Eine Theaterkritik von Florian Leiffheidt
Was kann es Schöneres geben, als Freunde zu einem gemütlichen gemeinsamen Abend einzuladen? Was kann es Schöneres geben, als bei gutem Essen und erlesenem Wein über wichtige wie alltägliche Themen zu diskutieren? Und was kann es Schlimmeres geben, wenn ein so vorhergesehener Abend vollends aus dem Ruder gerät? Diesen Fragen spürt Hannes Hametner in seiner Inszenierung des Schauspiels „Drei Mal Leben“ von Yasmina Reza auf ebenso eindrucksvolle wie leichtfüßig-unterhaltsame Art und Weise nach.
Aus Kommunikation wird Kampf
Die Anlage des Schauspiels von Yasmina Reza, die durch das Kultstück Der Gott des Gemetzels bekannt wurde, erscheint auf den ersten Blick nur mäßig interessant: Ein Abend, an dem zwei Ehepaare aufeinander treffen, wird dreimal erzählt. Henri (Marvin Rehbock), seines Zeichens Astrophysiker, und seine Frau Sonja (Anne Greis) erhalten – einen Tag früher als ursprünglich geplant – Besuch des befreundeten Ehepaares Hubert (Alexander Frank Zieglarski) und Ines (Sarah Bonitz) Finidori. Als wäre dieser Umstand der Unvorhergesehenheit nicht schon herausfordernd genug, stellt sich im Verlauf des Abends heraus, dass es sich weniger um ein freundschaftliches Treffen handelt, sondern dass sich Henri vielmehr durch gute Beziehungen zu Hubert Finidori einen Karrieresprung erhofft – Besoldungsgruppe A heißt die Mission des Wissenschaftlers Henri an diesem Abend.
Durch eine Bemerkung Huberts, welche gravierende Konsequenzen für Henris beruflichen Werdegang haben könnte, wird aus dem Besuch zwischen Freunden ein Kampf zwischen Menschen, der durch ein äußerst unruhiges und nicht schlafen wollendes Kind nicht gerade erleichtert wird. Und es ist wahrlich ein Genuss, diesem Kampf zuzusehen!
Die Bühne als Brennglas menschlicher Emotionen
Es wird geflucht, (in exorbitantem Maße!) getrunken, geschimpft und Wein vergossen. Je mehr Alkohol fließt, desto stärker treten – wie es sich für Rezas Dramen gehört – düstere, menschliche Abgründe zutage: Karrierismus, Chauvinismus, Egoismus und Versagensängste – all dies sind Probleme, welche bei allen vier Personen mehr und mehr sichtbar, spürbar und hörbar werden. Interessant hierbei erscheint die Tatsache, dass sich stets neue Konstellationen der Auseinandersetzung ergeben: Männer gegen Frauen, Henri gegen den Rest der Personen, auch Hubert sieht sich zuweilen als eloquenter Einzelkämpfer mit der stetigen Angst, zu pathetisch zu werden. Und dank der darstellerischen Leistung aller Beteiligten gelingt es, dass die Bühne zu einem Brennglas menschlicher Emotionen und Beziehungen (samt deren) Störungen wird. Freilich, manch eine Bewegung, manch eine Geste mag zu stark auf das Publikum wirken, doch gerade in der einen oder anderen Überzeichnung liegt der Reiz dieser sommerlich-leichten Inszenierung Hametners.
Die drei Varianten des Abends, welche Yasmina Reza in ihrem Stück aufzeigt, sind zudem textuell zauberhaft ineinander verzahnt, nehmen aufeinander Bezug und zeigen zunächst minimal erscheinende Veränderungen, die letztlich weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. Und stets — und das ist das eigentlich Wunderbare dieser Inszenierung — schwingt bei allem Komischen stets eine gewisse Bitterkeit, ein Hauch Verletzlichkeit mit. Wenn Ehepaare so miteinander kommunizieren, scheint der Weg zur Eheberatung kein weiter mehr zu sein!
Man blickt auf die Bühne: Leere Flaschen, Gläser, Weinpfützen, Reste von angebissenen Appetithäppchen und Süßigkeiten; dazwischen, unschuldig wirkend, ein Bobbycar. Der Abend ist vorbei, die Schlacht gekämpft. Ob gewonnen oder verloren, das mag niemand zu sagen. Für das Greifswalder Publikum jedenfalls ist diese Inszenierung ein Gewinn. Ein Gewinn, der ohne Zweifel dadurch getrübt wird, dass Hannes Hametner das Theater Vorpommern als Dramaturg verlassen wird. Der Intendant ließ es nach der Premiere wissen. Das ist angesichts vieler äußerst gelungener Inszenierungen wie Der gute Tod (2013) tatsächlich ein kleiner Schatten, der auf dieser frisch-fröhlichen wie tiefsinnigen Inszenierung zu liegen scheint.
Drei Mal Leben
Schauspiel von Yasmina Reza. Aus dem Französischen übersetzt von Eugen Helmlé.
Inszenierung: Hannes Hametner
Bühne/Kostüme: Christopher Melching
Dramaturgie: Dr. Sascha Löschner
Mit: Sarah Bonitz, Anne Greis, Marvin Rehbock, Alexander Frank Zieglarski
Dauer: zwei Stunden, eine Pause
Nchste Termine: 2./28. Juni, jeweils 19.30 Uhr
Infos und Karten: Theater Vorpommern
Fotos: Vincent Leifer
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Florian Leiffheidt studiert derzeit Germanistik und Philosophie in Greifswald. Er absolvierte Dramaturgie- und Regiehospitanzen am Theater Vorpommern, u.a. bei Katja Paryla und Uta Koschel. Zudem inszenierte er 2012 am Studententheater Ionescos „Unterrichtsstunde“ und war bis 2013 bei der „Opernale“ tätig.