Eine Theaterkritik von Florian Leiffheidt
Man fühlt sich benommen, erdrückt und verstört nach dem Besuch des Zweipersonenstückes Nach dem Ende von Dennis Kelly in der Inszenierung von Julia Heinrichs, die bereits das Drama Die Waisen desselben Autors am Theater Vorpommern in Szene gesetzt hat.
Dabei ist die Handlung relativ schnell zusammengefasst: Louise (Frederike Duggen) erwacht in einem Bunker, der – wie sich im Verlauf des Stückes herausstellt – Mark (Sören Ergang) gehört. Dieser gibt vor, sie nach einem Anschlag gerettet zu haben. Dabei bleibt offen, was für ein Anschlag wann, an welchem Ort und vor allem von wem verübt wurde. Louise zweifelt mehr und mehr an Marks Version des großmütigen Retters. Es beginnt zwischen den beiden Akteuren zu brodeln – was als Zweifeln beginnt, endet in einer Spirale aus Macht, Ohnmacht, Gewalt und Unterdrückung.
STARKE DARSTELLERISCHE LEISTUNGEN — VOLLER KÖRPEREINSATZ
Den beiden Darstellern kann man ohne Zweifel ein großes Lob aussprechen. Besonders Sören Ergang brilliert als Mark mit seiner Darstellung eines untypisch, ja manchmal beinahe kindlich-naiv wirkenden Psychopathen – und dies, ohne gefühlskalt zu wirken, im Gegenteil: immer wieder durchbrechen Emotionen wie Verzweiflung und Reue seine scheinbar harte Schale. Zudem setzt Ergang ohne Scham auf vollen Körpereinsatz – es gibt keine Grenze mehr für den Darsteller, alles scheint möglich.
Auch Frederike Duggen gelingt es, die Rolle der Louise wunderbar facettenreich zu verkörpern. Mal als pubertär anmutendes Mädchen, das einen Witz – der seine Wirkung zum Glück sowohl bei Mark als auch beim Publikum verfehlt – zu machen versucht, mal als höchst verzweifeltes Opfer, das sich den Wünschen seines Entführers willenlos beugt, um nicht verhungern zu müssen. Und schlussendlich als kämpfende, am Ende selbst zur Täterin gewordene Frau.
Sie wehrt sich nicht gegen ihren Peiniger, nein, sie genießt es, das Messer – und mit ihm die absolute Macht – in den Händen zu halten. Louise beginnt, Mark Befehle zu geben, ehe sie sich entschließt, ihn zu kastrieren. Von diesem Vorhaben lässt sie schlussendlich ab – vielleicht, da sie bemerkt und nachzufühlen scheint, wie zerstörerisch Unterdrückung auf andere Menschen wirken kann.
THERAPIEGESPRÄCH ALS SCHWÄCHELNDER SCHLUSS
Nach einem kompromisslosen Kampf um Macht, um das Recht des Stärkeren, gipfelt das Stück im vermeintlichen Triumph des Entführers, wenn er Louise vergewaltigt, sie endgültig bricht. So könnte man es vermuten, doch wieder zeigt sich die Verletzlichkeit des Täters, der nach seiner Tat zunächst Louise fragt, ob es weh tun würde, und danach beteuert, er habe sie nicht verletzen wollen. Je länger die Figuren ihren Kampf austragen, umso deutlicher wird, dass Louise kein zufälliges, sondern vielmehr ein lang begehrtes Opfer von Mark zu sein scheint. Während der Vergewaltigung wird auf schonungslose Weise deutlich, dass Mark seit geraumer, aber unbestimmter Zeit in seine „kleine Louise“ verliebt ist, vermutlich unglücklich. Das Tatmotiv zeigt sich: Liebeswahn.
Leider fällt die Spannung zum Schluss des Stückes hin ab, was aber weniger an der Inszenierung als an der Textvorlage liegt. Die Frage nach dem vermeintlichen Anschlag wird aufgeklärt; ihr folgt eine Art therapeutische Aussprache zwischen den beiden Personen, welche aufzeigt, was alle wissen: dass so eine Tat weder Sieger noch Besiegte zurücklässt. Mark muss ins Gefängnis, Louise ist frei, doch sind beide spätestens jetzt, nach dem Ende – und hier zeigt sich eine vielleicht andere Deutungsmöglichkeit des Titels – zerstörte Seelen und benötigen therapeutische Hilfe. Diese Erkenntnis wirkt leider so moralisch wie der Schluss einer Fabel und verliert dadurch ihre Intensität.
