Seit gestern sind die lodernden Studentenproteste auch in Greifswald spürbar geworden, oder nicht? Um 16 Uhr fanden sich einige wenige zum Protestieren im Audimax ein, überall wurde von Besetzung gesprochen bzw. geschrieben. Aber Besetzung sieht anders aus.
Keinen Ärger mit dem Wachdienst
Allgemeine Erleichterung machte sich bemerkbar, als die Uni-Leitung mitteilte, die Proteste vorerst in den Räumlichkeiten dulden zu wollen, und die Nachricht, dass der Wachdienst nicht um 22 Uhr abschließen würde, sorgte für Euphorie im Revolutionstaumel. Die Befürchtungen bezüglich des Wachdienstes sind symptomatisch für das, was derzeit in der Rubenowstraße geschieht. Zahnlose Tiger träumen von der Revolution und laben sich an der Auch-in-Greifswald-wird-was-besetzt-Stimmung. Es weht ein Hauch von 1968 durch die Köpfe und das Gebäude, mehr aber auch nicht.
In den Kommentaren des webMoritz wird das Problem sichtbar: Da entsolidarisieren sich einerseits Studierende, wie jene mit dem Benutzernamen Juliane: „Hahaha, da die uni-verwaltung es wohl erlaubt hat, kann von „Besetzung“ keine rede mehr sein! Traurig traurig, dass die Asylanten der Uni anderen ihre Hörsäle blockieren und sie so am lernen hindern.“
Während andererseits über die Rolle des ASta, der sich bisher noch nicht für die vermeintlichen Besatzer stark gemacht hat, diskutiert wird: „Nein ret marut, das wurde nicht vom StuPa beschlossen! Es wurde die Idee eines bundesweiten Aktionstages begrüßt und der AStA beauftragt mit den BD-Organisatoren diesbezüglich zusammenzuarbeiten. Das StuPa hat keine Besetzung beschlossen und auch nicht den AStA beauftragt.“ (Thomas Schattschneider)
Eine Minorität macht auf Studentenunruhig
Unterdessen berauschen sich die Protestler im Hörsaal 4 an ihrem Aktionismus und geben sich studentenunruhig; obwohl sie nicht mal 0,5% der Immatrikulierten ins besetzte Uni-Gebäude locken konnten. Am späteren Abend wurde dann ein Foto durchs Netz geschickt, dass trotzig verkünden will, dass man willens sei, auch nachts die „Besetzung“ aufrechtzuerhalten.
Das Bild spricht für sich, vermutlich wurde deswegen kurz darauf wild getwittert, dass sich inzwischen schon mehr Schlafsäcke im Audimax befänden. Dann wurde Bier und Musik organisiert und die Aktion vermittelte immer mehr den Charme einer studentischen Pyjama-Party.
Stell dir vor, es ist Besetzung und keiner geht hin
Die Ostsee-Zeitung macht sich in der heutigen Ausgabe über die Ereignisse des gestrigen Abends lustig:
„Das Fernsehen war da, der Pressesprecher der Uni, Redakteure des Webmoritz und auch die OZ (nur inoffiziell) hatten erfahren, dass gestern 16 Uhr in Greifswald ein Bildungsstreik im Audimax per Besetzung des Hörsaals 5 beginnen sollte. Und ein paar Leute mit Schlafsäcken erschienen. Andere standen nur rum – aber keiner wollte verantwortlich sein, Ziele formulieren oder so. Nach 20 Minuten machte der Scherz die Runde: Die Zahl der Anwesenden reicht nur zur Toilettenbesetzung. Und: Die suchen einen freien Hörsaal. Der wurde in Hörsaal 3 gefunden. In der 5 fand eine Vorlesung statt.“
Dass aber in der vergangenen Nacht noch etwas entwickelt wurde, konnte Redakteur Eckhard Oberdörfer zu Redaktionsschluss nicht ahnen. Aber bereits am Vormittag korrigierte die OZ via Twitter ihre Berichterstattung und veröffentlichte einen Online-Artikel.
