Diagonalquerung: Ein Verkehrsprojekt spaltet die Stadt *Update*

Die Diskussion über die Diagonalquerung auf der Europakreuzung hört nicht auf. Nachdem Grüne, Linke und SPD einen erneuten Anlauf unternommen haben, das innovative und vom Finanzausschuss der Stadt Greifswald befürwortete Verkehrsprojekt umzusetzen, avancierte das Thema in den letzten Tagen zum Dauerbrenner in den Leserbriefspalten der Ostsee-Zeitung.

WEM GEHÖRT DIE STADT? 

Die startete nicht nur eine Umfrage, bei der inzwischen über 3200 Stimmen — bislang votierten 58% für das Vorhaben — abgegeben wurde, sondern bot ihren Leserinnen auch den Raum, ihre Meinung über die Diagonalquerung öffentlich zu machen. Dabei treten leider nicht unbedingt die sachlichen Beiträge in den Vordergrund — um Verkehrsplanung scheint es vielen Diskutanten nicht zu gehen und die zum Teil berechtigte Kritik an dem Projekt geht unter.

Vielmehr wird die Debatte von einigen dazu genutzt, sich geräuschvoll zu positionieren — jedoch nicht in der Frage, ob es Radfahrerinnen zukünftig erlaubt sein soll, die Europakreuzung diagonal zu passieren, sondern eigentlich in der grundsätzlichen Entscheidung wir oder ihr. Diese Grenzziehung findet nicht zum ersten Mal statt; sie ließ sich schon während der Auseinandersetzungen um Ernst-Moritz-Arndt oder während der Proteste gegen die beiden Castor-Transporte beobachten.

Da meldeten sich Leserbriefautoren wie der EWN-Senior Leonhard Bienert, der im Dezember 2010 die heutige Landtagsabgeordnete Ulrike Berger (Grüne) am liebsten von den Polizisten  nackt über die vorpommerschen Äcker gejagt gesehen hätte, zu Wort. Das Projekt sei ein „Karnevalsscherz“, „Schwachsinn“, und dürfe nur umgesetzt werden, wenn sich zukünftig alle Radfahrer überall an die Verkehrsordnung hielten, sonst solle man lieber ein Transportband für Fußgänger in die Innenstadt setzen.

 „UNDISZIPLINIERTHEITEN VON RADFAHRERN NICHT LEGALISIEREN!“

Die CDU Greifswald lehnt das Projekt trotz anfänglicher Zustimmung ab, weil der geschaffene Nutzen nur einer einzigen Verkehrsgruppe zugute käme — bei der 25 Millionen Euro teuren Bahnparallele verursachte diese Behauptung damals weniger Bauchschmerzen. Auch der Seniorenbeirat schaffte es auf die erste Seite des Lokalteils und Sprecher Berndt Frisch (FDP) forderte zeitungsöffentlich, dass „Undiszipliniertheiten von Radfahrern“ nicht legalisiert werden dürfen. Im Gegensatz zum Seniorenbeirat hat sich der Stadtelternrat  bislang noch nicht zum Verkehrsprojekt geäußert, wieso auch?

Unterdessen hat auch der Verkehrsclub Deutschland/Nordost eine Pressemitteilung zur Diagonalquerung herausgegeben. Darin wird nochmal betont, dass ein Teil der kalkulierten Baukosten in Höhe von 185.000 Euro auch den Autofahrern zugute käme, da die Lichtsignalanlage müsse ohnehin erneuert werden. Sandro Teuber (GRÜNE) schätzt gegenüber Greifswald TV die eigentlichen Kosten der Fahrradquerung auf nur 100.000 Euro.

Der Lokalsender stellte das Für und Wider des Projekts dar und ließ sowohl Teuber als auch Axel Hochschild (CDU) ihre Position begründen. Ergänzt wird die Sendung durch ein Interview aus dem Archiv mit dem Verkehrsplaner Gerhard Imhorst, einem der Väter Idee, gewissermaßen einer der ersten Querulanten.

