Flashmobs sind seit einigen Jahren zum chic einer vernetzen und urbanen Jugend geworden. Über social networks, Emails und andere neue Kommunikationsformen verabreden sich dabei mehr oder minder große Massen, um gemeinsam für öffentliche Verwirrung zu sorgen.
Die Grenzen zwischen vermasster Kunstperformance und sinnentleertem „Dabei-sein-ist-alles“-Humbug sind hierbei allerdings fließend, wenngleich die Zweckfreiheit dieser Aktionen häufig als Abgrenzungsmerkmal zu ähnlichen Unternehmungen wie critical masses oder smart mobs dient.
ZWECKHAFTIGKEIT ALS ABGRENZUNGSMERKMAL
Bei diesen Formen der spontanen Zusammenkunft wird die koordinierte Unkoordiniertheit der Masse zur Aktionsform. Beinahe hedonistisch wird vorgeführt, dass Politik und Einmischung Spaß machen kann und nicht zwangsläufig dogmatisch sein muss. Auch in Greifswald haben sich in der jüngeren Vergangenheit mehrmals critical masses zusammengefunden; zweirädig wurden die Kraftfahrzeuge zum Stauverursacher degradiert:
Im studiVZ gibt es die Gruppe „Critical Mass Greifswald„. Hier bleibt man stets über anstehende Unternehmungen auf dem Laufenden.
Eine der schönsten mob-ilen Aktionen fand am 6. Dezember 2008 am Bahnhof statt. Dort sollte feierlich die Bahnparallele eingeweiht werden. Diese fragwürdige und vor allem kostenintensive Feierlichkeit wurde allerdings von einer etwa dreißigköpfigen Gruppe unterbrochen, die den einzuweihenden Kreisverkehr bewegungsreich okkupierte und damit ein Zeichen gegen die Verschwendung oder besser: gegen kontrovers diskutierte, kommunale Investitionen setzte.
DIE KLASSIKER
Ein anderer Flashmob führte am 30. Juli 2008 auf dem Fischmarkt eine etwas regere Nutzung des Brunnens vor. Viele uninformierte Passanten wirkten sichtlich verstört, in der Hauptrolle ist das kleine Rabauke zu sehen:
Der Klassiker unter den Flashmobs arbeitet mit kollektiver Bewegung(slosigkeit). Das gemeinsame Erstarren konnten im Oktober 2007 immerhin knapp 30 Leute gemeinsam erfahren. Aber wem ist damit geholfen?
KISSEN GEGEN LANGEWEILE
Völlig sinnentleert ging es am 3. Juli bei einer öffentlichen Kissenschlacht auf dem Markt zu. Hier verpufft das aktionistische Potential dieser Organisationsform, Inhalte werden bewusst ausgesperrt. Das mag der Tribut an die Spaßgesellschaft sein oder überhöhte Erwartungen. Letztlich wollen vielleicht einfach ein paar Erwachsene – unterstützt von modernen Kommunikationsformen – spielen? Besondere Aufmerksamkeit bitte bei 01:34, hier meldet sich eine erste Bedenkenträgerin zu Wort
EINFALLSLOSE ADAPTIONEN BEWÄHRTER KONZEPTE
Leider scheint die Flashmob-Szene in Greifswald – auch wenn die Bezeichnung etwas hochgestochen sein mag – nicht wirklich an der Entwicklung neuer Ideen interessiert zu sein. Viel eher wirkt das Treiben wie das Nachspielen bewährter Konzepte. Dabei möchte ich keineswegs eine so deutliche Trennung in smart mob und Flashmob suggerieren. Das wäre in Greifswald auch schon aufgrund der personellen Überschneidungen Unfug.
Unverständlich bleibt für mich aber wirklich, dass eine öffentliche Kissenschlacht wie im April 2007 in Osnabrück über Eintausend Mitstreiter findet.
Im Sinne der Kategorisierung nach Zweckhaftigkeit gehörte die kleine Aktion am 21. Juni während der fête de la musique eher in die Richtung smart mob. Via Handzettel wurden eine konzertierte und massenhafte Rezitation verschiedener Menschenrechte mit Blick auf die damaligen Ereignisse im Iran initiiert.
EINFACH MAL AUSRASTEN!
