Nach der vielbeachteten Senatsentscheidung für die Trennung vom bisherigen Namenspatron Ernst Moritz Arndt überhitzen sich die Gemüter der Greifswalder Bevölkerung. Verschiedene Akteure kanalisieren den Frust und versuchen, aus der Wut Profit zu schlagen.
„Man sollte sie teeren und Federn und aus der Stadt jagen.“ Sätze wie dieser gehören noch zu den harmloseren Unmutsbekundungen, mit denen aufgebrachte Greifswalder in den letzten Tagen die Entscheidung des Akademischen Senats contra Arndt bei Facebook kommentierten. Nach fast zwanzig Jahre andauernder Debatte, mehreren Abstimmungen im Senat und in der Studierendenschaft brachte die Senatssitzung am Mittwoch, dem 18. Januar, ein ebenso historisches wie überraschendes Ergebnis: Der umstrittene Namenspatron wurde mit deutlicher Mehrheit abgewählt.
Am vergangenen Sonntag wählten etwa 820.000 Menschen den neuen Landtag in Mecklenburg-Vorpommern und sorgten mit ihrem Votum für ein mittelschweres politisches Erdbeben. Aber ist die Wahl wirklich so schlecht gelaufen? Drei Gegenthesen zum grassierenden Pessimismus.
Nicht wenige werden am vergangenen Montag mit einem Kater ohne vorangegangenen Rausch aufgewacht sein und sich gefragt haben, was da am Wahlsonntag eigentlich alles schiefgelaufen ist: Die AfD deklassierte die CDU in Angela Merkels Stammclub und zieht nun mit 20,8% als zweitstärkste Partei in den Landtag ein. Die Grünen indes haben 1486 Wählerinnen zu viel verprellt und müssen die Party, auf die die FDP nicht mal eingeladen war, nun wohl oder übel verlassen. Auch die Linke hat mächtig Federn gelassen, stand aber dieses Mal wenigstens auf der Gästeliste und darf sich zukünftig noch im Schweriner Schloss blicken lassen.
Siegesbesoffene AfD im Landtag: Ordnungsruf-Flatrate und Komahetzen
Medial ist die Sause, an der sich am Sonntag etwa ein Prozent der deutschen Bevölkerung aktiv beteiligte, omnipräsent. Alarmstimmung in Mecklenburg, aber vor allem in Vorpommern. Immer Ärger mit den Rechtswählern. Dem Laden stehen schwierige Zeiten ins Haus, denn das Publikum wandelt sich nun augenscheinlich. Die Gang der 18 AfD-Mandatsträger — 17 davon sind Männer — ist auf Krawall gebürstet. In den vergangenen Wochen haben die Blaumänner so ausgiebig vorgeglüht, dass sie schon beim Betreten des Clubs wie von Sinnen waren. Besoffen vor Siegessicherheit: „Am Sonntag wird abgerechnet!“ „Landtagswahl 2016: Vom Kater danach“ weiterlesen →
Ob Thor Steinar als Dienstkleidung, Reichsbürger im Audimax, Nähe zu rechten Burschenschaften, Geschichtsrevisionismus in Lehrveranstaltungen oder die Promotion eines verurteilten Rechtsextremisten — Landtagskandidat Prof. Dr. Ralph Weber (AfD) erzeugte in den vergangenen Jahren erheblichen Diskussionsbedarf. Studierende der Universität Greifswald haben den politischen Hintergrund des rechten Hochschullehrers zusammengefasst und zeichnen ein erschreckendes Bild.
Ein Gastbeitrag von Studierenden der Universität Greifswald
Universitäre Aktivitäten
Ralph Weber lehrt seit 2009 an der Universität Greifswald Bürgerliches Recht. Aufsehen erregte er zunächst durch das Tragen der Kleidungsmarke „Thor Steinar“. Diese Marke ist vor allem unter Neonazis verbreitet und wird als Erkennungsmerkmal getragen. Aufgrund dessen wurde die Hausordnung der Universität geändert und das Tragen von Thor Steinar-Kleidung verboten.1 Doch Weber scheint sich an dem Verbot nicht zu stören. So trägt er die Marke weiterhin und seine Bürowand ziert ein Steinar-Poster.2 Zum Frauenkampftag trug er eine Krawatte mit der Abbildung einer nackten Frau und bezeichnete dies als seinen Beitrag zu diesem Anlass.
