Prof. Dr. Werner Buchholz (Pommersche Geschichte und Landeskunde)
Die Historikerzunft ist sich weitestgehend einig: Arndt war kein Historiker. In der wissenschaftlichen Literatur sind gebräuchliche Bezeichnungen „Propagandist“ oder „Pamphletist“. Allerdings kursieren auch andere Benennungen. Diese berufen sich auch noch mehr als zwei Jahrzehnte nach der Wende auf Ausgaben von Arndt-Schriften, die zu DDR-Zeiten herausgegeben und im stalinistischen Sinne manipuliert wurden, indem etwa zentrale Textpassagen herausgestrichen wurden. Auch kommt es immer noch vor, dass Arndt-Schriften verschwiegen werden, die nicht in das gewünschte Bild passen, oder dass der Forschungsstand ignoriert und durch willkürliche (Falsch-)Angaben ersetzt wird. Ein jüngeres Beispiel für diese Art des Umgangs mit Arndt ist das Buch von D. Alvermann/I. Garbe (Hgg.), Ernst Moritz Arndt. Anstöße und Wirkungen (Forschungen zur pommerschen Geschichte 46), Köln/Weimar/Wien 2011 (s. Anhang).
(Foto: Michael Gratz)
Betrachtet man dagegen Arndt in seiner Zeit, stellt sich Vieles anders dar. Als Pamphletist und Propagandist stand Arndt von 1803 bis 1811 im Dienste des schwedischen Königs, danach fungierte er von 1812 bis 1814 als Chef der Propagandaabteilung des Zentralverwaltungsdepartements für die von den Verbündeten eroberten Gebiete, welches – besonders zu Anfang der russischen Gegenoffensive 1812/13 – weitgehend vom russischen Kaiser dominiert wurde. 1814 wurde Arndt in den preußischen Staatsdienst übernommen, dem er bis zu seinem Tode angehörte.
Arndt und der Vorwurf der Soldschreiberei
1831 und 1834 veröffentlichte Arndt mehrere Schriften, mit denen er seine Abkehr von den Idealen vollzog, die er 1813/15 verfochten hatte. Hatte er damals die Einführung von Verfassungen gefordert, so zog er nun ganz im Gegenteil mit der ihm eigenen Vehemenz und Emotionalität gegen die liberalen Verfassungen vom Leder, die 1830/31 nach der Julirevolution in der Schweiz, in Frankreich und in Belgien eingeführt worden waren. Gleichzeitig erneuerte Arndt die Forderung auf die Nordseeküste von der Eidermündung bis Dünkirchen unter Einschluss der Niederlande, des größten Teils Belgiens, Lothringens, des Elsass sowie von Teilen der Schweiz und deren Angliederung an ein von Preußen geführtes Deutschland.
Diese territorialen Ansprüche hatte Arndt schon 1813 erhoben und damit „begründet“, dass Niederländer und Belgier Deutsche seien und ihre Sprachen bloß Dialekte des Deutschen. Dies hatte ihm „ein offenes Lob von dem preußischen Staatskanzler Fürst Hardenberg“ und die Übernahme in den preußischen Staatsdienst eingebracht. Allerdings hatte Arndt die Gebietsansprüche damals noch mit der Forderung nach einer Verfassung verbunden. Letztere ließ er jetzt fallen. Sein Brotherr, der König von Preußen, wünschte keine Verfassung, auch in anderen Ländern nicht.
Die Elsässer hatten 1815 deutlich gemacht, dass sie ihrem politischen Selbstverständnis nach Franzosen seien und Frankreich als ihr Vaterland betrachteten. Kulturell verstünden sie sich als Elsässer, schrieb der Straßburger Notar und Rechtsanwalt Ehrenfried Stöber in seinen „Bemerkungen über das Elsaß, veranlaßt durch deutsche Zeitungsartikel“. Die gemeinsame Sprache sah er nicht als ein Kriterium oder gar als Nachweis einer – zwangsläufig rassistisch definierten – Abstammungsgemeinschaft, wie Arndt in seinen Schriften immer wieder betonte. Stöber differenzierte zwischen den Revolutionskriegen bis 1799 und den anschließenden napoleonischen Kriegen. Unter den napoleonischen Kriegen hätten die Elsässer ebenso wie andere Völker gelitten, dagegen seien sie stolz darauf, in den Revolutionskriegen an der Verbreitung der Errungenschaften der Französischen Revolution, wie Gleichheit vor dem Gesetz, Rechtssicherheit und Menschenund Bürgerrechte, in Europa mitgewirkt zu haben. Elsässer seien als ausgezeichnete Feldherren hervorgetreten, namentlich Kleber und Kellermann: „Wer Verräther finden will“, also Personen, die zu den Verbündeten überliefen, weil sie sich im Sinne Arndts als Deutsche verstünden, der „meide das Elsass und die Schweiz“.
