Vom Horror der Harmonie — der Theaterjugendclub brilliert mit Rebekka Kricheldorfs „Homo empathicus“

Eine Theaterkritik von Florian Leiffheidt

Man stelle sich eine Welt vor, in der es keine negativen Empfindungen gäbe. Eine Welt ohne Schimpfworte, Beleidigungen oder Niederlagen, kurzum: eine Welt, in der es ausschließlich Positives gibt. Und das nicht zuletzt, da alles andere nicht existieren darf. Sollten dennoch Probleme auftreten, werden sie von einem „Wegsprechenden“ einfach so lange besprochen, bis selbst Negatives zum Guten gewendet werden kann. 

Eine solche Welt präsentiert die jüngste Produktion des Theaterjugendclubs des Theaters Vorpommern, die am gestrigen Abend im ausverkauften Rubenowsaal Premiere feierte. „Homo empathicus“, ein Stück von Rebekka Kricheldorf aus dem Jahre 2014, entführt in eine Welt voller Positivismus und Kooperation. Egoismus und Konkurrenz sind in dieser Welt ebenso unerwünscht und nicht angemessen wie auch klare Geschlechterzuordnungen; von Sexualität ganz zu schweigen.

Homo Empathicus

(Foto: Vincent Leifer)

Was auf den ersten Blick erstrebenswert erscheinen mag, entpuppt sich in der Inszenierung von Karina Kecsek und Markus Voigt schnell als eine eher befremdliche und skurrile Gesellschaftsordnung. So sind die Menschen dazu angehalten, negative Gefühle, beispielsweise Liebeskummer, stets zu unterdrücken und stattdessen mantrahaft zu betonen, dass man das Alleinsein doch liebe und sich weiter entwickeln wolle.

Selbstoptimierung mittels Wegsprechen

Doch damit nicht genug: in der Welt des Homo empathicus gilt auch das Primat der Selbstoptimierung: Nicht das Essen, was man möchte, wird geliefert, sondern das, was einem wirklich gut tue — natürlich ausschließlich der Gesundheit zuliebe.

Bei dennoch auftretenden Problemen im Leben der „neuen Menschen“ wird ein Besuch bei einem seltsamen Arzt empfohlen. Dieser gleicht eher einem Guru , der im Stande sei, die unliebsamen Probleme der Menschen wegzusprechen. Das Wegsprechen ist jedoch fern jeglicher Form von Problemlösungen! So herrschen in der Welt von Kricheldorfs Stück seltsame Formen ständig guter Laune und problemloser Kommunikation. Eine Welt, die dann ins Wanken zu geraten scheint, als auf einmal zwei seltsame „Wilde“ auftauchen, welche die vorherrschenden Konventionen der neuen Menschen zu ignorieren, gar zu bekämpfen, versuchen

Starkes, berührendes Theater

Der Inszenierung des Theaterjugendclubs gelingt, nicht zuletzt dank großartiger Leistungen der Darstellenden, ein packender Abend voller intensiver und berührender Momente. Fast ist man geneigt, nicht daran denken zu wollen, dass hier Jugendliche auf der Bühne ihr Können zum Besten geben. Zweifelsohne kann das, was man an diesem Abend sieht, ohne Abstriche mit Produktionen des Großen Hauses mithalten! Wieder einmal zeigt sich, wie packend, spannend und intensiv Theater sein kann.

Angesichts dieser gelungenen Inszenierung ist es umso trauriger, erwähnen zu müssen, dass es die letzte Produktion unter der Leitung der Theaterpädagogin Karina Kecsek ist. Sie wird das Haus zum Ende der Spielzeit verlassen. Bleibt zu hoffen, dass mit ihr nicht auch das hohe Niveau der theaterpädagogischen Produktionen von Bord gehen wird — es wäre jammerschade!

Homo empathicus

Stück von Rebekka Kricheldorf

Spielleitung: Karina Kecsek / Markus Voigt

Dauer: ca. 50 Minuten, keine Pause

Termine:

  • 23.06.2017, 20 Uhr, Theater Vorpommern, Rubenowsaal (Karten)
  • 24.06.2017, 20 Uhr, Theater Vorpommern, Rubenowsaal (Karten)

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Florian Leiffheidt studiert derzeit Germanistik und Philosophie in Greifswald. Er absolvierte Dramaturgie- und Regiehospitanzen am Theater Vorpommern, u.a. bei Katja Paryla und Uta Koschel. Zudem inszenierte er 2012 am Studententheater Ionescos „Unterrichtsstunde“ und war bis 2013 bei der „Opernale“ tätig.

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