Zweiundzwanzig Monate sind seit der ersten großen Release-Party der Band Feine Sahne Fischfilet vergangen. Damals, im Januar 2009, wurden die jungen gebürtigen Ostvorpommern Teil eines traurigen Stücks Regionalgeschichte, denn gegen ihre geplanten Veröffentlichungsfeierlichkeiten regte sich der Widerstand regionaler Neonazi-Strukturen, die schließlich ihrerseits unter dem wenig später von Innenminister Caffier verbotenen Label Mecklenburgische Aktionsfront (MAF) Proteste ankündigten.
Loitzer Bürgermeister knickte vor Neonazis ein
Es kursierten Gerüchte, denen zufolge Neonazis das Konzert in Loitz attackieren wollten. Johannes Winter (CDU), Bürgermeister der tristen Peene-Kleinstadt, knickte damals vor den Drohungen ein und reagierte auf die rechten, in den Nachtstunden verbreiteten Aufrufe gegen das Konzert mit einem Verbot der Veranstaltung.
Feine Sahne Fischfilet wählten damals die Stadt Loitz als Schauplatz ihres Release-Konzertes, weil alle beteiligten Musiker aus der Peene-Region stammen und daher mit dem Alltag zwischen kleinstädtischer Langeweile, Perspektivlosigkeit und zunehmender Salonfähigkeit oder sogar Dominanz rechter Ideologie vertraut sind. Gerade jugendkulturell sieht es in diesen Städten trostlos aus.
Aus einem Release-Konzert sollte damals ein Aktionstag werden, Filme und Vorträge zum Thema Rechtsextremismus waren geplant, doch wegen des Verbots wurde das Konzert kurzfristig ins nahegelegene Greifswald verlegt. Eigentlich hat die Reaktion des Loitzer Bürermeisters Johannes Winter das Arbeitsfeld und vor allem den Handlungsbedarf bestätigt, den die Band mit ihrem Programm aufzeigen wollte.
Demmin statt Loitz oder „Raider heißt jetzt Twix“
Nun wird am Wochenende ein neues Album veröffentlicht und auch dieses soll mit einem entsprechendem Release gebührlich gefeiert werden, und zwar nicht in Rostock oder Greifswald, wo die Musiker inzwischen um ihre größten Fangemeinschaften wissen, sondern dort, wo sie herkommen: in der Peene-Region. Nachdem Loitz 2009 offensichtlich nicht wollte, zieht es die Band am Wochenende also nach Demmin und auch dort soll ein antifaschistischer Aktionstag stattfinden.
Bereits um 15 Uhr findet ein Vortrag über Nazis in MV statt und nimmt damit ein Thema in Angriff, das durch die Entwicklung rechter Strukturen und nicht zuletzt durch die bevorstehende Landtagswahl im kommenden Jahr aktueller denn je ist. Dem schließt sich der hervorragende wie beängstigende Dokumentarfilm Da ist man lieber still. Am rechten Rand der Republik (D, 2007) an, in dem es bestandsaufnehmend durch die Provinz Ostvorpommerns geht. Diesem inhaltlichen Programm folgt das kulturelle mit der Hardcore-Punk-Band Wasted Youth aus Schwäbisch Gmünd und dem Berliner HipHop-Quartett Schlagzeiln. Danach werden Feine Sahne Fischfilet ihr neues Album vorstellen, bis schließlich Supershirthälfte Faxe System die Aftershow besorgen wird.
(Foto: Lars Templin)
Appelle ins Demminer Peeneland — Alarmsignale für die Städte
Das Release wird sicher nicht nur eine großartige Gelegenheit für Feine-Sahne-Fanatikerinnen sein, das neue Album zu hören und auch zu erwerben. Vor allem ist die Veranstaltung auch ein Appell an die Jugendlichen des Demminer Umlands, sich (auch) in Zukunft einem rechten Mainstream entgegenzustellen, zum Beispiel am 8. Mai, wenn die Nazis wie jedes Jahr durch die Hansestadt an der Peene marschieren.
Aber auch in die eigenen Reihen wird mit dieser Entscheidung gesprochen. Nicht dass FSF sich in die Riege der „Wir-vergessen-niemals-wo-wir-herkommen„-Gruppen einreihen müssten – in ihrem Fall flankiert der Schritt in die Provinz vielmehr das politische Anliegen der Band und führt vor allem denjenigen, die sich für eine der größeren Städte Mecklenburg-Vorpommerns entschieden haben, vor Augen, wie arg es um den ländlichen Raum bestellt ist.
Vielleicht liegt hierin der größte Verdienst der Band, bei der es irgendwie selten um Musik geht und vordergründig das Politische verhandelt wird. Entsprechend rar sind auf den bisherigen Veröffentlichungen auch die musikalischen Glanzpunkte. Das Charisma von Feine Sahne Fischfilet kann sich nur im Livebetrieb entfalten, aber dann beherrscht diese Formationen ihr Publikum. Inzwischen hat sich die Band durch viele Konzerte in ganz Deutschland und zwei Touren durch das ehemalige Jugoslawien szeneinterne Popularität erspielt, wird ihr Schriftzug auf den Flyern immer größer und größer. Ein Label, mit dem es sich hervorragend auskommen lässt, wurde gefunden. Eine Umbesetzung wurde verkraftet und auf dem Force Attack 2011 werden sie wieder dabei sein. Es geht also immer weiter.