Weber fällt auch in seinen Vorlesungen immer wieder durch reaktionäre Äußerungen auf. So forderte er, dass anstatt der Opfer eines deutschen Luftangriffs in Kundus besser den Toten der Wehrmacht gedacht werden solle. Diese seien, zumindest zum Ende des Zweiten Weltkriegs, in einem Verteidigungskrieg gestorben. Damit wird der deutsche Angriffskrieg umgedeutet, der bis zum Kriegsende stattfindende Holocaust mit keinem Wort erwähnt und die maßgeblich an Kriegsverbrechen beteiligte Wehrmacht glorifiziert. Auch seine Äußerung, dass „der Kniefall von Brandt und die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Grenze“ ein „Fehler“ und „Verrat an unserer historischen Heimat“ sei3, zeigen deutlich sein geschichtsrevisionistisches Weltbild auf. Seine Gesinnung scheint auch in Webers wissenschaftlichen Aktivitäten durch. In seinem Sachenrecht II-Lehrbuch wird in einem Fall illustriert, wie ein Bürger den Bau eines „Asylantenwohnheims“ abwehren kann.4
Heute haben die Gremienwahlen an der Universität Greifswald begonnen. Studierende können nun bis zum 17. Januar ihre Stimmen für die Zusammensetzung des Studierendenparlaments (StuPa), des akademischen Senats, der fünf Fakultätsräte sowie mehrerer Fachschaftsräte abgeben und bestimmen, wer in den nächsten Monaten miteinander das trockenste Brot des Uni-Lebens brechen muss.
KONSERVATIVE SUPERSTARS AUF RACHEFELDZUG
Bei der Wahl des akademischen Senats konkurrieren 44 Studierende um die zu vergebenden 12 Mandate. Davon tritt der größte Teil (27) auf der Liste „Solidarische Universität“ an. Für den Senat bewerben sich bedeutend mehr Konservative als für das StuPa. So zählt die Liste — bitte an dieser Stelle kurz innehalten, gegebenenfalls austrinken und tief durchatmen — „Democratic Avengers“ insgesamt 13 Kandidierende. Das Feld der „demokratischen Rächer“ reicht von A wie Amthor bis V wie Vierkant, von der Jungen Union bis zum RCDS, von der katholischen Studentenverbindung Alemannia bis zur Burschenschaft Markomannia. Außerdem stellen sich drei Kandidaten von der zur Partei DIE PARTEI gehörenden Hochschulgruppe (HSG DIE PARTEI) sowie ein freier Bewerber zur Wahl.
Noch weniger spannend als die Senatswahl wird wohl die Bestimmung des zukünftigen Studierendenparlaments ausfallen. Bei dieser Wahl ringen in diesem Jahr 30 Kandidierende um 27 Mandate — das sind noch drei Bewerber weniger als beim vorletzten Votum im Januar 2012, als sich nur 33 Studierende zur Wahl stellten. Diese spärliche Auswahl hat zur Folge, dass mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch all jene früher oder später ins Parlament nachrücken dürfen, denen durch die Wahl eigentlich kein Platz vergönnt war — ist das nicht ein bittersüßer Racheakt der Demokratie? „Gremienwahlen an der Universität: „Democratic Avengers“ und die bittersüße Rache der Demokratie“ weiterlesen →
Heute Abend wird die Gruppe Gegenstrom aus Göttingen im IKUWO einen Vortrag über Studentenverbindungen in Deutschland halten und die Korporationen einer kritischen Betrachtung unterziehen.
Nach Angaben der Veranstalter existieren in Deutschland gegenwärtig etwa 1.000 Studentenverbindungen mit insgesamt circa 22.000 studierenden Mitgliedern und 135.000 sogenannten „Alten Herren“. Das Feld der Verbindungen ist weitläufig und reicht von Turnerschaften über Corps bis hin zu Burschenschaften. Bei allen Unterschieden zwischen diesen Gruppierungen sind allerdings auch Gemeinsamkeiten feststellbar.
Die Gruppe Gegenstrom wird vor allem Geschichte und Gegenwart der Studentenverbindungen in Deutschland und Österreich, ihre reaktionären Traditionen, Ideologien und Strukturen thematisieren und in den Fokus nehmen.
Seit Weihnachten werden von Internetaktivisten, die sich dem Anonymous-Netzwerk zuordnen, rechtsextreme Online-Versandhäuser und Webseiten angegriffen. Dabei wurden viele dieser Seiten nicht nur mit sogenannten DDoS-Attacken, also der konzertierten und massenhaften Anfrage vieler Systeme, zur Unerreichbarkeit verdammt, sondern es wurden mit den Angriffen auch Kundendaten erbeutet, die wenig später auf der Website nazi-leaks.net veröffentlicht wurden.
