„Die Tiere sind unruhig“ – Von Greenhorns und Flamingos: Erstsemesterschwemme im Herbstregen

Eine Kolumne von Ferdinand Fantastilius

kolumne 17vierJedes Semester der gleiche Spaß: die Neuen kommen! Rund 2250 Alma-Mater-Newbies hat es zum Herbstbeginn in die Stadt und in ihr neues Leben als Studierende verschlagen. Wie aufgepäppelte Kitze staksen sie, etwas orientierungslos, durch die anfänglichen Wirren des Unialltags. Wo ist Hörsaal haumichtot, wann hat Prof. Dunnebier Sprechstunde, was ist ein HIS und ein WULV, was hat es mit diesem Moodle-Salat auf sich und wann kann ich endlich wieder auf Wochenendurlaub nach Hause?

Manchen Neuankömmling erschlägt die Überschaubarkeit der Stadt anfangs nämlich geradezu; ein Hangeln von Wochenende zu Wochenende ist die Folge. In den Regionalbahnen versammelt sich so allwochenendlich eine muntere Schar aus jungen Bildungspendlern, geselligen Landprolls und Bundis im Delirium.

PARTYS, POINTS UND PROPELLERMÜTZE

Der klassische Ersti stolpert mit entzückender Schleckeis-Niedlichkeit durch die ersten Wochen von Hörsaal zu Hörsaal in freier Wildbahn. Endlich flügge, endlich eine eigene Wohnung, ist das auuufregend alles, und ach, es gibt so viel zu erleben!

Klassischer Ersti, Erstsemester, GreifswaldWährend borkige Restmagister und die letzten Zeitlupenhistoriker sich auf den wunden Resten ihrer grindigen Denkschnecken durch die Ausläufer ihres Studiums schleppen, lernen sich die Hochschulgreenhorns — in der Fantasie eines berufsgranteligen Kolumnisten allesamt Mensch gewordene Bibi Blocksbergs und propellerbehütete Karlssons vom Dach — fleißbewusst ihrer akademischen Karriere entgegen. Oder was für Hörspielkassetten sind heutzutage so Mode?

Auch ein Vorteil der Erstsemesterschwemme: die alteingesessene Stadtbewohnerschaft erfährt ganz nebenbei von neuesten technischen und kulturellen Errungenschaften und bleibt somit stets am Puls der Zeit. Zuneigungsbekundungen werden heute beispielsweise nicht mehr mit „urst fetzig“, sondern mit einem knappen „i like“ bekannt gegeben, sagt man sich.

KLAUSTROPHOBIE UND KNEIPENBUMMEL

Orientierung im Wirbel des neuen Lust-for-Lern-Lebens soll die Erstsemesterwoche geben: Die Erkundung Greifswalds und seiner Universität wird hier als Rundumversorgungspaket dargereicht. Zuallererst gibt es da vor der Mensa ein kollektives Halligalli mit Volksbelärmung und Anflügen von Klaustrophobie. Ein Wald aus hochgehaltenen Schildern versucht, das schnatternde Gewusel zu sortieren, während sich die Langzeitstudentenband durch suffige Studentenschlager scheppert.

Am Dönerladen um die Ecke wird der Bierschrank leergekauft und die ortsansässigen Initiativen buhlen um Neulinge. Danach fröhliches Rumgewatschel im Entengang durch die Stadt: Im Kneipenbummel lotsen die Tutoren die Neulinge zum neckischen Beschnuppern in die entsprechend fakultätstauglichen Kneipen. Die Geisteswissenschaftler auf einen käsigen Weinabend ins Koeppen, die BWLer ins Becks-Gold-Land und die Mediziner – in Vorbereitung auf ihr bevorstehendes Eremitenleben auf dem Campus der Klinik – am besten gleich in die Laborcaféteria, Reagenzglassaufen.

(Foto: webmoritz)

In den Ersti-Tüten ein buntes Merchandise-Mischmasch aus Bierpunsch (welche krude Mischung wurde dieses Mal erfunden? „Horny Huflattich mit der spritzigen Note Sauerampfer“?), Kondomen und Schnapshersteller-Sponsoring für die immer gleichen Campuskonzerte von Die Happy bis H-Blockx — maue Restschatten alter Sex, Drugs & Rock’n’Roll-Träume.

ALKOHOL UND ALTERSNEST

Gerade hat man sich vom Rausch der Abi-Fete oder dem Alltagsalkoholismus bei der Bundeswehr erholt, muss man beim traditionellen Fassanstich auch schon wieder in die Gläser, vielmehr Plastebecher schauen. Hier saufen sich Erstis, Zweitis, Drittis, bis hoch zu den Endlosis unter bürgermeisterlicher Direktion kollektiv die Hucke voll. Müde – vom Leben in der Bibliothek etwas geierhaft gewordene – Hochschulschrate wippen hier selig neben den bumsfidelen Erstsemestern im Herbstniesel auf den Samtpfoten ihres Hopfenrauschs.

