Angela Marquardt wuchs in Greifswald auf, zog 1998 in den Bundestag ein und wurde als „PDS-Punkerin“ von den Medien hofiert. Vier Jahre später wurde der Fund ihrer Stasi-Akte publik; die frühere Hausbesetzerin wurde von ihrer Vergangenheit eingeholt. Im Frühjahr 2015 veröffentlichte Marquardt, die als Fünfzehnjährige von der Stasi angeworben wurde, ihre Lebensgeschichte und gewährt damit dramatische Einblicke in ihre Kindheit und Jugend. Vor ihrer Buchpräsentation im Koeppenhaus ergab sich die Gelegenheit für ein ausführliches Gespräch über die wilden Neunzigerjahre, rechtsextreme Kontinuitäten, ihr Verhältnis zur Linkspartei, über Scham und Vergebung und schließlich über die Zukunft der Jahn-Behörde.
FLV: Angela Marquardt, du hast dich nach der Wende in der Greifswalder Hausbesetzerszene herumgetrieben. Wie hat sich die Stadt damals angefühlt?
AM: Das ist etwas schwierig zu sagen, weil diese Zeit so schnelllebig gewesen ist, dass man aufpassen muss, dass die Erinnerungen stimmen. Man ist unglaublich vielen Leuten begegnet, hat wahnsinnig viele Sachen gemacht. Ich erinnere mich, dass wir während der Neunzigerjahre nachts nach Hamburg gefahren sind und irgendwelche Polaroidkameras gekauft haben, die wir dann auf dem Greifswalder Markt vertickt haben, um davon wiederum Toastbrot oder das eine oder andere Bier zu kaufen. Ganz genau im Kopf habe ich noch das Klex, um das wir sehr lange gekämpft haben. Mich als Hausbesetzerin zu bezeichnen, wäre aber glaube ich ein Stück vermessen — da gab es andere, die dort auch wirklich gelebt haben. Ich hatte immer parallel die eigene Wohnung und habe natürlich nicht die ganze Zeit mit den Leuten abgehangen, aber war in der Wachsmannstraße und auch in der Anklamer Straße mit dabei. Dort besetzten die Nazis auch ein Haus.
Damals stand sehr viel Gewalt im Raum. Ich habe im Kopf, dass wir damals noch moderierte Gespräche zwischen Rechten und Linken führten. Da waren Maik Spiegelmacher und Frank Klawitter dabei, jemand aus unserer Gruppe und ich. Diese Auseinandersetzungen zwischen rechts und links waren damals in den beiden Zeitungen immer Thema. Parallel dazu kam dann das, was mein Leben grundlegend veränderte: Dass ich die Leute von der PDS kennengelernt habe und dort ein Stück weit das fand, was ich damals suchte. Nur den Nazis hinterherzulaufen, das ist nicht unbedingt mein Lebensinhalt gewesen; ich meine, ich bin klein und eine Frau.
FLV: Du bist Judoka!
AM: Ja, aber das waren auch schmerzhafte Begegnungen. Ich habe dann jedenfalls angefangen, mich in der PDS zu engagieren. Mein dortiges Engagement endete dann ja in einem relativ rasanten innerparteilichen Aufstieg, und dadurch bedingt, habe ich dann Greifswald ein bisschen hinter mir gelassen. Wobei diese Formulierung eigentlich falsch ist, weil ich ja immer hier gewesen bin. Ich musste lachen, als das Koeppenhaus mir ein Hotelzimmer angeboten hat – das brauche ich glücklicherweise nicht, weil ich noch ganz viele Freunde hier habe.
„Das ist kein neues Phänomen, sondern das gab es immer, und jetzt traut es sich einfach, lauter zu schreien.“
FLV: Mit der Wende kulminierten plötzlich die Möglichkeiten, die Freiheitsgrade erweiterten sich. Viele Protagonisten von damals schildern diese Umbruchszeit – mitunter etwas romantisierend – als sehr aufregend; vor allem die Unbestimmtheit, was ging und was nicht.
AM: Ich glaube, dass ich noch nicht einmal das Wort „Freiheit“ dafür hatte. Das haben andere benutzt, die jahrelang gegen das System gekämpft haben, im Gefängnis saßen und so weiter, logisch. Für mich war das eine verwirrende, aber auch unglaublich aufregende und interessante Zeit. Bis ich Worte wie „Freiheit“ dafür gewählt habe, musste ich erst ein bisschen älter werden und mich damit auseinandersetzen. Diese Phase hat mich lebenslang geprägt, gerade auch diese Auseinandersetzung zwischen rechts und links.
