Assimilation in der Lokalredaktion

Die jungen freien Redakteure der Ostsee Zeitung produzierten in der jüngeren Vergangenheit in meinen Augen die lesenswerteren Artikel. Einer von ihnen ist Matthias J., der mich mit mehreren Reportagen begeistern konnte.

Leider scheint die Assimilation in die Lokalredaktion und die Anpassung an den vorherrschenden Wertekanon schneller abzulaufen, als ich vermutete. J. kam heute die zweifelhafte Ehre zuteil, Guten Tag, liebe Leser! zu gestalten. Es ging diesmal weder um Hundekot noch um Pedalritter Fahrradfahrer, nicht um Schandflecken oder Falschparker. Heute wurde sich wieder im publizistischen Greifswalder Lieblingsvolksport geübt: dem Graffiti-Bashing.

Laut J. sind 90% alle illegalen Graffiti „nicht nur häßlich, sondern […] [sorgen] regelmäßig auch für schockierte Haubewohner und leere Kassen bei denen, die es teuer beseitigen lassen müssen.

Eigentlich möchte der Redakteur auf eine Veranstaltung am kommenden Wochenende hinweisen, auf der die Mauern am Ryck eine optische Generalüberholung erfahren sollen. Und eigentlich möchte er auch darauf hinweisen, dass „Graffitikunst und illegale Schmierereien nicht gleichzusetzen sind„. Aber genau das tut er leider, denn sein Kriterium, den künstlerischen Wert der Wandmalereien zu bemessen, ist juristischer, nicht ästhetischer Natur. Schade, zumal der junge Mann doch selber Kunst studiert.

11 Gedanken zu „Assimilation in der Lokalredaktion

  1. Naja, aber du kannst nicht sicher sagen, dass das wirklich 1:1 sein Text ist. Meine Erfahrungen mit Tageszeitungen (und gerade bei glossenartigen Texten) war, dass dort oft noch von mehreren Leuten kräftig am Text gearbeitet wird, ohne, dass die Autorenangabe sich ändert. Und das oft auch ohne Rückfrage. Also insofern war er das möglicherweise gar nicht selbst und erst irgendein OZ-Redakteur hat den Text vermkurkst…

    Was stimmt: Die bisherigen Aritkel von Matthias gehörten stilistisch und qualitativ zu den lesenswertesten im OZ-Lokalteil der letzten Monate…

  2. Wenn er schreibt, das 90% aller illegalen Graffiti häßlich sind, hat er imho recht. Der Großteil besteht nur aus Filzstift-Krakeleien, für die man 10 Sekunden braucht.
    Wenn es wirklich Kunst ist, in dem Sinne, das auch Seele drinsteckt, finde ich es okay, aber das Gekrakel ist einfach nur Sachbeschädigung.

  3. @mens sana:
    ich kann an tags auch nichts finden, aber in der diskussion findet leider eine differenzierte betrachtung der verschiedenen Ausprägungsformen nicht statt, so dass auch die bilder unter sachbeschädigung subsummiert werden.

  4. Wenn Sprayer mit Hubschraubern gejagt werden und als Schwerkriminelle dargestellt werden, dann übersteigt das mein Gerechtigkeitsempfinden. Klar, finde ich nicht jede Wandbemalung schön, aber viele der Graffiti haben dem urbanen Raum doch erst die Farbe wiedergegeben. Eine bemalte Brücke oder Bahn empfinde ich einfach als das tollste an der Stadt.

    Dass nun die Tags auch auf Scheiben eingeritzt werden, ist nur eine Folge davon, dass Tags, die mit Edding gemacht wurden, schnell entfernt werden, und man als Writer doch etwas bleibendes nach dem Motto „Leave your mark on society“ hinterlassen möchte. Da wird der Kampf nur verschärft.

    Wie dem auch sei, Samstag wird gesprayt, getagt, gebreakt und viel mehr!

  5. Hast Recht Jockel, aber um Bilder zu machen muss man erstmal den Mumm haben mehr als 30 Sekunden an einem Ort zu verweilen.
    Einige -weiße- Häuser hier sehen aus wie ne öffentliche Toilette , das wird das Verständnis eher nicht fördern 🙂

    Ich finde diesen 1-up-Pilz todesgeil, aber nur einer ist schön gemacht, die anderen sind wieder nur hingeschmiert 🙁

  6. Tja, ich glaube das grundsätzliche Problem, dass die meisten Leute in dieser Hinsicht haben, ist eine mangelhafte Kenntnis und eben auch ein mangelndes Interesse an der subkulturellen Ausdrucksform. Graffiti ohne Tags gibt es nunmal nicht. Und wer sagt: „bunte Bilder, die man erkennen kann, finde ich klasse, aber Tags dürfen nicht sein“ der verleugnet Graffiti nunmal. Ich erwarte jetzt nicht, dass das jeder versteht, das wäre zu viel verlangt. Im Gegenteil, ich kann sehr wohl nachvollziehen, dass die breite Öffentlichkeit Tags an einer Wand scheiße findet. Aber das eine geht nicht ohne das andere. Eine (Sub-)Kultur ist doch kein Supermarkt, wo sich die Schönen und Reichen aussuchen können, was passiert, den Rest lässt man beiseite. Und genau das ist es eben auch, was die Bewegung, so möchte ich es mal nennen, ausmacht. Jagt doch die Jungs und Mädels mit Hubschraubert, gründet Sokos, setzt euch nachts in eure verkackten Züge, macht Hausdurchsuchungen, erhebt Repressalien: ihr werdet sie NIEMALS aufhalten können.

  7. Beim heutigen Lesen der OZ fällt mir auf, dass auf der vorletzten Seite der gleiche Artikel über die Toilettensanierung im Hengste-Park zu finden ist, wie er auch schon am Samstag im Lokalteil zu lesen war 😉 Wie war das mit der rechten und der linken Hand?

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