Unwort des Jahres 2013: „Sozialtourismus“

Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat den Begriff „Sozialtourismus“ zum Unwort des Jahres 2013 gekürt. Mit diesem Titel machen Sprachwissenschaftler seit inzwischen 23 Jahren auf Begriffe der öffentlichen Kommunikation aufmerksam, die in besonderem Maß gegen das Prinzip der Menschenwürde oder das Prinzip der Demokratie verstoßen, die einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren oder die euphemistisch, verschleiernd oder irreführend sind.

sozialtourismus(Screenshot duden.de)

AUSDRUCK GEZIELTER STIMMUNGSMACHE GEGEN UNERWÜNSCHTE ZUWANDERER

In der Begründung der Jury heißt es, dass die Bezeichnung „Sozialtouristen“ im Zusammenhang mit der Diskussion um erwünschte und nicht erwünschte Zuwanderung nach Deutschland von einigen Politikern und Medien dazu benutzt wurde, um gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer, insbesondere aus Osteuropa, zu machen:

Das Grundwort „Tourismus“ suggeriert in Verdrehung der offenkundigen Tatsachen eine dem Vergnügen und der Erholung dienende Reisetätigkeit. Das Bestimmungswort „Sozial“ reduziert die damit gemeinte Zuwanderung auf das Ziel, vom deutschen Sozialsystem zu profitieren. Dies diskriminiert Menschen, die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu.

Der Ausdruck „Sozialtourismus“ reiht sich dabei in ein Netz weiterer Unwörter ein, die zusammen dazu dienen, diese Stimmung zu befördern: „Armutszuwanderung“ wird im Sinne von „Einwanderung in die Sozialsysteme“ ursprünglich diffamierend und nun zunehmend undifferenziert als vermeintlich sachlich-neutraler Ausdruck verwendet. Mit „Freizügigkeitsmissbrauch“ wird denjenigen, die die in der EU jetzt auch für Menschen aus Bulgarien und Rumänien garantierte Freizügigkeit nutzen, ein kriminelles Verhalten unterstellt. Der Ausdruck „Sozialtourismus“ treibt die Unterstellung einer böswilligen Absicht jedoch auf die Spitze.

Zur Unwort-des-Jahres-Jury gehören die vier Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Nina Janich (TU Darmstadt), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald), PD Dr. Kersten Sven Roth (früher ebenfalls Uni Greifswald, seit mehreren Jahren an der Universität Zürich), Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier) sowie der Journalist Stephan Hebel (Frankfurter Rundschau). Der Platz des jährlich wechselnden Jurymitglieds wurde in diesem Jahr vom Schriftsteller Ingo Schulze besetzt.

Die Unwörter der vergangenen drei Jahre lauteten „Opfer-Abo“ (2012), „Döner-Morde“ (2011) und „Alternativlos“ (2010).

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