„Eine drollige Gattung Bluthunde“, oder: Ernst Moritz Arndt in seiner Zeit

Prof. Dr. Eckhard Schumacher (Universität Greifswald, Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie)

Man müsse, hört man häufig, Ernst Moritz Arndt in seiner Zeit verstehen. So habe man eben damals gedacht, wir hatten keine besseren Demokraten, wird gesagt. Auch das macht den Streit um den Namenszusatz der Universität Greifswald so befremdlich und so schwer nachvollziehbar. Tatsächlich kann man ohne größere Schwierigkeiten feststellen, dass im frühen 19. Jahrhundert chauvinistischer Nationalismus und wütender Antisemitismus ähnlich weit verbreitet waren wie schöne Märchen und mittelmäßige Dichtung. Die Mahnung, man müsse Arndt in seiner Zeit verstehen, zeugt allerdings häufig doch nur von erkennbar überanstrengten Bemühungen, diese Zeit so zu rekonstruieren, dass sich Fremdenhass und Antisemitismus relativieren lassen (und man im gleichen Zug Mittelmäßigkeit nicht mehr so recht als solche identifizieren kann).

Viele haben wie Arndt gedacht, wenn auch nicht so viele, wie manche es heute gern sehen würden. Viele aber, und das wird gelegentlich ausgeblendet, haben nicht so gedacht. Deutlich wird dies schon, wenn man nur einige der Stimmen aufruft, die Arndt schon insofern „in seiner Zeit“ verstanden haben, als sie selbst in eben dieser Zeit gelebt, gelesen, geschrieben und dabei nicht immer weit von ihm entfernt gestanden haben.

Ernst Moritz Arndt in seiner Zeit

„Wie schön war der Name Arndts, ehe er auf höheren Geheiß jenes schäbige Büchlein geschrieben, worin er wie ein Hund wedelt und hündisch, wie ein wendischer Hund, die Sonne des Julius anbellt,“ schreibt Heinrich Heine 1832 in der Vorrede seines Buchs Französische Zustände. Mit distanziertem Blick aus Paris und einem Verständnis von Demokratie, das diese nicht mit Nationalhass verwechselt, wendet sich Heine gegen Arndts kurz zuvor publiziertes Buch Die Frage über die Niederlande und die Rheinlande. Als „ehrliche deutsche Stimme“ polemisiert Arndt hier gegen „wälsche List, Habsucht und Uebermuth“ und die „hinterlistigen Nachbarn“, um nahezulegen, auch die Vereinigten Niederlande müssten selbstverständlich Teil eines deutschen Nationalstaats sein. Denn, so Arndt, „unsere weiland herrlichsten und sichersten Bollwerke gegen die wälsche Ländergier“ seien „durch Ursprung, Art, Sitte, Sprache dem deutschen Volke zugehörig“.

Das hat sich seinerzeit nicht allein aus Heines Pariser Perspektive, sondern auch aus Sicht des mit anderen Problemen befassten Königreichs der Vereinten Niederlande wohl etwas anders dargestellt. Wenige Jahre zuvor hatte sich Heine in den Reisebildern bereits verwundert daran erinnert, dass Arndt in Bonn in seiner Vorlesung über „die Germania des Tacitus“ in „den altdeutschen Wäldern jene Tugenden suchte, die er in den Salons der Gegenwart vermißte“. Was hier als ambivalentes Befremden im Modus der Ironie aufscheint, formuliert Heine später expliziter, wenn er in den Geständnissen rückblickend „die Herren Görres, Jahn und Ernst Moritz Arndt“ als die „drei berühmtesten Franzosenfresser“ und mithin als „eine drollige Gattung Bluthunde“ charakterisiert.

Auch August von Kotzebue, der meistgespielte Dramatiker um 1800 (dessen Stücke Heine nachvollziehbar als „banal witzige Possen“ abtut), findet als politischer Publizist klare Worte gegen Arndt. Es ist aber nicht nur sein antidemokratischer Furor gegen Turnerbünde und Burschenschaftler, der ihn gegen Arndt aufbringt (und der einen Turner und Burschenschaftler dazu bringen wird, Kotzebue zu ermorden). In seinen Politischen Flugblättern amüsiert sich Kotzebue 1814 zunächst über Arndts These, die verschiedenen Sprachen bildeten die „natürliche Scheidewand der Völker und Länder“, um anschließend darauf hinzuweisen, dass Arndts Eintreten gegen die „Eroberungswuth, die Gottes Naturgang störe und alles Fremde und Ungleiche zusammen schütte und mische“, nicht ganz konsequent sei, wenn Arndt zugleich „mit vieler Behaglichkeit“ die „tapferen deutschen Ritter“ erwähnt, „welche die deutschen Ostseeküsten, fürwahr auf die schändlichste Weise, erobert haben“.

