Von Prof. Dr. Mathias Niendorf (Universität Greifswald, Osteuropäische Geschichte)
… als deutscher Osteuropa-Historiker in Osteuropa. Wenn man aus Greifswald kommt, dann gibt es immer etwas zum Erzählen — wo es liegt, wie schön es liegt, was es dort zu sehen gibt. Und es freut einen, im Anschluss an eine Tagung, wenn die Beiträge im Druck vorliegen, hinter dem eigenen Namen als Arbeitsort „Greifswald“ zu lesen.
Dazwischen aber liegen häufig genug peinliche Gespräche. Immer die gleiche Frage: Was sollen wir denn nun genau schreiben, also wie ist das noch mal mit dem Namen der Universität… Auf Taktgefühl darf man als Deutscher in Polen immer zählen. Es zu müssen, ist eine Belastung.
Wenn die Bundesrepublik sich auf die Traditionen der Paulskirche beruft, jenes ersten frei gewählten Männer-Parlaments in Deutschland, dann wissen geschichtsbewusste Polinnen und Polen, dass damals, 1848 in Frankfurt, auch die Zukunft ihres Landes verhandelt wurde. Dass dort gestritten wurde um die Frage, wie mit den historisch polnischen und sprachlich immer noch mehrheitlich polnischen Gebieten verfahren werden sollte — den Territorien, die Preußen sich Ende des 18. Jahrhunderts einverleibt hatte.
Der Anfang einer verhängnisvollen Traditionslinie
Es ist daher auch kein Zufall, dass die grundlegende Studie zum Thema „Arndt und Polen“ an unserer Partneruniversität Posen (Poznań) entstanden ist. Sie liegt auf Deutsch vor. Dort, aber auch in der großen Arndt-Ausgabe wird man unweigerlich mit einer Passage aus dessen 1848 erschienenen Flugschrift „Polenlärm und Polenbegeisterung“ konfrontiert:
„Ich behaupte eben mit der richtenden Weltgeschichte vorweg: die Polen und überhaupt der ganze slawonische Stamm sind geringhaltiger als die Deutschen, und die deutschen Polennarren haben weder einen politischen noch einen geistigen und sittlichen Grund, die Kinder ihres Blutes den Polacken zu Gefallen aufzuopfern und in den schlechteren Stoff hineinstampfen zu lassen.“
Unschwer erkennt man hier den Anfang einer verhängnisvollen Traditionslinie. Bei Arndt stehen Deutsche auf der einen Seite Polen auf der anderen Seite gegenüber, und das nicht etwa, indem sie bloß anders sprechen, anders beten oder vielleicht politisch anderer Meinung sind — nein, sie stehen sich schon von Natur aus gegenüber.
Es ist das Blut, was Deutsche und Polen voneinander abgrenzt. Und das deutsche ist das klar bessere. Beweis: die Weltgeschichte, die Polen zum Untergang verurteilt hat. Um diesen biologischen Qualitätsvorsprung zu behaupten, muss nach Arndt jede Vermischung zwischen „Deutschen“ und „Slawen“ verhindert werden.
Ein solcherart propagierter Rassismus ist kein einmaliger Ausrutscher, keine verbale Entgleisung, und schon gar nicht eine Jugendsünde des damals fast Achtzigjährigen. Historisch betrachtet steht Arndt Mitte des 19. Jahrhunderts an einem Wendepunkt. Er vollzieht am Ende seines Lebens einen Wandel mit, ja befördert ihn, der sich auf die Formel bringen lässt: Statt Menschenrechte für alle — alle Rechte für deutsche Menschen!
Wohin das geführt hat, wissen wir alle. Niemand besser womöglich als Götz Aly, dem wir wichtige Denkanstöße für die Geschichte des 20. Jahrhunderts verdanken. Wenn er allerdings sich selbst mit den Worten zitiert: „So waren unsere Demokraten eben; wir haben keine besseren“, dann hat er sich auf ein Gebiet vorgewagt, in dem er offenbar nicht ganz so zu Hause ist.
