Eine Theaterkritik von Florian Leiffheidt
Wer am Sonntag der Premiere von Klaus Gehres Inszenierung des Hollywood-Blockbusters Surrogates — mein zweites Ich am Theater Vorpommern beiwohnte, konnte erleben, dass man für spannungsgeladene, actionreiche Handlungen keinesfalls ein Feuerwerk an Spezialeffekten oder gar ein großes Budget benötigt. Ganz im Gegenteil: Gerade bei dieser Produktion zeigte sich das Reizvolle an sogenannten Low-Budget-Produktionen.
ZUKUNFTSVISION ALS DÜSTERE VIDEO-SOUND-LIVE-PERFORMANCE
Die Bühne gleicht einem wohlorganisierten, kreativen Chaos aus Hand- und Barbiepuppen, Körperteilen, einem Löwenkopf und vielerlei anderen Utensilien nebst einer Vielzahl von Videokameras. Emsig werden letzte Teile geschraubt, wird Holz den Sicherheitsanweisungen entsprechend glattgeschliffen. Es folgen letzte Absprachen, dann gibt Ronny Winter das entscheidende Kommando: „Action!“
Was in den darauffolgenden 80 Minuten geschieht, ist ebenso beeindruckend wie beeängstigend, ebenso erschütternd wie begeisternd. Die Video-Sound-Live-Performance – wie die Inszenierung in der Pressemappe bezeichnet wird – entspringt der Kooperation zwischen dem Theater Vorpommern und dem Theater Handgemenge und entführt den Zuschauer in eine Zukunftsvision, welche nicht zuletzt ob ihrer geringen Fiktivität etwas Angsteinflößendes besitzt. In dieser Welt agieren die Menschen nicht mehr selbst, sondern bestreiten nur noch als „Operators“ von „Surrogates“ – ihren ferngesteuerten maschinellen Äquivalenten – ihr Leben: vom Einkauf bis hin zum Gespräch oder gar Liebesspiel mit dem Partner.
Ein Mord an einem solchen Surrogate und die damit verbundenen Ermittlungen der FBI-Agenten Tom Greer (Markus Voigt) und Jennifer Peters (Josefine Schönbrodt) bringen Grauenhaftes zu Tage: Gibt es eine Waffe, die nicht nur die Surrogates – liebevoll „Surrys“ genannt –, sondern auch deren Operators, also auch Menschen, vernichten kann? Im Laufe ihrer Ermittlungen decken die beiden Agenten immer abgründigere Details über die Entwicklung der Surrogates auf, bevor es schließlich zum finalen Showdown mit einer Menge Action (wir sind in Hollywood!) kommt.
INSZENIERUNG TRIFFT MAKING-OF — EIN DOPPELTES SEHVERGNÜGEN
Das Faszinierende an der Inszenierung von Klaus Gehre ist ohne Zweifel das doppelte Sehvergnügen für den Zuschauer: Man kann sich entweder auf die Leinwand konzentrieren, auf der das Geschehen gezeigt wird, oder sich den Aktionen auf der Bühne widmen – also zuschauen, wie das Leindwandergebnis entsteht. Der Zuschauer befindet sich nicht nur im reinen Zuschauer-, sondern eher im Produktionsraum – und es ist schier erstaunlich, mit welchen noch so kleinen Mitteln reizvolle, spannende Effekte geschaffen werden! Man nehme zum Beispiel zwei Barbiepuppen, setze sie vor ein montiertes Lenkrad, projiziere dieses Bild mit entsprechendem Sound bei bewegtem Hintergrund auf die Leinwand und siehe da: Eine Autofahrt ist erschaffen.
So entstehen dank der Arbeit aller Beteiligten, welche sowohl als Darsteller als auch als „Techniker“ fungieren, herrliche Bilder, die teilweise imstande sind, den Zuschauer sprachlos zu machen. Verfolgungsjagden, Hubschrauberflüge und Explosionen vermitteln dem Zuschauer wahrhaftig das Gefühl, gleichzeitig einen Blockbuster und dessen Making-of zu sehen!