Zeitung mit Fakten zum Namensstreit an der Universität Greifswald

Kotzebue folgert: „In der Tat, es möchte manchem scheinen, der Herr Professor habe selbst einen kleinen Hang zu Eroberungen, und man dürfe sich Glück wünschen, dass er nicht an der Spitze von 300 000 Mann steht; er würde dann in der Geschichte noch etwas weiter zurückgehen als bis auf Cäsar und die deutsche Sprache oder wenigstens einen Dialekt derselben auch in Persien finden, welches bekanntlich der rein deutschen Worte viele in seiner Sprache hat.“

Wenn Kotzebue zwei Jahre später, nachdem Arndt seinen Stücken „weibelnde und süßelnde Glückseligkeit“ vorgeworfen hatte, in den Politischen Flugblättern seitenweise auflistet, welche „Ehrentitel“ Arndt den Franzosen in seiner Schrift Noch ein paar Worte über die Franzosen und über uns erteilt (etwa „spitzbübisches Judenvolk“, „gallische Pest“, „kniffige und pfiffige Juden“), wird deutlicher, dass es hier nicht nur um politische, philologische oder ästhetische Differenzen geht. „Schaudernd“ nimmt Kotzebue zur Kenntnis, wie Arndt mit großem Ernst darlegt, „alle Franzosen ohne Unterschied“ zu hassen, nicht nur im Namen seines „Volkes“, sondern auch „im Nahmen Gottes“. Fassungslos distanziert sich Kotzebue von dem „entsetzlich glühenden Hass“, mit dem Arndt das „frische deutsche Vaterland“ gegen den, wie Arndt schreibt, „judenhaften Kosmopolitismus“ in Stellung bringt.

Der Abstand, der den Kosmopoliten Johann Wolfgang von Goethe vom Goethe-Verehrer Ernst Moritz Arndt trennt, wird auch aus dieser Perspektive sichtbar (dass Goethe und Kotzebue wenig Freundliches übereinander zu sagen hatten, tut dabei nichts zur Sache). Die Distanz wird gleichermaßen deutlich, wenn man berücksichtigt, wie Goethe davon absieht, sich öffentlich zu Arndt zu äußern, und wie knapp er seine Begegnungen mit Arndt in seinen Tagebüchern verzeichnet. So bleibt es Arndt überlassen, ausführlicher von einer Zusammenkunft bei Theodor Körner im April 1813 zu berichten, bei der Goethe auf die Wut, die die jungen Nationaleiferer gegen Napoleons Frankreich antreibt, selbst mit einem Wutanfall reagiert: „Schüttelt nur an Euren Ketten, der Mann ist euch zu groß; ihr werdet sie nicht brechen.“

Es ist nicht abwegig, Goethes Ausfall hier auch als Adresse an den anwesenden Arndt zu begreifen (so zumindest ist es bei Arndt angekommen). Wichtiger aber ist, wie Goethe in seiner eigenen Arbeit auf die suggestive Überwältigungssprache der nationalen Freiheitslyrik und den aus seiner Sicht „blinden“ Patriotismus reagiert. Schroff lehnt Goethe die an ihn herangetragene Bitte ab, aktiv für die Erhebung Deutschlands einzutreten. „Es sind unter den jungen Leuten hier recht hübsche Stimmen und Chorweise machen sie ihre Sachen auch gut“, schreibt Goethe einige Jahre später in einem Brief an Zelter: „Was aber nicht nach Lützows wilder Jagd klingt, dafür hat kein Mensch keinen Sinn. Auch ist es, wie die Sachen stehen, nicht einmal rätlich sich näher an sie zu schließen.“

Deutlich distanziert sich Goethe von der Faszination für den Freikorpsführer der Freiheitskriege Lützow, die nicht nur Körner in seinem Gedicht „Lützows wilde Jagd“ in Wallungen bringt. Zugleich arbeitet Goethe mit dem West-östlichen Divan an einem Buch, das in vielfacher Hinsicht als eine direkte Antwort auf die „jungen Leute“ und mithin auch auf die Sprache und das Denken von Arndt begriffen werden kann. Gegen die Einstimmigkeit der patriotischen Dichter setzt Goethe in den Gedichten des West-östlichen Divans in den Jahren nach 1813 offensiv auf Vielstimmigkeit. Er entfaltet komplexe Korrespondenzen zwischen dem vermeintlich Eigenen und dem vermeintlich Fremden, denkt Orient und Okzident zusammen und entdeckt auf diese Weise nicht nur zwischen Ost und West Verbindungen, die über die üblichen Beschränkungen und Borniertheiten hinausweisen und gerade so einen Beitrag zur Diskussion um Patriotismus und Nationalidentität leisten — ästhetisch wie politisch.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in „Für die Universität Greifswald. Zeitung mit Fakten zum Namensstreit an der Universität Greifswald“ (2017, PDF-Download, 0,8 MB) und wurde mit freundlicher Genehmigung der Autoren auf dem Fleischervorstadt-Blog veröffentlicht.