Derart benebelt vergisst auch der größte Kleinstadtskeptiker für einen kurzen Moment seine Scheu vor Greifswald. Und hey: das hier ist doch quasi die Satellitenstadt Berlins. In drei Jahren kann der gemeine B.A.-Abschlüssler dann auch schon wieder frohgemuts fort, in seine Praktikantenzukunft ziehen. Manche nutzen die Vibes der Kleinstadt aber auch als Polster für ihr Altersnest und bleiben hier, frei nach dem Landesmotto: „Kinder kriegen, wo andere Urlaub machen“.

BUBEN IN RAUSCH UND BRAUCH

Nur die einen fallen mal wieder aus diesem betulichen Rahmen: Natürlich buhlen auch die Burschis um Frischlinge. Viele haben vor ihrem Studium vielleicht schon von ihnen gehört: Burschenschaften. Eine geheimnisvoll reaktionäre Aura umweht diese Institutionen.

„Was ist das eigentlich genau, was machen die da?“ – fragt sich die weltbewegte Neu-Studentin. „Ist das sowas geheimbündlerisches wie bei Kubricks Eyes Wide Shut? Was bedeutet schlagend? Warum haben manche von denen tranchierte Gesichter? Und wieso kann man bei denen so billig wohnen? Da muss doch ein Haken sein! Mein Jamba Sparabo hatte doch auch so einige!“

Burschenschaft Markomannia, Mensa, Schießwall

(Foto: webMoritz / twitpic, April 2011)

Wie etwas farblose Flamingos stehen Vertreter der Burschenschaft – nennen wir sie „Makkaroni“ – vor der Mensa und versuchen, mit Mensursäbel und frakturbeschrifteter Deutschland-Flagge unterm Hasseröder-Schirm neue Mitmacher für ihr verschrobenes Jungsding zu casten. Es mutet ein wenig wie der Ramschverkauf eines insolventen Fachhandels für Militaria an: Eine Seilschaft aus bunt beschärpten Schnarchnasen, die ihr Leben im Männerbund zwischen bierigem Machismus und straight-forward Chefetagenstreben, zwischen Saufkonvent und Speibecken als Insel und Anker im unsteten Alltag moderner Allerweltszeiten zu verkaufen versucht.

Mit dem Charme von Wischeimern stehen sie da. Ein mauer Wind von Ortlosigkeit zieht durch die kalten Amtsflure ihres Daseins. Pinguine in der Mauser. Juckreiz, Tolpatschigkeit und trübe Tiefentristesse. Maulwürfe in den zerwühlten Buddelgängen ebenso fader wie fadenscheiniger Weltbilder.

Für tapsige Glücksucher auf der Jagd nach ihrem Stand im Leben, nach Brüderlichkeit, Geborgenheit, Sinn und Struktur, für all jene, die den eigenen Innenraum mit fragwürdigem Gehalt zu füllen versuchen, muss wohl der elitäre Duktus des Zusammenhalts der Reiz an einer Verbindungsgemeinschaft sein. Ein Leben in Rausch und Brauch. Traditionen und Riten regeln hier das Beisammensein — vom alltäglichen Einerlei bis hin zum alkoholischen Exzess.

In einem Corps säuft der aalig Strenggescheitelte auf einer Bank mit dem Flaumbärtler aus der Telematik-AG. Beißendes Rasierwasser trifft auf den bittersüßen Duft ungewaschener Ohren. Im Rudel werden auch die possierlichsten Tierchen — der junge Fuchs und der Corps-Kuschelbär — zu wilden Raubtieren.

SIELMANN HÄTTE SEINE WAHRE FREUDE GEHABT

Man sieht: Der Start ins neue Semester ist stets ein nachgerade tierisches Vergnügen. Mitsamt aller Animalitäten von aufgeregten Truthahn-Balztänzen in den Clubs bis zum Reviergerangel an den Plakatwänden der Stadt. Da wird überklebt und übersprüht, dass sich der Pressspan biegt. Auch die Spraydosen-Nazis gingen wieder um und kleckerten ihre — etwas ungelenken — Einladungen an die Erstis beispielsweise über die Anschläge an der Vereinswerbetafel in der Rubenowstraße.

Dem gemeinen Ersti wird ganz schwindelig bei soviel seltsamen Mitmachangeboten. „Habe ich neben meinem Studium überhaupt noch Zeit für chauvinistische Freizeitgestaltung und hanebüchene Rechtsideologie?“, fragt sich der aufgeschlossene Erstsemester? „Oder wäre es nicht doch irgendwie spannender, einfach nur beim Line-Dance-Wettbewerb mitzumachen und mit meinen Freunden Fröbelsterne zu frickeln?“

Ja, der Herbst mit seinen Erstis – er ist gewissermaßen die alljährliche Dialyse Greifswalds. Eine Frischzellenkur nach der sommerlichen Siesta des Stadtlebens.

