Eine Theaterkritik von Florian Leiffheidt
Wer am Samstagabend nicht zu denen zählte, die sich dem historischen Sportereignis widmeten, sondern sich ins Theater Vorpommern begab, konnte etwas ähnlich Seltenes, weil selten Gewordenes, erleben: Nämlich, dass Theater im Stande sein kann, zu berühren und zu packen. Grund für dieses Erlebnis war die Premiere von Wannie de Wijns Stück „Der gute Tod“, inszeniert von Hannes Hametner. Und bereits vorab sei gesagt: Bei dieser Inszenierung stimmt alles!
„DER TOD IST EURE SACHE, MEINE IST DAS STERBEN“
De Wijn widmet sich in seinem Text einem schwierigen, weil kontroversen, Thema – Sterbehilfe oder, wie es eine der Personen auf der Bühne am Abend nennen wird: Euthanasie. Dabei bezieht das Stück keine Position, zeigt nicht den Prozess bis zur Entscheidung, sondern thematisiert, wie Angehörige und Freunde mit dem Entschluss umgehen.
Bernhard Keller (Marco Bahr) hat Lungenkrebs im „terminalen Stadium“; ihm bleiben zwei Wochen, wahrscheinlich unter starken Schmerzen und mit stetiger Angst vor seinem Tod. Um sich dieser zu entziehen, hat er seinen besten Freund und Arzt, Robert (Lutz Jesse), gebeten, ihn von seinem Leid zu erlösen. Geschehen soll dies in Bernhards Haus, im Kreise seiner Lieben: seiner neuen Lebensgefährtin Hannah (Katja Steuer) und der geliebten Tochter Sam (Susanne Kreckel). Sie ist es schließlich, die auch die beiden Brüder von Bernhard ins Haus einlädt: den Geschäftsmann Michael (Markus Voigt) – der vor zwanzig Jahren selbst mit Hanna liiert war – und den verhaltensauffälligen kleinen Bruder Ruben (Alexander Frank Zieglarski).
Sie alle versammeln sich, um ihren Freund, Bruder, Partner, Vater in seinen letzten Stunden zu begleiten, bei ihm zu sein. Denn am nächsten Morgen um neun Uhr ist alles vorbei – so ist es Bernhards Wille.
ZWISCHEN PARTY UND BEGRÄBNISSTIMMUNG – FABELHAFTE ENSEMBLELEISTUNG
Aus dieser Situation heraus entwickelt sich ein Abend, der stets zwischen Trauer und Freude, zwischen Ohnmachtsanfällen und Hilfestellungen und auch zwischen Zu- und Abneigung zu schwanken vermag. Und dies nicht zuletzt dank einer fabelhaften Leistung des Ensembles!
Da ist Katja Steuer als Hannah, „die Neue“ in Bernhards Leben und auch seinem Haus. Stets sieht sie sich Anfeindungen und Zweifeln an ihrer Liebe ausgesetzt: zunächst von Sam, dann in wesentlich verächtlicherer Form auch von Michael, der an seinen „alten Schmerz“ erinnert und sie als habgierige „Spinne“ bezeichnet. Großartig ist es, Markus Voigt in der Rolle des Michael als herrlich unsympathisch, zugleich aber auch als familiären Entertainer zu erleben. Steuer gelingt der Spagat zwischen der liebenden, fürsorglichen Lebensgefährtin und der sich ewig Verteidigenden. Susanne Kreckel spielt Bernhards Tochter Sam so, dass man mit ihr lachen, weinen und (ver)zweifeln will. Stets ist sie versucht, ihren Vater doch noch zum Aufschieben seiner Tötung zu bewegen – nicht zuletzt, da sie ihm noch „so viele Fragen“ hätte stellen wollen.
Ebenso leidet man mit Ruben, wenn er sich von seinem großen Bruder verabschiedet: so glaubhaft mimt Alexander Frank Zieglarski das Langsame, Schwerfällige seiner Figur, ohne dabei auch nur ansatzweise albern oder verflacht zu wirken. Zudem stellt er sein pianistisches Talent unter Beweis, wenn er sich in seiner Rolle ans Klavier setzt, während die restlichen Personen über das Für und Wider von Bernhards Wunsch diskutieren. Hier zeigt sich auch die Zerrissenheit von Michaels bestem Freund Robert, fabelhaft gespielt von Lutz Jesse: Er ist zum einen Arzt, der das Leiden von Bernhard beenden will und kann, zum anderen der Freund, der nicht mit der Tötung auf Verlangen zurechtkommt. Sein Zusammenbruch auf der Bühne zu klassischer Musik geht durch Mark und Bein, man möchte rufen: Es ist nur ein Stück!