MODEHAUS ODIN: „RUHM UND EHRE DER WEHRMACHT“
Die Angriffswelle firmiert unter dem Titel Operation Blitzkrieg und traf bislang unter anderem das Nationale Versandhaus, den Odin-Versand, Erik & Sons sowie den NPD-Versandhandel Deutsche Stimme. Die Hacker veröffentlichten außerdem Kunden- und Autorendaten der neurechten Zeitung Junge Freiheit und eine Spenderliste der NPD. Außerdem republizierten sie die 2009 erbeuteten Kundendatenbanken von Thor Steinar und Erik & Sons.
In den geleakten Datenbanken des Odin-Versands finden sich auch die Adressen dreier Greifswalder Kunden. Das sind in Anbetracht der über 90 verschiedenen Treffer, die 2009 in der Thor-Steinar-Datenbank auftauchten, relativ wenig. Der Odin-Versand bietet Textilien (zum Beispiel die Trainingshose Deutsches Reich oder die Kapuzenjacken Autonome Nationalisten und Ruhm und Ehre der Wehrmacht sowie verschiedene Kleidungsstücke bekannter Nazibands von Skrewdriver bis Kraftschlag), aber auch Devotionalien wie das Emailleschild Wolfschanze [sic!] an.
BURSCHENSCHAFT MARKOMANNIA EBENFALLS ALS ADRESSE GELISTET
Das Haus der Burschenschaft Markomannia Aachen Greifswald ist ebenfalls bei den Adressen auf Nazi-leaks.net gelistet, allerdings beherbergt sie nur einen Abonnenten der Jungen Freiheit, die sich seit den Achtziger Jahren von der Schülerzeitung zum deutschen Leitmedium der Neuen Rechten entwickelte. Die wöchentlich erscheinende Zeitung der Kulturrevolutionäre von rechts wurde von einem Studenten abonniert, der vor zwei Jahren beim Versuch, ins Studierendenparlament (StuPa) gewählt zu werden, scheiterte.
Experten attestieren der Jungen Freiheit eine Scharnierfunktion zwischen rechtem Konservatismus und Rechtsextremismus. 2005 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das Land Nordrhein-Westfalen die Zeitung in dem von ihm verantworteten Verfassungsschutzbericht nicht in der Rubrik Rechtsextremismus führen darf, auch wenn einzelne Meinungsäußerungen für sich als verfassungsfeindlich angesehen werden können.
Junge Freiheit und Burschenschaft Markomannia bilden ein gutes Paar und hatten auch schon in der Vergangenheit Berührungen. So lud die Burschenschaft 2005 Götz Kubitschek, den von Endstation Rechts als „Salonfaschisten“ bezeichneten, früheren Redakteur der Jungen Freiheit, zu einem Vortrag ein. Der studierte Germanist wurde wegen Beteiligung an rechtsextremen Bestrebungen zwischenzeitlich aus seiner Position als Oberleutnant der Reserve der Bundeswehr entlassen. Außerdem ist er Mitbegründer des Instituts für Staatspolitik, einer wegen rechtsextremer Aktivitäten bis 2005 vom Verfassungsschutz beobachteten Organisation und Denkfabrik der Neuen Rechten.
Ein Kurzportrait dieser politischen Strömung und Aufnahmen eines Besuchs auf Kubitscheks Ritterburg erschien nach dem Anschlag von Oslo bei der Kulturzeit (3Sat):
DATENSCHUTZ VERSUS POTENZIELLER OPFERSCHUTZ
In den Kommentarbereichen von tagesschau.de bis zu netzpolitik.org wird indes heftig über das Vorgehen der Anonymous-Aktivistinnen debattiert. Einerseits bedanken sich viele für die Veröffentlichungen und legitimieren sie mit dem Versagen des Verfassungsschutzes sowie dem erklärten Ziel vieler Neonazis, das demokratische System überwinden zu wollen. Andererseits wird der offensichtliche Verstoß gegen die Hackerethik, die Auflösung informationeller Selbstbestimmung und die undifferenzierte Stigmatisierung als Neonazi kritisiert.
Aktuelle Informationen gibt es bei Twitter unter dem Hashtag #opblitzkrieg.
*Update* 03.01.
Inzwischen hat sich herausgestellt, dass der angesprochene Markomanne auch selbst für die Junge Freiheit als Autor in Erscheinung trat: Integration ohne Sarg, JF, 03.09.2010.