Ein Gastbeitrag von Hubertus Ass
Prolog
Eigentlich sollte meine erster Gastbeitrag auf dem Fleischervorstadtblog — und damit der Start der Reihe (H.)Ass ist Trumpf — gesellschaftliche Missstände, wie soziale Ungerechtigkeit, die Dominanz ökonomischer Interessen im Allgemeinen oder die Leistungsgesellschaft und ihre Verwertungslogik im Speziellen, anprangern. Doch dann kam ein Sonderling namens Holm und nun ist plötzlich alles ganz anders. Ich, undogmatischer Linker, fühle mich richtiggehend zu Lobeshymnen provoziert, obwohl mir dieses eher fremd sein sollte. Aber am besten ist, ich erzähl erst mal, wie das alles kam.
1. AKT: SONDERHOLM UND ICH
Es ist Sonntagabend kurz vor neun und ich bin — ohne wirklich zu wissen, was mich erwartet — im rappelvollen Café Koeppen, um dem Publikum der Veranstaltung Sonderholm#4 die Getränke zu kredenzen. Das Licht wird gedimmt und irgendwie komm ich mir von Anfang an ein wenig verhohnepipelt vor. Denn das Programm beginnt mit White-Trash-Literatur von genau jenem Untergrundpoeten, mit dem ich mir keine sechs Stunden zuvor die restalkoholgeschwängerten Morgenstunden versüßt habe.
Direkt im Anschluss zückt Sonderholm die Gitarre und will angeblich seinen Frieden mit mir machen, indem er ein Lied aus der trotzigen Phase meiner Lieblingsband spielt. Dadurch wird das Gefühl des Verhohnepipeltwerdens jedoch ins Unermessliche potenziert und der kleine Egozentriker in mir sucht schon die versteckte Kamera. Als der Alleinunterhalter beginnt, den Todeswunsch des Monats vorzulesen, packt mich Panik. Aber dann beruhige ich mich ein wenig, denn er gilt glücklicherweise nicht mir.
(Foto: Anne Becker, webMoritz, 01/2012)
Doch Sonderholm kennt keine Gnade und nährt meine Ungewissheit, indem er nun einen Geschichtenerzähler aus meiner Heimat ins Felde führt, dessen Bücher ich regelmäßig von meinen Eltern zum Geburtstag geschenkt bekomme. Soviel Übereinstimmung mit meinen kulturellen Präferenzen kann kein Zufall sein, denke ich und mich beschleicht wieder ein fieses Unbehagen. Dieses Gefühl wird zur ausgewachsenen paranoiden Wahnvorstellung, als mir schlagartig einfällt, dass ich keine 14 Tage vorher Geburtstag hatte und mich diesmal weder bei Erzeugern noch im Freundeskreis hatte blicken lassen. Sollte ich etwa Opfer einer perfiden Überraschung durch Familie, Freunde und Kollegen werden?
Vor lauter Panik vergesse ich zuzuhören, ziehe mich in mein Innerstes zurück und fange an, die Wahrscheinlichkeit des erlebten dreifachen kulturellen Volltreffers zu berechnen. Als ich damit fertig bin, läuft schon die nächsten Nummer — Glück gehabt.
2. AKT: SONDERHOLM VS. „DER KLEINE KRITIKER IN MIR“
Aus der Kunstfigur Sonderholm ist zwischenzeitlich der Schauspieler Christian Holm geworden, dessen Zukunft in Greifswald aufgrund der Nichtverlängerung seines Engagements am Theater Vorpommern in Frage steht. Da er einer Hartz-IV-Karriere entgehen will, stellt er dem Publikum mit Yoga für Nazis eine persönliche Zukunftsvision vor. Dabei präsentiert er dem Zuschauer nicht nur seine mimischen und gestischen Fähigkeiten, sondern auch eine amüsante Idee, wie man die steifen Kameraden locker machen und deren Sauerstoffzufuhr zum Gehirn fördern könnte.
Als es dann mit dem vom Aussterben bedrohten Käfer Anophthalmus hitleri weiter um den braunen Sumpf geht, meldet sich „der kleine Kritiker in mir“ und moniert, dass die Grenze der Gefälligkeit erreicht sei und ihn angesichts des Publikums das Gefühl des „preaching to the converted“ beschleiche. Der klitzekleine Kater des kleinen Kritikers merkt noch an, dass Witze auf Kosten brauner Kameraden zwar ein geeignetes Mittel zur Entmystifizierung rechter Ideologie seien, jedoch angesichts vorpommerscher Realität so effektiv wie eine Vitamintablette nach durchzechter Nacht.
