Ermittlungsverfahren gegen NPD-Blockierer eingestellt, Proteste weiterhin kriminialisiert

blockade npd greifswald

Am 1. Mai 2011 unternahm die NPD nach zehnjähriger Pause das erste Mal wieder den Versuch, in Greifswald eine Demonstration zu organisieren. Dieses Unterfangen wurde damals von mehreren Seiten gestört. 

Der Knall blieb aus — doch keine Versammlung gesprengt

Schnell gründeten sich zwei Bündnisse, die sich gegen den geplanten Aufmarsch engagierten. Eine der beiden Gruppen initiierte ein Demokratiefest, während die andere zu Blockaden aufrief, um zu verhindern, dass Neonazis durch Schönwalde marschieren können. Außerdem wurde seitens der Stadtverwaltung erfolglos versucht, die NPD-Veranstaltung zu verbieten.

An den Blockaden beteiligten sich weit über 1000 Demonstrierende, die die Route der NPD in erheblichem Maß verkürzten. Die erste humanoide menschliche Straßensperre manifestierte sich in der Hertz-Straße in unmittelbarer Nähe eines Flüchtlingsheims. Bei der teilweise sehr unsanften Räumung dieser Blockade wurden etliche Leute von den eingesetzten Polizeibeamten weggetragen. Ihnen wurden Platzverweise ausgesprochen und ihre Personalien wurden festgestellt. Gegen viele wurden Ermittlungsverfahren wegen des rechtspoetischen Vorwurfs der Versammlungssprengung eingeleitet.

blockade npd greifswald

(Foto: Endstation Rechts)

Vor kurzem wurden zahlreiche Betroffene darüber informiert, dass die gegen sie eingeleiteten Ermittlungsverfahren eingestellt würden. Beobachterinnen haben mit dieser Entscheidung gerechnet, nicht zuletzt, weil die erfolgreichen und gewaltfreien Blockaden auch dazu taugten, Greifswald eine bunte Zivilgesellschaft zu attestieren.

Auch Oberbürgermeiser Arthur König (CDU) äußerte sich am 2. Mai zu den Protesten und zeigte sich beeindruckt, wie „selbstverständlich die Menschen aktiv geworden sind, wie vielfältig und kreativ sie auf die Provokation des NPD-Aufmarsches reagiert haben. Die Art des Agierens ist unterschiedlich, aber alle sind vereint in der Aussage: Greifswald ist bunt – hier herrscht kein Platz für braunes Gedankengut. Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, wie breit die demokratische Gesellschaft in Greifswald aufgestellt ist.“

Vom Regen in die Traufe: Jetzt ermittelt das Ordnungsamt

Indes weist die Rote Hilfe Greifswald darauf hin, dass diese Angelegenheit für die weggetragenen und erfassten Blockiererinnen mit der Einstellung der Ermittlungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei, denn die wird nun an das zuständige Ordnungsamt übertragen. Das versuche laut einer Pressemitteilung der linken Rechtshilfeorganisation, die Blockierer mit Verfahren zu überziehen und den Betroffenen Anhörungsbögen zu überstellen, in denen ihnen mitgeteilt wird, dass ein Ordungswidrigkeitsverfahren wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz (§29 Abs. 1, Nr. 2 VersG) gegen sie eingeleitet würde.

verfahren eingestellt

Beim Ordnungsamt bestätigte man auf Nachfrage, dass diese Praxis üblich sei, wies jedoch darauf hin, dass die Zuständigkeit hierfür seit der Kreisgebietsreform nicht mehr in Greifswald läge. Die Ortsgruppe der Roten Hilfe fordert „die Proteste gegen die Gefahren der Neonazis nicht weiter zu kriminalisieren und alle Verfahren einzustellen“.

Nach den Blockaden sollen mehr als 100 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sein. Wer jetzt noch Post vom Ordnungsamt kriegt, sollte Kontakt zur Greifswalder Ortsgruppe der Roten Hilfe aufnehmen und sich dort beraten lassen.

Eine Nachbetrachtung der NPD-Demonstration und Proteste dagegen sind hier zu finden.

18 Gedanken zu „Ermittlungsverfahren gegen NPD-Blockierer eingestellt, Proteste weiterhin kriminialisiert

  1. „humanoide Straßensperre“ Das waren aber wahrscheinlich doch echte Menschen. Der Humanoid als solcher besitzt nur menschliche Gestalt.

    Ansonsten ist es wohl sehr wahrscheinlich, dass auf der Strasse sitzen nicht mehr als Gewalt, Androhung derselben oder grobe Störung bewertet wird.

    @fbm Dein Kommentar macht so keinen Sinn. Auf „unsere“ Angelegenheit bezogen hat sich noch kein Gericht mit der Sache befasst. Demzufolge haben sie auch nichts ignoriert.

    1. @Claus: Zustimmung bei den Humanoiden.

      Die RH bezieht sich auf ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts 1995 (AZ 1 BvR 718/89):

      Die Pressesprecherin der Roten Hilfe e.V. Ortsgruppe Greifswald, Susanne Ernst kommentierte damals das Vorgehen wie folgt:
      „Es ist unbegreiflich wie die Polizei aufgrund von Sitzblockaden Strafverfahren gegen Antifaschistinnen und Antifaschisten einleitet, die seit einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts 1995 (AZ 1 BvR 718/89) vor Gericht keinen Bestand mehr haben.

      1. Das Grundsatzurteil des BVerfGs hilft hier leider nicht wirklch weiter, hat es doch Sitzblockaden nicht grundsätzlich für zulässig erklärt. Es ging damals nur um ihre Einstufung als Nötigung i.S. des Strafgesetzbuchs.
        Auch ging es in den Fällen, die vom BVerfG verhandelt wurden nicht um die Verhinderung einer anderen, erlaubten Versammlung. Die Staatsanwaltschaft hat hier also nicht das BVerfG ignoriert, sondern ist nach § 21 VersG vorgegangen.

