Wer hat das Großfeuer in der alten Chemie verursacht?

In den Morgenstunden des 26.10. wurde das seit Jahren leerstehende Institutsgebäude der Chemie durch einen Großbrand total beschädigt. Der hölzerne Dachstuhl ist abgebrannt, die dritte Etage eingestürzt. Aufgrund des vielen Löschwassers ist das Haus durchnässt.

(Foto: Torsten Heil / webMoritz)

Polizei: Erste Hinweise auf Brandstiftung

Die Polizei gibt inzwischen erste Erkenntnisse zur möglichen Brandursache bekannt:

„Er stellte fest, dass sich Unbekannte in der Vergangenheit über die hintere Front des  Gebäudes Zutritt verschafft und sich in einigen Räumlichkeiten über kurz oder lang aufgehalten haben müssen. Dafür sprechen auf den Fußböden vorgefundene zumeist abgebrannte Kerzen bzw. Teelichter, die letztendlich wegen der fehlenden Kontrolle zum Brand geführt haben könnten. Daher wird eine fahrlässige Brandstiftung nicht ausgeschlossen. Hinweise, die vermuten lassen, dass Personen im Gebäude genächtigt haben, wurden nicht gefunden. Die Ermittlungen dauern an.“ (Pressemitteilung der Polizei)

Demnach waren in der Vergangenheit — so unkonkret diese Zeitangabe auch sein mag — Menschen in dem Gebäude, dessen Fenster und Türen laut Uni-Pressesprecher Jan Meßerschmidt „in der unteren Etage mit massiven Holzplatten verschlossen“ waren. „Zusätzlich war das Gebäude durch einen Bauzaun gesichert“, heißt es in der Mitteilung der Uni-Pressestelle weiter. Außerdem seien „Medien wie Strom und Gas“ getrennt worden.

Institutstourismus zwischen Beschaffung und Nostalgie

Verschiedenen Medienberichten zufolge musste sich die Feuerwehr mit Motorsägen Zutritt zum Gebäude verschaffen. War das Objekt also zugänglich oder nicht?

In den vergangenen Jahren etablierte sich in der alten Chemie eine Art Institutstourismus und unbemerkt wurden eine ganze Menge Mobiliar und Dinge mit devotionalem Potential aus dem Gebäude entwendet. Nicht zu unterschätzen ist die Zahl derer, die in das Gebäude eindrangen, um dort zu fotografieren. Einer dieser Institutstouristen konnte sich noch sehr gut an „blinkende Elektrokästen“ erinnern. Wann genau das Gebäude von Strom und Gas abgetrennt worden sei, ist nicht bekannt, auf jeden Fall noch nicht seit Jahren.

(Foto: Kevin Neitzel)

OZ: Die Satanisten waren das!

Die Ostsee-Zeitung präsentiert in ihrer heutigen Ausgabe bereits das Ergebnis ihrer teuflisch investigativen Recherchen und lässt Erinnerungen an die gute alte Zeit der Hexenverbrennung aufkommen.

Auf der Titelseite des Greifswalder Lokalteils werden die potenziellen Tatwerkzeuge der Brandstiftung, drapiert auf einem verkohlten Holzrest, abgebildet: vier Teelichter und sechs abgebrannte Streichhölzer. Wer das Foto genau betrachtet, sollte feststellen, dass die Teelichter kaum fünf Minuten gebrannt haben dürften und neu sind.

Im Artikel wird ein Polizeibeamter zitiert, der davon spricht, dass bereits im Sommer „abgedunkelte Fenster und große schwarze Decken […], die auf dem Fußboden und den Tischen ausgebreitet waren“, in einem Nebengebäude entdeckt worden sein. Demnach sei es denkbar, „dass in der Nacht vor dem Brand eine Schwarze Messe in dem Gebäude abgehalten wurde“, so der Beamte weiter.