Aber Arndt hatte keinen Spielraum für Diskussionen oder Differenzierungen. Seine Aufgabe als Propagandist war es, die Ansprüche seines Brotherrn herauszustreichen. Punktum. Das Selbstverständnis der Elsässer kümmerte ihn nicht erkennbar, und auch nicht die Tatsache, dass „deutsch“ auch im allgemeinen Bewusstseinshorizont seiner Zeit immer noch weitestgehend ein rein sprachlicher, (noch) nicht emotional aufgeladener Begriff war, in dem Sinne wie auch heute noch ein „deutscher Walliser“ ein deutschsprachiger Walliser ist, aber eben kein Deutscher, wie Arndt meinte. (Zur Sprachenfrage siehe auch den Beitrag von Schumacher).
Arndt verstand das nicht oder wollte es nicht verstehen. In der Schrift „Ueber den heftigen Widerstand oder den bösen Geist, den die verbündeten Heere allenthalben im Elsaß finden“ (1815) machte er die Elsässer wegen ihres Widerstands gegen die Truppen der Allianz 1814/15 nieder. Wenn also die Elsässer gemäß ihrem Selbstverständnis als deutschsprachige Franzosen ihr Vaterland gegen fremde Eindringlinge spontan verteidigten, dann sah Arndt, darin das Walten eines „bösen Geistes“, den man den Elsässern gegebenenfalls mit Gewalt austreiben sollte. Jedenfalls war nicht zu erwarten, dass die Elsässer eines Tages freiwillig zugeben würden, dass sie von einem „bösen Geist“ besessen seien, um sich anschließend reumütig als Deutsche zu bekennen. Damit propagierte Arndt einen nationalen Exorzismus, der auch auf Niederländer, Belgier und Schweizer angewendet werden konnte.
Im Hinblick auf Arndts Gesinnungswechsel in der Verfassungsfrage, der mit seinem Eintritt in den preußischen Staatsdienst einherging, kam das Wort vom „Soldschreiber Arndt“ auf. Heinrich Heine nannte Arndt einen „[wetter]wendischen Hund“, der „auf höheres Geheiß jenes schäbige Büchlein geschrieben [hat], worin er wie ein Hund wedelt und hündisch […] die Sonne des Julius anbellt.“
Die „Sonne des Julius“ das waren die Verfassungen, die nach der Julirevolution 1830 eingeführt wurden. Sie brachten Rechtssicherheit, Gleichheit vor dem Gesetz und die Garantie der Grundund Menschenrechte. Arndt selbst war dagegen in Preußen einem willkürlichen Untersuchungsverfahren ausgesetzt, das mit seiner Suspendierung als Professor verbunden war. 1834 währte dieses Verfahren nun schon 15 Jahre, und ein Ende war nicht abzusehen, obgleich ihn Belastendes nicht vorlag. Faktisch war Arndt ohne Angabe von Gründen kaltgestellt. Eine Verfassung, wie sie gerade Frankreich, Belgien und die Schweiz erhalten hatten, hätte Arndt vor einem solchen willkürlichen Verfahren bewahrt.
Auf den Widerspruch angesprochen, dass er einem Staat diene, der gegen ihn und viele andere mit Repressalien vorging, reagierte Arndt trotzig: „Könnte Preußen sich noch so sehr vergriffen und geirrt haben, ja könnte es sich noch mehr [als bisher] irren und sich mißgreifen – ich halte an Preußen [fest].“
Gegenüber dem Vorwurf, er, Arndt, „schreibe im Solde und im Auftrage Preußens“ gab er sich empört. Diesen Vorwurf hätten die obligaten „Juden und Judengenossen“ aufgebracht: „Nein!“, schrie er auf, „ich schreibe im Auftrage meines Herzens.“ Es war allerdings nicht zu leugnen, dass Arndt sein Gehalt aus der preußischen Staatskasse bezog, auch während seiner Suspendierung, in der er jedoch weiterhin im Sinne des preußischen Staates propagandistisch tätig war. Dennoch wollte er, dass seine Leser glaubten, dies hätte nichts mit dem zu tun, was er schrieb. Die Übereinstimmung seiner Schriften mit dem aktuellen preußischen Staatsinteresse wäre demnach ein reiner Zufall gewesen.