GRENZENLOSER NATURALISMUS — AUSBEUTUNG DES SCHAUSPIELERS?
Julia Heinrichs, die am Theater Vorpommern mit den Waisen bereits einen anderen Text von Dennis Kelly inszenierte, setzt bei der Umsetzung des 2005 geschriebenen Dramas vor allem auf eines: puren und konsequenten Naturalismus, die realistische Darstellung von Orten, Figuren, ihren Emotionen und auch Handlungen auf der Bühne, ohne jede Form von künstlerischer Abstraktion. So ist es auch in dieser Inszenierung: ein wie ein realer Bunker wirkendes Bühnenbild (Julia Heinrichs/Eckhard Reschat), echte Konservendosen und letztlich auch ein realistisch wirkender Kastrationsversuch mit einem – hoffentlich nicht realen – Messer.
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Die Frage, die nach diesem Theaterabend bleibt, ist, ab wann Naturalismus wohltuend und ab wann eine Verfremdung aussagekräftiger ist. Ab wann beginnt eine inszenatorische Idee, den Schauspieler auszubeuten? Angesichts der Anspannung, die von Sören Ergang beim andauernden und warmen Applaus nach der gelungenen Premiere sichtbar abfiel, muss man sich fragen, ob Regisseure gut daran tun, von ihren Schauspielern zu verlangen, ihre Körper schier grenzenlos zu verkaufen.
Nach dem Ende der Inszenierung bleiben sowohl starke Bilder als auch ausgezeichnete und authentische schauspielerische Leistungen im Gedächtnis – und die Erkenntnis, wie verstörend unser Leben, wie brutal die Realität sein kann.
Nach dem Ende
Dennis Kelly
Inszenierung: Julia Heinrichs
Bühne und Kostüme: Julia Heinrichs, Eckhard Reschat
Dramaturgie: Franz Burkhard
Nächste Vorstellungen in Greifswald: 15. März, 7./23. April
Infos und Karten: Theater Vorpommern
(Fotos: Christopher Melching)
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Florian Leiffheidt studiert derzeit Germanistik und Musikwissenschaft in Greifswald. Er absolvierte Dramaturgie- und Regiehospitanzen am Theater Vorpommern, u.a. bei Katja Paryla („Nachtasyl“, 2011) und Uta Koschel („Das Fest„, 2012). Zudem inszenierte er 2012 am Studententheater Ionescos „Unterrichtsstunde“ und ist derzeit als Regieassistent bei der „Opernale“ 2013 tätig.
Ich wollte nur mal schnell loswerden, dass ich die Theaterkritiken hier sehr schätze. Danke!
Ja danke Stefan. Ich freue mich übrigens auch, dass es hier endlich Theaterkritiken gibt. Ich bin sogar, wie mir Jockel neulich im Gespräch bestätigte, eine treibende Kraft dahinter gewesen, das hier einzurichten. Nur besser (also besser gemacht, nicht lobhudeliger geschrieben) könnten sie sein. Hier wird sich z.B. darüber beschwert, dass das Stück zu naturalistisch gewesen sei, letzte Woche, wir erinnern uns, darüber, dass ein Stück zu wenig naturalistisch gewesen sei. Und das von einem Autor. Was denn nun? Ich hab das Stück noch nicht gesehen, deshalb kann ich da inhaltlich nichts drüber sagen.
Übrigens ist die Inszenierung eine Übernahme aus dem Theater in der Altmark von 2011, das hätte ich erwähnenswert gefunden.
Diese Inszenierung ist der absolute Hammer. Vor allem Sören Ergang überschreitet Grenzen, wie ich es noch nie am Theater erlebt habe: er lässt nicht nur in einer Szene seine Hose herunter (man sieht seinen Penis!) sondern onaniert sogar in einer anderen Szene! Alles wird ganz deutlich gezeigt!