Eine Musikbesprechung von Ferdinand Fantastilius
„Eins-zwei-drei, jetz‘ mache‘ wa ’n Däschno – umpfz, umpfz, umpf, umpf“- schon vor 20 Jahren geisterten drollige Verulknudeleien dieses damals noch gar nicht so alten Musik- und Jugendbewegungsstils auf leiernden Mixkassetten durch die Jugendzimmer der Republik. Mittlerweile hat sich Techno tatsächlich zu einer, für jeden Menschen zugänglichen Eins-zwei-drei-aus-dem-Hut-Zauberei entwickelt. Wie jedes jugendkulturelle Phänomen droht auch Techno – als Sammelbegriff für Musik, die mit Mitteln elektronischer Klangerzeugung und kompositorischen Wiederholungsprinzipien angefertigt wird – in den grindigen Fingern des bösen Onkels Mainstream zu veröden.
Die olle Tante Techno ist mittlerweile ja nun auch nicht mehr die jüngste. Eigentlich ist sie längst tot und wird allwochenendlich von ganzen Horden aus Becks-Gold-Buben und puterroten Truthahngesichtern zu Grabe gestampft. Denn „Stampfen“ ist das neue Tanzen. In Minimalhausen verabredet man sich nicht zum Tanzen gehen, sondern zum „abstampfen“: Zugekokste Tanzaffen zotteln in Hypnose zum ewig selben Abgespule der Beatport-Hitlisten über den Dancefloor. Kopfnicker-Brieftauben beim Stuhltanz. Wer zuerst „Jawoll!“ schreit, fliegt raus!
An den zumeist digitalen Turntables leiern die DJ-Gibbons unter ihren Carharrt-Hoodies an den Jog-Wheels ihrer Steuerpulte herum, vor der Tür bohren die Schutzgorillas aus der Halbwelt ihre grimmigen Wachhaltermienen in die nach Feierei und Sause dürstenden Herzen der Wochenendausflügler, die Schlange stehen für den Einlass in die Parallelwelt des kontrollierten Überschwangs. Zur Party? Zur Party! Techno und Clubkultur sind längst so verwegen, wie aufgebohrte Motoradauspüffe und tätowierte Arschgeweihe – nämlich kaum noch.
Techno 2012: Zwischen Springbreak und SubversionE
Techno als Club- und Ausgehkultur glimmt ca. drei Dekaden nach seiner Initialzündung als duseliger Restglimmer seiner ursprünglichen Freisetzungskraft hedonistischer Ausbruchsimpulse aus dem durchformatierten Arschlochalltag. Vielleicht ist es auch nur ein Innehalten, eine Pause – die technische Innovation hat die Mittel und Methoden der Produktion und Rezeption quasi demokratisiert.
Wie in jeder Demokratie kommt dabei natürlich viel Langeweile und Vollschrott auf. Jeder noch so eingebildete Hobby-Avantgardist und Vollzeit-Redneck kann in gecrackten Mehrspursequencerprogrammen und beknackten Großraumdiscotheken seine nullachtfuffzehn Tracks und seinen Vier-Viertel-Verwegenheitslifestyle zusammenpopeln. Das Aussieben aus der Flut an Freizeitangeboten und musikalischen Veröffentlichungen rund um den Themenkomplex „Techno“ ist heutzutage geradezu eine Herausforderung.
Hier hilft nur, was rar geworden ist: eigene Meinung, interessierte Auseinandersetzung, forschende Fragerei, Gefühlskompetenz. Ausschweifendere Betrachtungen zum Thema Zeitgeist-Techno, dancefloorelle Volksverblödung und das Dauerfeuer der Identitätsstiftungsimpulse, das Tante Techno als Über-Pop-Prinzip auf all die armen leeren Menschenseelen draufballert, Überlegungen zum Spannungsfeld „Techno zwischen Subversion und Springbreak“ werden zu einem anderen Zeitpunkt folgen. Vorerst widmen wir uns jedoch der ländlich inspirierten Naturalelektronik des Christian Löffler, der auf erfrischend unaufgeregte Art und Weise jenseits von Jahrmarktminimal und Bloghypeeinereli musiziert.
Rurales Feel in Patterns gepinselt
Aus den verwiesten Weiten der norddeutschen Provinz kommt nun ein elegantes, geradezu kunstsinniges Album von Christian Löffler. Sein Langspieldebüt, A Forest, ist die logische Schlussfolgerung aus seinen vorangegangenen Arbeiten. Zahlreiche Tracks und EPs ebneten den Weg zu den 12 Stücken des Albums.