Offen ließ Arndt jedenfalls, warum ihm sein Herz 1813/15 und 1831/34 einander widersprechende Aufträge erteilte. Joseph Görres, Herausgeber des „Rheinischen Merkur“ und 1813/15 so etwas wie das katholische Pendant zu Arndt, hatte dagegen nicht das „Glück“, dass ihm sein Herz stets nur solche Aufträge gab, die mit dem preußischen Staatsinteresse im Einklang standen. Görres zeigte Rückgrat und ging nach Frankreich, wo er zwar unter elenden Bedingungen sein Leben fristen musste, dafür aber seine Meinung frei äußern konnte.
Arndt ein Symbol für die Philosophische Fakultät?
Diese Vorgänge waren nicht von der Qualität, die geeignet war, Arndts Ruf als Wissenschaftler zu begründen. Seine Übernahme in den preußischen Staatsdienst war aufgrund einer Propagandaschrift erfolgt, die alles andere als Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung präsentierte. Wenn Arndts Name dennoch immer wieder in akademischen Zusammenhängen auftauchte, so war dies auf seinen Ruf an die Universität Bonn zurückzuführen. So fiel Arndts Name auch bei den Vorbereitungen des 400. Gründungsjubiläums der Universität Greifswald, zu dem die Errichtung eines Denkmals geplant wurde, auf dem die vier Fakultäten symbolisch durch einen ihrer namhaften Vertreter repräsentiert werden sollten.
Theologische und Juristische Fakultät entschieden sich mit Johannes Bugenhagen und David Mevius für profilierte Vertreter, die ihre Lebensleistung in Praxis und Theorie in ihrem jeweiligen Fach erbracht hatten. Auch die Mediziner entschieden sich für einen Kandidaten mit klar fakultätsbezogenem Profil, auch wenn sie nicht unter vergleichbar namhaften Kandidaten wählen konnten.
In der Philosophischen Fakultät wurde der Historiker Albert Georg Schwartz (1687-1755) vorgeschlagen. Dieser Vorschlag entsprach den Vorschlägen der drei anderen Fakultäten. Dann wurde aber auch noch Arndt ins Gespräch gebracht. Ludwig von Urlichs, der als Mitglied des preußischen Landtags eine gewisse Nähe zu Regierungskreisen hatte, schlug Arndt vor. Im Unterschied zur Fakultätsmehrheit, die sich für Schwartz einsetzte, begründete Urlichs seinen Vorschlag nicht fachlich oder mit fakultätsbezogenen Verdiensten Arndts. Urlichs führte lediglich an, dass Arndt ein „Landsmann“ und „eine populäre Gestalt“ sei.
Dieser Vorschlag war von vornherein politisch motiviert. Arndt hatte durch seine Propaganda von 1813/15 große Bekanntheit erworben, die während der Ereignisse um den Juli 1830 und dann noch einmal in der Rheinkrise von 1840 gleich zweimal erneuert wurde. 1845 erlebten seine Schriften von 1813/15 und von 1831/34 eine Neuauflage, und auch seine Teilnahme an der Frankfurter Nationalversammlung von 1848 trug zum weiteren Anwachsen seiner Popularität bei. Hinweise, dass ihm letzteres geschadet hätte, sind nicht bekannt.
Indessen entschied sich die Fakultät mehrheitlich mit 7:4 Stimmen für Schwartz. Ihr Votum begründete die Fakultätsmehrheit damit, dass in der auszuwählenden Person ein Symbol der Tätigkeit und des Strebens der philosophischen Fakultät „hinzustellen“ sei. Diese Maxime war in den Entscheidungen von Theologen und Juristen für Bugenhagen und Mevius und letztlich auch bei den Medizinern voll und ganz zur Geltung gekommen. Arndt habe sich dagegen, so wurde weiter ausgeführt, nicht als Gelehrter und Lehrer ausgezeichnet. Auch seien seine geschichtlichen Arbeiten nur von untergeordnetem Wert.
