Im Gespräch mit der Alten Bäckerei

Anlässlich der etwas verspäteten Geburtstagsfeier ergab sich vor wenigen Tagen die Gelegenheit zu einem ausführlichen Gespräch mit den drei federführenden Personen hinter der Alten Bäckerei. Stefanie Riech (R), Stefan Matschuk (M) und Lutz Jürgens (J) plauderten während des Abendbrotes im Beisein ihrer Kinder über das Konzept des Raumes, Schaufensterkultur und die Greifswalder Kunstlandschaft. Aufzeichnungen eines Gespräches.

Freitag ist Geburtstagsfeier, ein Jahr Alte Bäckerei, eigentlich ein bisschen mehr, oder?

J: Im Januar oder Februar 2009 hat es angefangen.

Wieviele Veranstaltungen gab es seitdem?

R: Ungefähr vierzig

M: Es teilt sich auf in eher abstrakte Geschichten, die keinen besonderen Titel hatten, aber irgendwelche Leute unten rumwurschtelten und irgendwas machten und in Dinge, die richtig angekündigt wurden, einen Titel bekamen und mit Plakaten beworben wurden. Das waren ungefähr 30. Dohle war drei Stunden Skatspielen, das ware eine geile Aktion.

Das gehörte auch schon in die Reihe Bewegung?

J: Das war die dritte Aktion. Die erste war sehr cool, die Tanzgeschichte mit Cosima Tegetmeyer. Das Fahrradfahren war die zweite und hat einen eigen Sinn verfolgt. Es ist komisch, wenn jemand drei Stunden Fahrrad fährt oder tanzt. Das war wie ein Hamster in einer Box.

Sonja Grädler hatte später dieses Schuhlaufen gemacht. Das war eigentlich das erste Mal, dass sich jemand vorher ein künstlerisches Konzept erdacht hatte. Das andere hatte natürlich auch von Natur her ein Konzept, war aber auch spontanes Selbst.

(Foto: Stefanie Riech)

Mit den 30 bis 40 Veranstaltungen habt ihr ein Profil für diesen Raum herausgearbeitet. Was ist das für ein Profil? Was müssen sich Leute, die noch nie dort waren, unter der Alten Bäckerei vorstellen?

J: Das Profil wird durch die Menge der Leute, die dort etwas machen, bestimmt. Was wir verfolgen ist der Anspruch und der Gedanke, dass dieser Ort belebt und genutzt wird, dass sich ein bestimmtes Netzwerk, das den Raum mitnutzen kann bildet und sich möglichst viele Stränge dort treffen und miteinander verweben. Nicht nur eine bestimmte Art von Aktion oder Austellung, sondern eigentlich ein breites, spontanes kulturelles Spektrum, etwas belebtes, etwas lebendiges. So habe ich das bisher für mich begriffen.

M: Es wäre genial, wenn damit Leben bereichert und sichtbar wird. Deswegen bietet sich dieses große Schaufenster an. Weil man dort Sachen machen kann, die nicht primär was mit Kunst zu tun haben. Dinge, die man nicht als Performance betrachten muss, zum Beispiel ein Essen, wo man sehen kann, wie und dass Leute essen. Sowas sieht man sonst nur in der Gaststätte. Es geht also um Kunst und ist aber auch gleichzeitig ein Miteinander-Angebot, ein schönes Angebot. Das finde ich am wichtigsten.

(Foto: Kevin Neitzel)

R: Interaktion ist wichtig, also die Kombination von Kunstsachen mit Interaktion. Dass die Leute nicht nur kommen und ausstellen, ihre Fotos aufhängen usw., sondern dass da noch mehr passiert, wie zum Beispiel bei Jaqueline Duhr, die dazu einlud, sich an ihr zu betätigen. Dass die Leute sich mit ihren Sachen auseinandersetzen.

M: Dass man nicht nur Vernissagen hat, die irgendwann langweilen.

Jede Woche Vernissage ist langweilig, ist das deine Aussage? Das war ja auch eine ganze Weile Programm in der Alten Bäckerei.

M: In einem Jahr ist es nicht langweilig, aber vielleicht in zehn Jahren. Irgendwann findet man vielleicht auch keine interessanten Leute mehr. Diese Waffelaktion im Winter fand ich genial.