Besetztes Haus in der Wachsmann-Str. 4 (Foto: Yvonne Görs)
FLV: Fremdenfeindliche Gewalt entlud sich im Oktober und November 1991 mit einer bis dahin in Greifswald ungesehenen Heftigkeit, die dann ein Dreivierteljahr später von Rostock Lichtenhagen übertroffen wurde.
AM: Ich hatte immer vor diesen Leuten Angst, weil ich wusste, dass sie dich im Zweifel erschlagen. Das war ja nicht so wie bei einer Streiterei auf dem Schulhof. Nazis waren seit den Neunzigerjahren so, dass du jederzeit damit rechnen musstest, dass sie dich totschlagen. Das ist ein Gewaltpotenzial, das es bis heute gibt. Ich fahre aus diesem Grund zum Beispiel viel mit dem Auto und wenig mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Das ist eine Angst, die ich nie losgeworden bin, weil ich Lichtenhagen erlebt habe, weil ich Greifswald erlebt habe und weil ich real erlebt habe, wie die zutreten.
Rechtsextremismus ist für diejenigen, die tagtäglich damit zu tun haben, keine Überraschung. Nicht so wie heute, wo sich alle plötzlich über Pegida und Legida aufregen. Wo habt ihr die letzten Jahre gelebt? Sorry, das ist kein neues Phänomen. Das ist nichts, das durch Flüchtlingsströme entstanden ist, sondern das gab es immer, und jetzt traut es sich einfach, lauter zu schreien. Dieses Potenzial war immer da, diese Leute waren immer da, nur jetzt haben sie ein Forum gefunden, das nicht – aber auch – NPD heißt.
(Ostsee-Zeitung, 1992)
FLV: In Greifswald hast du ja nicht nur Konfrontationen mit Neonazis, sondern auch mit besorgten Bürgern erlebt, wenn ich zum Beispiel an den Kohl-Auftritt 1990 auf dem Marktplatz denke.
AM: Eine völlig irre Geschichte, so viel Angst habe ich noch nie gespürt, wie als die aufgebrachten Bürgerinnen und Bürger von Greifswald vor dem Amberland standen und der erste Stein durch die Scheibe flog. Das waren ja keine Nazis, sondern „normale“ Greifswalder, die sich gestört fühlten. Nach diesem Erlebnis war mir klar, dass die Gegner einer politischen Auseinandersetzung am Ende des Tages nicht nur Nazis wie Maik Spiegelmacher sind, sondern auch Bürger, die sich zu so etwas hinreißen lassen. Wir können jetzt gerade wieder bei Pegida beobachten, dass das bis heute passiert. Auch wenn fast 25 Jahre ins Land gegangen sind, fühlte ich mich sofort an diese Situation in Greifswald erinnert und dachte mir: Es war nie weg, es war nur leiser.
„Wenn alles so gekommen wäre, wie es laut Stasi-Akte kommen sollte, wäre ich auf Hinrich Kuessner und Arndt Noack angesetzt worden.“
FLV: Du bist regelmäßig in Greifswald. Ist dieser Ort für dich durch deine Erfahrungen bis 1989 negativ markiert?
AM: Nein, aber das habe ich mir irgendwann sehr bewusst erarbeitet. Ich sage absichtlich „erarbeitet“. Ich wollte mir Greifswald durch die verschiedenen Erlebnisse nie kaputtmachen lassen. Ich habe hier gute und langjährige Freunde und bin immer wieder gerne hier. In den letzten anderthalb Jahren hat sich das aber auch ein bisschen verändert, weil ich mich einfach nochmal anders damit auseinandergesetzt habe.
FLV: Mit deinem Buch bist du bislang noch nicht öffentlich in Greifswald aufgetreten. Was hast du für ein Gefühl in Hinblick auf den heutigen Abend?
