Über 100 interessierte Zuhörerinnen besuchten am vergangenen Sonntag im Pommerschen Landesmuseum die Finissage zu Robert Conrads Ausstellung Heimatkunde, die seit ihrer Eröffnung am 1. Oktober 2012 mehr als 18.000 Besucher zählte. Damit konnte die im Januar um einen weiteren Monat verlängerte Ausstellung die zweitstärksten Publikumszahlen seit der Geburt der Romantik für sich verbuchen.
„Kulturfrevel“ im Geiste seiner Zeit
Nach kurzer Einführung durch Mario Scarabis bedankte sich Robert Conrad artig für den überwältigenden Publikumszuspruch und vermachte anschließend der Stadt eine seiner Fotografien, die an Ort und Stelle dem anwesenden Oberbürgermeister Arthur König (CDU) überreicht wurde. Nachdem Höflichkeiten und Ehrerbietungen ausgetauscht waren, las der Architekturfotograf Auszüge aus dem Buch Zerfall und Abriss sowie der Zeitschrift Horch und Guck.
Conrad verharrte nicht in den mitgebrachten Texten, sondern vermengte sie mit Erinnerungen und persönlichen Reflektionen, wodurch er immer wieder eine begehbare Brücke von den Achtziger Jahren bis in die Gegenwart schlug. Aus seiner Haltung zu den Flächenabrissen in der Greifswalder Altstadt machte er zu keinem Zeitpunkt einen Hehl: Die massenhafte Zerstörung historischer Bausubstanz bewertet er als „Kulturfrevel“, lenkte jedoch mit Verweis auf die alte Bundesrepublik, Schweden oder Großbritannien ein, dass diese „Geschichtsvergessenheit dem Zeitgeist entsprach.“
Die kleinteiligen Greifswalder Plattenbauten, die zu einem eigenen Typus wurden, waren „planungsgeschichtliche Sonderfälle“ und die grundlegenden Baumaßnahmen in der Hansestadt sollten als „Blaupause für den Umbau kleinerer Städte wie Bernau oder Gotha“ dienen.
Bauliche Brennpunkte heute
Mit Blick auf die gegenwärtig geplanten Abrisse in der Greifswalder Altstadt, zählte Robert Conrad mehrere bauliche Brennpunkte auf, an denen historische Bausubstanz durch Umgestaltungsabsichten bedroht ist. Angefangen beim Alten Speicher am Hafen, dessen Abriss bereits genehmigt wurde, über den klassizistischen Eckbau Knopfstraße/Loefflerstraße bis zum Gesellschaftshaus Stralsunder Straße 10, für dessen Rettung nach fünfjährigem Leerstand seit kurzem wieder ein Funken Hoffnung besteht.
Ein ebenfalls bedrohtes Ensemble — einer der ältesten Vorstadtbauten Greifswalds — befindet sich in der Brinkstraße 16-17. Nach dem der etwa 150 Jahre alte Gebäudekomplex verkauft wurde, erhielten alle Mieter und der dort residierende Bioladen die Kündigung ihrer Mietverträge zum 31. März. Der Abriss sollte 2014 erfolgen, doch inzwischen hat ein weiterer Eigentümerwechsel stattgefunden und die Zukunft der Brinkstraße 16–17 ist wieder offen.
Robert Conrad machte nach seiner Lesung Platz auf dem Podium für den Vertreter einer Arbeitsgruppe, die sich binnen kürzester Zeit mit dem Ziel gründete, dieses Objekt vor dem Abriss zu retten und die interessanten wie kostengünstigen Räume für Menschen und Projekte zu erschließen. Die Gruppe veranstaltet am Donnerstag (7.3.) im Koeppenhaus einen Informationsabend, auf dem sie ab 19.30 Uhr sich und das zu rettende Gebäude in der Brinkstraße vorstellen wird. Mehr Informationen dazu sind auf einem Flyer der Initiative (pdf, 121kb) gebündelt.
Zukünftige Möglichkeiten
In der anschließenden Publikumsdiskussion erntete Robert Conrad nicht nur Applaus, sondern auch Kritik. Peter Multhauf (Die Linke) — ein Befürworter des Flächenabrisses — störte sich an dem subjektiven Blick, den Heimatkunde auf Greifswald wirft. Der Kommunalpolitiker vermisste darin vor allem Fotografien, die den desolaten Zustand der Altstadt abbilden und merkte an, niemanden zu kennen, „der in den neugebauten Plattenbauten nicht gerne gewohnt hätte“.
Den Abriss der Kollwitz-Schule befürwortete der Vielredner („nicht erhaltenswert“) genauso wie Oberbürgermeister Arthur König, den wiederum Zweifel an einer rentablen Restaurierung des Alten Speichers plagten. Robert Conrad begegnete dieser Kritik mit einem Hinweis auf einen Speicher in Barth. Dabei argumentierte er für intelligente Nutzungskonzepte und eine kreative Sanierungen, die nötig seien, um den Verlust weiterer historischer Bauten in Greifswald zu verhindern.