Auch Greifswald TV hat es irgendwie geschafft, im Rekordtempo einen kurzen Beitrag über die Besetzung zu produzieren (ab Minute 05:32), und bringt darin sogar den Fleischervorstadt-Blog ins Fernsehen. Ich fühle mich gebauchpinselt. Wo aber bleiben eigentlich die Kommilitonen von Moritz TV? Und was ist mit Radio98eins?
Zurück zu den Besetzern ins Audimax. Heute wurden die ersten Arbeitsergebnisse der Nachtschichten veröffentlicht, dazu zählen ein alternativer Raumplan und eine Grundsatzerklärung, die auf dem eigens ins Leben gerufenen Streikblog erschienen ist. Um 16 Uhr wird ein großes offenes Plenum im Audimax stattfinden. Dort wird sich zeigen, wie es weitergeht.
Es regt sich was im Audimax, aber als 1968 Unruhe in der Luft lag, muss es anders gerochen haben. Damals wurde zwar weder getwittert noch gesocialt, aber es ging doch irgendwie mehr um den Kampf für das Ganze.
hier mal ein Flugblatt von der Rektoratsbesetzung aus dem Jahr 2005 http://bit.ly/3D12Rm
„Es ging doch irgendwie mehr um den Kampf fürs Ganze“ ist doch mal eine klare inhaltliche Aussage.
„webmoritz: Vor wenigen Minuten erreichte uns die Nachricht, dass der AStA sich von der Besetzung distanziert! Jetzt: Plenum zur Besetzung im HS 1.“ (Twitter)
Peinlich für die BesetzerInnen und noch viel peinlicher für den AStA!
wieso Peinlich für die BesetzerInnen? ich wüste nicht was die damit zu tun hätten. Es ist auf jeden Fall peinlich für den AStA
Solidarität zwischen Progressiven Studentischen Kräften sieht andres aus aber vielleicht sollte ich den Greifswalder AStA nicht als Progressiv einschätzen
Auf die Gefahr hin, Klischees zu bedienen, kommt es mir doch so vor, als ob an dem Spruch: „Der Deutsche streikt nur auf dem Dienstweg.“ doch irgendwas dran ist.
Vielleicht sollte sich mal jemand die Mühe machen, auf welchem Lehrplan das Prostest-Seminar stand, das hier einen aktuellen Anstrich fand (oder war es eine Hausarbeit?).
was können denn die anwesenden „besetzer“ dafür, dass die veranstaltung legalisiert wurde? sollen sie jetzt sagen: das rektorat will keinen konflikt und evtl sogar verständnis-jetzt müssen wir fix ein anderes feindbild aufbauen oder schnell den saal verlassen und den freiraum zur diskussion verlassen?
finde ich sehr schwach und kurz gedacht, lieber jockel…
p.s. der asta ist völlig unkooperativ, voller vorurteile, nicht informiert, was vor ort passiert und schlichtweg unsolidarisch. richtig krasse kinderkacke und für mich nun endgültig gestorben.
@miko:
die „besetzer“ können nichts für die legalisierung ihrer veranstaltungen. ich referierte auf die tweet-sammlung (http://blog.17vier.de/?p=3757), in der stand:
„Gegenargumente: um 22 Uhr kommt der Wachdienst und will abschließen.“
das wirkte einfach nicht besondern, äh, feurig. rektorat ist ja auch nicht zwangsläufig das feinbild.
deine meinung zum asta teile ich.
Die protestierenden Studenten, genauer gesagt die sie anheizenden Studenten-Funktionäre, deren „Stellungnahmen“ man in den letzten Tagen vor allem auf D-Radio hören konnte/musste, sind mittlerweile in ihrem Denken konservativer als die Professoren, die 1968 die damaligen Studierenden aus den Hörsälen vertreiben wollten. Kein Wunder, dass das kaum noch jemandem hinter dem Ofen hervor lockt.
Ehrlich gesagt, bin ich nicht sonderlich überrascht,
über diese zaghafte Studentenbewegung (in Bezug zu ernsten Themen) hier in Greifswald. 0,5 % oder 1 Student von 200 ist wirklich ein verdammt trauriger „was-gehts-mich-an“-Stimmungsindikator – nix mit Bewegung.
„ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ ist offensichtlich nicht nur ein alter schicker Song sondern leider auch Geschichte – sehr schade das alles!
Trotzdem Hut ab vor denen, die mitmachen!