Eine Theaterkritik von Florian Leiffheidt
Selten aufgeführte und somit unbekannte Dramen zu zeigen, scheint dem Theater Vorpommern seit dem Wechsel der Intendanz im Sommer 2012 ein großes Anliegen zu sein: Nachdem in der letzten Spielzeit Die Ballade vom traurigen Café und Gerhart Hauptmanns Der weiße Heiland inszeniert worden sind, gab es nun also Friedrich Hebbels Gyges und sein Ring.
Angesichts der Fülle möglicher Themen und gesellschaftlich interessanter Fragestellungen, die dieses Dramas bietet, mag man sich fragen, warum es so selten inszeniert – also in Szene gesetzt – wird. Die Handlung der Hebbel’schen Tragödie ist dagegen schnell zu formulieren: Kandaules, der König von Lydien, hat eine Frau, die als die schönste Lebende gilt – doch darf außer ihm selbst niemand ihr Gesicht erblicken. Durch einen vermeintlichen Freundschaftsdienst des Griechen Gyges – vollbracht mittels eines Ringes, welcher seinen Träger unsichtbar werden lässt – nimmt das tragische, letztlich fatale Schicksal seinen Lauf.
TOLLE BILDER — STARKE DARSTELLER — LIEBLOSE INSZENIERUNG
Damit könnte die Rezension theoretisch auch schon enden, denn mehr als eben diese formulierte Handlung wird auch in der Inszenierung von André Rößler nicht erkennbar. In einem genialen – weil schlichten und gleichzeitig vielfältigen – Bühnenbild aus weißen Elastikbändern, welche sich im Laufe der Handlung mehr und mehr zu einem Netz formieren, werden eindrucksvolle Bilder geschaffen. Auch klanglich ist der Theaterbesuch ein Genuss, da die Sprache Hebbels nicht modernisiert, sondern glücklicherweise (!) im klassischen Ton belassen wurde. Jedoch geschieht nicht mehr; weder werden vorhandene Konflikte noch aktuelle Probleme und Fragen unserer Zeit veranschaulicht. Das ist schade, denn Potenzial wäre zweifelsohne vorhanden! Vermummung, Verschleierung, Ehre und Freundschaft, das Problem der zu „weichen“ Herrschaft, der Konflikt zwischen Kulturen – nichts, absolut nichts davon kommt in der Inszenierung zur Sprache, geschweige denn zur Be- oder Verhandlung.
Dabei hätte die Besetzung durchaus das Zeug zu eben solchen Problembehandlungen: Alexander Frank Zieglarski als Gyges mimt einen zunächst großen, siegreichen Helden, der mehr und mehr an seinem Schicksal scheitern und verzweifeln muss. Claudia Lüftenegger als Königin Rhodope wirkt zerbrechlich, verletzlich durch die Entblößung, ist zugleich aber auch stark und stolz bis zu ihrem eigenen Untergang. Marco Bahrs Darstellung des lydischen Königs Kandaules, der sich dem Königsring mehr und mehr hingibt, ja geradezu fügt, der eine neue Form der Regentschaft an den Tag zu legen versucht – sie ist herrlich anzusehen! So verhält es sich auch mit den Nebenfiguren: den beiden Sklavinnen Hero (Frederike Duggen) und Lesbia (Susanne Kreckel) sowie Kandaules’ Diener Thoas (Lutz Jesse).
Unglücklicherweise wird bei Letzterem das Unterwürfige jedoch – nicht zuletzt durch die Inszenierung – zu einem beinahe tölpelhaft dümmlichen Verhalten. Der Diener warnt zwar mehrfach seinen Herren, diese Warnungen kommen jedoch nicht zur Geltung: sie verpuffen einfach, leider! Auch wenn ein höchst spannender und für den Inhalt des Stückes so bedeutsamer Schwertkampf derart lieblos auf die Bühne gebracht wird, wie es an diesem Abend geschah, stellt sich die Frage, wie viel Herzblut bei der Inszenierung geflossen sein mag. Es scheint an einigen Stellen, als hätte man sich rein auf den Text verlassen wollen. Das ist durchaus löblich. Aber reicht eben dieses „Reduzieren“ aus – oder hat man sich am Ende gar ver-reduziert?