Ungeachtet dieser Kritik an der subjektiven Dokumentation der verheerenden Umgestaltungen der Greifswalder Altstadt in den Achtziger Jahren bleibt zu resümieren, dass Heimatkunde nicht nur bezüglich der Besucherzahlen eine der erfolgreichsten Ausstellung war, die ihr Publikum wie kaum ein anderes Projekt dieser Zeit für die historische Bausubstanz der Stadt sensibilisierte und gleichsam als Impulsgeber für kommende baupolitische Diskussionen taugt.
(Fotos: Fleischervorstadt-Blog)
Herr Multhauf scheint wieder einmal zu verdrängen, welches System für den Erhaltungszustand der Altstadt verantwortlich war. Die Platte war alternativlos, weil das Baumaterial weder für die Erstellung von individuellen Eigenheimen noch für den Erhalt individueller Altstadtbauten gereicht hätte. So lange Bürger solche Repräsentanten wählen kann die gesellschaftliche Transformation zur Demokratie wohl nicht als abgeschlossen betrachtet werden.
@ Wissender: „Die Platte war alternativlos, weil das Baumaterial weder für die Erstellung von individuellen Eigenheimen noch für den Erhalt individueller Altstadtbauten gereicht hätte.“
Bei einer Stadt wie Greifswald, die damals einen enormen Bevölkerungswachstum durch die nuklearen Energieanlagen erfuhr, waren Plattenbauten nicht nur alternativlos, sondern auch ein enormer Fortschritt im Bereich des Wohnungsbaus. Multhaufs Aussage, er kennen niemanden, „er in den neugebauten Plattenbauten nicht gerne gewohnt hätte“, kann ich aus Gesprächen mit langjährigen Bewohnern aus Schönwalde I+II sowie Ostseeviertel in der Tendenz bestätigen. Die Plattenbauten dort gehörten mit zur modernsten Wohnsubstanz der DDR und waren heißbegehrt.
In der DDR gab es die Notwendigkeit, möglichst schnell möglichst kostengünstigen Wohnraum auf hohem Niveau herzustellen. Die Frage war also, ob mit dem eingeplanten Geld wenige Altbauwohnungen saniert werden oder mit der selben Menge Geldes viele moderne Plattenbausiedlungen errichtet werden sollten. In der DDR wurde die Frage zugunsten letzterer entschieden und damit das Wohn- und Lebensniveau vieler Menschen erheblich angehoben. (Und das alles zu bewusst sehr niedrigen Wohnmieten.) – Wir können das ja gerne mal mit a) dem maroden sozialen Wohnungsbau der 1970er und 1980er in der BRD oder b) dem Abriss ganzer Altstadtviertel in den 1960er und 1970ern vergleichen. (Einen Vergleich mit der derzeitigen renditeorientierten Gentrifizierungswelle erspare ich uns.)
„So lange Bürger solche Repräsentanten wählen kann die gesellschaftliche Transformation zur Demokratie wohl nicht als abgeschlossen betrachtet werden.“ – Solange solch platter Antikommunismus durch die Köpfe mancher wabert, kann von einer wirklich demokratisierten Gesellschaft in Deutschland wohl kaum gesprochen werden.
Eine Diktatur fragt selten, ob etwas durch Engagement und Eigeninitative erhalten werden kann, sondern verordnet. Wie sich ein solches Denken auf die Freiheit des Einzelnen auswirkt kann gerade wunderbar an der staatlich gelenkten Bauwut in China und der damit einhergehenden Landnahme nachvollzogen werden. Der Begriff ‚Alternativlos‘ ist im Liberalismus und der Finanzkrise ja gerade wieder in Mode gekommen und der Fortschrittsglaube allein wirkt auch nicht zwangsläufig sinnstiftend.
Zum zweiten Punkt: der Kommunismus war ein theoretisches Ideal aus dem Zeitalter der Industrialisierung, dass durch reale Formen des Sozialismus, Leninismus, Stalinismus, etc. im letzten Jahrhundert zweifelsfrei wiederlegt wurde.
1. alternativlos ist ein unwort (2010) und wirkt auf mich gerade bei einer solch komplexen thematik fast schon disqualifizierend.
2. die alte leier:
Ich kann da retmarut nur zustimmen. Auch im „Westen“ war nach dem Krieg die Wohnungsnot groß (nicht allein durch Kriegsschäden). „Platte“ wurde dort auch gebaut, ähnlich verdichtet und mit ähnlichen Ergebnissen, was (as)soziale Stadt etc betrifft.
Und im Westen war es nicht der Staat, der Modernisierung „verhinderte“, sondern die knappen Finanzen der Wohnungsinhaber. In den Bauten, die den Krieg überstanden haben, gab es auch im Westen bis in die 80er Jahre Treppenklo, Gemeinschaftklo oder sogar gar nix (Garnisionsviertel in Kiel z.B.).
Den Run auf die „moderne“ Platte gab es genauso, nur daß die Bürger mit mehr Einkommen dann begannen, Eigenheime vorzuziehen. Aber dafür gibt es im Osten (in hgw z.B. das kraftwerksviertel in Eldena) auch Beispiele.
Auf die Stadtfläche gesehen, hat der Weisten aber profitiert, da es dort keine massiven Flächenabrisse (Ausnahmen bestätigen die Regel) gegeben hat. Wer aber westdeutsche Innenstädte kennt, weiß um deren Trostlosigkeit durch die Nachkriegszeit. Duderstadt &Co. sind mit ihren Stadtkernen absolute Ausnahmen.