        (Wenn ich mal von den juristischen Aspekten abgesehen fand, dass die Blockade eine großartige Aktion war, die ein klares Zeichen gesetzt hat)

        1. Die Rote Hilfe bezieht sich offensichtlich auf ein anderes Schreiben und nicht das was hier auf dem Blog von Jockel veröffentlicht wurde. Deswegen geht auch nicht ganz die Argumentation mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf.

  2. Pingback: BÜNDNISGRÜNE
  3. Wenn der Ordnungswidrigkeitenvorwurf auf §29 I Nr.2 VersG abzielt ist eine Verfolgung hinfällig, da die Ordnungswidrigkeit dann bereits verjährt ist.

    [§29 II VersG(„Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 Nr.1 bis Nr.5 mit einer Geldbuße bis tausend Deutsche Mark […] geahndet werden.“) in Verbindung mit §31 II Nr.4 OWiG („(2) Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten verjährt, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt, […] 4. in sechs Monaten bei den übrigen Ordnungswidrigkeiten.“) und §31 III 1.Satz OWiG („(3) Die Verjährung beginnt, sobald die Handling beendet ist.“)]

    Dementsprechend ist die begangene Ordnungswidrigkeit seid Anfang November verjährt.

    1. ich fürchte, solange die Staatsanwaltschaft ermittelte durfte die OrdnungsB noch nicht tätig werden (§ 21 I OWiG) und das hat dann bestimmt auch Folgen für die Verjährung.
      In dem Fall gilt dann wahrscheinlich § 32 I 1 oder § 33 I Nr. 1 OWiG.

      1. § 43
        Abgabe an die Verwaltungsbehörde
        (1) Stellt die Staatsanwaltschaft in den Fällen des § 40 das Verfahren nur wegen der Straftat ein oder übernimmt sie in den Fällen des § 42 die Verfolgung nicht, sind aber Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß die Tat als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann, so gibt sie die Sache an die Verwaltungsbehörde ab.

        (2) Hat die Staatsanwaltschaft die Verfolgung übernommen, so kann sie die Sache an die Verwaltungsbehörde abgeben, solange das Verfahren noch nicht bei Gericht anhängig ist; sie hat die Sache abzugeben, wenn sie das Verfahren nur wegen der zusammenhängenden Straftat einstellt.

  4. @Jockel: Wurde der Artikel umgeschrieben oder war ich beim ersten Lesen voll? Ging es da nicht noch um §21?

    Jetzt macht es ja überhaupt keinen sinn mehr. Ich nehme an, dass die Sitzblockade nicht als Veranstaltung angemeldet war. Da die Blockierenden wohl eher nicht der NPD Demo als „Teilnehmer“ zugerechnet werden können wird das in der Luft verpuffen müssen mit §29…Ausweise hatten wohl auch alle dabei 🙂
    Daher würde mich interessieren, was den Blockierenden genau vorgeworfen wird.

    Auf Verjährung würde ich hier nicht pochen. Ich nehme an, die Verjährung wurde durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft unterbrochen. Die waren ja in der Sache tätig.

    1. Vermutlich voll… Wenn ich was ändere, dann ergänze ich in der Regel ein *Update* unter dem Beitrag oder verwende die durchgestrichen-Formatierung.

      Im fotografierten Schreiben der Staatsanwaltschaft wurde dem Betroffenen Versammlungssprengung vorgeworfen. Dem Ordnungsamt soll es um Verstoß gegen das Versammlungsgesetz gehen, aber das steht ja auch schon alles oben. Warten wir ab, was die Ordnungsbehörde schicken.

      Übrigens sind jetzt auch die Grünen an der Sache dran. Die wollen bei der nächsten Kreistagssitzugn einen Antrag auf Entkriminalisierung der betroffenen Blockiererinnen stellen: http://blog.gruene-greifswald.de/2011/11/30/bundnisgrune-kreistagsfraktion-beantragt-entkriminalisierung-der-proteste-am-1-mai/

      1. Die Staatsanwaltschaft ging nach § 21 vor (Straftat) und das Ordnungsamt jetzt nach § 29 (Ordnungswidrigkeit).
        Die Sitzblockade war eine eigene Versammlung, dafür muss sie weder angemeldet noch genehmigt sein.

        Vielleicht könnte die aktuelle Stimmungslage den Blockierern zugute kommen? Die Behörde könnte sich auch gegen ein Bußgeld entscheiden und damit ein schönes Signal senden. Also schön weiter die Öffentlichkeit informieren. (go fleischervorstadt-blog!)

  5. „sich trotz Auflösung einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges durch die zuständige Behörde nicht unverzüglich entfernt,“

    lautet der Vorwurf seitens des Amtes. Die sehen also die Sitzblockade als solche als öffentliche Versammlung an. Da stellt sich die Frage wie die Polizei das damals kommunizierte. Haben sie die Blockade als Versammlung bezeichnet und aufgelöst? Oder haben Sie den Leuten Platzverweise ausgesprochen weil sie eine andere Versammlung behinderten?

    Das ist so peinlich, die Behörden klappern einfach mal ein paar Möglichkeiten ab. Das wird sowas von keinen Bestand haben. Und die Verjährung trifft plötzlich doch zu. Die müssen sich mal für einen Verstoß entscheiden. Wenn es plötzlich §29 ist hätte innerhalb der ersten 6 Monate was kommen müssen diesbezüglich. Also greift § 43
    Abgabe an die Verwaltungsbehörde nicht.

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