Pop am Wochenende: King Tino „HGW“

Die Reihe “Pop am Wochenende” versammelt Greifswalder Musikgeschichte und hält über das klangliche Gegenwartstreiben in der wilden Provinz auf dem Laufenden.

Es ist Nacht in Greifswald. Eine Gang sieht Krieg und beginnt eine Schießerei. Ein schwarzer BMW 5er rauscht um die Ecke, der dumpf-schleppende Dröhnbass des aufgerüsteten Autoradios eilt ihm voraus. Frauen auf der Rückbank bewegen sich stöhnend zum Rhythmus der Musik. Mit 100 km/h und dem Fuß auf dem Gaspedal schießt das Auto am Krankenhaus vorbei, auf dem Weg zu einem der unzähligen Clubs, in dem abgehalfterten Gangstern hin und wieder gezeigt werden muss, wer der Boss ist. Schlägereien stehe man offen gegenüber. Nach dem Clubbesuch geht es schnell nach Hause, denn dort soll noch gebumst werden – schließlich ist „banger banger time„.

(Foto: Shutterstock)

HGW-SLANG ROHLEXXXSCHER COULEUR

Dieses Szenario ist keiner drittklassigen, actiongelandenen Ghetto-Verfilmung entnommen –  Wort und Dröhnbass fabrizierte kein geringerer als King Tino, seines Zeichens Greifswalder Rapper mit Rohlexxxschem Stallgeruch, der sich des „HGWer Slangs“ bedient und mit ihm seine „Hood“ bewegt.

Und „Hier in HGW unser Hood“ muss der eigene Aktionsradius – allen für den Stolperrefrain verantwortlichen Deklinationsschwierigkeiten von Possessivpronomina zum Trotz – verteidigt werden. Fremden wird gleich eine Warnung vorausgeschickt, die an die Greifswalder Gastfreundschaft zu besten Zeiten der letzten Arndt-Debatte erinnert:

Was wollt ihr tun, wenn ihr in die Stadt kommt? Ihr macht auf cool und werdet krass gedongt gebombt.

So sieht es aus in der Gegend im Revier. Das ist Greifswald und nur die schönsten Leute wohnen hier.

Viel mehr bleibt über das Lied kaum zu sagen: ein 21jähriger Frauenfeind mimt den halbstarken Gangster, rappt trostlos und vor allem ohne Verve vor sich her und malt sein ganz eigenes Düsterbild der Stadt, träumt vom dicken Auto und ein bisschen Anerkennung.

Der Sprechgesang quält sich ungelenk über den RTL-Dokusoap-Beat und erwartungsgemäß kommt sprachlich auch nichts bei herum. Paradebeispiel für die ganz große Reimkunst?

Die besten Leute sind von hier,

die besten Rapper sind von hier.

Zeit für eine Kostprobe, here is King Toni!

REIMGEWORDENE KRISENBEWÄLTIGUNG

Wer aber einigermaßen widerstandsfähig und noch immer nicht abgeschreckt ist, sollte sich einmal mit dem youtube-channel des selbstbewußten Ghetto-Bardens beschäftigen. Denn King Tino kann auch anders, wenn er verletzt, einfühlsam und beinahe zärtlich die Geschichte seiner ruinierten Kindheit (beziehungsweise Jugend) zwischen väterlicher Alkoholsucht und elterlicher Trennung erzählt.

Dementsprechend menschelnd klingen auch die Titel der Lieder: „Ein Zeichen von dir„,  „Schwesterherz„, „Tränenmeer„, „Depressionen“ (mit der besten Zeile seines gesamten Schaffens: „Rest in peace, Opa.„), „Papa ich liebe dich„, „Liebeslied„, „Bruderliebe„, „Liebe vs. Freundschaft„. Es will gar nicht mehr aufhören mit den Gefühlen – schlecht gerappt, aber voll emphatisch. Am Ende packt einen beinahe das Mitleid.

10 Gedanken zu „Pop am Wochenende: King Tino „HGW“

  1. ouh, kiddie-bashing… mir tun die leutz eher leid.
    klar sind die texte panne. aber naja… sommerloch?

    die neuankömmlinge werden übrigens „gebommt“
    [gebombt] -bekommen einen faustschlag ins gesicht-
    und werden nicht von einem dänischen energieerzeuger
    vor den kopf gestossen oder mit einem künstlichen penis
    malträtiert^^

  2. Ich lass mich von niemandem hauen, der nicht rappen kann! Mir will auch niemand so recht leid tun, der Intoleranz predigt und Gewalt sowie Sexismus verherrlicht – und dann auch noch so schlecht. Naja, für den Flow und die geklauten Beats bring ich vielleicht noch etwas Mitleid auf…

  3. @j: Danke für den Hinweis, der Fehler ist jetzt korrigiert.

    Von Sommerloch übrigens diesmal keine Spur, denn genau wie Rolexxx ist das ja ein (wenig schmeichelhafter) popkultureller Output Greifswalds und deswegen für diesen Blog relevant.

  4. @wayne:
    Danke für den erheiternden Link. Ich will am Ende ja nicht als Anti-HipHop-Propagandist dastehen. Und in Sachen HipHop-HGW ist ja keineswegs alles so daneben, wie die beiden letzten Beispiele, Stichwort Plattattack (übrigens dank der Suchfunktion zu finden, das komplette Album auf Platt steht zum kostenlosen Download bereit und wartet mit 2,3 richtig coolen Stücken auf).

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