Christian Löffler schafft es, das zur leeren Worthülse degenerierte Attribut der „melancholischen Electronica“ für sich zu verbuchen. Jeder Dreiviertelhosenproll und jeder dahergescheitelte Hipsterstorch bezeichnet seine feierabendlichen Ableton-Gehversuche als irgendwie housy, lieblich-romantisch und voll verschnuffelt introspektiv. Vieles davon bleibt in Form von visionslosem Presetgefrickel im Stadium des Tutorialtechnos stecken.
(Foto: Sarah Bernhard)
Waldwummernde Gandalf-Grooves
Christian Löffler arbeitete immer schon eher abseits des alles abgeilenden Krawalltechnos der provinziellen Großraumdiskotheken. Er hat in den letzten Jahren das geschafft, was viele selbsternannte Producer in Ermangelung von Vision und Willen zum Sound oftmals vernachlässigen: er hat sich einen Trademark-Sound geschaffen. Seine Filter, Effekte und Klangerzeugungs-Plugins sind wohlgewählt und nie Voll-auf-die-Zwölf. Im organischen Zusammenspiel entfalten sie, wie ein Bienenstaat, ihren ästhetischen Sinn und ihre formale Qualität. Kein nervtötender Brummbass oder käsige Hook-Synthesizer krawallen sich in die Ohren der Zuhörenden.
Christian löffelt seinen Sound ganz unbemerkt mit großen Kellen direkt in die hörenden Herzen. Und natürlich in den Bauch, von wo aus sich der Gandalf unter den musikalischen Leitprinzipien — der Groove — weiter herabwärts, in die Stampfebeinchen der Wieselnden und Wuselnden auf dem Dancefloor schiebt.
Der Sound-Ornithologe auf Exkursion
Der Musiker schnürt auf A Forest Fetzen von Natur auf eine Perlenschnur samtiger Houselandschaften. Mit müden Hundeaugen steht der schlaksige Riese hinter seinem Laptopsetup. Wie ein Techno-Vogelstrauß schraubt er, über den Laptop gebeugt, seine traumwandlerischen Elektromantiken zusammen. Er kennt sich aus in seinen Effektwegen und Looproutinen. Ein Routiniér technischer Tiefendiffizilität. Christian Löffler versteht es, in seine Tracks ein rurales Feel zu bringen.
Die 12 Stücke seines Debütalbums entstanden in der Abgeschiedenheit eines kleinen Eremitenhauses auf der Insel Usedom. Hier schloß sich Christian Löffler ein, um ganz ablenkungsfrei am kohärenten Sound des Longplayers zu arbeiten. Man muss ihn sich wie einen nerdy Soundsucher auf einer ornithologischen Forschungsstation vorstellen: einen feinfiedrigen Zwitscherwald aus Patterns, Loops und Klangsignalen erarbeitend – werkelnd, tüftelnd, pluckernd, gluckernd.
Die Liebe zur Natur, das Naturalistische als inspirierendes und ästhetisches Element spielt in allen Tätigkeiten Löfflers eine wichtige Rolle. Seine letzte EP Aspen ist benannt nach einer Pappel. In seinen malerischen Arbeiten stehen verhuschte Gestalten mit sanft gesenkten Seufzhäuptern in verwirbelten Waldandeutungen. Wenn der Zweimetermann mal nicht mit Pinsel oder Patterns arbeitet, radelt er auch gern mal auf seinem BMX — bekanntermaßen ein Drahtesel, der mehr für Einmetermenschen gemacht zu sein scheint — durch die Landschaft.
Die Schönheit des Bipols: Kastanie vs. Kraftwerk
Sein Album nun heißt A Forest. Wald. Ein wahrlich vielschichtiger Assoziationenfundus macht sich auf. Man denkt an die krautig-psychedelische Wald-und-Wiesen-Minimal-Melancholia von Krautklangwerkern der 60er und 70er Jahre: Roedelius, Cluster, NEU! und andere, die das Prinzip der hypnotisch-heilsamen Minimal-Variationen in endlosen Synthesizer-Monotonien mit freistiligen Freefolk-Elementen verbanden und so ganz eigene, elfenhafte Klangwelten erschufen – dabei erhebliche Inspirationen für viele spätere Technotüftler darstellten. Man denkt auch an die Bipole aus Natur vs. Technik, Mensch vs. Maschine, Wald versus Volvo, Kastanie versus Kraftwerk.