Worum ging es da?

dohleJ: Wir haben von 14 bis 22 Uhr Waffeln verteilt. In der Nacht davor haben wir große Krüge mit Zutaten wie Mehl und Eiern im Schaufenster aufgebaut. Vorne gab es eine Ankündigung aus Mehl. Der Duft der gebackenen Waffeln zog die Straße hoch, so dass man es von Weitem gerochen hat. Wir haben den Passanten dann die Waffeln aufgeschwatzt.

R: So ähnlich wie die Internationale Tortenakademie, die ja sogar ein ausgeschriebener Konditorwettbewerb war.

Bei der Tortenakademie hatte ich als Beobachter das Gefühl, dass sie eine stärkere Wirkung auf die Nachbarschaft hatte, als andere Aktionen. Wie reagieren denn die Nachbarn auf die Alte Bäckerei?

R: Verhalten.

M: Verhalten ist die richtige Beschreibung.

R: Sie tolerieren und konsumieren uns, indem sie ins Schaufenster gucken, aber sie trauen sich selten rein, treten wenig in Kontakt mit uns.

M: Bekannt sind wir, mit einigen unterhalten wir uns auch darüber, aber es reicht meist nicht zur Kooperation, zur Teilnahme, zum Besuch.

J: Es gibt aber auch solche Sternschnuppen, meistens abends, wenn dann jemand kommt und einem seine Lebensgeschichte erzählt und meint, er wohne zwei Blocks weiter.

M: Die Jugendlichen und Studenten schrecken ab (lacht)

J: Zurück zur Frage mit den Vernissagen. Ich empfinde das wie Stefan: Das Interessanteste daran ist eigentlich, eine bestimmte Zurschaustellungskultur zu initiieren. Da ist einfach eine Bühne und da ist die Frage, was stelle ich aus, wozu stelle ich mich auf die Bühne, was mache ich da?

R: Und was kann ich?

J: Was präsentiere ich? Sich selbst? Werke? Denkt man – als jemand der hier wohnt – darüber nach, wie man den Raum hier einfach nutzen kann? Vielleicht macht ja mal jemand einen Filmabend? Mit dem Schaufenster ist es eine Bühne, auf der man ist und was zeigen kann, aber auch irgendwie ein Raum, wo jeder was für sich selbst machen kann. Der nicht alltäglich ist, weil er nicht an jeder Straßenecke zu haben ist, außer vielleicht in einer Bushaltestelle, die auch immer eine kostenlose Bühne ist, aber nicht so zelebriert wird.

(Foto: Kevin Neitzel)

Stefan, du hast gesagt, dass es sowenig Leute gibt, die bereit sind, ihr Innerstes nach außen zu kehren und was von sich zu zeigen. Bisher habe ich immer gedacht, in Greifswald bestünde ein Mangel an Ausstellungsräumen. Besteht denn eher ein Mangel an Künstlern und Darstellern?

J: Man muss natürlich sagen, dass das miteinander einhergeht.

M: Nein, es gibt immer Künstler, die was sagen wollen. Es kann natürlich nie genug – und könnte auch noch mehr – Künstler geben. Das wäre auch gut. Aber das ganz normale Privatleben läuft eigentlich eher abgeschottet ab, hohe Zäune, nicht rausgehen. Man sieht wenig von den Menschen.

Die Alte Bäckerei soll anders sein?

M: Sie soll auf jeden Fall offen sein, das ist der Unterschied.

Eigentlich übt ihr ja eine Art kuratorische Aufgabe aus, ihr müsst vorausplanend Künstler einladen, euch gegebenfalls Titel ausdenken, das bewerben und so weiter. Das sind Aufgaben, die unentloht und ehrenamtlich ablaufen.

J: Da hat Steffi die Fäden in der Hand

Ihr habt den Raum von der WVG gemietet?

R: Richtig

Ihr bezahlt ihn also selbst?

R: Ja, den tragen wir selbst und teilen uns die Kosten zu dritt. Spenden kommen so gut wie gar nicht rein. Wir sind allerdings auch nicht so aktiv, sowas zu akquirieren.

M: Wir haben eine Spendenkiste bei den Veranstaltungen, aber ich weise jetzt auch nicht drei mal darauf hin, dass da eine ist. Mit den Spenden bezahlen wir meistens die angebotenen Getränke.

alte bäckerei logoR: Die meisten kommen einfach nicht darauf, was zu geben. Die denken nicht soweit, dass das jetzt ehrenamtlich getragen wird. Kennt man vielleicht auch von sich selbst.

M: Mal davon abgesehen, sind wir aber auch dafür, dass es nichts kostet. Diese Sonderzeitung, die jetzt erscheint zum Einjährigen, soll ja auch nichts kosten.

