Eine Theaterkritik von Florian Leiffheidt
Mitarbeitergespräche – für eine Vielzahl von Arbeitnehmern sind sie ein Schreckensszenario sondergleichen. Bloß nichts Falsches sagen, an der richtigen Stelle die möglichst passende Bemerkung abgeben und vor allem: immer die richtige Haltung einnehmen!
KEINE HALTUNGSSCHÄDEN PROVOZIEREN!
Ingrid Lausunds Stück Bandscheibenvorfall thematisiert eben dieses gesellschaftliche Themenfeld auf zynische, teils makabere Art und Weise, wie der Untertitel verrät: „Ein Abend für Leute mit Haltungsschäden“.
Die Handlung ist schnell erzählt: Fünf Arbeitnehmer einer Firma, drei von ihnen männlich, zwei weiblich – hier scheint die Frauenquote erfolgreich gewesen zu sein – erwarten ihren Gang in das Chefzimmer zum Gespräch. Ob es sich um ein Kündigungs- oder Auswertungsgespräch handelt, bleibt offen und als Interpretationsangebot letztlich dem Zuschauer überlassen. Zwischen Kaffeemaschine und Kopierer entwickeln sich stereotype, oberflächliche Bürogespräche, fern von jeglichem gegenseitigen Interesse der Beteiligten. Alle denken nur an sich und ihr jeweiliges „Konzept“, welches ihnen dabei helfen soll, das Gespräch beim Vorgesetzten hinter der ominösen Tür siegreich zu bestreiten oder zumindest zu überleben. Mitten in diese belanglosen Gespräche platzt der dröhnende Klang: das unheilvolle Zeichen, dass der bzw. die Nächste durch die Tür schreiten und sich behaupten muss – Ausgang mehr als offen.
Im fortschreitenden Verlauf der Handlung werden aus den (Mit)arbeitern – den Arbeitsplatzkämpfern im wahrsten Sinne – zunächst erbitterte Konkurrenten, welche vor Mobbing ebenso wenig zurückschrecken wie vor körperlicher Gewalt. Schließlich zeigt sich ihr unterwürfiges Verhalten, wenn sich das gesamte Team in ein Rudel Hunde verwandelt und ebenso hechelnd wie sich gegenseitig begattend über die Bühne robbt. Der Zusammenhalt der Mitarbeiter wird durch gemeinsame Musikeinlagen dargestellt, welche sie als eine Art Büro-Band-Playback zum Besten geben.
Doch neben all den absurd-komisch anmutenden Momenten gibt es durchaus auch besinnliche, leise Töne im Stück – etwa, wenn Kretzky (Ronny Winter) und Kruse (Sören Ergang) zunächst eine Art Fluchtplan schmieden, um dem Arbeitsalltag im Büro zu entfliehen, letztlich aber doch bleiben, weil sie bleiben müssen. Ein weiterer berührender Moment entsteht, wenn Schmitt (Gastschauspielerin Friederike Ziegler) sich selbst als „kaputt“ bezeichnet und anfügt, sie wolle „nicht repariert“ werden. Vielleicht ist dies das Bekenntnis einer ausgebrannten, schlichtweg durch Kämpfe zerriebenen Arbeitsgesellschaft?
ZWISCHEN ARBEITSFRUST UND ARBEITSSUCHT
Die Inszenierung von Jonas Hien am hiesigen Hause orientiert sich am Originaltext Lausunds, sowohl textlich als auch die Regieanweisungen betreffend. Auf erfrischende Art und Weise paaren sich mehr oder weniger gehobene Gags mit gängigsten Klischees aus der Büro- und Arbeitswelt, aber auch leiser wie bitterböser Gesellschaftskritik. Die Tatsache, dass keine großen inszenatorischen Ausflüge jenseits des Originals bestritten wurden, mag vielleicht ein Grund sein, dass das Stück in seiner Art – seiner „Machart“ – letztlich funktioniert und zu unterhalten imstande ist. Dennoch bleiben große Überraschungen ebenso aus wie Lachsalven im Publikum.
Hinreißend komisch: Sören Ergang als prinzipiell nervöser und unwitziger Kruse, der stolpert, seine Tasche auf den Boden wirft, um schließlich auch über sie zu fallen, oder versucht, zu erzählen, was ihm denn Lustiges beim morgendlichen Aufstehen passiert sei. Doch trotz aller Komik durch Unbeholfenheit sorgt Ergang für einen der ernsten Momente im Stück, wenn deutlich wird, wie sehr er der Arbeit gemeinsam mit seinem Kollegen entfliehen will, es aber ebenso wenig kann – eine Art Sein zwischen Arbeitsfrust und Arbeitssucht.
BLASSHEIT TROTZ HACKBEIL – DARSTELLERISCH UNTERSCHIEDLICHE LEISTUNGEN
Auch Jan Bernhardt als schmierig-unsympathischer Hufschmidt, der alte Hase unter den Arbeitern, verleiht dem Theaterabend eine Menge humorvollen Schwung. Egal ob konfrontiert mit seiner problematischen Kindheit (Ja, der Abend wartet auch mit Therapeutischem auf!) oder gedankenversunken in sein „Konzept“ – Hufschmidt lässt keinen Zweifel an seinem vermeintlichen Macher-Image, bis es letztlich durch die Wiederauferstehung seiner Eltern große, irreparable, wenngleich unterhaltsame Risse erhält.
Einen hinreißenden weiblichen Gegenpart zu Hufschmidt bietet Gastschauspielerin Friederike Ziegler als Schmitt, welche es sowohl schafft, ihre weiblichen Reize und die damit einhergehenden Blicke ihrer Kollegen zu nutzen – natürlich ist auch Sexismus ein nicht unwesentlicher Bestandteil des Stückes! – als auch die Waffen des alltäglichen Mobbings zwischen den Türen eines Großraumbüros für sich und somit gegen alle anderen einzusetzen. Aber auch ihre Figur ist verletzlich, hat sich kaputt gearbeitet, wie sie auf sehr eindrückliche, unaufgeregte Art und Weise allein auf der Bühne stehend gesteht.
Es bleibt, alles in allem, zu sagen, dass Bandscheibenvorfall einen durchaus unterhaltsamen – zuweilen etwas klamaukigen – Theaterabend bietet, nach dem man ohne Zweifel mit einem Lächeln auf den Lippen heimwärts geht und im Stillen denkt: „Danke fürs Gespräch!“
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(Fotos: Theater Vorpommern)
Bandscheibenvorfall
Stück von Ingrid Lausund
Inszenierung: Jonas Hien
Ausstattung: Christof von Büren
Dramaturgie: Franz Burkhard
Nächste Vorstellungen in Greifswald: 9./24. Mai
Infos und Karten: Theater Vorpommern
(Fotos: Christopher Melching)
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Florian Leiffheidt studiert derzeit Germanistik und Musikwissenschaft in Greifswald. Er absolvierte Dramaturgie- und Regiehospitanzen am Theater Vorpommern, u.a. bei Katja Paryla („Nachtasyl“, 2011) und Uta Koschel („Das Fest„, 2012). Zudem inszenierte er 2012 am Studententheater Ionescos „Unterrichtsstunde“ und ist derzeit als Regieassistent bei der „Opernale“ 2013 tätig.