Geheimniskrämereien und Wut im Bauch
Wut im Bauch, Trauer im Herzen ist fertig aufgenommen, gepresst und kam gestern in Greifswald an. Die Spannung steigt und von den neuen Stücken wird mit Hast du kapiert? nur eine einzige Hörprobe im Netz offeriert.
Die klingt — im Gegensatz zu früheren Aufnahmen — aber so amtlich, dass man fast anzunehmen versucht ist, dass das Stück einer anderen Band liefe.
Es bleibt der Eindruck, dass es bei Feine Sahne Fischfilet irgendwie selten um Musik geht und gerade das machte die Band zu einem der populärsten Greifswalder Exportschlager mit dem höchsten Kilometerstand im Tourbus. Das muss man ganz neidlos anerkennen!
Fakten: 06.11. | ab 15 Uhr | Völschowberg (Demmin) | 5-8 EUR
Feine Sahne Fischfilet im Netz:
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Guter Beitrag.
Gefühlt ist die kurze Fahrt von Greifswald nach Demmin die kürzeste Weltreise, die man machen kann. Das frische Greifswald mit all den jungen Menschen, vorschriftsmäßig betonierte und asphaltierte Wiesen und Äcker so weit das Auge reicht. Im Landkreis Demmin dagegen Geisterstädte wie Loitz oder Demmin („Die Stadt, in der immer Sonntag ist“ – Zitat eines irischen Freundes), in denen jeder Blick auf die übrigen Einwohner den Besucher zu Spott ermuntert. Vergessene Bauerndörfer, in denen es seit 20 Jahren keine Bauern mehr gibt, nichts mehr zu tun. Nur noch geduldet sind die Menschen, die lokalen Arbeitsvermittler sehen ihren Arbeitsplatz als (Ab-) Reisebüro.
Und dann kommen diese pommerschen Burschen, die auszogen, Politik (und auch Musik) zu machen, zurück ins Nichts, aus dem sie kamen.
Das ist diese Weltreise. Außer Verwandschaft und vielleicht einen geerbten Hof hat die pommersche Jugend nichts mehr, was sie hin und wieder zurück aufs Land holt. Der Schritt wird immer größer, und mehr und mehr wird man selbst zum Fremden, den die Übrigen misstrauisch betrachten.
Ich komme bzw. kam mal aus Grimmen, habe viele Freunde aus Loitz, Demmin, Stavenhagen. Aus meiner Perspektive hat der ganze Landstrich da hinten den Anschluss an unsere Zeit verloren, und ich sehe Greifswald immer als die Metropole, die als letztes überhaupt noch das Potential hat, der Gegend Leben einzuhauchen. Darum finde ich es großartig, dass Greifswalder sich aktiv um ihre Nachbarschaft bemühen und die Verantwortung übernehmen. Ich selbst stürze mich auch voll in diese Gegend, weil ich überzeugt bin, dass die Gegenwart nicht das Ende ist, sondern lediglich einmal mehr ein rückständiges Pommern entvölkert wird. Gegen Rückstand macht man Fortschritt.
Greifswald betrachte ich nicht als isolierte Einheit, sondern als DEN Schmelzpunkt einer ganzen Region, da wo es eben nicht zu Grunde geht. Und ich wünsche mir in Zukunft ein breiteres Verständnis und einen Ausbau dieser Stadt-Umland-Einheit.
Danke für diesen Beitrag, Thomas!
@thomas
Schön gesagt, sag ich als ebenfalls Geflohener. 🙂
Ich würde des weiteren auch wie Jockel sagen, dass dieser Satz den sie da immer von Früchte des Zorns ausleihen, dass das was sie machen keine Kunst sei voll zutrifft. Natürlich ist es Kunst (im weitesten Sinne), aber seinen Reiz hat die Musik eben wenn sie live performt wird, wenn 300% Energie gegeben werden, wenn lustige Predigten zwischen den Songs zu hören sind, wenn alle sich hinterher verschwitzt in den Armen liegen, wenn man sich beim Anschauen von Videoaufnahmen Sorgen macht, weil man denkt, die werden irgendwann einen Herzinfarkt bekommen bei der Action.
@thomas: Danke für deinen Beitrag!
@distand_lights: Also beim Force Attack 2009 haben sie das Zelt nicht nur gerockt, sie haben es beherrscht und das war eine grandiose Vorstellung, die mich – bei aller berechtigten musikalischen Kritik – vollends von Feine Sahne Fischfilet als Band überzeugt hat. Boddenpower halt…
Review zur neuen Platte findet ihr hier:
http://fruttidimare.blogsport.de/2010/11/08/wut-im-bauch-trauer-im-herzen-feine-sahne-fischfilet/
Und hier ist ein Bericht von Indymedia zur Veranstaltung: http://de.indymedia.org/2010/11/293981.shtml