Landtagswahl 2016: Vom Kater danach

Am vergangenen Sonntag wählten etwa 820.000 Menschen den neuen Landtag in Mecklenburg-Vorpommern und sorgten mit ihrem Votum für ein mittelschweres politisches Erdbeben. Aber ist die Wahl wirklich so schlecht gelaufen? Drei Gegenthesen zum grassierenden Pessimismus.

Nicht wenige werden am vergangenen Montag mit einem Kater ohne vorangegangenen Rausch aufgewacht sein und sich gefragt haben, was da am Wahlsonntag eigentlich alles schiefgelaufen ist: Die AfD deklassierte die CDU in Angela Merkels Stammclub und zieht nun mit 20,8% als zweitstärkste Partei in den Landtag ein. Die Grünen indes haben 1486 Wählerinnen zu viel verprellt und müssen die Party, auf die die FDP nicht mal eingeladen war, nun wohl oder übel verlassen. Auch die Linke hat mächtig Federn gelassen, stand aber dieses Mal wenigstens auf der Gästeliste und darf sich zukünftig noch im Schweriner Schloss blicken lassen.

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Siegesbesoffene AfD im Landtag: Ordnungsruf-Flatrate und Komahetzen

Medial ist die Sause, an der sich am Sonntag etwa ein Prozent der deutschen Bevölkerung aktiv beteiligte, omnipräsent. Alarmstimmung in Mecklenburg, aber vor allem in Vorpommern. Immer Ärger mit den Rechtswählern. Dem Laden stehen schwierige Zeiten ins Haus, denn das Publikum wandelt sich nun augenscheinlich. Die Gang der 18 AfD-Mandatsträger — 17 davon sind Männer — ist auf Krawall gebürstet. In den vergangenen Wochen haben die Blaumänner so ausgiebig vorgeglüht, dass sie schon beim Betreten des Clubs wie von Sinnen waren. Besoffen vor Siegessicherheit: „Am Sonntag wird abgerechnet!“

An ihrem Tisch in der Ecke werden sich Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) und Nichtministerpräsident Lorenz Caffier (CDU) auch in den kommenden fünf Jahren in bierseliger Eintracht amüsieren und ab und an zu den Blaumännern hinüberprosten, wenn die mal wieder ein Ressentiment platziert haben, das so anschlussfähig ist, dass die beiden ehemaligen Volksparteien einfach mitmüssen — koste es, was es wolle. Daran sollte man sich gewöhnen, denn das rechtspopulistische Gruselkabinett wird auf Provokationen und Parlamentspossen abonniert sein und garantiert noch häufiger Probleme mit der Secu kriegen: Ordnungsruf-Flatrate, Komahetzen; man kennt diese Art Gäste inzwischen leider zur Genüge und staunt jedes Mal aufs Neue, dass es solche Leute überhaupt in den Laden schaffen.

kramer angolf merkel Allen voran der wegen Volksverhetzung verurteilte Holger Arppe, der offen mit der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung sympathisiert. Er ist mit dieser Einstellung keinesfalls allein in der AfD-Fraktion. Auch der Greifswalder Burschenschafter Nikolaus Kramer, der allzu scharfe Wortmeldungen mit seinem feinen Verständnis für Ironie zu relativieren versucht, ist nicht ohne und stellt schon mal vormittags Kanzlerin Merkel in eine Reihe mit Adolf Hitler. Natürlich ist das alles nur Spaß. Kramer ist seit 1994 Mitglied der Ersten pommerschen und ersten Greifswalder pennalen Burschenschaft Ernst-Moritz-Arndt, hat heute den Status eines Alten Herren inne und sollte auf keinen Fall mit Enrico Komning verwechselt werden — der trägt zwar eine ähnliche Frisur, gehört aber zur rechten Burschenschaft Rugia. Bei soviel Korporationsgeist kommt man schnell durcheinander.

(Screenshot Facebookseite Nikolaus Kramer)

Eins, zwei, drei Konterbiere gegen den rauschlosen Kater gefällig?