(Foto: Fleischervorstadt-Blog)
Der kleine Kritiker in mir und sein kleiner Kater verstummen jedoch kurz darauf, da bei der lautmalerischen Poetry-Slam Kolumne Fans-Uwe und ich meinen grauen Zellen dadaistisches Gehirnjogging rasanten Tempos abverlangt wird. Als Sonderholm zur Melodie von I will survive ein zynisches Lied mit dem Thema Krebs und Liebe präsentiert, beweist er, dass auch er streitbar sein will, indem er die Möglichkeiten der Kunstfreiheit ausschöpft. Danach ist erst mal Pause. Der kleine Kritiker in mir fühlt sich überflüssig, da ihm schon schwant, dass er heute Abend keinen Stich mehr machen wird — er nimmt den kleinen Kater und verlässt das Café Koeppen.
3. AKT: SONDERHOLM IST ALLE(S)
Der zweite Teil der One-Man-Show wird fast komplett von Episode IV der Fortsetzungsgeschichte Wenn der Zombie klopft… eingenommen. Durch Stimmvielfalt, mit einfachen Tonmacherutensilien und drei Wiedergabegeräten wird das analoge Schwarz-Weiß-Live-Hörspiel in absoluter Perfektion dargeboten. Die absurde Handlung, die offenbar in der Tradition von White-Trash-Kultur und Gonzo-Journalismus steht, und deren Protagonist daher der gleichnamige Bruder von Hunter S. Thompson ist, überzeugt vor allem durch popkulturelles Sampling.
Auf dem Höhepunkt der knapp 30minütigen Performance diskutieren Sonderholm, der Hörspielerzähler, Hunter S. Thompson, Jesus – der telefonisch bei Pizza-Hunt einen Tisch vorbestellt — und ein Ultrafan von Hansa Rostock quer über alle Metaebenen. Gegenstand dieser Diskussion: Wie man aus dieser Episode, die vom meskalininduzierten Drogenfilm des Hunter S.Thompson geprägt ist, wieder aussteigen kann.
Die Lösung ist so schön wie banal: das Niveau muss gesenkt werden! Am Ende dieses Niveaulimbos rinnt dem Abendgestalter der Schweiß durchs Gesicht, Zuschauer haben Lachtränen in den Augen und auch bei mir hat sich auf dem Platz des kleinen Kritikers ein fetter Jubelperser breit gemacht. Da Linke bekanntlich gern zum Lachen in den Keller gehen, kann man es als Herausforderung betrachten, mir mehr als ein Schmunzeln abzuringen. Sonderholm#4 war jedoch zweifelsohne die beste Einzelleistung eines Greifswalder Kulturschaffenden, die ich bisher gesehen habe.
(Abbildung: Flyer Sonderholm IV)
EPILOG: WILLKOMMEN IM KULTURPREKARIAT, HERR HOLM
Als ich nach Hause kam, wartete schon voller Vorfeude der kleine Kritiker auf mich, um mir mitzuteilen, dass er doch etwas auszusetzen hätte: die Höhe des Eintrittspreises, die mit drei Euro für 90 Minuten erstklassige Unterhaltung deutlich zu gering bemessen ist!
Ich halte dieses Kulturdumping für absolut unnötig. Christian Holm sollte sich den Aufwand für Ideenfindung, Textentwicklung, technische Vorbereitung und das Einstudieren des Programms wenigstens einigermaßen vergüten lassen und den Eintrittspreis auf mindestens fünf Euro anheben. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ihm das jemand verübeln würde. Aufgrund der kontinuierlich wachsenden Fangemeinde wird wohl bald mehr als eine Aufführung des Sonderholms in Greifswald nötig sein. Vorstellungen in Stralsund oder gar Rostock sind durchaus vorstellbar. Eine Dokumentation der bisherigen Hörspiel-Episoden im Internet würde nicht nur Späteinsteiger beglücken, es könnte sich auch als virales Marketing für kommende Vorstellungen und kulturelles Crowdfounding für andere Projekte erweisen.
Ich hoffe, dass Christian Holm seine Zukunft als von starrer Lohnarbeit befreiter Kulturprekarier als Chance sieht. Es wäre schön, wenn er mit seiner stilistischen Vielfalt, dem popkulturellen Horizont und der schauspielerischen Ausbildung seinen Wegzug aus dieser kultur- äh… strukturschwachen Region verhindern könnte.
2 Gedanken zu „Sonderholm #4 – Scheitern als Chance“