Doch es wird nicht nur gelitten. Ganz im Gegenteil: Hametners Inszenierung bietet eine Menge Humor, gipfelnd in einer Art Sänger-Staffellauf mit Melodien von Kinderliedern bis Westernhagen – eine Art musikalischer Lauf des Lebens? Das Nebeneinander von Lachen und Weinen ist es, was diese Inszenierung ausmacht. Selbst wenn Marco Bahr zum Schluss in seinem Bett liegt – wissend, dass es seine letzte Nacht sein wird –, ist doch noch Platz für gut gesetzten (Galgen-) Humor. Eben jener Marco Bahr ist es auch, der seiner Figur, der Titelfigur des Stückes, eine ergreifende Tiefe gibt. Man spürt, wie sehr Bernhard mit seinem Leben abgeschlossen hat, wie fest sein Entschluss für den Tod und gegen das Weiterleben stehen muss.
Dennoch quält auch ihn die Frage nach dem „Warum?“, als er – in einem wunderbar gesetzten Bild – seine Liebsten Tischtennis spielen sieht. Bahr zeigt in seiner Rolle auf erschreckend echte Art und Weise einen Mann, der aufgegeben – oder vielmehr, sich seiner Krankheit ergeben – hat.
GELUNGENE INSZENIERUNG – ENDLICH!
Hametners Inszenierung glänzt durch eine einfache, wenngleich in der letzten Spielzeit selten vorhanden gewesene Tatsache: Es passt alles zueinander, von der wunderbaren Besetzung über das Bühnenbild (Bühne/Kostüme: Giovanni de Paulis), der Wohnung mit Blick in den Garten inklusive Tischtennisplatte als Zeichen für das Leben, der Zypresse als Zeichen für den Tod. Dazu kommt eine Regenanlage, welche die Stimmung des Stückes – oder vielmehr dessen Ausgang – konstant verdeutlicht. Auch die Musikauswahl scheint wie gemacht für das Stück und dessen Inszenierung, gleich, ob es sich um klassische Musik oder Leonhard Cohens „Show me the place“, welches für eines der schönsten Bilder des Abends sorgt, handelt.
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Bernhard Keller stirbt am nächsten Morgen um neun Uhr. Man sieht in die weinenden Blicke der Angehörigen, hört ihre letzten Worte. Dann herrscht Stille, unerträgliche Stille. Blickt man sich um, sieht man in weinende Augen bei den Zuschauern. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, der Satz: „Er ist gestorben.“ Und wieder lange Stille – bis zum großen Applaus mit vereinzelten Standing Ovations. Man klatscht und bedauert, dass die Premiere aus gegebenem Anlass nicht zwei Stunden vorverlegt wurde. So eine gelungene Inszenierung verdient mehr Publikum. Schließlich musste man lange warten, um sagen zu können: „Bravo! Richtig! Weiter!“
Der gute Tod
Schauspiel von Wannie de Wijn
Inszenierung: Hannes Hametner
Ausstattung: Giovanni de Paulis
Dramaturgie: Franz Burkhard
Nächste Vorstellung in Greifswald: 1. Juni
Infos und Karten: Theater Vorpommern
(Fotos: Gunnar Lüsch, MuTphoto)
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Florian Leiffheidt studiert derzeit Germanistik und Musikwissenschaft in Greifswald. Er absolvierte Dramaturgie- und Regiehospitanzen am Theater Vorpommern, u.a. bei Katja Paryla („Nachtasyl“, 2011) und Uta Koschel („Das Fest„, 2012). Zudem inszenierte er 2012 am Studententheater Ionescos „Unterrichtsstunde“ und ist derzeit als Regieassistent bei der „Opernale“ 2013 tätig.
Ein Gedanke zu „Weiter so! — Wannie de Wijns DER GUTE TOD begeistert Greifswalder Publikum“