Dabei können Reisen bilden, auch Vortragsreisen. In Greifswald genügt schon ein kleiner Spaziergang. Ein paar Minuten zu Fuß, und man gelangt von der Arndtstraße in die Robert-Blum- Straße. Bis 1946 hieß sie „Moltkestraße“, aber soweit bekannt, hat bis jetzt niemand die Rückbenennung nach einem preußischen General verlangt. DDR wie BRD sahen bzw. sehen sich lieber in der Tradition eines konsequenten Demokraten. „Konsequent“ bedeutet in diesem Fall buchstäblich bis zum letzten Blutstropfen, wurde der Paulskirchenabgeordnete Blum doch Ende 1848 standrechtlich erschossen.
„Arndt ist nicht alternativlos“
Ein Jahr zuvor noch hatte er Arndt persönlich Achtung gezollt, ihm in der „Weihnachtsgabe für Deutschlands freisinnige Männer und Frauen“ ein differenziertes Porträt gewidmet. Ein halbes Jahr später standen sie dann politisch auf verschiedenen Seiten. Anders als Arndt will Blum sich nicht hinter einer abstrakten „Weltgeschichte“ verstecken, sondern benennt historische Verantwortung. Zunächst aber wirbt er in Frankfurt um Respekt für „das polnische Volk“:
„[…] vergessen wir doch ja nicht, dass dasselbe seit undenklicher Zeit in seinem Schooße den Einwanderern gewährt hat, wonach wir in Deutschland in diesem Augenblick noch ringen: daß die Gewissensfreiheit nirgends so geschützt war, als in Polen, und daß selbst die verachteten und von der ganzen Welt zurückgestoßenen Juden eine Heimath dort fanden. (Mehrere Stimmen: Bravo!).“
Ohne Arndt beim Namen zu nennen, führte Blum weiter aus:
„Denen aber, die so sehr bereit sind, heute das polnische Volk in den möglichst tiefen Schatten zu stellen, ihm alle Tugend abzusprechen, und alle Laster ihm anzuhängen, (Unruhe auf der Rechten) muß ich zurufen, sie sollen nicht vergessen, daß wir einen großen Theil der Schuld daran tragen. Das Volk ist seit achtzig Jahren zerrissen, geknebelt und unterdrückt, und wir haben es beraubt seiner inneren Kraft und seines Landes und seiner Selbständigkeit und Freiheit.“
Also, Arndt ist nicht alternativlos. Auch Mitte des 19. Jahrhunderts gab es Demokraten, die Freiheit für Deutschland mit Freiheit für Polen verbinden wollten und darüber hinaus selbst Juden ihre Solidarität nicht versagten.
Wenn Arndt verächtlich von den „Polacken“ spricht, von der generellen Minderwertigkeit „der“ Slawen an sich, dann konnte er schwerlich voraussehen, dass rund ein Jahrhundert später mit eben diesem Ideengut deutsche Raub- und Vernichtungs-Politik in Osteuropa gerechtfertigt werden sollte.
Arndt als historische Figur ist das eine, der Umgang mit ihm heute das andere. An ihm als Firmenschild festzuhalten, hieße, sich zu einer Tradition zu bekennen, die Unglück über Deutsche und mehr noch über unsere Nachbarn brachte. Haben wir das nötig?
Ich jedenfalls möchte mich nicht länger schämen müssen. Nicht für den Namen der eigenen Wirkungsstätte, einen Namen, der nicht verbindet, sondern spaltet, der nicht Brücken, sondern Barrieren zu unseren Nachbarn errichtet, und dies sowohl nach Westen wie nach Osten. Ich möchte stolz sein auf meine Universität — so wie auf jene engagierten Studierenden, mit denen ich vor einigen Jahren Arndts Polenbroschüre diskutieren durfte.
Und wenn am Ende einer langen Debatte innerhalb wie außerhalb der Hochschule ihr alter pommerscher Traditionsname wieder hergestellt ist, erzählt das überall freudig weiter, in Osteuropa und anderswo.
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Dieser Beitrag erschien zuerst in „Für die Universität Greifswald. Zeitung mit Fakten zum Namensstreit an der Universität Greifswald“ (2017, PDF-Download, 0,8 MB) und wurde mit freundlicher Genehmigung der Autoren auf dem Fleischervorstadt-Blog veröffentlicht.