Hintergrundplagiate aus Wikipedia

Die Ostsee-Zeitung ihrerseits prahlt mit Informationen, dass „an der Universität eine Gruppe Studenten existieren [soll], die sich gern mysteriösen Rollenspielen hingibt und dem Okkultismus frönt“. Das Unbekannte war schon immer gefährlich und vermutlich spielen diese Studierenden auch noch Killerspiele. Die Redaktion stellt einmal mehr ihre Unkenntnis zur Schau und wirft wahllos und vor allem undifferenziert völlig unterschiedliche Themen zusammen. Aber wer hat die alte Chemie denn nun angezündet? Rollenspieler, Satanisten, Okkultisten oder alle zusammen in Personalunion?

Reich an gut recherchiertem Hintergrundwissen, implementiert die Redaktion auch einen Infokasten in den Artikel, der mal wieder aus dem ersten Absatz eines Wikipedia-Eintrags zusammenkopiert wurde. Dieser Redaktion und ihren geheimen Informationsquellen glaube ich doch alles! Ist es denn so problematisch, die Quellenangabe unter die Infobox zu setzen? Zur Veranschaulichung dessen, was an manchen Universitäten mit Exmatrikulation bestraft wird, sei hier eine Gegenüberstellung der Wikipedia-Quelle und des OZ-Infotextes aufgeführt:

Dass diese Art des Plagiats in der Redaktion nicht zum ersten Mal vorkommt, habe ich bereits an dieser Stelle, als es um das Thema Freefight ging, dokumentiert.

Wem nützt dieser Brand eigentlich?

Soll sich die Öffentlichkeit mit diesem Verdachtsmoment zufrieden geben, dass im abgesperrten Gebäude eine schwarze Messe stattgefunden hätte und die rollenspielenden Satanisten mit Teelichtern einen Brand ausgelöst hätten, den sie nicht mehr kontrollieren konnten? Entsteht so ein derart gewaltiges Feuer?

Wer profitiert eigentlich von der Totalbeschädigung eines versicherten Gebäudes, das vielleicht nicht unter Denkmalschutz stand, aber aufgrund der nicht unbeträchtlichen chemischen Verseuchung durch seine frühere Nutzung nur schwer verkäuflich ist? Was hätte eine umfassende Dekontaminierung der alten Chemie gekostet?

Ist dieses Objekt nicht durch seine abgelegene, dunkle und ruhige Lage für eine Brandstiftung prädestiniert? Entsteht so ein großer und sich derartig schnell ausbreitender Brand durch einen Unfall mit Teelichtern, oder bedarf es dafür weiterer Vorbereitungen? Werden Ermittlungen bezüglich einer organisierten Brandstiftung nicht durch das Vorhandensein chemischer Reststoffe erschwert?

Alles eine Frage der Spekulation

Diese Fragen lassen sich wohl kaum innerhalb von drei Tagen beantworten. Aber ist es nicht noch zu früh für den okkulten Tatverdacht und die präsentierten Teelichter? Entschlossene Ermittlungen und vor allem eine investigative Lokalredaktion sehen irgendwie anders aus. Es bleibt also abzuwarten, was mit dem zerstörten Objekt passieren wird, wer dieses Gebäude kauft und in Zukunft nutzen wird. Dann darf weiter spekuliert werden, aber bis dahin warten wir doch noch besser mit der Jagd auf Rollenspieler und blasse Messdiener!

20 Gedanken zu „Wer hat das Großfeuer in der alten Chemie verursacht?

  1. Hast wirklich recht – so sehr geärgert hab ich mich lange nicht mehr über die Lokalredaktion der Ostsee-Zeitung. Hauptsache, man kann eine schöne Schlagzeile produzieren. Das war eindeutig ein Artikel, der noch nicht mal bei BILD so durchgegangen wäre….

  2. So ein Unsinn… ich war vor einigen Monaten zuletzt in dem Gebäude zum Fotografieren (da war sogar noch Wasser und Strom da). Der besagte Raum (schwarze Tischdecken, okulte Ausschmückung) befand sich irgendwo im 1. Stock in einem Seitenflügel, wenn ich mich recht erinnere. Auf jeden Fall nicht im Dachgeschoß. Das sollte auch die Polizei wissen… tzz.

  3. Bei der Ostseezeitung hoffe ich mittlerweile nur noch auf das Zeitungssterben. Das könnte meinetwegen ruhig mit der hiesigen Lokalausgabe beginnen. Ich staune nur, dass ihr dieses Blatt noch lest. Ein Fall für den Presserat. Jede Schülerzeitung hat mehr Niveau.