AM: Es ist nicht so, dass ich jede Woche mit dem Buch in einer anderen Stadt bin. Ich mache diese Veranstaltungen dosiert, weil sie für mich emotional sehr anstrengend sind. Wir reden hierbei ja nicht über irgendetwas, sondern über Stasi und Diktatur. Das sind unglaublich negativ konnotierte Themen, die nicht spurlos an mir vorbeigehen — nicht zuletzt, weil Leute logischerweise auch kritische Fragen stellen. Ich fühle mich dann immer latent an den Pranger gestellt und relativ schnell in der Verteidigungsposition, was beim kritischen Nachfragen gar nicht so gemeint sein muss. Das hängt natürlich auch mit der Emotionalität zusammen, die dieses Thema hervorruft, insbesondere bei Leuten, die unter dem System und der Stasi gelitten haben.
Vor diesem Hintergrund bin ich wegen der Veranstaltung im Koeppen unglaublich aufgeregt. Hier können natürlich Leute kommen, die sowohl mich als auch andere Protagonisten des Buches kennen: ehemalige Lehrer, Mitschüler, Mithausbesetzer. Das ist schon eine andere Situation, die mich verunsichert. In Greifswald ist die Situation deswegen besonders, weil hier die Betroffenen sind. Zum Beispiel der Moderator von heute Abend, Hinrich Kuessner. Wir wissen alle, dass Hinrich Kuessner und Arndt Noack die Protagonisten von 1990 gewesen sind und natürlich im Fokus der Stasi standen. Wenn alles so gekommen wäre, wie es laut Stasi-Akte kommen sollte, wäre ich auf Hinrich Kuessner und Arndt Noack angesetzt worden. Wenn dann Hinrich Kuessner heute neben mir als Moderator sitzt, sind genau das die Gedanken, die mir durch den Kopf gehen werden. Ich finde es bemerkenswert, dass er die Veranstaltung moderiert. Hinrich Kuessner ist wahrscheinlich weit davon entfernt, mir andauernd Vorwürfe zu machen, aber er hat das Buch ja gelesen und im Grunde genommen weiß er auch, worauf das hinausgelaufen wäre.
Hinrich Kuessner, Angela Marquardt und Roland Jahn bei der Buchpräsentation im Koeppenhaus (Foto: Fleischervorstadt-Blog)
FLV: „Könnte ein guter Abend für DDR-Hasser werden“, schrieb jemand sinngemäß bei Google+.
AM: Klar kann das ein guter Abend für DDR-Hasser werden. Aber letztlich habe ich die Verantwortung. Ich bin irgendwann nicht mehr 14 gewesen und als ich 17 war, habe ich es auch nicht gemerkt – ich bin eben unter anderen Familienverhältnissen groß geworden als andere. Dieses Gefühl des Schämens habe ich in Greifswald stärker als in Münster. Dort erzählt jemand eine Geschichte, hier betrifft es reale Menschen, die hier heute noch leben und die teilweise auch von meiner Geschichte betroffen sind. Dass ich mich für meine damalige Naivität schäme und diese Diskussion über Verantwortung auch führe, macht letztlich die Unsicherheit des heutigen Abends aus.
FLV: Haben sich seit der Veröffentlichung andere, damals minderjährige, Betroffene bei dir gemeldet, die du noch nicht kanntest?
AM: Nein, obwohl in meiner Akte noch zwei andere Minderjährige vorkommen. Aber das ist auch ein großer Schritt. Ich habe ja selbst erlebt, was es mit mir gemacht hat. Es gab in MV eine hohe Dichte minderjähriger IMs, wie ich im Zuge der Veröffentlichung mitgekriegt habe. Die Unterlagenbehörde spricht übrigens nicht von IMs, sondern von Betroffenen.
„Ich wollte nicht wieder das Opfer sein“
FLV: Du hast mit dem Buch nicht nur versucht, deine Geschichte aufzuarbeiten, sondern auch viele Erlebnisse daraus zu verarbeiten. Ist der Abstand größer geworden? Hat diese Art der Aufarbeitung funktioniert?
AM: Diese Geschichte wird mich mein ganzes Leben lang begleiten; Gefühle wie Scham verliert man nicht, weil man sie auf 240 Seiten zwischen zwei Buchdeckel presst. Meine Naivität, die mir heute weh tut, die Scham, die Angst vor Stigmatisierung — das sind Sachen, die gehen durch so ein Buch natürlich nicht weg. Andererseits war mir sehr wichtig, nicht darauf zu warten, dass ich mit etwas konfrontiert werde und mir andere wieder mein Leben erzählen. Bei allen negativen Reaktionen, die man natürlich bekommt, ist mir aber auch sehr viel Respekt entgegengebracht worden. Greifswald ist ein Baustein auf diesem Weg.