Eine Sonderzeitung wird erscheinen? Das ist ja spektakulär. Was ist das genau?

M: Eine Überraschung.

Wie groß ist die Reichweite der Alten Bäckerei jenseits derjenigen, die für Kunst/Kunstgeschichte immatrikuliert sind? Ich habe das Gefühl, zu euch kommen überwiegend Kunststudenten.

M: Das ist richtig. Die Verteilung läuft ausschließlich über Freunde, Bekannte und den Verteiler des CDFI. Du hast Recht, man muss auf jeden Fall andere Verteiler in Betracht ziehen.

Steffi, du wirkst – Kraft deiner Mutterschaft und deines abgeschlossen Studiums – immer ein bisschen wie die Puffmutter der Greifswalder Studentenkunstszene, die bei den Vernissagen immer kurz vorbeikommt, einen urteilsfällenden Blick wirft und wieder geht.

R: Ich muss doch Talente finden, es gibt genügend davon.

Talente?

R: Ja, unglaublich viele. Viele trauen sich eben nicht, die muss man ansprechen. Es gibt Leute, die aktiv kommen, weil sie überzeugt sind und was anzubieten haben und es gibt andere, die muss man eben direkt ansprechen.

Ob sie nicht eine Austellung machen wollen

riech stefanieR: Genau, oder irgendwie was anderes. Mit diesen Bewegungsaktionen fing es an, da haben die Leute richtig Blut geleckt und haben es sich dann zugetraut, was zu machen. In jeder Großstadt gibt es so einen Raum, wo Leute irgendwelche Sachen präsentieren können, das gab es bisher hier nicht. Sowas musste in Greifswald erstmal anlaufen und jetzt kommen die Leute auch aktiv. Wir sind immer ein oder zwei Monate vorher so gut wie ausgebucht.

Wie sind denn die Bedingungen für Künstler in Greifswald?

M: Optimal, O-P-T-I-M-A-L!

Ich habe mich mal mit klein stadt GROSS länger darüber unterhalten, es gibt da erstaunliche Parallelen zu eurer Geschichte. KSG haben auch versucht, vernetzwerkend Künstler zusammenzuführen. Und für die war die kleinstädtische Situation nicht unbedingt ein Fluch, sondern auch zugleich Segen, weil man ein unmittelbares Bekanntennetzwerk hatte, kurze Wege und viel Aufmerksamkeit. Wie ist das im Bereich Bildender Kunst?

M: Die meisten Künstler arbeiten nicht wie ein wirtschaftliches Unternehmen und versuchen, kein Geschäft zu machen, sondern erstmal zu arbeiten. Wirtschaftliche Anknüpfungspunkte an dem, was man geschaffen hat, gibt’s eigentlich kaum. Dass da Leute sind, die Kunst vom Künstler absaugen und daraus Geld machen, dem Künstler gegebenfalls auch was abgeben wollen, sowas gibt’s hier halt gar nicht.

Du spielst auf eine Galerie-Infrastruktur an?

M: Eine Galerie ist eine Form, aber daneben kann man sich auch andere Möglichkeiten, Geld zu machen, vorstellen. Die gibt es hier leider nicht. Und die meisten Künstler können das auch gar nicht oder wollen das auch nicht. Das ist ok und dann darbt man halt am Rande der Existenz oder geht woander hin.

R: Es gibt genügend Leute, die das irgendwie schaffen. Aber die haben dann meistens noch einen Lehrauftrag oder so.

band alte bäckereiM: Es sind aber nicht so viele, nicht die Masse. Ich rede nicht über einzelne Leute, die gut klarkommen, sondern über den Berufsstand und der ist jetzt nicht unbedingt als derjenige bekannt, der das meiste Geld nach Hause bringt. Vom Künstlerbund MV gibt es auch eine Statistik über die Monatsbruttoeinkommen der Künstler in MV. Das ist Hartz IV, cirka. Die Alte Bäckerei ist eine Nachmittagsfreizeitsache. Es ist gut, dass das den privaten Lebensraum mitbetrifft.

R: Kulturelles Engagement, das erweitert einen ja auch ungemein.

M: Wir haben halt nicht mehr als eine Stunde am Tag und das ist schon viel. Es ist schon ein Freizeitding, keine professionelle Arbeit als Künstler, Veranstalter oder Netzwerker.

