Ostsee-Zeitung und Diagonalquerung: Nachhaken bis es passt!

europakreuzung greifswald

Eigentlich ist das Thema Diagonalquerung für die nächsten Monate durch. Die Bürgerschaft hat die Umsetzung des Verkehrsprojekts vor einigen Wochen zum zweiten Mal abgelehnt und seit der hedonistischen Critical Mass hat sich in der Sache nichts weiter bewegt.

Blogger Daburna kolportierte jedoch gestern über seine Facebook-Seite das angeblich aus Stadtkreisen stammende Gerücht, dass die Ergebnisse der Online-Umfrage zur Diagonalquerung, die vor einigen Wochen durchgeführt wurde, „nicht gepasst“ hätten. Hier könnte einer der Gründe für die angeblich repräsentative Umfrage zu suchen sein, die in den vergangenen Tagen im Auftrag der Ostsee-Zeitung von der Rostocker Markforschungsserviceagenur Sonja Dukath durchgeführt wurde und die heute den Leserinnen der Zeitung unmissverständlich klarmachen sollte, dass dies Projekt weder gewollt noch von der Mehrheit der Bvölkerung getragen sei.

HERAUSKOMMT, WAS HERAUSKOMMEN SOLL

Herausgekommen ist dabei, was womöglich herauskommen sollte: Von den befragten 387 Bürgern (0,64% der gemeldeten Greifswalder Bevölkerung) waren 283 Personen (73,13% der Befragten) gegen den Bau des Projekts eingestellt. Aber wieso weicht dieses Ergebnis so signifikant von den Daten der besagten Online-Umfrage ab, bei der sich erst vor einem Monat 556 Personen (über 70% der Teilnehmenden) für den Bau der Diagonalquerung aussprachen?

umfrage diagonalquerung

(OZ-Umfrage im Februar)

Die Gründe hierfür sind im Design der durchgeführten Umfrage zu suchen. Die Diagonalquerung hat naturgemäß besonders unter den Fahrradfahrern viele Fürsprecher und die wohl relevanteste Gruppe dieser Verkehrsteilnehmer dürfte unter den über 12.000 Studierenden zu finden sein.

TENDENZIÖSES UMFRAGEDESIGN: KEIN TELEFONANSCHLUSS — KEINE STIMME 

Mitte März, es ist vorlesungsfreie Zeit. Deswegen haben die meisten Studierenden vorübergehend die Stadt verlassen, machen Ferien, absolvieren Praktika oder besuchen ihre Familien außerhalb Greifswalds. Einen günstigeren Zeitpunkt, um so wenige Fahrradfahrer wie möglich in einer Befragung auftauchen zu lassen, gibt es höchstens im Hochsommer.

Die Teilnehmer der Erhebung wurden übrigens telefonisch befragt. Um die stark auseinanderklaffenden Ergebnisse zu erklären, könnte auch die Antwort auf die Frage, wieviele Greifswalder Studierende überhaupt über einen Festnetzanschluss verfügen, zu einer interessanten Einsicht führen. In Zeiten von Mobiltelefonie und den durch Firmen wie O2 bereitgestellten Homezone-Angeboten sind die klassischen Festnetzanschlüsse in der studentischen Bevölkerungsgruppe vermutlich kaum noch zu finden.

Bleibt also zu behaupten, dass eine Umfrage zu einem Verkehrsprojekt in einem Zeitraum, in dem der Hauptanteil der Fürsprecher dieser Idee nicht anwesend ist und wenn doch, dann kaum über den gewählten Kommunikationskanal erreicht werden kann, zu sehr verzerrten Ergebnissen gelangen wird.

Ein kleiner Testballon zur dieser Problematik soll mit der folgenden Mini-Umfrage aufsteigen:

Wie stehst du zur Diagonalquerung und bist du auf einem Festnetztelefon erreichbar?

  • Ich habe keinen Festnetzanschluss in Greifswald und bin für den Bau der Diagonalquerung (41%, 76 Votes)
  • Ich habe einen Festnetzanschluss in Greifswald und bin für den Bau der Diagonalquerung (37%, 69 Votes)
  • Ich habe einen Festnetzanschluss in Greifswald und bin gegen den Bau der Diagonalquerung (15%, 28 Votes)
  • Ich habe keinen Festnetzanschluss in Greifswald und bin gegen den Bau der Diagonalquerung (7%, 14 Votes)

Total Voters: 187

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STIMMUNGSMACHE IN DER LOKALZEITUNG

Doch mit dem bauchschmerzbereitenden Umfragedesign allein ist es nicht getan —  im redaktionellen Teil des Lokalblatts geht es mit der Stimmungsmache heiter weiter. Sybille Marx verklärt zum wiederholten Mal das Verkehrsprojekt. Dabei suggeriert sie wider besseres Wissen, dass die kalkulierten Kosten von 185.000 Euro allein den Fahrradfahrern zugute kämen, und blendet die Kosten für die ohnehin notwendige Modernisierung der Ampelanlage aus.