BITTE BERUHIGEN SIE SICH, ES GEHT NUR UMS FAHRRADFAHREN 

Es wäre wünschenswert, wenn die Kritikerinnen wieder den Weg zurück zum inhaltlichen Kern der Debatte finden würden und sich zukünftig der verkehrsplanerischen Seite des Projekts widmeten — über unbeleuchtete Fahrräder kann dann beim nächsten Stammtisch gewettert werden, denn das ist ein anderes Thema. Die schlussendlich für die Fahrradfahrer zu investierenden 100.000 Euro sind Peanuts im Vergleich zu den Millionensummen, die an anderer Stelle wissentlich versickerten, zum Beispiel beim Finanzdesaster Technisches Rathaus.
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Die Idee der Diagonalquerung ist zu innovativ, um sie auf dem Schlachtfeld der innerstädtischen Stellungskriege oder für die Profilneurosen einiger alteingesessener Greifswalder geopfert zu werden. Es geht doch am Ende nur ums Fahrradfahren und um klimaneutrale Fortbewegung ohne unnötige Unterbrechungen — für einen Glaubenskampf ist das zu wenig. Eine Versachlichung tut dringend not.

Die Umfrage der Ostsee-Zeitung ist noch immer aktiv und online zu finden. Über den Bau der Diagonalquerung wird vermutlich auf der Bürgerschaftssitzung am 20. Februar entschieden.

*Update*

Inzwischen ist die Umfrage beendet. Das Ergebnis blieb gleich: 58% der abgegebenen Stimmen waren für den Bau der Diagonalquerung.

abstimmung diagonalquerung(Screenshot ostsee-zeitung.de)

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  • VCD Nordost unterstützt Forderungen nach Umsetzung der Diagonalquerung auf der Greifswalder Europakreuzung (Pressemitteilung (pdf-Dokument, 0,04 MB) des VCD Nordost, 13.02.12)
  • Stimmt für die Diagonalquerung (Fleischervorstadt-Blog, 07.02.12)

19 Gedanken zu „Diagonalquerung: Ein Verkehrsprojekt spaltet die Stadt *Update*

  1. Das ist wirklich nicht schön anzusehen, wie sich Herr Hochschild mal wieder den Mund fusselig redet. Dass die CDU nix mit Minderheiten, in dem Fall die Radfahrer, am Hut hat ist ja keine Überraschung. Aber, dass die alten Stuhrköpfe da wegen solchen Banalitäten, sowohl finanziell als auch vom Aufwand her, abblocken und dann noch schwadronieren, man könne ja lieber was für die Schulen tun, ist für mich die Höhe. Die von dir angesprochene Bahnunterführung ist ein gutes Beispiel, besonders, da es bei der Diagonalquerung auch nur um eine Erweiterung der Infrastruktur geht.
    Aber wieso sollte man auch in einer Universitäts- und Fahrrad(haupt)stadt was für Radfahrer tun…

  2. andere umfrage

    a) diagonalquerung: ja
    b) diagonalquerung: nein
    c) etat für andere radfahrprojekte um 180000 erweitern

    würde mich mal interessieren…

      1. Wenn das gewünscht wird, setze ich morgen mal so eine Umfrage auf, das wird vielleicht übersichtlicher, als das hier in den Kommentarsträngen aufzulösen (die sind nämlich auf 7 Verästerlungen beschränkt).

        1. vergiss die City-Maut nicht… wenn ich von Arbeitskolleginn_en höre, die 2 bis 3km mit’m Auto zur Arbeit fahren krieg ich…. ähhh…. so’ne waden… vom fahrrad fahren

        2. Ich wünsch mir das :).

          Natürlich ist das auch nicht repräsentativ, aber ich nehme an die tendenziell velophilen Leser hier sind dennoch eine Interessante Stichprobe.

