In der Bürgerschaftssitzung am kommenden Montag werden die Fraktionen der SPD, der Linken und der Grünen die Einsetzung zweier Ausschüsse, die Unklarheiten über Vergangenheit und Zukunft des Bauprojektes Technisches Rathaus auflösen sollen, beantragen.
Aufklärung über das „System Arenskrieger“
Vorausgegangen ist der für Greifswalder Verhältnisse ungewohnt einhelligen Initiative das Bekanntwerden einer empfindlichen Sanierungskostensteigerung für das Gebäude der alten Post von sechs auf knapp 14 Millionen Euro. Am 11. Mai forderten die Grünen deswegen den Rücktritt von Greifswalds Oberbürgermeister Arthur König. Die CDU Greifswald konterte mit einer Pressemitteilung, stellte sich hinter den Oberbürgermeister und bezeichnete die Vorwürfe der Grünen als haltlos: „Wenn die Damen und Herren der Grünen ein ernsthaftes Interesse an dem Fortschreiten des Projektes haben, dann sollten sie sich konstruktiv einbringen, anstatt wie kleiner Kinder polemisch schreiend durch die Stadt zu laufen.“
Genau das wird jetzt hoffentlich passieren, denn auf dem Blog der Grünen wird angekündigt, dass die genannten drei Fraktionen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, „der die Fehlentwicklungen der Vergangenheit aufarbeiten soll, und eines zeitweiligen Ausschusses „Technisches Rathaus“, der die weitere Entwicklung vorbereiten, begleiten und kontrollieren soll“ beantragen werden.
Was soll konkret untersucht werden?
Der geplante Untersuchungsausschuss soll ermitteln,
- Wer die Wertermittlung der erworbenen Gebäude vorgenommen hat, wer hierzu den Auftrag erteilt hat, welchen Inhalt der Auftrag hatte, welche Absprachen es hierzu zwischen den Beteiligten, ggf. auch mündlich, gegeben hat. Dazu sind dem Untersuchungsausschuss die Wertermittlungen für die Grundstücke nebst sämtlichen dazugehörigen Unterlagen vorzulegen.
- Den Umfang und den Inhalt der Auftragserteilung für die Kostenschätzung, die dem Bürgerschaftsbeschluss vom 20.02.2006 zu Grunde lag.
- Den Umfang und den Inhalt der Auftragserteilung für die Kostenschätzung, die dem Bürgerschaftsbeschluss vom 10.12.2007 zu Grunde lag.
- Die Entwicklung der Kosten für jede einzelne Position des Projektes „Technisches Rathaus“ von Anbeginn an nachzuvollziehen.
- Warum die Bürgerschaft erst am 10. Mai 2010 informiert worden ist.
- Welche der am Projekt „Technisches Rathaus“ beteiligten Personen bei der Verwaltung und der BauBeCon zu welchem Zeitpunkt über welche Kenntnisse der Kostensteigerung verfügten.
Kommt es zur Abstimmung über den Antrag und votieren die Mitglieder der SPD-Fraktion dabei geschlossen für die Einsetzung der beiden Ausschüsse, dürften in den nächsten Wochen und Monaten noch mehr hässliche Details über das prestigeträchtige Bauvorhaben und das „System Arenskrieger“ ans Licht kommen.
Der frühere Baudezernent im Interview
Inzwischen interviewte nicht nur der NDR den für das Fiasko verantwortlichen früheren Baudezernenten Reinhard Arenskrieger, am vergangenen Freitag widmete auch die Ostsee-Zeitung der Affäre ihre Titelseite und der Greifswalder Redaktionsleiter Benjamin Fischer bekam endlich seine große Story. Ehrenhafter wäre es von ihm gewesen, anzuführen, woher das geheime Dokument stammt, denn es wurde drei Tage zuvor im Internet veröffentlicht. Auch hierfür zeichneten wieder die Grünen verantwortlich. Das OZ-Interview endet mit Arenskriegers Antwort auf die Frage, wer die Verantwortung für das Desaster tragen müsse:
„Ich bin in der Verantwortung bis zu meinem Dienstende und stehe dazu. Ich will das jetzt nicht auf andere abschieben.“
Das wird er auch schwer können, da er selbst jetzt plötzlich in der Rolle des Sündenbocks, auf den alles abgeschoben wird, steckt.
Kritik an der Ostsee-Zeitung
Auf dem Ostsee-Zeitung-Blog und bei den Grünen wurde das Interview besprochen und kommentiert. Die Kritik des watchbloggers Meyke fällt — wenig überraschend — negativ aus und auch Gabriel Kords (webMoritz) merkt in einem Kommentar an: „In dieser Angelegenheit unterbietet sich die OZ HGW in diesen Tagen wirklich selbst, schön, dass das hier sauber aufgedeckt wird!
Immerhin kam das Thema überhaupt in die Zeitung, vor einem Jahr hätte die Berichterstattung dazu anders ausgesehen und wäre noch schleppender ausgefallen. Sehr viel unmittelbarer und investigativer als das Lokalblatt gestaltete sich aber einmal mehr die Kommunikationspolitik der Grünen, die sich durch ihren Blog inzwischen ein eigenes Publikationsorgan geschaffen haben; nicht zuletzt, um dem vielbeschworenen Filz auf den Pelz zu rücken.
Und jetzt wird alles gut?
Ein Untersuchungsausschuss ist allerdings kein Garant für Transparenz, lückenlose Aufklärung und Gerechtigkeit, insofern soll diese Bewertung der jüngsten Ereignisse nicht zu euphorisch ausfallen. Oder um es mit Manfred Peters‘ Worten zu sagen: „Wenn Sie dann noch die Chuzpe besitzen, einen Untersuchungsausschuss als Mittel der Lösung zu nennen, haben Sie wohl noch nie etwas von den Ergebnissen politischer Untersuchungsausschüsse mitbekommen“.
*Update* 26.05.2011
Der Untersuchungsausschuss ist inzwischen mit seiner Arbeit so gut wie am Ende, hat einen Abschlussbericht erstellt und mit großer Wahrscheinlichkeit das politische Ende des Bürgerschaftspräsidenten Egbert Liskow (CDU) eingeläutet. Hierzu ist ein ausführlicher Beitrag erschienen.
Provinzialitätsmerkmale (Folge 1):
Anzeigenzeitungen sind (teilweise) journalistisch hochwertiger als die Regionalzeitung.
Bsp. Glosse aus dem AK
http://www.anzeigenkurier.de/aktuell/index.php?objekt=nk.anzeigenkurier.ak-aktuell.greifswald&id=665555
Klasse Link, unbedingt lesen!