Man darf gespannt sein, wie es weitergeht und vor allem, was als nächstes passiert. Die immerhin 350 virtuelle Identitäten starke studiVZ-Gruppe „Flashmob Greifswald“ stimmt sich mehr oder weniger demokratisch ab, arbeitet ganz modern mit doodle, um die Termine in den Griff zu bekommen und wirkt einigermaßen organisiert.
Derzeit steht dort übrigens zur Diskussion, demnächst kollektiv und vor allem lautstark in der Universitätsbibliothek auszurasten. Das cholerische Kollektiv soll morgen um 15 Uhr in Erscheinung treten. So sind sie, die Aktionisten, weltverändernd, smart und voller Ideale!
Hier ist noch eine Art MOBilisierungstext:
DAS WORT ZUM SONNTAG
(Referent: Dr. med. Flashmob)
Lernfrust und Prüfungsangst schaden Ihrer Gesundheit. Um psychosoziale Langzeitschäden zu vermeiden, gibt es nur eine Lösung: Raus damit!
Das Greifswalder Flashmob-Institut hat Ihnen ein Programm zusammengestellt, das Sie in wenigen Schritten zu einem besseren und selbstbestimmteren Leben führt.
- Gehen Sie am Dienstag (14.7.) in die Universitätbibliothek Greifswald. Nehmen Sie Ihre Lernmaterialien mit. Setzen Sie sich im Erdgeschoss an die Computertische, oder suchen Sie sich einen der direkt darüberliegenden Sitzplätze am Geländer im ersten und zweiten Stock.
- Studieren Sie intensiv die Themen, die Sie am meisten hassen. Nehmen Sie wahr, wie der Lernfrust steigt, wächst, Sie durchdringt, einnimmt, in jede Faser vordringt.
- Um Punkt 15 Uhr sollten Sie kurz vor der Explosion stehen.
- Explodieren Sie! Jagen Sie den Lernfrust porentief aus Ihrem Körper heraus. Springen Sie auf, schreien Sie, scheuern Sie ihre Unterlagen gegen die Wand, werfen Sie Kopf und Fäuste auf den Boden, gehen Sie auf den Händen, halten Sie eine Spontanrede, lausen Sie Ihren Banknachbarn.
- Tun Sie das eine Minute lang.
- Kehren Sie dann an Ihren Tisch zurück, sammeln Sie Ihre Sachen auf, als wäre nichts gewesen, und machen Sie weiter. Sie werden merken, wie ein tiefes Glücksgefühl den Lernfrust komplett verdrängt hat. Sie werden schöner, stärker, gesünder, intelligenter und sprechen plötzlich fließend Französisch.
Beachten Sie auch folgende Hinweise auf dem Beipackzettel:
- Lachen kann tödlich sein.
- Zuschauen führt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu. Kommen Sie nur, wenn Sie mitmachen.
- Zerknüllen, zerreißen und an die Wand werfen entfaltet nur bei Objekten, die sich im eigenen Besitz befinden, eine heilsame Wirkung. Jeder ist für sein Chaos selbst verantwortlich.
- Wenn Ihnen um 15 Uhr die Aktivierungsenergie fehlt, verzweifeln Sie nicht. Es wird einen Katalysator geben.
- Eine Minute ist länger, als Sie denken. Kreative Vorbereitung fördert den Spannungsbogen. Wissen Sie schon, wer Sie wirklich sind? Was Sie schreien wollen? Welches Wort soll Sie beschreiben: Wütend, hysterisch, paranoid, Bonobo?
- Flashmobben macht sehr schnell abhängig. Fangen Sie gar nicht erst an!
Amen.
Ich persönlich finde, dass Flashmobs, mit oder ohne erkennbarer Botschaft, einfach mal die Atmosphäre auflockern.
Und warum muss eigentlich alles immer erkennbar produktiv sein (auf eine gewisse Art und Weise muss ja ein Nutzen vorhanden sein, sonst würde es so etwas nicht geben)? Ich fühle mich bei diesem Artikel irgendwie an Diskussionen über den Sinn von Allgemeinbildung und das Über-den-Tellerrand-Blicken im Studium erinnert.
Ein möglicher kritischer Punkt wäre, dass bei zu vielen „sinnlosen“ Flashmobs das Potential „sinnvoller“, auf Sachverhalte hinzuweisen, verringert wird. Und selbst, wenn dies der Fall wäre, möchte ich auf meinen ersten Satz hinweisen.
In diesem Sinne frohes weiter…