In der vergangenen Woche wurde im WDR eine Dokumentation ausgestrahlt, die sich jenen Initiativen und Bewegungen widmet, welche zuletzt von vielen großen Medien mit dem Siegel wutbürgerlich abgewertet wurden.
Neue Kultur — alte Bewegung
Der Film Protestbürger von Jo Angerer und Mathias Werth zeigt an drei Beispielen, die quer über die Bundesrepublik verteilt sind, auf, wie aus enttäuschten Bürgerinnen entschlossene und vor allem organisierte Akteure wurden.
Sei es in Duisburg, wo schon seit fünf Jahren um eine geplante Kohlenmonoxid-Pipeline gestritten wird, die zwischen zwei BAYER-Werken verlaufen soll, oder im bayrischen Garmisch, wo einheimische Bauern um ihre sensiblen Wiesen kämpfen, die von Bauvorhaben im Zuge der Olympischen Winterspiele 2018 bedroht werden: „Es rumort in Deutschland. Zahllose Menschen gehen auf die Straße, um zu demonstrieren: Lehrer, Hausfrauen, Sekretärinnen, Rentner. Menschen vor allem aus der bürgerlichen Mitte. Sie protestieren gegen Atomkraft, gegen Großprojekte vor der eigenen Haustür. Menschen mucken auf, weil sie sich bedroht fühlen. Weil sie Entscheidungen in Behörden als willkürlich empfinden und den Politikern nicht mehr vertrauen. Eine neue Protestkultur entsteht.“ (WDR)
Bürgerinitiativen sind freilich keine gänzlich neuen Protestbewegungen, neu ist hingegen das Feld, aus dem sich immer mehr Unterstützerinnen rekrutieren. Und ungewohnt sind auch Zuspruch und Engagement der älteren Mitbürger, die sich dazu entschlossen haben, sich doch nochmal einzumischen und auf die Straße zu gehen.
„Erlebnisse unter Nachbarn“
Neben Duisburg und Garmisch war Greifswald der dritte Schauplatz, an dem man sich für die Dokumentation auf die Suche nach Protestbürgerinnen machte. Hier hefteten sich die Journalisten an die Fersen Nadja Tegtmeyers, die ihrerseits das Anti-Atom Bündnis NordOst mitgründete und sich während des Castortransports im Februar 2011 von den Kameramännern begleiten ließ.
In den Teilen der Dokumentation, die Greifswald betreffen, sind Szenen von der großen Demonstration und der Kundgebung auf dem Markt zu sehen. Ex-Scherben-Managerin Claudia Roth wird kurz interviewt, aber vor allem geht es um die Anti-Atombewegung und Nadja Tegtmeyer, die plötzlich auf den Schienen zwischen Greifswald und Lubmin sitzt, um kurz darauf von der Polizei weggezerrt zu werden.
Protestbürgertum, damit charakterisiert der Film Menschen, die „ihre Heimat gegen die Interessen von Industrie und Politik verteidigen. Je mehr sich Bürger von demokratischen Entscheidungsprozessen abgeschnitten fühlen, desto verhementer artikulieren sie ihren Widerstand. Ihr Protest schafft aber auch etwas Neues – ein Gemeinschaftsgefühl unter Gleichgesinnten, ein neues Erlebnis unter Nachbarn.“ (WDR)
Die 43 Minuten Filmdauer sind nicht vergeudet. Wer auf explizit Greifswalder Szenen wartet, muss sich bis Minute 13:00 gedulden, wird dann aber rasch bedient.
So wenig kritische Worte zur Darstellung des Protestes in Greifswald, da bin ich überrascht. Aber vielleicht wundert man sich auch nicht, wenn man vertraut ist mit dieser Art von Dokumentationen. Beim Namen DIE Story und dieser stetigen höchst dramatischen Musik im Hintergrund passt es wohl, dass das Gefilmte und Erlebte scheinbar in ein Konzept gepresst wird, dass den Zuschauer am Ende überzeugt glauben lässt: Im Osten geht man nicht auf Straße, Greifswald kennt keine großen Demos und Widerstandsbewegungen brauchen erfahrene Koordination aus dem „dem Westen“. Schade.
Anschauen lohnt sich trotzdem. Diesen „Protestforscher“ mit Ordnern, die Gorlebencastor oder 1.Mai heißen finde ich interessant. Die Kommentare von Nadja finde ich auch gut ausgewählt.
finde den beitrag sehr gut, bis auf die dramatische musik bei der castor demo – wirkt schon arg albern und macht die sache größer, als sie in wirklichkeit ist…
Zustimmung: „Die Story“ geht gar nicht und bei der Musik wurde sich auch mächtig vergriffen, da geht leider dieser angenehm ruhige Rhythmus der Doku verlustig.
Die Aussage des Wissenschaftlers, dass in den neuen Bundesländern eine Tradition zivilen Ungehorsams fehle, finde ich persönlich nicht nachvollziehbar, erst recht nicht, weil er kurz zuvor zivilen Ungehorsam definiert und es der ja – wenn auch in anderen Ausprägungen – auch in der DDR anzutreffen war. Von den Montagsdemos muss ich an dieser Stelle gar nicht anfangen.
Wenn man böswillig hinhört, klingt es so, wie du es zusammenfasst: die Ossis haben das systembedingt nie gelernt und holen jetzt erst langsam auf, die Wessis organisieren derweil hier den Widerstand und zeigen, wie man das macht.
Das war die Stelle im Film, wo es mich aufzucken ließ. Da ich aber erstens glücklicherweise Nadja persönlich kenne und zweitens mit wenigen Erwartungen in die Doku gesehen habe, konnte ich das gekonnt ignorieren.
In Sachen Anti-Atom-Widerstand waren die letzten beiden Transporte und der Protest dagegen allerdings schon eine neue Liga, die nicht allein durch „Westimporte“ erklärt werden kann. Mir sind vor allem die älteren Menschen aufgefallen und ich fand gut, dass dieser Aspekt in der Dokumentation zur Sprache kam.
Unterm Strich interessiert mich aber vor allem, dass es beim WDR einen Beitrag über Greifswald gab.
jau und ganz schön viel heimatschutzstimmung rübergebracht…ein bisschen gruselig.
die phrase „etablierte volksparteien“ kenne ich sonst auch nur von der npd oder irre ich mich da?