Sie beschreibt das innovative Verkehrsprojekt als verschwenderisch. Die Bürgerschaft plane, so Marx, 185.000 Euro „auf die Europakreuzung zu werfen“ und „den ungeduldigen Radfahrern im Idealfall ein paar Sekunden“ zu schenken. Dann bringt die Redakteurin wieder verschiedene Interessengruppen — diesmal sind es vorwiegend Eltern — gegen die Radfahrer in Stellung:

185 000 Euro, damit kann man fast vier Jahre lang sämtliche Spielplätze in Greifswald reparieren und sogar noch ein paar neue Geräte aufstellen. Schon ein Siebtel der Summe würde genügen, um der Musikschule die ersehnten neuen Instrumente zu spendieren.

Die gute Hälfte reicht, um in ganz Greifswald Verkehrsinseln, Geländer und andere Konstruktionen zu bauen, die den Schulweg unserer Kinder sicherer machen. Und für die volle Summe ist fast ein komplettes Feuerwehrauto zu bekommen.

Im nebenstehenden Artikel kommen dann Verkehrsexperten wie der Sprecher des Greifswalder Seniorenbeirats, Berndt Frisch, zu Wort, der nochmal behaupten darf, dass die Diagonalquerung ein unvermeidliches Unfallrisiko mit sich brächte. Ihr kleines Editorial schließt Sybille Marx mit der grandiosen Idee, den „hippeligen Radlern einen Yogakurs zu finanzieren“, um so für mehr Entspannung zu sorgen. Die Redakteurin selbst hat dergleichen kaum nötig — sie ist inzwischen voll auf Kurs und dient sich der veränderungsunwilligen Klientel aus Autofahrern und Senioren an.

REPRÄSENTATIV? DREI UMFRAGEN UND DREI VÖLLIG UNTERSCHIEDLICHE ERGEBNISSE

Nachdem die Ostsee-Zeitung das Thema Diagonalquerung so dauerhaft, einseitig und emotionalisierend warmgehalten und dabei in drei Anläufen jeweils drei völlig unterschiedliche Meinungsbilder der Bevölkerung präsentiert hatte, sollte jeder klar sein, dass von der Lokalzeitung kein aussagefähiges Stimmungsbild in dieser Sache zu erwarten ist.

Viel eher sollte darüber nachgedacht werden, das Projekt Diagonalquerung vorerst einzufrieren und die nächste kommunale Wahl mit einem Bürgerinnenentscheid zu verbinden, in dem verlässliche Ergebnisse der wahlberechtigten Einwohner eingeholt werden. Anschließend sollte auf Grundlage dieses Votums entschieden werden.

20 Gedanken zu „Ostsee-Zeitung und Diagonalquerung: Nachhaken bis es passt!

  1. Ich möchte weder Namen noch Abteilung nennen, doch sowohl Stadt- als auch Unimitarbeiter haben das gestern mir gegenüber so geäußert, dass der OZ wohl die Ergebnisse nicht gepasst hätten.

  2. Ein Yoga-Kurs ist Klasse! Wer verschenkt den nochmal? Hoffentlich an alle Interessenten und nicht nur Radfahrer!?
    Diese OZ ist echt Ressourcen-Verschwendung!

  3. als Nicht-Greifswalder frage ich mich erstaunt: Ist dieses Thema wirklich so wichtig, dass ein Bürgerentscheid bemüht werden muss. Übrigens, wie viele von den befürwortenden Studenten, die deiner Meinung nach unzureichend berücksichtigt wurden, sind denn Greifswalder Bürger?

  4. Wie teuer war/ist der neue Busbahnhof? Wie lange hätte man davon

    A) alle Spielplätze erhalten können
    B) allen kostefreien Nahvekehr ermöglichen können
    C) usw…?

    Und, wieviele Menschen/% der Bevölkerung in Greifswald fahren regelmäßig Bus?
    Wieviel Fahrrad?

    ZackBumm.

  5. Ja, wie lange hätte man XYZ finanzieren können, wenn… Wie lange hätte ich schlafen können, wenn mal eine Nacht nicht irgendwer laut Hansa Rostock vor dem Fenster brüllt?
    Was haben Rentner und Autofahrer von intakten Spielplätzen?

    Am Ende wird das Geld doch sowieso für irgendwas ausgegeben, von dem ein Großteil der Bevölkerung nichts hat. Und diese permanente „gegen alles“ Einstellung nervt mich langsam an dieser Stadt.