A Forest knüpft an einen Sound und eine Ästhetik von romantischer Click’n’Bleeps-Electronica und introspektivem Deep&Lieb-House an, die zurück geht bis zu den zärtlichen House-Weiterdenkungen von Terre Thaemlitz aka DJ Sprinkles, Move D, Efdemin, Lawrence und Paul Kominek alias Turner. Mit Letzterem, der mittlerweile unter dem Pseudonym Pawel operiert, teilte sich Löffler bereits Bühnen und Split-Releases. Und wo dieser Text schon so viel Natur und Tiere beherbergt: das alles gemahnt auch an Pantha Du Prince, der ja gut frisierte, igelschnutige Romantik-Electronica quasi als Marke salonfähig gemacht hat.
Sweep’n’Schwoof durch Moos
Christian Löfflers Debut beginnt mit dem titelgebenden A Forest. Es startet mit Reverse-Loops und algig-knisternden Sumpfsweeps. Ein klarer Slapbass wühlt sich aus dem zappeligen Stereogezischel, der Beat setzt ein, die Snare, die Clap und das Perkussionsgeklöppel folgen als kristalline Akzentuierungen – es kommt Ordnung in die Bude, der Track nimmt Fahrt auf, Effekte und Filter gehen auf und zu wie die Fangköcher unerforschter Unterwasser-Anemonen. Etwas Spieluhrartiges arbeitet sich im ersten Break hervor. Holzig, moosig-schwoofig walzwandert sich das Stück dann weiter durch seine knapp acht Minuten.
(Bild: Albumcover)
Hier arbeitet einer, der sich auskennt, in seinen Plugins und VSTs. Hintergründig, ganz nebenbei, pinselt Löffler mal hier der Snare ein bisschen mehr Crisp in den Klangraum, und hievt mal dort die warmen Low-Level-Rückwärtsschleifen etwas weiter in den Vordergrund. Wie es eben so ist bei einer Waldwanderung: die Geräusche verschwimmen, verdrahten, verästeln sich, das Licht bricht in den Wipfeln, flackerndes Licht-Schatten-Gefitzel belegt die Netzhaut mit wohliger Nahezu-Epilepsie. A Hundred Lights featurt näselnd-sägende 8Bit-Synth und tröpfelnd kalonkernde Digital-Holzperkussionen. Wie Kalimbagedengel auf Gameboy, zugewuchert von borschen Kristallen aus Walfischtränen.
Das wunderschöne „Blind“ friemelt liebliche Vokalsamples in ein Meer aus samtig-choralen, wie gehaucht dahingetupften Akkorden. Die Vocals hängen in der Ferne des Hallraums, ihre Nebelwolken verflüchtigen sich als matte Ätherträume, man will ihnen nachjagen, sie greifen und halten, wie ängstliche, ausgebüchste Streicheltiere aus Luft. Wie von perlmütterlich schimmernden Sangesmedusen in blinden Taumel versetzt, tröpfelt diese Unterwassernocturne dahin.
Eleven klingt mit dem Gastgesang von Mohna Steinwidder (sonst auch bei Me Succeeds singend) nach einer im Wald verirrten Cat Power, die sich — fluoriszierenden Klangkrumen folgend — immer weiter in die verlockende Finsternis des Waldes verirrt.
Mollusken in Melancholie
Für den folgenden Track Feelharmonia konnte Christian Löffler die dänische Sängerin Gry Bagøien, die schon mit dem einstürzenden Neubautler FM Einheit kooperierte, gewinnen. Ihre verlorene Nachtprinzessinenstimme gibt dem Track einen otherworldy Drift, eine entrückte Gegenfröhlichkeit, wie das unwirkliche Lachen schaukelnder Kinder am letzten Tag der Welt. Der Autor und Lyriker Marcus Roloff liest in Swift Code, dem letzten Stück des forstlichen Reigens von zurückgeworfenem Licht, stürzenden Mauerseglern und Weltfremdheitsgefühlen unter Bettdecken aus Kindertagen.
Ebenso wie Marcus Roloff die menschinnere Melancholie in Metaphern und Gleichnissen aus Naturbetrachtungen in Zeitlupe spiegelt, gelingt es Christian Löffler auf A Forest dem seltsam behaglichen Gefühl von Verwehung und Verwitterung einen raschelnden, waldig-nautischen Soundtrack zu geben. Ölig-funkelndes Unterwasserwummern trifft auf moosig-waldschratiges Geklöppel. Bassige Barsche im bumpernden See, gründelnd nach Sound. Das Album windet sich auf eine betörende Weise valiumhaft funky, durch knorrige Perkussionsverästelungen und vokales Gesäusel, sandige Groove-Verschleifungen und soulige Synthsuppenhypnotik wie ein einsamer Mollusk in die Ohrmuschel.
