Ein Gastbeitrag von Hubertus Ass
Dieser Eindruck drängte sich auf, wenn man zur zweiten Aufführung des Stücks Clerks – die Ladenhüter in den halbleeren Rubenowsaal gekommen war. Ob dies einer andauernden Publikumskrise am Theater Greifswald geschuldet oder Zeugnis der Unkenntnis von 90er-Jahre-Kultfilmen ist, soll und kann hier nicht näher beleuchtet werden.
Um es gleich vorwegzunehmen: Besetzung, Bühnenbild sowie Kostüme waren zeit- und zweckgemäß. Die schauspielerischen Leistungen waren grundsolide, aber eben auch weit entfernt von grandios oder brillant. Josefine Schönbrodt, als Veronica, verkörperte dabei ihre Rolle noch am überzeugendsten.
INSZENIERUNG BLEIBT DICHT AM ORIGINAL
Der eigentliche Clou von Clerks besteht darin, eben jene preisgekrönte und anscheinend fast vergessene Low-Budget-Filmproduktion auf die Bühne zu bringen. Dies ist eine recht dankbare Aufgabe, da der Film ideale Voraussetzungen für eine Bühnenadaption bietet.
Bei der Inszenierung macht André Rößler, der ausfallbedingt an diesem Abend die Rolle des alten Mannes übernahm, zwei Dinge absolut richtig: Erstens bleibt er ziemlich dicht am Original und zweitens verpasst er dem Stück an den richtigen Stellen mehr Dynamik. So ist die Streichung bestimmter Szenen und Charaktere fast immer nachvollziehbar und gut gelungen, da diese auch im Film nichts zur inhaltlichen Entwicklung beitragen. Die Stellen, an denen Szenen gekürzt oder ersetzt wurden, sind häufig streitbar und die zusätzlichen Szenen meist überflüssig, da sie — die abwechslungsreiche Einflechtung von Godwin’s law ausgenommen — von den Zuschauern bereits Erfahrenes nur verstärken beziehungsweise wiederholen.
ZUMUTBAR: NICHT ZUVIEL REALITÄT NACH FEIERABEND
Insgesamt entsteht bei dieser Inszenierung der Eindruck, dass zur Unterhaltung hier ein wenig Zeitgeist und da eine Prise Lokalkolorit eingestreut wurde — was okay wäre, wenn dies nicht auf Kosten der Quintessenz ginge. Denn diese realsatirische Groteske hat mehr zu bieten als die teilweise derben, aber niemals platten Dialoge.
Der Protagonist Dante — im Stück gespielt von Sören Ergang — ist nämlich nicht nur Angestellter in einem Mini-Supermarkt, sondern auch ein Duckmäuser und Jammerlappen. Sein Freund Randal vom Videoladen nebenan, gespielt von Ronny Winter, stellt das notwendigerweise überzeichnete Korrektiv dazu dar. Dantes Unfähigkeit, selbstbestimmt Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, führt in Job und Liebe zu Konflikten, denen er passiv und orientierungslos begegnet. Das eigentliche Drama dieser Tragikomödie ist, dass er den Folgen seines (Nicht-)Verhaltens mit Schuldprojektion und Selbstmitleid begegnet. Randal kritisiert in epischen Dialogen Dantes Unzulänglichkeiten, um ihm zu helfen. Oder um seine Intention mit den Worten aus Bettina Wegners Lied Kinder auszudrücken – „Gerade klare Menschen wären ein schönes Ziel, Leute ohne Rückgrat haben wir schon zuviel.“
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In Zeiten marodierender Zukunftsangst und der scheinbar „alternativlosen“ Wahl zwischen Turbo-Ausbildung oder Hartz-4-Karriere wurde hier die Chance verpasst, durch aktuelle Bezüge — und somit eine stärkere Darstellung des zentralen Konfliktes — einen Standpunkt im gesellschaftlichen Diskurs zu beziehen. Anstelle dessen wurde versucht, den Unterhaltungswert des Stückes zu steigern, indem man den Zuschauern bloß nicht zu viel Realität nach Feierabend zumutet.
So ist Clerks – Die Ladenhüter zwar durchaus unterhaltsam und sehenswert — und damit also nicht unbedingt zum Ladenhüter vorherbestimmt. Dennoch ruft einem diese Inszenierung auch Kurt Tucholskys Gedicht An das Publikum ins Gedächtnis, in dem es so schön heißt: „Es lastet auf dieser Zeit der Fluch der Mittelmäßigkeit.“
Clerks – die Ladenhüter
Nach dem Film von Kevin Smith
Inszenierung: André Rößler
Ausstattung: Simone Steinhorst
Dramaturgie: Dr. Sascha Löschner
Regieassistenz: Kathleen Friedrich
Inspizienz: Jürgen Meier
Soufflage: Esther Hilsemer
Nächste Vorstellungen in Greifswald: 23. April, 21./27. Mai
Infos und Karten: Theater Vorpommern
Drei kurze Anmerkungen dazu:
1. der alte Mann ist eigentlich besetzt durch Jörg F. Krüger
2. die dritte Vorstellung war wieder deutlich besser besucht – also keine voreiligen Schlüsse
3. ansonsten gelungene und für mich vollkommen nachvollziehbare Rezension. Kann man sich definitiv angucken.