  3. greifswald hat doch eine wunderschöne umgehungsstraße… nehmen wir uns ein Beispiel an London und verlangen 5€ tägliche Auto-City-Maut… da sind die 180000 für ein Rot-Gelb-Grünes Lichterspiel im Schwarzen Rahmen ganz schnell wieder drin…
    Und wem Radfahren nicht passt, der kann ja drei Linien in den Stadtplan zeichnen 😉

  4. Die Ostseezeitung scheint Umfragen zum Thema Fahrradverkehr in HGW als neuen Clickbringer entdeckt zu haben… die neue Umfrage: „Finden Sie Radschutzstreifen besser als Radwege?“
    Ich dachte ja, das Votum zur Diagonalquerung wird so lang online gelassen, bis das Ergebnis gekippt ist. Und nach welchen Kriterien in der Bachstraße Leserbriefe für publikationswürdig befunden werden, würde mich auch mal interessieren. Aber wie meinte FAZ-Mitherausgeber Nonnenmacher: „Leserbriefschreiber sind Fundamentalisten.“ Ja, das merkt man! Ernst nehmen muss man sie trotzdem nicht.

  5. [beliebiges Substantiv] ist der garantierte Untergang des Abendlandes und der Weg in die totale Anarchie für Greifswald.

    Mal ehrlich:

    1. liegt es doch auf der Hand, dass neben den Radfahrern zumindest auch die Fußgänger von dieser Lösung profitieren, denn zu den Stoßzeiten kann es schon mal eng und unübersichtlich werden. Wenn die Autofahrer zudem eine neue Lichtanlage und größere Grünphase bekommen, haben sie vielleicht nicht so viel gewonnen wie der Rest der Verkehrsteilnehmer, aber es entsteht ihnen auch kein Nachteil.

    2. Wenn man sich selbst den Titel als Fahrradhauptstadt in Deutschland verleiht, dann nicht nur des Titels wegen sondern weil man den Anteil der Bevölkerung, die aufs Rad zurückgreift, zu würdigen weiß und ihnen dafür auch ein paar kleine Privilegien gewährt – ebenfalls ohne andere Verkehrsteilnehmer zu benachteiligen. Das sehe ich als Ansatz bisher nur in der Duldung der Diagonalüberquerung und die Schaffung der Fahrradstraße Richtung UB, die de facto zwar so heißt, aber doch abgesehen von Radfahrern als solche gar nicht akzeptiert wird. Da wird gedrängelt, genötig, beleidigt und unter voller Ausschöpfung der pommerschen Autofahrertrickkiste überholt, was schon zu einigen brenzligen Situationen führte.
    Hier muss man eben entscheiden: Fahrradstadt Nr.1 und was für die Radfahrer tun oder es lassen und auf den ohnehin lächerlichen Titel verzichten.

    3. Nimmt das die Radfahrer doch nicht aus der Pflicht, sich an Regeln oder Sicherheitsausstattung zu halten. Insofern sollen alle Besorgten nicht so tun, als wäre Radfahren in Greifswald eine rechtsfreie Zone. Sicherlich halten sich nicht alle dran, aber das betrifft auch Fußgänger und Autofahrer und im Bezug auf die Diagonalüberquerung wurde doch darauf hingewiesen, dass es bisher keine Unfälle gab.

  6. Die OZ-Umfrage ist wieder einmal nicht repräsentativ, allein ich konnte fünfmal hintereinander meine Stimme abgeben. Qualitätsjournalismus, den wir hier nicht erwarten dürfen, vergäbe solch eine Umfrage an eine wissenschaftlich fundiert arbeitende Einrichtung und trüge so qualifiziert zur öffentlichen Meinungsbildung bei.

    So lange radelnde Querulanten weiter unerwünscht sind verbleibt zumindest aus Richtung der Fahrradstraße/UB eine legale Querungsoption: von der Robert-Blum-Straße via Rudolf-Breitscheid-Straße auf den Fahrradstreifen in der Anklamer-Straße wechseln und hier an der EK auf der Linksabbiegerspur einordnen und vorfahren. Als angenehmer Nebeneffekt wird das Kopfsteinpflaster vor dem Theater umfahren.

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