Die Befürworter Arndts bestritten dies nicht. Sie hoben lediglich „sittliche Kraft“, „Patriotismus“ und „Volkstümlichkeit“ Arndts hervor sowie seine „Verdienste um den preußischen Staat“ (sic!). Keines dieser Kriterien war fakultätsspezifisch, was deutlich machte, dass eine Entscheidung nach politischen Gesichtspunkten erstrebt wurde. Prompt ergaben sich denn auch Widerstände im Akademischen Senat. Die Fakultätsmehrheit blieb jedoch bei ihrer Haltung und reichte beim Ministerium ein Sondervotum für Schwartz ein.
Der daraufhin erfolgende abrupte Abschluss des Auswahlverfahrens durch den König bestätigte vollends die politische Motivierung des Vorschlags, Arndt auf das Denkmal zu setzen. Friedrich Wilhelm IV. befahl kurzerhand, dass „Arndt als Repräsentant der Philosophischen Fakultät auf dem Denkmal anzubringen ist“. Festzuhalten bleibt, dass die Fakultät mehrheitlich und in der Sache unwidersprochen klarstellte, dass Arndt weder Wissenschaftler noch Historiker war.
Arndt als Hochschullehrer
Was Arndts akademische Lehre und seine wissenschaftliche Kapazität betrifft, so bestätigen die Aufzeichnungen einer Reihe von Studenten, die bei ihm hörten und später selbst zu Ansehen gelangten, das Urteil der Fakultätsmehrheit. Genannt sei etwa Jacob Burckhardt, neben Ranke der im deutschsprachigen Raum wohl bedeutendste Historiker des 19. Jahrhunderts; und selbst der dezidiert preußenfreundliche Heinrich von Treitschke gelangte zu der Erkenntnis, dass auf dem Katheder vor ihm kein Wissenschaftler stand. Jacob Burckhardt gehörte im Sommer 1841 zu Arndts Hörern. Ihm dämmerte, dass Arndts hoher Bekanntheitsgrad nicht auf dessen Fähigkeiten als Wissenschaftler beruhen konnte: „Ich möchte wissen, was der gute Mann die letzten 21 Jahre über getan hat“, schrieb Burckhardt an Hermann Schauenburg.
Zuvor hatte Burckhardt in Berlin bei Leopold Ranke und August Böckh studiert. Dies veranlasste ihn zu der vergleichenden Reflektion: „Suspendiert einmal Ranke 21 Jahre lang und seht, ob er im geringsten hinter den Forschungen der Zeitgenossen zurückbleiben wird.“
(Un-)Zuverlässigkeit der Angaben in Arndts Schriften
Auch das Urteil der Fakultät über den „nur untergeordneten Wert“ der geschichtlichen Schriften Arndts hat bis heute nichts an Gültigkeit verloren. Der jüngste Stein-Biograf Heinz Duchhardt musste zwangsläufig der Frage nachgehen, warum Arndt denn keine Stein-Biografie vorlegte, obwohl dies von ihm vor allen anderen zu erwarten gewesen wäre. Dabei gelangte er zu der Erkenntnis, dass Arndt „ungeachtet seiner Profession [= Professur] ein Publizist war und […] vom Idealbild des sich in die Quellen versenkenden Historikers immer meilenweit entfernt blieb.“ Arbeiten wie die „Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn vom Stein“ beruhten allein auf der Erinnerung sowie auf Arndts ausgeprägtem Hang zur Legendenbildung. Mit einer „methodisch und quellenmäßig abgesicherten wissenschaftlichen Biografie“ habe dieser Text nichts gemeinsam, urteilt Duchhardt. Die Erinnerung aber spielte Arndt häufig genug einen Streich, so dass seine Arbeiten in ihren Angaben unsicher sind und stets der Überprüfung sowie der Gegenrecherche bedürfen.