  4. @ stefan,

    Skandale und Enthüllungsszenarien verkaufen sich besser. Will heißen: Mehr Einnahmen–> Mehr Geld–> OZ nicht Pleite. Solche Artikel zögern eher das Sterben der Lokalredaktion hinaus, als dass sie es beschleunigen.
    Das ist leider traurige Realität. Es wird produziert, was sich am besten verkauft.

  5. mhh, interessante Spekulation mit sehr schlüssiger Logik.
    Das „vordemfeuer“-Foto der alten Chemie ist echt schön – selbst gemacht oder fehlt da etwa auch die Quellenangabe? (-;

  6. Die hier regelmäßig bildzitierte Quelle wurde vorab von mir darüber informiert, dass dieses Bild ohne Quellenangabe verwendet wurde. In einem der umstehenden Sätze steht, dass Menschen in der Alten Chemie waren, um zu fotografieren. Es müssen ja nicht sofort Verdachtsmomente gestreut werden.

  7. „die Satanisten waren das“, geil. Ich habe mich nicht geärgert, ich habe nur gelacht. Schade um das schöne Gebäude, ich finde die ganze Ecke da toll.
    Habe am 26.10. auch kurz an die Historiker gedacht. Die werden in der alten Kinderklinik ganz schön gezittert haben.

  8. juti. Dann weiß ich ja wer’s Foto geschossen hat.
    Wollte eh nur kund tun, dass ich das Foto voll schön find!
    (… der Verdachtsmoment sollte keiner sein – war neckisch, nicht ernsthaft gemeint … naja, meine smileys sind falschrum wohl echt scheisse).

    (-;

  9. Pingback: Cui bono? - Greifswald wird Grün
  10. Schimpft doch nicht immer so über die OZ! – Die Artikel über Sexunfälle, Stasimachenschaften, heiße Studentinnen beim Table-Dance mit ihren Professoren und nun auch noch zündelnden Satanisten erfreuen mich jeden Morgen, wenn ich mehrere hundert Kilometer entfernt meiner alten Heimat OZ-Online auf Neuigkeiten prüfe… Und im Übrigen: Cornalia Meerkatz for Pulitzer!

  11. @JS

    Katharina Degrassi begründete den Rückgang der Abos uns gegenüber beim Workshop mit dem demographischen Wandel. Immer dann, wenn ein OZ-Leser (der in den meisten Fällen ein Senior oder eine Seniorin ist) altersbedingt gestorben ist, fällt ein Abo weg, was nicht immer durch einen neuen Leser ersetzt werden kann.

    Inwiefern diese Begründung wirklich plausibel ist, oder aber nur selbst konstruiert, um eine gründliche Umstrukturierung der Zeitung und damit einhergeneden qualitativen Aufwertung zu umgehen (was mit hohen Kosten verbunden ist, ohne abschätzen zu können, ob sich die Leserzahlen dadurch erhöhen ließen), steht wiederum auf einem anderen Blatt.

  12. @Marco W
    Was ist mit den Abos der OZ-Leser, die nicht altersbedingt verstorben sind? 😉

    Seit BFI die Lokalredaktion leitet, sind die Inhalte immer flacher und krawalliger geworden. Eine qualitative Aufwertung muss nicht zwangsläufig mit höheren Kosten verbunden sein. Statt aus Pressemitteilungen und aus Wikipedia abzuschreiben, müssten die sechs Festangestellten einfach nur ihren Job machen!

  13. Ich oute mich mal… ich hab die „Bild des Nordens“ abonniert. Der Mensch muss ja auch mal was zum lachen haben. Und mich interessiert einfach, wie Meinungsmache funzt.
    Nebenbei ist der Anzeigenanteil und Infos zu den Angeboten von Kino, Theater, Ausstellungen von Interesse. Außerdem braucht Mensch hin und wieder leider auch nen Notdienst- welcher Art auch immer.
    Und vielleicht ists auch so ein bischen Tradition. Mensch ist mit OZ aufgewachsen… und sieht jetzt mit Bedauern wie das Niveau immer mehr ins unterirdische absinkt.

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