Hierin zementiert A Forest die allzu oft etwas vergessene Seite der auf Punch und Pump gebürsteten Tracks&Tunes-Mentalität der heutigen Zeit: die soundy Seite der Stücke, fernab irgendwelchem zwanghaft auf den Dancefloor gemünzten Funktionsgerummses erhält hier den Raum, den die Töne brauchen, um ihre Tentakeln im Rausch der Klänge zu entfalten – wider den Prime-Time-Proletismus und für die Musik!
- Homepage Christian Löffler
- Christian Löffler bei Soundcloud
schon mal getanzt, „ferdinand“?
Manchmal sagt der kommentierte Absatz mehr über den Kommentierenden aus als sein eigentlicher Kommentar, tschhihihi.
P.S.: Ferdinands Verwandlungen in einen regelrechten Dancefloor-Derwisch konnte ich schon regelmäßig beiwohnen…
auch zu tanzmusik oder nur zu tocotronic?
Schließt sich das aus? Du bist offenbar über Tocotronic in etwas so im Bilde wie über Ferdinands Wirken als DJ und Musiker. Stampf mal besser ab und höre dir den verlinkten Löffler an!
Wieso „Ferdinands Wirken als DJ und Musiker“ in diesem Kontext erwähnenswert ist, könnte ich fragen – mach ich aber nicht.
Na dann brauche ich dir ja nicht zu antworten, dass ich das aus dem Grunde erwähnt habe, um dir nochmal aufzuzeigen, dass F.’s Horizont weiter reicht als von Toco bis Tronic. Ich hoffe, du hast dich hiermit jetzt ausgestichelt.
naja, „getanzt“…
wenn du so etwas im sergej gleitmannschen sinne meinst, dann ja.
im allgemeinen erschöpft sich das tänzerische meist schon in solchen öligen matschbewegungen. das ganze natürlich – jeder kennt das – zumeist besoffen und angestachelt von einer absurden massenhysterie anderer besoffener nicht-und-dann-plötzlich-doch-tänzer.
man kennt das von ü30-parties. wo die jungprofessoren und langzeitstudenten mit verschwitzten knitterhemden in ben-stillerscher dancing-foolness im sekretärinnentango übers parkett feudeln.
ein apathisch-quadratisches rumgehampel und rumgeschiebe. die ganz amourösen versuchen sich gegenseitig dann in krummbuckligen rock’n’roll-pirouetten durch die luft zu wirbeln….
…am ende liegen alle fröhlich, verschwitzt und mit ausgerenkten armen am boden.
da macht es sich natürlich wahrlich leichter, zu technotischer 4/4-straightness die ganze nacht auf der stelle zu trampeln. dabei kann man sich prima unterhalten, manche schreiben nebenher irgendwas in ihre mobiltelefone, andere stricken, drehen zigaretten oder schnippsen freudvoll mit den greifefingern im takt.
das ist, wenn man so will, ein weiteres puzzleteil des gesamtprinzips der ganzen angelegenheit: es sind nämlich nicht nur die drogen, der jugendliche esprit und der glaube an die gesunde teilzeitabnabelung vom kummer des alltags durch clubbing und feierei, der die menschen nächte- und tagelang auf elektronischen festivitäten wachbleiben lässt, es ist auch der energiehaushaltfreundliche tanzstil. so fügt sich alles zusammen. der menschliche kernpogo eines deftigen hardcoreslams geht schließlich nach anderthalb stunden durchwirbelter windmill-body-contact-heckmeck-kampftanzerei brav ins bett (oder wie heißen die moves bei denen da alle). die bench-buben aus der cocktaildisco hingegen stampfen durch bis morgen früh. durch, bis die schuhsohlen klebrig sind, wie kaugummis.
durch, bis ans andere ende der welt.
die welt ist klang.
nada brahma.
naja, wie das halt so ist, mit dem „tanzen“, »jsenseits«. 😉
Ich finde die Beschreibung der derzeitigen elektronischen Feier- und Tanzkultur hier im Artikel durchaus zutreffend. Viel Energie und Extase ist in den ca 15 Jahren, in denen ich aktiv in dieser Subkultur bewege, verloren gegangen.
Ausnahme gibt es freilich immer.
Danke für den schönen Beitrag und den sehr hörenswerten dj mix ferdinand
Ich nochmal. Das folgende Zitat zur Demokratisierung der Produktionsmittel durch Piraterie will ich unbedingt noch loswerden:
„Baudrillard’s dismissal of the possibility of a ‘revolutionary’ mediation strikes at the heart of any counter-cultural ambitions. […] Meanwhile, the claim that democratising the reproductive technologies, each participant of the Lehrstücke having their own apparatus, inevitably results in banality […] would suggest that Baudrillard had never listened to London pirate radio.“ – Owen Hatherley, Militant Modernism