Arndts Sprache ist überwiegend ungeeignet, historische Sachverhalte und Verläufe analytisch darzustellen, Charakteristisch sind ständige emotionale Entladungen in Form von Ausrufen und Exklamationen, die nicht nur auf skandinavische Leser enervierend wirkten, aber offenbar auf diese in ganz besonderer Weise. Ein Rezensent der „Swensk Literatur-Tidning“ von 1818, stieß sich daran, dass bei Arndt die Analyse durch Exklamation ersetzt werde. Arndt drücke sich mehr marktschreierisch lärmend als kraftvoll aus und wirbele bloß Rauch und Staub auf, anstatt genial leuchtend und mit wärmender Erkenntnis zu dienen. Arndt verfüge über kein Genie. Er sei nur von brennendem Eifer für das Vaterland getrieben.
Die Auswirkungen der Angewohnheit Arndts, nicht aus den Quellen, sondern aus der Erinnerung heraus zu schreiben, untersuchte Uno Willers in Arndts „Schwedische Geschichten“. Dabei stellte er zahlreiche Fehler fest und kam insgesamt zu dem Ergebnis, „att Schwedische Geschichten varken som historiskt arbete eller som memoarverk kan tillmätas något stort värde [dass Arndts Schwedische Geschichten weder als historisches Werk noch als Memoiren großer Wert beizumessen ist.“]
Treitschke schrieb nach seiner Überprüfung Arndt ́scher Falschangaben entnervt: „Hätte er [=Arndt] etwas weniger Entrüstung und etwas mehr Forscherfleiß aufgewendet, so konnte er selber den Beweis erbringen, den ich nun an seiner Stelle erbringen muß.“
Die politische Propaganda von 1813 und ihr Verhältnis zur Realität
Als Heinrich Luden im November 1813 dem Minister Goethe wegen der Genehmigung der Herausgabe seiner Zeitschrift „Nemesis“ seine Aufwartung machte – Luden war damals Professor an der Universität Jena und Goethe sein Dienstherr – kam es zu einem Gespräch über die propagandistische Stilisierung der damaligen Situation zur angeblichen „allgemeinen Volkserhebung“ und zum „Befreiungskrieg“. Goethe, der stets um Authentizität bemüht war, öffnete sich gegenüber Luden, machte diesem deutlich, dass ihm dieses unrealistisch überhöhende Propagandagetöse, mit dem er unschwer erkennbar gerade auf Männer wie Arndt, Jahn und Görres abzielte, gegen den Strich ging und brachte das Gespräch auf die Realität der gegenwärtigen Situation. Möglicherweise wollte Goethe Luden davon abhalten, mit der „Nemesis“ etwa denselben Weg einzuschlagen, den Arndt mit seinen Schriften und Görres mit dem „Rheinischen Merkur“ gerade beschritten. Goethe prognostizierte, dass die Protagonisten der gegenwärtigen Kampagne, wären Napoleon und die Franzosen erst einmal vertrieben, „an die Throne stoßen“ würden. Diese würden sie nur so lange gewähren lassen, wie sie ihnen bei der Abschüttelung der Herrschaft Napoleons nützlich wären.
Gegen die Throne habe „man Nichts einzusetzen“. Wer glaube, das Volk sei erwacht und „werde sich nicht wieder entreißen lassen, was es errungen, nämlich die Freiheit“, der übersähe, dass tatsächlich nicht „das Volk, die Menge, die Millionen“ sich erhoben hätten, sondern bloß ein paar Tausend „gebildeter Jünglinge und Männer“: „Ist denn wirklich das Volk erwacht? Weiß es, was es will und was es vermag?“ „Erhebt sich, wer gewaltsam aufgestöbert wird?“, habe Goethe gefragt.
Tatsächlich waren „der Menge, den Millionen“ nur wenige Tage eingeräumt worden, in denen sie sich „freiwillig erheben“ durften, d. h. zum Kriegsdienst melden konnten. Danach waren sie zwangsweise eingezogen worden.
Diese Richtigstellung Goethes, wie sie von Luden in seinen „Rückblicke in mein Leben“ berichtet wird, entsprach, von Details abgesehen, in etwa dem heutigen Forschungsstand, wie er z.B. von Jörg Echternkamp oder Ute Planert repräsentiert wird. Wenn dieser Erkenntnisstand zwischenzeitlich verlorenging, so ist dies nicht zuletzt der Propaganda Arndts und seinesgleichen sowie der massiven finanziellen Unterstützung, die diese durch die Fürsten erfuhren, zu danken. Diese haben die Ereignisse von 1813/15 erst zur „Volkserhebung“ und zum „Befreiungskrieg“ hochstilisiert, die sie real nicht waren. Wie klar Goethe dies voraussah, zeigte sich nicht nur darin, dass Zeitungen und Zeitschriften wie die „Nemesis“ oder der „Rheinische Merkur“ alsbald verboten wurden und politische Pamphletisten wie Arndt kaltgestellt und gegen sie willkürliche außergerichtliche Verfahren eingeleitet wurden.