Alles in allem ist die Party für Ausgehveteranen also nicht besonders gut gelaufen, aber war wirklich alles so schlecht, wie es das mediale Echo der letzten Tage suggeriert? Es gibt keinen Kater, der nicht effektiv mit dem einen oder anderen Konterbier bekämpft werden könnte! Drei Thesen, wieso der Abend am Ende doch noch seine Höhen hatte und warum man nicht sauertöpfisch sein muss — zumindest, sofern man nicht die Grünen gewählt hat. Here we go!

1. Adieu NPD!

Die NPD ist nach zwei Legislaturperioden rausgeflogen, übrigens noch bevor die Diskussion über das geplante Lokalverbot abgeschlossen wurde. Für die Neonazis um Udo Pastörs, dessen Dienstwagen allein die Steuerzahlenden jährlich 15.000 Euro kostete, dürfte das eine ganz erhebliche strukturelle Schwächung bedeuten. Mecklenburg-Vorpommern war bis Sonntag das einzige Bundesland, in dem die Rechtsextremisten noch in einem Landesparlament vertreten waren.

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Für Udo Pastörs hat es sich vorerst ausgehetzt (Foto: Fleischervorstadt-Blog, 08/16)

Ist nun weniger Hetze zu erwarten? Mitnichten, denn natürlich sind die Grenzen zwischen den beiden rechten Parteien fließend. Wer von sich behauptet, Zitate und Redeausschnitte von Björn Höcke, André Poggenburg oder Udo Pastörs zuverlässig und fehlerfrei ihren jeweiligen Urhebern zuordnen zu können, werfe das erste Grundgesetz! Um den Optimismus dieser These zu teilen, muss man zudem auch bereit sein, die Ergebnisse in den Wahlkreisen Vorpommern-Greifswald II, III und V zu übersehen — AfD und NPD erreichten hier zusammengerechnet stabil über 30%, auf Usedom fast 40%. Kurzum: Die Neonazis und ihre Wählerklientel gibt es nach wie vor, nur tragen sie jetzt Anzüge und versuchen, irgendwie schwiegersohnhafter rüberzukommen als die rechtsextremen Einpeitscher der NPD.

2. Nur 20 Prozent für die AfD

Jede fünfte Stimme für die Rechtspopulisten, das ist wie ein schales Getränk am frühen Abend. Aber mal ehrlich: Hat jemand erwartet, dass Leute in Mecklenburg-Vorpommern wesentlich schlauer (im Sinne ihrer persönlichen Interessen) wählen, als die Menschen in Baden-Württemberg oder Sachsen-Anhalt. Die NPD konnte sich zehn Jahre lang politisch ergebnislos auf Kosten der Steuerzahlerin im Landtag austoben und gegen das Schweinesystem hetzen. Und ausgerechnet hier schafft es die AfD nach ihrem erdrutschartigen Erfolg in Sachsen-Anhalt nur mit Ach und (vor allem) Krach knapp über die 20-Prozent-Marke? Das hätte viel dramatischer enden können, auch im Hinblick auf die anstehende Arbeit in der kommenden Legislaturperiode. Denn die AfD-Fraktion hat ja nicht nur politische Talente in ihren Reihen, sondern wird in den nächsten Monaten und Jahren für unfreiwillige Komik sorgen, versprochen.

Auch an der Universität Greifswald kann man sich hinter geschlossener Türe die Hände reiben, denn das zottelige Enfant terrible aus der juristischen Fakultät, wegen dem in den vergangenen Jahren so unheimlich viele Journalisten in der Pressestelle angerufen haben, kann jetzt vom Dienst beurlaubt werden. Damit ist das Problem möglicherweise ganz elegant aus der Welt geschafft — oder wenigstens erstmal bis nach Schwerin.