  6. Jockel hat recht, dass eine telefonische Befragung über Festnetzanschlüsse ein verzerrtes Bild liefern kann.

    Was mich aber wundert: Wenn man professionell Marktforschung betreibt, sollte man doch eigentlich auch soziodemographische Variablen einbeziehen.
    Demnach sollte es Daten über den Anteil der Studierenden geben, die erreicht wurden.
    Auch das eigene Radfahrverhalten sollte in so einer Befragung eine Rolle spielen.

    Wenn das nicht so ist, dann hat entweder
    – Das Marktforschungsinstitut versagt, weil es das nich vorgeschlagen hat
    – der Auftraggeber versagt, weil er das nicht gefordert oder angenommen hat
    – Irgendwer versagt, weil diese Daten nicht kommuniziert werden.

        1. Tut mir leid, für einen Gastbeitrag langt es da ja nun nicht.

          Mir wurde sehr schnell und freundlich geantwortet.
          Im wesentlichen bestätigen sich bereits bekannte Fakten.

          Auszug:

          > Es wurde eine einzige Frage gestellt:

          > „Sollten Radfahrer diagonal über die Europakreuzung fahren dürfen“

          > Als Antwortmöglichkeiten wurden zugelassen: „Ja“, „Nein“, „Weiß nicht“, „Ist mir egal“

          Ich habe jetzt noch mal nachgehakt und auf die Selektionseffekte durch Telefonauswahl hingewiesen bzw. darauf gepocht, dass man diese ja zumindest sichtbar machen oder widerlegen könnte, wenn man demografische variablen berücksichtigt. bin gespannt, ob ich noch eine antwort erhalte ;).

  7. einige kurze Bemerkungen:

    – wenn eine Befragung konsequent nach einem einfachen oder geschichteten Zufallsprinzip durchgeführt wird, ist eine zusätzliche Erfassung von bestimmten soziologischen Variablen für bestimmte Auswertungen zwar oft zweckmäßig, aber im Sinne einer Überprüfbarkeit nicht notwendig.
    Eine Zufallsbefragung mit einer bestimmten notwendigen Fallzahl ergibt die „richtige“ Verteilung der soziologischen Variablen!

    – in der Befragung wurdn selbstverständlich aich Mobilfunk-Nummern benutzt

    Mit einer Behauptung einer „wenig wissenschaftlichen “ Befragung sollte man nicht so locker umgehen.

    Gruß

    1. Eine Zufallsbefragung mit einer bestimmten notwendigen Fallzahl ergibt die “richtige” Verteilung der soziologischen Variablen!

      Das stimmt in diesem Fall allerdings wirklich! Wurde die Befragung deshalb in der vorlesungsfreien Zeit durchgeführt 😉 ?

  8. Hallo Jockel,

    die Berücksichtigung der Studenten erscheint in der Tat durch die vorlesungsfreie Zeit problematisch. So gesehen muss die Umfrage „repräsentativ“ für die Greifswalder (d.h. dann ohne Studenten) gesehen werden. Evt. ist das aber auch richtig so? Das kann ich wenig beurteilen, da kein Greifswalder. Ich wollte eigentlich nur gegen die etwas polemischen und auch nicht ganz korrekten Meinungen von fbm Stellung nehmen.

    Gruß

    1. In Greifswald leben etwas mehr als 62.000 Menschen und an der Universität sind über 12.000 davon immatrikuliert. Es gibt kein Greifswald ohne Studierende, und genau hier liegt der Hund in der ganzen Diagonalquerungsdebatte begraben, denn diese Gruppe wird fortwährend und strukturell übergangen und ignoriert.

  9. Hallo Jockel,

    zum Vorwurf, dass „die Gruppe fortwährend und strukturell übergangen und ignoriert wird“ kann ich wenig sagen. Allerdings ergeben sich bei mir immer Zweifel an solchen generellen Aussagen. Welche Gruppe sollte daran fortwährend einen Vorteil bzw. ein Motiv haben.
    Natürlich ist ein Anteil von 12.000 an 62.000 nicht zu ignorieren und die Umfrage hätte bei dieser Tatsache zu einem anderen Zeitpunkt realisiert werden sollen.
    Es bleibt aber dabei, das die Umfrage mit der Stichprobe aus 50.000 Greifswalder (wenn wirklich kein Student dabei war) eine deutliche mehrheitliche Aussage ergab. Dabei wissen wir auch nicht, wie denn die Studenten mehrheitlich abgestimmt hätten. Und wenn Sie mehrheitlich eine andere Meinung vertreten, ist das ein Problem zwischen Greifswalder und Studenten?!!

    1. Ihr habt die nunmehr dritte Umfrage zur Querung durchgeführt. Alle drei Ergebnisse sind unterschiedlich ausgefallen und die jeweiligen Stimmungen wurden unterschiedlich erhoben.