Als Luden am Ende des Gesprächs Goethe um einen Beitrag für die „Nemesis“ bat, nutzte dieser die Gelegenheit, um seine kritische Distanz zu dieser Form von politischer Publizistik nun auch praktisch unter Beweis zu stellen. Er lehnte ab. Diese Distanz demonstrierte er auch gegenüber Arndt persönlich, als er diesem anderthalb Jahre später in Köln begegnete. Arndt selbst berichtet, dass Goethe ein Gespräch vermied, sich schweigsam verhielt und sich nach kurzer Zeit zurückzog. Goethe selbst erwähnt diese Begegnung mit Arndt weder in seinem Tagebuch noch in den Briefen, die er in dieser Zeit schrieb, noch in dem Bericht, den er eigens über seine Kölner Reise im Juli 1815 anfertigte. Offenbar wollte Goethe nicht mit Arndt in Verbindung gebracht werden – weder öffentlich noch privat. Von seiner Reise nach Köln erstattete er nämlich auch seinem Sohn August einen ausführlichen Bericht, ohne Arndt zu erwähnen.
Durch seine Reaktivierung in der Rheinkrise zu Beginn der 1840er Jahre trat Arndt noch einmal als politischer Aktivist und Propagandist in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. In der französischen Presse überwog die Überzeugung, dass die Einwohner der Rheinlande einen Übergang an Frankreich begrüßen würden. Dafür sprach insbesondere, dass die Rheinländer erfolgreich für die Beibehaltung des von Napoleon eingeführten französischen Rechts eintraten und an dem damit verbundenen Rechts- und Gerichtssystem gegen die Einführung des Preußischen Landrechts festhielten – eine Tatsache, die Arndt in seinen Schriften konsequent verschweigt. Einigen Schriften Arndts von 1813/1815 wurde, soweit diese jetzt erwünscht waren, durch großzügig finanzierte Neuauflagen ebenfalls zu erneuter Aktualität verholfen. 1845 erschien eine Anthologie von Arndts Schriften in drei Bänden unter dem Titel „E. M. Arndts Schriften für und an seine lieben Deutschen“. In Band III wurden Arndts Pamphlete aus den Jahren 1828, 1831 und 1834 ebenfalls erneut abgedruckt.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Arndt ein politischer Propagandist und Publizist war, dessen Schriften für den Augenblick geschrieben wurden und keinen historisch-analytischen Tiefgang hatten. Als Hochschullehrer war Arndt keine Kapazität, einen Wissenschaftler Arndt hat es nie gegeben, methodisch abgesicherte Aussagen liegen von ihm nicht vor. Er war wegen seines propagandistischen Einsatzes an die Universität Bonn berufen worden, und es wurde von ihm erwartet, dass er seine Tätigkeit auf diesem Wege fortsetzte. Diese Erwartung hat Arndt erfüllt.
Zur Manipulation von Arndt-Texten in der DDR
Der folgende Text ist am 25. August 2017 an die Ostsee-Zeitung gegeben worden und wurde am 2. September mit einigen geringfügigen sprachlichen, inhaltlich unwesentlichen Änderungen als Leserbrief abgedruckt.
Der Antisemitismus Arndts sei schon „ausführlichst“ und „sachlich fundiert“ diskutiert worden, schreibt Herr X., was wohl heißen soll, dass es ihm lieb wäre, wenn jetzt damit Schluss gemacht würde. Auch träfe es nicht zu, dass der Antisemitismus in der DDR ausgeblendet worden wäre. Dies bewiesen drei Spielfilme, von denen zwei in der Ära Ulbricht gedreht wurden.