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Der zukünftige Landtagsabgeordnete Prof. Ralph Weber (AfD) auf einer Demonstration seiner Partei in Stralsund (Foto mit freundlicher Genehmigung von Endstation Rechts, 2016)

3. Mecklenburg-Vorpommern ist noch längst nicht komplett im Arsch!

Aber keine Bange, demokratische Beteiligung ist kein einmaliges Event, das alle fünf Jahre stattfindet und dann an die zuständigen Landtagsabgeordneten delegiert wird. Demokratie geschieht jeden Tag und kann auch ohne politisches Mandat sehr wirkungsmächtig sein. Vielleicht ist das ein Trost für die scheidenden Grünen, die sich nun verstärkt der zuletzt vernachlässigten Initiativen- und Bündnisarbeit zuwenden könnten.

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Wenn in MV mehr junge Menschen wählen dürften… (Abbildung: wahlen-mv.de

Das beste Praxisbeispiel für zivilgesellschaftliches Engagement lieferte in diesem Sommer ohne jeden Zweifel die regionale Band Feine Sahne Fischfilet mit ihrer Kampagne „Noch nicht komplett im Arsch“ ab. Für diese besondere Sommertour nutzte die Band ihre guten Kontakte und schaffte Himmel und Hölle in die Provinzen Mecklenburg-Vorpommerns, um dort die verbliebenen Anständigen zu motivieren, gegen den Rechtsruck in ihrem Bundesland auf- und zusammenzustehen. Und so traten in den letzten 2 Monaten in Orten wie Gessin, Demmin, Anklam, Parchim, Ribnitz-Damgarten oder Wolgast Künstler wie Zugezogen Maskulin, Campino oder Marteria auf, der dort sein einziges Konzert dieses Jahres spielte, fanden Lesungen und besondere Veranstaltungen statt, die vom gemeinsamen Kochen mit der Roten Gourmetfraktion bis zum antirassistischen Fußballturnier reichten. Die Kampagne endete am Vorabend der Wahl mit dem finalen Festival „Wasted in Jarmen“, das — benannt nach einer Zeile des FSF-Songs „Geschichten aus Jarmen“ — die Band zurück zu den eigenen Wurzeln führte. Es gibt offenbar noch andere Clubs im Bundesland als den weitab in Schwerin.

The Show must go on

Der Laden wird schon irgendwie weiter laufen, auch wenn die nächsten fünf Jahre kaum angenehmer werden dürften als die zurückliegende Legislaturperiode. Die Stammgäste werden aufmerksam registrieren, dass die einen Krawallmacher zwar vorerst nicht mehr kommen werden, dafür aber andere Problembären in umso größerem Rudel den exklusiven Club für sich entdeckt haben und die Atmosphäre vergiften. Es ist höchste Zeit für Erwin, Lorenz und Konsorten, von den muldig gesessenen Sofas aufzustehen und den Blaumännern nicht zuzuprosten, sondern endlich eine soziale Politik zu machen. Wer sich darauf nicht verlassen will, nimmt sich ein Beispiel an Feine Sahne Fischfilet, wird aktiv und stellt sich selbst an die Kaffeemühle. This show will go on!

In einer vorherigen Version des Artikels hieß es, dass Nikolaus Kramer Mitglied der Burschenschaft Markomannia sei. Die Angaben zu seinen Mitgliedschaften im korporierten Spektrum wurden inzwischen aktualisiert. Kramer ist seit 1994 Mitglied der Ersten pommerschen und ersten Greifswalder pennalen Burschenschaft Ernst-Moritz-Arndt und hat heute den Status eines Alten Herren inne. 

5 Gedanken zu „Landtagswahl 2016: Vom Kater danach

  1. Hallo,

    der Begriff der „schlagenden rechten Verbindung Markomannia“ ist nicht sonderlich präzise. Sofern damit die Burschenschaft Markomannia Aachen Greifswald in Greifswald gemeint ist, ist es meinem Kenntnisstand nach nicht zutreffend, dass Nikolaus Kramer dort Mitglied ist.

    Gruß Klaus

      1. Das Ein- und Ausgehen auch über die vielen Jahre ist nicht zu bestreiten. Mitglied der Burschenschaft Markomannia Aachen Greifswald in Greifswald ist Nikolaus Kramer trotzdem nicht.

        Wenn die einfache Rückschlüsse ein anderes Ergebnis ergibt, dann ist sie zu einfach.

        Gruß Klaus

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