Umso bedauerlicher ist es, dass die Inszenierung gegen Ende an Spannung verliert, da die Schauspieler aus ihren eigentlichen Rollen (oder vielmehr: Funktionen) heraustreten und nun sich selbst darstellen. Schauspieler spielen auf einmal Schauspieler, die vorher Rollen spielten, welche sie jetzt nicht mehr verstehen und über die sie nun diskutieren. Es geschieht auf einmal etwas, das man keinesfalls vermisst, dessen Fehlen man eher begrüßt hatte: Der eigentlich ernste Stoff – die zukünftige, übermächtige Technik und das „Zeitalter der Maschinen“ – bekommt durch die Diskussion der sich selbst verkörpernden Schauspieler eine leider unpassende Komik, welche auch dann nicht wirklich schwindet, wenn Ronny Winter letztlich alle Rollen allein spielt und die dramatische Geschichte zu Ende erzählt beziehungsweise spielt.
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Diesen Effekt hätte man durchaus nicht einbauen müssen. Nichtsdestotrotz sollte man diese innovative Inszenierung am Theater Vorpommern, welche wie ein verspätetes Bekenntnis zum vergangenen Spielzeitmotto „Kein Risiko!“ anmutet, erlebt haben – ganz egal, welche Einstellung man zu Actionfilmen haben mag. Und soviel sei verraten: Scharf geschossen wird hier nicht!
SURROGATES – MEIN ZWEITES ICH
Spiel mit Puppen und Menschen nach dem Film von Jonathan Mostow sowie dem Comic von Robert Venditti (Text) und Brett Weldele (Zeichnungen)
Inszenierung: Klaus Gehre
Dramaturgie: Dr. Sascha Löschner
Ausstattung: Klemens Kühn
Musik und Sounddesign: Michael Lohmann
Darsteller: Josefine Schönbrodt, Annette Wurbs, Peter Müller, Markus Voigt, Stefan Wey, Ronny Winter
Nächste Vorstellungen in Greifswald: 5./24. Oktober, 10. November, 20. Dezember
(Fotos: muTphoto)
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Florian Leiffheidt studiert derzeit Germanistik und Musikwissenschaft in Greifswald. Er absolvierte Dramaturgie- und Regiehospitanzen am Theater Vorpommern, u.a. bei Katja Paryla („Nachtasyl“, 2011) und Uta Koschel („Das Fest„, 2012). Zudem inszenierte er 2012 am Studententheater Ionescos „Unterrichtsstunde“ und ist derzeit als Regieassistent bei der „Opernale“ 2013 tätig.
Hallo Florian, der von dir bemängelte „Effekt“ ist der Problematik geschuldet, dass es am Schluss mehr als schwierig wurde, die Verbindungen zwischen Operator und Surrogates verständlich darzustellen, da hier eine Verkettung von Identitäten vorlag. Bei der Matinée wurde übrigens von Klaus Gehre die Problematik bei der Darstellung behandelt und erklärt, warum man hier anders agieren musste.
PS Eine Low-Budget-Produktion war das Stück nun auch wieder nicht, denn die vielen Kameras konnten nur dank der Förderung verwendet werden.
psscht, das hatte Florian noch nicht in seinem Lehrprogramm!
[edit: teilweise gelöscht]
Beleidigungen aus der anonymen Deckung ist man als Blogger ja gewohnt, aber meinen Gastautoren möchte ich das nicht zumuten müssen. Ich schlage deswegen vor, den Text entweder dichter am Stoff zu kritisieren, unter Klarnamen zu polemisieren oder es bleiben zu lassen. Bitte etwas mehr Respekt und eine gute Kinderstube!
Also wird aus meinem texchen ausgerechnet der eine Satz gestrichen, in dem ich dem jungen, übermütigen autoren seine Ignoranz gegen die künstlerische Freiheit vorwerfe, so wie er sie hier bewiesen hat, und für Verständnis dafür auffordere aufgrund der im ersten, nicht ganz ernst gemeinten Satz? Nun, das muss ich wohl nicht verstehen – entweder ist es beides zusammen beleidigend oder nichts daran. Als stichelei war es zumindest durchaus gemeint.