      Ihr habt 367 Leute (0,64% der gemeldeten Greifswalder Bevölkerung) befragt, unter anderem auch mich. Darunter dürften tendenziell weniger Studierende gewesen sein, als wenn diese Umfrage außerhalb der vorlesungsfreien Zeit gemacht worden wäre. Ob das repräsentativ ist, sollte jede für sich selbst beantworten.

      Aber im Grunde geht es — wie schon gesagt — nicht um die Querung, sondern immer um die Frage, wem gehört die Stadt und wer gestaltet sie? Dass die Studierenden als Konsumentinnen und Produzentinnen von städtischer Kultur schwerer wiegen als ihr prozentualer Anteil von etwas ein Fünftel, wird klar, wenn man sich nur wenige Nächte hier aufhält.

      Mir ging es in dem Beitrag weniger um das Unternehmen, was diese Befragung durchführte, sondern mehr um die Rolle der Ostsee-Zeitung in dieser Auseinandersetzung, die diese Umfrage in Auftrag gab und sehr wohl hätte wissen müssen, zu welchem Zeitpunkt sie das tat. Mehr in diese Richtung gibt es morgen in einem Gastbeitrag…

  10. Hallo Jockel,

    wen meinst du denn mit Ihr? – ich habe die Befragung nicht durchgeführt!
    Zu den 3 Befragungen ist zu sagen, dass die Online-Befragungen überhaupt nicht zählen, damit wird jede etwaige Repräsentanz „vermieden“! Es melden sich bei solcher Art der Befragung dann immer die stark Involvierten u. dass sind im vorliegendem Falle dann sicher die Radfahrer – und ein Ergebnis für die Querung ist nazu sicher (denn die Gegner sind sicher weniger involviert)

    Zu deiner Bewertung der OZ kann ich nichts sagen, da ich die ganzen Artikel dazu nicht kenne, möglicherweise hast du Recht – aber was hätte die OZ denn davon- die will nur Leser haben/gewinnen u. das bekommt man nicht mit einseitiger Stimmungsmache- insofern fällts mir schwer das zu glauben

    Ich vermute, du bist für die Querung und willst die Umfrage nicht so recht wahrhaben

    Gruß

    1. Es gab ja wie gesagt 3 Umfragen, davon zwei online und eine am Telefon. Beide Online-Umfragen (während der ersten rief der lokale CDU-Chef intern zur Wahlmanipulation auf: http://blog.17vier.de/2010/06/22/cdu-macht-gegen-die-diagonalquerung-mobil/) brachten verschiedene Ergebnisse zutage.

      Ich finde die Idee der Querung vernünftig, für mein privates Leben hat sie aber eher symbolischen Charakter, da ich diese Form des Querens schon seit weit mehr als einem Jahrzehnt praktiziere.

      Mich stört nur, dass ein unpassendes Umfragedesign zu nicht unbedingt aussagekräftigen Ergebnissen führt, aber die OZ die von ihr beauftragte Umfrage kaum kritisch hinterfragen wird. Stattdessen ist in den Leserbriefspalten zu erkennen, dass die Umfrage als wahr und gegeben verstanden wird.

      Meinen Vorschlag, weil sich an diesem vgl. billigen Projekt inzwischen so sehr die Gemüter spalten, habe ich ja bereits im obenstehenden Text formuliert, und wenn dann das Ergebnis nicht mit meiner Abstimmung übereinstimmt, kann ich (und sicher auch andere) das leichter akzeptieren, als wenn die Lokalzeitung solange abstimmen lässt, bis es passt.

      „Viel eher sollte darüber nachgedacht werden, das Projekt Diagonalquerung vorerst einzufrieren und die nächste kommunale Wahl mit einem Bürgerinnenentscheid zu verbinden, in dem verlässliche Ergebnisse der wahlberechtigten Einwohner eingeholt werden. Anschließend sollte auf Grundlage dieses Votums entschieden werden.“

      repräsentativer gehts nicht!

      in der Befragung wurdn selbstverständlich aich Mobilfunk-Nummern benutzt

      Wegen dieses Satzes vermutete ich, du wärest dort involviert gewesen. Woher weißt du das mit den Mobilnummern und ist dort nicht eine lokale Zuordnung waghalsig? Habe das so meine Zweifel.

      Ähnlich wie mit ihrer Umfrage ging die OZ auch mit dem Verkehrsexperten um, der zweimal in der Sache befragt wurde. Dieser Experte hat zwar in diese Richtung geforscht, sich aber mit Fußgänger- statt mit Radfahrerdiagonalen beschäftigt. So eine Fußgängerquerung durfte ich übrigens in Glasgow erleben, alle Autos hatten rot und alle Fußgänger konnten diagonal passieren — funktioniert!

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