Achtung, Achtung, Karl Nagel kommt nach Greifswald. Einst Vorzeigepunk, Chaos-Tagelöhner, APPD-Funktionär und Kanzlerkandidat, vagabundiert Nagel heute durch die dunklen Abgründe des Prekariats. Seine Selbstinszenierung kennt kein Pardon.
Sein bei Youtube veröffentlichtes Bunkerfernsehen ist zwar ein Allheilmittel gegen Schlafstörungen, aber mit seiner Show Idiotenklavier könnte das anders aussehen. Denn Nagel schwatzt dort über Punk und bringt hoffentlich ein gut gefülltes Halfter Räuberpistolen mit auf die Bühne. Zwischen den Plaudereien greift der mittlerweile 50-Jährige selbst zum Mikrofon und interpretiert alte Klassiker. Das beginnt bei Black Flag und den Dead Kennedys, geht weiter mit Ideal und Fehlfarben bis zu Slime und Udo Jürgens‘ Griechischem Wein.
Noch spannender als die Performance dürfte allerdings der Inhalt seiner Festplatte sein, denn Nagel baut mit punkfoto.de ein großes Subkultur-Archiv zum Mitmachen auf. Hier sind bereits tausende Bilder aus über 35 Jahren Punk in Deutschland versammelt und es darf damit gerechnet werden, dass der Provokateur seine Schilderungen bildreich illustrieren wird.
(Foto: Karl Nagel)
Fakten: 19.09. | 20 Uhr | KLEX
Im Dezember 2014 hat der “Godfather der deutschen Punkszene”, Karl Nagel, so gut wie alle seine online-Aktivitäten eingestellt. Nicht nur seinen “brain…regards”-Blog, was zu verschmerzen gewesen wäre, oder seine Aktivitäten bei Facebook, Twitter usw., sondern auch das Foto-Archiv “PUNKFOTO.DE” mit ca. 65.000 Fotos (oder 65.000 Erinnerungen?) wurde von ihm aus dem Netz gekickt. Ohne jede Vorankündigung! Ein Affront gegenüber den vielen Leuten, die sich in den vergangenen Jahren die Mühe gemacht haben, Nagels Punk-Archiv mit prallem Leben zu füllen – die mit ihren Fotos dazu beigetragen haben, dass dieses Archiv zur weltweit größten Sammlung historischer Punkfotos aus den Jahren 1976 – ca. 2000 wurde. Ein Arschtritt für die vielen Leute, die Stunden oder Nächte damit verbracht haben, Fotos und Negative zu sichten, zu scannen, zu digitalisieren, zu bearbeiten, dann auf PUNKFOTO hochzuladen, und die Fotos dann auch noch möglichst korrekt zu beschreiben. Ca. 800 Fotos waren es allein von mir! Ich weiß gar nicht mehr wie viele Leute ich dazu überredet habe, ihre alten Fotos auszukramen, auch wenn sie ihnen manchmal recht peinlich waren, und in Nagels Punkarchiv zu packen. Schließlich wären diese Fotos Dokumente der Zeitgeschichte, die der “Nachwelt” einen unbefangenen Blick auf die Jugendkulturen der Achtziger/Neunziger Jahre ermöglichen würden. Nun gammelt dieser riesige Fotofundus auf Nagels Festplatte herum und wartet – ja worauf? Dass Karl Nagel dieses Archiv “irgendwann” mal wieder ins Netz stellt? Oder dass Karl Nagel “irgendwann” mal ein PUNKFOTO-Buch mit ca. 500 Fotos aus diesem Fundus rausbringt, wohl in Zusammenarbeit mit dem Berliner “Archiv der Jugendkulturen”, wie er kürzlich auf “brain…regards” angedeutet hatte? Wobei ich mir ganz sicher bin, dass eine kommerzielle Verwertung dieser Fotos, und das wäre eine Buchveröffentlichung, einigen Leuten ganz schön sauer aufstoßen würde.