DER RING ALS MENSCH — BELIEBIGKEIT ALS REGIEKONZEPT?
Einen Einfall jedoch gibt es in Rößlers Inszenierung. Der Ring wird zu einer eigenständigen Figur (Lisa Marie Schult) – ein gelungener Einfall, ohne Zweifel! Die Umsetzung dieses Einfalls jedoch ist geradezu beispielhaft für die Beliebigkeit in der Inszenierung. Der Ring – statt tatsächlich zu einer Figur zu werden, welche verführen, betören, am Ende gar beherrschen kann – wechselt zwischen Tanz und Gollum’schen Bewegungen. Motive sind dabei aber leider nicht erkennbar: Warum der Ring tanzt, oder auch, für wen er tanzt, erschließt sich nicht.
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Das Drama endet tragisch und – in dieser Inszenierung – wenig dramatisch. Black. Stille, anhaltende Stille erfüllt den für eine Premiere eher dürftig gefüllten Saal. Dann, nach zweifacher vergeblicher „Applaushilfe“ – um es freundlich auszudrücken – beginnt der Premierenapplaus. Nicht lang, nicht frenetisch – normaler Applaus. Normaler Applaus für eine Inszenierung von zweieinhalb Stunden Länge voller ergreifender Bilder und teilweise großer Inhaltsleere. „GutdasistdieFormaberwoistderInhalt“ heißt es in einem Gedicht von Heiner Müller. Etwas Passenderes könnte man nach diesem Abend kaum fragen.
GYGES UND SEIN RING
Inszenierung: André Rößler
Dramaturgie: Franz Burkhard
Bühne und Kostüme: Simone Steinhorst
Darsteller: Marco Bahr, Frederike Duggen, Lutz Jesse, Susanne Kreckel, Claudia Lüftenegger, Lisa Marie Schult, Alexander Frank Zieglarski
Nächste Vorstellungen in Greifswald: 8. November, 12. Dezember
Infos und Karten: Theater Vorpommern
(Fotos: Theater Vorpommern)
@Florian: Wenn die Darstellung des Rings für dich ein gelungener Einfall ist, warum erschließt es sich für dich nicht, für wen der Ring dies oder jenes macht? Ist der Einfall nun gelungen oder nicht? Mit den beiden getätigten Aussagen widerspricht du dich nämlich mehr als offensichtlich. Und die paar verirrten Leute, die schon in die Abblendung des Bühnenlichts hineinklatschen als eine Art von „Applaushilfe“ zu bezeichnen ist für mich nur eine etwas billige Polemik. Was ernsthaft kritikwürdig wäre, was ich aus Gesprächen mit anderen Stammgästen des Theaters herausgehört habe, war die etwas bescheidene Akustik, denn weiter hinten sollen die Darsteller nicht mehr so gut verständlich gewesen sein.
Wo siehst du einen Widerspruch? Der Einfall, den Ring so darzustellen, das heißt, ihm das Talent zu geben, für Menschen zu tanzen, kann doch gelungen sein, während es an der Umsetzung, sprich der Vermittlung des Hintergrundes des Tanzes (um mal viele Genitive zu benutzen – Selbstreflexion: Guter Einfall, aber schlechte Umsetzung, viele Genitive zu verwenden?) hapert. Du kannst etwas gutes sagen wollen – der Einfall, es zu sagen, kann gut sein. An der Umsätsunk kan äs dännoch schaitän – um dir ein Beispiel zu geben.
Den Applaus kann ich nicht beurteilen, war schließlich nicht da. Würde mich interessieren, ob es eine Pause gab. Mein Senf auf Basis des Trailers dazugegeben: Bühnenbild wirkt gut, Kostüme nicht.