19 Gedanken zu „„Die Tiere sind unruhig“ – Von Greenhorns und Flamingos: Erstsemesterschwemme im Herbstregen

  1. bibis und karlsons. sehr schön. das ist doch mal ’ne schöne alternative zu meiner opa-haft bockigen die-stehen-überall-im-weg-rum-und-kichern-blöd-und-finden-alles-gut-perspektive.

  2. weniger wäre mehr. komik entsteht doch nicht nur dadurch, in jedem satz den grundwortschatz ausknocken zu wollen. das ganze muss in szene gesetzt werden. zeigen nicht erzählen. mit sprachlicher gespreiztheit beschreiben ist kein kunststück, dazu bedarf’s nur ’ner kanne kaffee, einem phrasenkatalog und dem hang zur spottsucht. natürlich ist der text an bestimmten stellen genial, aber er haut immer in dieselbe stilistische kerbe: scherzhafte komposita, adjektive ohne ende und vermeintlich obsolete worte, die sprachwitz simulieren – manierismus.

  3. Hachja, Wischmeyer habe ich damals in den Frühstyradio-Wiederholungen auf Radio Fritz manchmal gehört.

    Und Mutti hat früher immer gesagt, wenn ich – laut „das ist ein Teller und das ist ein Löffel und die machen bummbummbumm!“ rufend (in anerkennendem Zitat meines damaligen Dritt-Lieblingsfilms „Kuck mal der da spricht 2“) – mit dem Löffel auf dem Teller gehauen habe : „Junge, dir muss man noch Manierismus beibringen!“ – vielleicht habe ich da aber auch was falsch verstanden.

    Adjektive, diese drolligen Wieworte, sind ja immer so ein Streitpunkt. Ich persönlich mag sie ja gern haben, wenn sie wie kleine wirre Teufel im Text herumirren und ihn an die Grenzen der Kohärenz bringen. Mit Honig zusammengezurrte, in sich ruhende Texte sind zwar auch nett, aber dafür sind die Mittfünfziger in den behäbigen Wochenendsbeilagen der großen Zeitungen verantwortlich. 😉

  4. „manierismus“ – in den Kreisen des Autors, die in den meisten Fällen keine Sportzeitschriftabonnenten beherbergen, ist das die übliche Gangart. Man hat Geist. Man ist wer – das hat man zu zeigen. Aber selbstgefällig ist man nicht – nein, nein!

  5. @L: ich weiss ja nicht, welche kreise du meinst, aber die ronnys, mit denen ich immer so rumhänge sind eigentlich genauso schlichte gemüter wie meine wenigkeit. nicht schlicht im sinne von einfach, jedoch auf eine gesunde art genügsam und trotzdem natürlich immer auch einer inspirierenden form der unzufriedenheit anverhaftet. die aussenwirkung ist natürlich oft eine andere, als die innenwahrnehmung, das stimmt wohl. schüchterne leute wirken somit manchmal arrogant, selbstverliebte, vor dem kinderzimmerzimmer posen übende, hustler-clowns wirken in ähnlicher weise nach aussen dabei oftmals schlicht nur lächerlich.

    aber ach, wie wäre es auch fad, wenn alle sich dauernd richtig einzuschätzen wüssten, denn diese divergenzen und missverständnisse sind ja nun gerade eben jene potenten themengeber für die kleinkarierten, kolumnisten und quatschliebhaber in uns.

    ach, ich geh ein steak manirieren…

  6. man weiß ja gar nicht, was man mit solchen kommentaren anrichtet bzw. wer sie zu welchen zweck aufgreift und verwurstet.

    mir ging es allein um textkritik. wenn hier ein „L“ daraus ’nen rundumschlag gegen wen auch immer macht, finde ich das recht bescheuert.

    wie gesagt: weniger wäre mehr bei diesem text. der text schmeckt wie ein tasse kakao, in der jemand großzügig zehn gehäufte läufel trockenpulver geschüttet hat; schmerzhaft süß, gesichtsfaschingalarm.

    aber das hier ist und kann keine werkstatt-diskussion sein. der text ist bereits ohne leine und wurde auf eine leserschaft losgelassen; zu spät. autoren, die ihre texte in druck geben wollen oder zu xyz verschicken, würde ich raten: streichen, streichen, streichen. ein eingedampfter text ist immer besser. habe aber auch noch nie erlebt, dass ein autor das gerne und freiwillig macht.

  7. Lieber berufsgranteliger Kolumnist,
    bei deinen durchaus beeindruckenden Sprachfertigkeiten hast du doch sicher einiges mehr drauf als nur einen alle-register-ziehenden Phrasenoverkill! Aber wenn unser Herr Fantastilius seinen Stabreimfetisch etwas zurückschraubt, wird da sicher noch ein „i like“ draus. Da bin ich mir sicher.
    Kollegiale Grüße,
    V

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