J: Angefangen hat es ja damit, dass Stefan dort unten sein Atelier eingerichtet hat. Stefan und Steffi wohnen auch genau darüber, die sind halt irgendwie da. Das ganze lebt einfach davon, dass es Leute gibt, die sich interessieren. Das ist das – auch überlebenswichtige – Anliegen für den Raum, wie er jetzt betrieben wird. Denn wir sind nicht die, die den Ort mit Ausstellungen oder Aktionen am Leben halten. Wir mieten den Raum und bieten ihn anderen an.

Seid ihr irgendwie überregional vernetzt? Als Gruppe Alte Bäckerei?

R: Wir arbeiten an einer Kooperation zwischen Berlin, Leipzig, Greifswald und hoffentlich auch Hamburg.

Zwischen Einzelpersonen?

R: Nein, auch zwischen verschiedenen Institutionen, zum Beispiel der Praline in Leipzig und dem grünen Hund in Berlin. Die Strukturen, die wir kennen, müssen wir ja auch nutzen.

Gab es mal ein Feedback vom Kunstinstitut? Haben die sich das mal angeguckt?

art-cube1R: Wenig, aber das ist auch in Ordnung. Es ist doch schön, wenn einfach was gemacht wird, man muss nicht immer sofort ein Feedback kriegen. Ein Kunstgeschichtsprofessor war mal da, zwei Prüfungen haben auch schon bei uns stattgefunden. Die wissen schon, dass wir existieren. Gerade, weil ja auch art cube jetzt raumlos ist. Und weil, wie du schon sagtest, das Galeriewesen hier nicht so ausgeprägt ist, haben wir hier schon irgendwie eine eigene Position.

Dieser Tage geht hier ja einiges. Ich kann mich dran gewöhnen und aus Greifswalder Perspektive finde ich das spannend und faszinierend, wenn man sich regelmäßig was angucken kann; wenn aus Kunsträumen Sozialräume werden. Aber jenseits der Präsentationswochen vom CDFI siehts in Sachen junger Kunst hier ja doch eher eng aus.

R: Max-Planck-Institut!

Aber da fährt doch keiner raus.

M: Es ist auch nicht so, dass dort jede Woche eine Vernissage ist.

R: Trotzdem wird dort Kunst gezeigt. Oder die Sonderausstellung im Pommerschen Landesmuseum bald.

So eine Szene braucht doch einen Raum, braucht Orte, wo sie sich manifestieren kann. Bei Musik sind das Clubs und so was; bei Kunst sind das doch analog dazu entsprechende Ausstellungsorte, die hier ja offensichtlich rar sind. Wie ist denn die Zukunftsplanung? Was erwartet uns 2010?

R: Eine Menge großartiger Sachen. Wir sind bei Kunst Heute und bei Kunst Offen dabei. Es ist aber noch nicht alles konzeptionalisiert. Wir werden vermutlich auch beim Nordischen Klang mit dabei sein. Und auch die Internationale Tortenakademie werden wir hoffenlich wieder aus der Versenkung holen und dabei auch ein bisschen auf andere Leute zugehen, beispielsweise war beim letzten Mal ein ehemaliger Konditormeister da.

M: Wir sind dran, einen ganz großen Künstler in die Bäckerei zu holen.

Wen denn? Das wird doch sicher noch nicht verraten.

M: Das wird noch nicht verraten. Ein großer Name wird kommen, vielleicht auch zwei. Ich weiß noch nicht genau, ob wir das realisieren, aber einer wird kommen. Wir müssen noch die Versicherungssumme aufbringen.

Wollt ihr noch etwas zu den Geburtstagsfeierlichkeiten sagen?

R: Wir laden Musiker und Leute, die gerne backen ein. Jegliches Gebäck ist herzlich willkommen und natürlich jeder, der vorbeikommen möchte, um uns kennenzulernen und vielleicht auch Kontakte knüpfen will. Man wird einen Rückblick über ein Jahr Alte Bäckerei sehen und dann gibt es ja auch noch die Überraschung.

Ich bin gespannt, vielen Dank für das Gespräch!

(Die langsam aber stetig wachsende Internetpräsenz der Alten Bäckerei ist unter tortenakademie.de erreichbar. Dort ist unter anderem ein Archiv mit Fotos vergangener Veranstaltungen abrufbar.)

3 Gedanken zu „Im Gespräch mit der Alten Bäckerei

  1. …, sondern dass da noch mehr passiert, wie zum Beispiel bei Jaqueline Dur, die dazu einlud, sich an ihr zu betätigen.

    heißt die dame nicht „duhr“?

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