FLV: Du hast dir mit dem Buch auch die Deutungshoheit über dein eigenes Leben zurück erkämpft.
AM: Genau, diese Hoheit habe ich wieder. Das heißt jedoch nicht, dass andere das verstehen müssen, und natürlich gibt es auch eine andere Sicht auf die Dinge. Ich habe das auch im Klex erlebt, wo Leute meinten, sie verstehen mich nicht, Stasi kannte man und so weiter. Es wird immer diejenigen geben, die nicht nachvollziehen können, dass man so blauäugig gewesen ist, aber ich habe jetzt meine Sicht geschildert. Natürlich gibt es noch viele andere Perspektiven, Protagonisten des Buches werden zum Teil einiges anders sehen. Ich bin zum Beispiel David und Silke sehr dankbar, dass sie mir genehmigt haben, ihre Geschichten in das Buch mit aufzunehmen.
Angela Marquardt vor der inzwischen neubebauten Wachsmann-Str. 4 (Foto: Fleischervorstadt-Blog)
FLV: Im Buch schilderst du das Gespräch mit David als einen Akt der Versöhnung. Wie steht es denn bei dir um die Vergebung? Kannst du den Leuten vergeben, die dich für die Stasi instrumentalisierten?
AM: Ich glaube nicht, dass ich schon an diesem Punkt bin. Ich bin im Zuge dieses Buches immer wieder gefragt worden, warum ich den Stasi-Leuten keinen Raum gegeben habe, ihre Sicht zu schildern. Als ich das erste Mal ausgesprochen habe „Ihr habt mich benutzt“, ist mir eigentlich erst aufgefallen, dass ich es in dem Moment zugelassen habe, so zu denken. Natürlich habe ich das immer von mir gewiesen, denn ich wollte nicht wieder das Opfer sein. So sehe ich mich auch nicht, denn ich war daran beteiligt, dass bestimmte Dinge in Gang gesetzt wurden. Aber auch nach der intensiven Auseinandersetzung mit den Stasi-Leuten bin ich noch nicht an dem Punkt, zu vergeben. Es war mir wichtig, eher solche Geschichten wie die von David und Silke aufzuschreiben und lieber den Opfern meiner persönlichen Geschichte diesen Raum zu geben. Im Zuge dieser Buchveröffentlichung hat David gesagt – und das finde ich total nachvollziehbar – „Angela, ganz ehrlich, ich wüsste nicht, wie ich heute denken würde, wenn du mir geschadet hättest.“ Ich bin glücklicherweise nicht in Situationen gekommen, in denen ich Leuten direkt geschadet habe, eben weil ich damals noch so jung gewesen war.
„Ich glaube nicht, dass die Produktion von Geheimnissen jemals eine Gesellschaft befriedet hat.“
FLV: In deinem ersten Buch kritisierst du offensiv die Haltung einiger damaliger PDS-Genossinnen zur Verklärung und Verharmlosung der DDR-Vergangenheit und insbesondere der Stasi. Würdest du heute, mit dem Wissen um die Verwicklungen deines eigenen Lebens, wieder die Nähe zur PDS suchen?
AM: Ich habe da ja noch Kontakte und kenne in Greifswald auch noch teilweise die Leute. Es sind Freundschaften entstanden, auch mit welchen aus der Linkspartei, die bis heute existieren und die ich nicht im Verborgenen auslebe. Insofern bin ich weit davon entfernt, zu sagen, dass jetzt alle doof wären. Ich weiß, wie ich über die DDR denke. Ich bin auch schon in den Neunzigern alt genug gewesen, um zu wissen, was ich nicht mehr will, und ich bin jung genug gewesen, um mir die Bundesrepublik zu erarbeiten. Ich bin nicht umsonst links, ich gehe nicht umsonst bis heute zu Antifa-Demos und so weiter. Aber diese Debatten in der PDS waren für meine Entfremdung mitverantwortlich.