Wenn in Verbindung mit Arndt von Ausblenden des Antisemitismus gesprochen wird, sind damit die Manipulationen von Arndttexten in der DDR gemeint, bei denen für das Gesamtverständnis von Person und Haltung Arndts zentrale Teile des Textes herausgestrichen wurden. So waren etwa Arndts „Erinnerungen aus dem äußeren Leben“ von Fritz Zschech „überarbeitet“ und 1953 in Rudolstadt herausgegeben worden. Originaltexte Arndts waren in der DDR nicht frei zugänglich – im Unterschied zu der umfassenden Rezeption Arndts im „Dritten Reich“, wo lediglich die Einschränkung galt, dass „peinlich darauf zu achten war, Hitler nicht als Epigonen [etwa: Nachäffer] Arndts, sondern als den entschieden reiferen Denker erscheinen zu lassen“.
Im Ergebnis strich Zschech aus Arndts „Erinnerungen“ sämtliche Textstellen, Sätze und selbst einzelne Wörter heraus, die auch nur entfernt einen Widerspruch zu Stalins Aufsatz „Marxismus und nationale Frage“ in der deutschen Fassung von 1946 darstellen konnten. Dazu gehörten auch die Passagen, in denen Arndt sich über Juden äußert. Fast drei Jahrzehnte nach der Wende kann das jeder wissen, der es wissen will. Dem entsprach insgesamt der DDR-Umgang mit Textstellen in Arndts Werken, in denen dieser gegen die modernen Verfassungen seiner Zeit vom Leder zog, welche Menschen- und Bürgerrechte garantierten, darunter Religionsfreiheit und Judenemanzipation, und der Monarch einen Eid auf die Verfassung leistete.
Auch Autoren der Jubiläumsschrift zu Arndts 200. Geburtstag verwendeten die von Zschech „überarbeitete“ Fassung der „Erinnerungen“. Schon der Verfasser des einleitenden und grundlegenden Artikels „Ernst Moritz Arndts Weg, Ziel und Vermächtnis“, Johannes Schildhauer, gleichzeitig Redakteur und maßgeblicher Herausgeber der Jubiläumsschrift, weist in jeder vierten Fußnote auf das Zschech`sche Elaborat als Grundlage seiner Ausführungen hin. So blieb es Schildhauer erspart, unter „Arndts Zielen“ und „Arndts Vermächtnis“ auf die antisemitischen Ausfälle des Originals einzugehen.
Die im selben Jahr 1969 erschienene Arndt-Bibliographie von Gerhard Loh weist einen ähnlichen Befund auf. Veröffentlichungen, die vulgäre antisemitische Ausfälle Arndts enthalten, werden sorgsam ausgespart, zumal wenn sie an prominenter, breitenwirksamer Stelle erschienen sind. Selbst noch im Jahr 2011 werden in dem von Irmfried Garbe herausgegebenen Band „Ernst Moritz Arndt. Anstöße und Wirkungen“ Arndts unerträgliche antisemitischen Ausfälle, wie „Volksverderber“ und „schmarotzende Aussauger“ usw. zu „Judenkritik“ aufgewertet und Arndts „Antisemitismus“ in Anführungszeichen gesetzt. Auch wird hier behauptet, Arndt hätte sich nur „verstreut“ oder „privat“ antisemitisch und manchmal sogar „liebevoll“ über Juden geäußert. Die von Zschech manipulierten „Erinnerungen“ Arndts präsentiert Garbe ganz neutral als „Wiedergabe“ und „Auszugsbearbeitung“. Zu beanstanden hat er daran nichts.
Dass der Stalinismus mit dem XX. Parteitag der KPdSU nicht unmittelbar ein Ende fand und sich auf die Jubiläumsschrift von 1969 sowie die im selben Jahr in der DDR erschienene Arndt-Bibliographie auswirkte, mag zumindest nachvollziehbar sein. Warum aber Kirchenmänner und konservative Autoren des von Garbe herausgegebenen und aus Mitteln des Landes Mecklenburg-Vorpommern finanzierten Buches noch fast drei Jahrzehnte nach der Wende sich an manipulierte Quellen halten, Falschangaben vortragen und stalinismusidentische Positionen zur Begründung des Uni-Namens propagieren das dürfte noch lange nicht ausdiskutiert sein.
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Dieser Beitrag erschien zuerst in “Für die Universität Greifswald. Zeitung mit Fakten zum Namensstreit an der Universität Greifswald” (2017, PDF-Download, 0,8 MB) und wurde mit freundlicher Genehmigung der Autoren auf dem Fleischervorstadt-Blog veröffentlicht.