Dann will ich mal der Bitte nachkommen:
Hier wird also unterstellt, dass durch das Aufbrechen der Rollen plötzlich „[d]er eigentlich ernste Stoff – die zukünftige, übermächtige Technik und das „Zeitalter der Maschinen“ – durch die Diskussion der sich selbst verkörpernden Schauspieler eine leider unpassende Komik [bekommt]“? Ja? Ist dem so? Oder liegt der Fokus hier nicht viel mehr auf das Problem der Identitäten, die, wie nun durch dieses stilistische ad absurdum-Mittel (jaja, schnell mit „unpassender Komik“ zu verwechseln…) dargestellt wird, immer weniger den eigentlichen Menschen zugeordnet werden können, die also – und das ist einfach absurd – von ihnen entkoppelt werden? Und es ist nicht nur das einzelne Individuum, das hier somit seine Identität einbüßt, sondern natürlich auch seine Mitmenschen, deren Identität man durch eine solche Zuordnung doch mitbestimmt und denen man andererseits ob dieses Identitätsverlustes auch nicht mehr recht trauen kann. Die Menschen verlieren einander und sich selbst. Die Technik, mein Lieber, sind hier doch nur Mittel zum Zweck. Es wäre naiv, sie von jeglicher Interpretation freisprechen zu wollen und es für das eigentliche Thema halten zu wollen. Natürlich wäre diese Problematik nicht ohne solche Technik möglich, aber das alte geheul „Technik, buh, böse“ ist schon alt und durchgekaut, ganz grau. Damit muss heute wirklich keiner mehr kommen, wenn nicht weiteres hinzuzufügen wäre – wie etwa diese Ausgestalltung einer drohenden Identitätskrise (wie sie übrigens in Folge der Urbanisierung nach der Industrialisierung in Europas Literaturen auch häufig vorzufinden ist). Für mich war es im Film bereits klar – ich weiß nicht, ob ich da vielleicht versehentlich einen anderen unter gleichem Titel und Regieherrn gesehen hab…? ich zweifel. natürlich.
Ich hoffe, nun nicht zu viel zu spoilern und bemühe mich daher, mich kurzzuhalten, aber auch die Weiterführung widerspricht für mich nicht der Großartigkeit dieser Darstellung: Da taucht also dieser Herr Winter auf, voller Enthusiasmus und mit einer Wahnsinnsenergie, und erklärt seinen Schauspielern, wie das Stück fortgeführt wird – mit einer Leichtigkeit und, ich wiederhole mich, Energie, die selbstredend auch einen fast lächerlichen Charakter enthält. Aber ist der denn so fremd für das Theater? Nein, bestimmt nicht. Hier haben wir den personifizierten Optimismus, eine Utopie, die alle Zukunftsprobleme mit einem handumdrehen zu lösen weiß! Ich bitte dich: sowas würden wir auch durch die Medien nicht mehr hinnehmen, wenn es uns dort in den Rachen gestopft wird – in aller Ernsthaftigkeit. Warum sollte das Ensamble des Theaters dann so tun, als wäre diese naive Leichtigkeit mit einem derart schwerwiegenden Problem legitim? Natürlich ist das absurd und lächerlich – hich, wie der Film, wenn man ihn mal kritisch beäugt, denn das ist doch immer noch auch im Film DIE Lösung. Unseren kritischen Geistern sollte das aufgefallen sein, sie sollten es nicht ungefragt hingenommen haben oder gar allen Ernstes damit zufrieden gegeben haben – ja, Herr Winter hat uns doch direkt mit dem Gesicht noch mal direkt hineingedrängt, als er die Metaphern direkt auflöste. Typische US-Problemlösung, fällt es mir fast auf die Tastatur!
Wer erwartet, dass das Stück ganz brav der Film-Vorlage folgt, kann zu Hause bleiben, ja, aber wieso sollte etwas auch auf die Bühne übernommen werden, wenn es 1:1 so bereits auf DVD gibt? Das kann nicht der Sinn des Theaters sein und dieser Kunst sollte man wahrlich auch mehr Freiheiten belassen als lediglich jene, das Stück auf so außergewöhnlich (wie ich zumindest fand, auch für Greifswalder Verhältnisse, würde ich meinen?!) nachzuahmen, dass der Zuschauer in die entzückende Lage versetzt wird, nicht nur das Ergebnis mit seinen augen zu verfolgen, sondern auch noch unmittelbar die Produktion des dort an die Leinwand Geworfenen.
Film allein? nein, also wirklich… Das ist schnurz-langweilig – das wolleddn wir nicht. Freiheit der Kunst – und so weiter und so fort.
Sollte unser werter Gastautor das wirklich wartet haben, hätte er, bei aller Liebe, einfach zu Hause bleiben sollen und die DVD einwerfen sollen, was ich ihm auch künftig rate, sollten ihn derlei Abweichungen so empfindlich treffen.
huch! ein ganzer Text ist es nun geworden… so viel, was ich für so selbstverständlich hielt.
Aber lieber Admin, eins noch: Anonymität? Dann hätte ich mir doch wirklich eine andere E-Mail-Adresse gesucht, meinst du nicht auch?