Diese harte Auseinandersetzung würde ich bis heute so führen, allerdings gebe ich zu, dass ich jetzt eher als in den Neunzigerjahren bereit dazu wäre, stärker zu differenzieren. Das war in der damaligen Auseinandersetzung ein sehr großer Fehler, den ich heute eingestehen muss. Das geschah allerdings auch in einer Zeit mit Diskussionen darüber, wie toll die DDR gewesen sei. Jedoch hat Thüringen gezeigt, dass es in der Linkspartei bis heute Thema ist. Es wurde vor Rot-Rot-Grün argumentiert, dass einem die Wähler weglaufen, wenn man die DDR einen Unrechtsstaat nennt. Diese Diskussion wird die Partei immer begleiten, aber das ist eine Diskussion, die auch die SPD begleitet, denn auch dort gibt es Leute, die meinen, die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen. Für mich war es ein Unrechtsstaat. Die Gesellschaft ist mit in der Verantwortung, genau diese Diskussion zu führen, deswegen würde ich es nicht nur der Linkspartei zuschieben – wir sind da alle mit im Boot.
Wir werden es heute Abend erleben: Die Leute sind nicht durch mit diesem Thema. Wir regen uns über Kindersoldaten auf, aber wenn das MfS Minderjährige rekrutierte, dann soll das ein Ergebnis der Blockkonfrontation sein? Und ich glaube auch, dass Leute wie Hinrich Kuessner darüber reden wollen. Man ist damit noch lange nicht fertig, gerade, wenn man betroffen war. Anhand meines Beispiels wird auch klar, wie lange die DDR nachwirkt. Das wird mich mein ganzes Leben betreffen, obwohl ich damals so jung gewesen bin.
FLV: Die Jahn-Behörde, wie man sie ja jetzt nennen müsste, soll bis mindestens 2019 arbeiten, die weitere Zukunft ist noch ungeklärt. Wie ist dein Standpunkt zur Zukunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)?
AM: Es gibt eine Expertenkommission, unter anderem bestehend aus Vertretenden aller Parteien, die darüber diskutiert, was aus der Behörde wird. Ich denke, dass man diese Akten nicht schließen sollte. Sie bilden zwar nicht zwangsläufig die Realität ab – das ist durch viele andere Beispiele bekannt – aber sie können wie bei mir vorhandene Bilder durchaus vervollständigen. Ich würde vor dem Hintergrund meiner eigenen Geschichte den Zugang zu diesen Akten sichern, das ist das Wichtigste. Die Arbeit der Behörde sollte erhalten bleiben, und die brauchen wir auch über 2019 hinaus. Ich habe gemerkt, was die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dort leisten. Sie betreuen Menschen, die unfassbare Schicksale mit sich tragen und teilweise beim Lesen ihrer Akten im Lesesaal zusammenbrechen. Die Behörde macht außerdem spannende Aufklärungsarbeit für Schüler und auch für Ältere. Es gibt Leute, die fordern, dass die Akten geschlossen werden müssen, um die Gesellschaft zu befrieden, aber ich glaube nicht, dass die Produktion von Geheimnissen jemals eine Gesellschaft befriedet hat.
FLV: Angela Marquardt, vielen Dank für das Gespräch.
Angela Marquardt ist heute Mitglied der SPD.
„Die Behörde macht außerdem spannende Aufklärungsarbeit für Schüler und auch für Ältere.“
Ich wäre auch interessiert gewesen zu erfahren, WER mich denn damals so bespitzelt hat – wäre vielleicht wirklich „spannend“ gewesen – ; als aber die Stasi zum Synonym für DDR schlechthin wurde und bis heute kein gutes Haar an diesem anderen Gesellschaftssystem gelassen wird, fand auch bei mir ein Umdenken statt: Vom Montagsdemo-DDR-Kritiker, mit einer 3-jährigen Beobachtungsphase bis 1993, zum linken „Privatpolitiker“ der sich weigert den jetzigen Gesellschaftszustand als den freiesten und alternativlosesten Hort der Menschenrechte aller Zeiten zu akzeptieren.
Auch wenn Gisy meint (ich wähle übrigens immer noch „Die Linke“), daß der Kapitalismus ja auch positive Seiten habe und andere Linke das Wort „Unrechtsstaat“ im Alltagsvokabular haben – persönlich hat sich für mich hat sich nach 1990 nur die Qualität des Toilettenpapiers verbessert – und die war ja nun wirklich unter aller Sau. 😉