runde karten spielen. und das es schade ist, dieses potential aufzubauen und zu organisieren, aber ohne weiterführende ziele wieder verpuffen zu lassen.
natürlich sei jedem und jeder vergnügen und unterhaltung gegönnt und ich sehe auch in flashmobs ein statement als solches. allerdings halte ich den politischen gehalt solcher aktionen für überschaubar. oder inwieweit verändert eine kissenschlacht auf dem markt irgendwas?
Ich hatte von der Aktion in der UB im Vorhinein nichts gewußt und habe sie deshalb auch nicht selbst mit erlebt. Ich glaube trotzdem einschätzen zu können, dass es natürlich vollkommener Unsinn ist, daraus hier ein Politikum zu machen.
Niemand ist zu Schaden gekommen und die Leute waren offensichtlich erheitert. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass mancher sich im Angesicht von so viel Individualität und Exzentrik seiner eigenen Konformität und Gleichgeschaltetheit gewahr geworden ist. Darüber hinaus läuft, aus meiner Sicht, Studieren im derzeitigen Bildungssystem tatsächlich auf eine „Scheiß Lernerei“ hinaus.
Ich find’s gut, dass die Leute das da gemacht haben.
@nico: das erinnert mich sehr an das „leben des brian“: brian: „ihr seid alles individuen!“ chor:“ja! wir sind alles individuen!“ stimme: „ich nicht!“ — manche leute wollen vielleicht einfach nur in ruhe studieren. ich würde mir angesichts dieser sogenannten individualität keineswegs endlich meiner sogenannten konformität bewusst werden, sondern mich fragen, ob die leute nichts besseres mit ihrer zeit anzufangen wissen oder ob sie das nicht auch draußen machen können, wo sie niemanden in seinen tätigkeiten behindern.
@marcus: ganz abgesehen von der rechtmäßigkeit, an flashmobs die forderung politischer relevanz zu stellen – wenn du flashmobs grundsätzlich politisch relevanz einräumen willst, finde ich nicht, dass es reicht, wenn nur, wie du sagst, interpretationen für plausibel gehalten werden können, dass ein politisches bewusstsein dahintersteht. in allen möglichen kontexten ist alles mögliche von verschiedenen leuten in beliebiger richtung interpretierbar. etwas deutlicher dürfte man schon werden, meine ich. ansonsten bleiben es eben nur ein paar leute, die irgendwo rumschreien und papier werfen.
Hey Ralph,
inwieweit in diesem Zusammenhang das von Dir so gerne bemühte ihr-seid-alle-Individuen-Zitat passt, erschließt sich mir nicht so ganz. Wie ich das sehe, war an der Aktion ja nun wirklich eine ausgesprochene Minderheit beteiligt („eben nur ein paar Leute, die irgendwo rumschreien und papier werfen“).
Dass „manche Leute“ vielleicht einfach nur in Ruhe studieren wollen, stelle ich nicht in Absprache (und auch nicht, dass es dazu einer gewissen Lernatmosphäre bedarf), aber von den paar Sekunden Aufregung dürfte sich das ruhebedürftige Gemüt wohl auch schnell wieder erholt haben. Verärgert sah auf den Fotos eigentlich auch niemand aus.
Wenn Du Dich gerne angesprochen fühlen möchtest, wenn ich auf solche anspiele, die sich geistig uniformieren und überall mitschwimmen, dann ist das Deine Sache. Ich hatte ganz allgemein von „manche[m]“ geschrieben. Abwechslung und Diversität ist nirgendwo fehl am Platz, auch nicht in der ach so seriösen Universitätsbibliothek (eine Bibliothek ist doch kein Friedhof, oder doch?).
Beste Grüße nach O.
hi nico,
mir ist nicht klar, inwiefern gleichgeschaltete flashmob-teilnehmer (denn der funktioniert ja nun mal nur, wenn alle das gleiche tun) ein plus an individualität gegenüber anderen produzieren sollen. ich finde nicht, dass individualität an solchen aktionen ablesbar ist. im übrigen halte ich mich auch nicht für geistig uniformiert. ich bin mir meiner nicht-einzigartigkeit voll bewusst und sie stellt kein problem für mich dar. ich tue, was ich eben tue. und eine bibliothek ist natürlich kein friedhof. sie ist eine bibliothek. da sitzen leute, die lesen und schreiben, mancher hat vielleicht gerade einen nützlichen gedanken, und dann schreit einer, und dann ist der nützliche gedanke vielleicht weg. ist doch schade.