Eine Theaterkritik von Florian Leiffheidt
Wer am vergangenen Donnerstagabend im ausverkauften Rubenowsaal des Theater Vorpommern in Greifswald der letzten Premiere dieser Spielzeit – der Bühnenfassung des Jugendromans TSCHICK von Wolfgang Herrndorf – beiwohnte, hatte das große Vergnügen, einen Höhepunkt des ersten Jahres unter der Leitung des neuen Intendanten Dirk Löschner erleben zu können.
EIN STÜCK ÜBER JUGEND — EIN STÜCK ÜBER FREUNDSCHAFT
Maik Klingenberg (Felix Meusel), 15 Jahre alt und somit mitten in den Wirren der Pubertät, ist ein ziemlicher Außenseiter in der Klasse: gemieden, ohne Spitznamen und nicht zuletzt ausgeschlossen von der Geburtstagsfeier seiner angebeteten Klassenkameradin. Sein neuer Mitschüler Tschick (Dennis Junge), ein Jugendlicher mit russischem Migrationshintergrund und einschlägiger Vergangenheit, entwickelt sich für Maik erst zu einem Verbündeten, dann — in den Sommerferien — schließlich zu einem sehr guten Freund, mit dem er in einem geklauten blauen Lada eine Art Roadtrip erlebt, der seinesgleichen sucht.
Quer durch Ostdeutschland treffen sie auf verschiedene Personen und deren Geschichten: Da ist eine Frau mit ihren Kindern, welche die beiden Jugendlichen mütterlich versorgt (Gabriele M. Püttner); da ist ein schießwütiger Kriegsveteran, der vom Widerstand in den letzten Tagen auf die Seite der Nazis wechselte (Jörg F. Krüger); und da ist Isa (Frederike Duggen), eine extrovertierte und keinesfalls auf den Mund gefallene Person, welche bei Maik bleibenden Eindruck hinterlässt. Doch es gibt nicht nur freudige Momente im Verlauf des Abends, im Gegenteil: Wenn Maiks Vater (Jörg F. Krüger) zu einer autoritären Standpauke gegen seinen Sohn ausholt, läuft es einem kalt über den Rücken; man ist berührt, wenn Maiks alkoholkranke Mutter (Gabriele M. Püttner) ihm liebevoll, wenngleich betrunken, gute Ratschläge über das Wichtige im Leben gibt.
Wolfgang Herrndorfs Roman und dessen – nahezu unveränderte – Bühnenfassung vermag, eigene Erinnerungen an die turbulente Zeit der Pubertät wachzurufen: der Krach mit den Eltern, die erste Liebe, das Erleben und Hinterfragen von eigenen Erfahrungen – letztlich: die manchmal komplizierte Selbstfindung und die Suche nach der eigenen Persönlichkeit.
ÜBERZEUGEND PUPERTÄR — WUNDERBAR WANDELBARE SCHAUSPIELER
Arnim Beutels Inszenierung gelingt es, keinesfalls nur für Teenager unterhaltsam und ansprechend zu wirken, im Gegenteil: die schauspielerischen Glanzleistungen und eine gelungene Ausarbeitung der Figuren lassen die Zuschauer schnell sowohl das reale Alter der Darsteller als auch das zu Beginn rätselhaft anmutende Bühnenbild (Sabine Pommerening) vergessen. Man glaubt, was dargestellt wird. Man nimmt es hin, man assoziiert und lässt sich in die Inszenierung entführen, sich durch die Darsteller und die Regie leiten.
Einen Großteil dieser Glanzleistung macht die darstellerische Leistung des Ensembles aus. Gabriele M. Püttner brilliert ebenso als alkoholkranke Mutter, wie u. a. auch als Polizistin oder als „Nilpferd“; in letzterer Rolle sorgt sie für Lachsalven im Publikum. Ihrem Bühnenkollegen Jörg F. Krüger gelingt es, den schießwütigen und pessimistischen Veteran ebenso überzeugend darzustellen wie auch mehrere Kleinkinder – Chapeau für solch unterhaltsame wie glaubhafte Darstellung!
Als ernster Vater mit Vorliebe für seine Assistentin entwickelt Krüger einen harten wie auch vielleicht an seinen eigenen Fehlern verzweifelnden Vater, der keinesfalls künstlich oder theatralisch wirkt. Hochachtung gebührt an diesem Abend den drei Darstellern der Jugendlichen: Frederike Duggen als herrlich schnoddrige, quirlige Isa, welche jedoch auch sanfte Töne anstoßen kann; Dennis Junge als Tschick – einfach herrlich zu sehen, mit welcher Spielfreude er sich in seine Rolle des frechen, etwas einfachen Teenager stürzt, der in Maik einen wirklichen Freund zu finden scheint –; und Felix Meusel als Maik, der Hauptfigur des Abends mit hohem Textanteil. Gerade die Monologe sind es, die glauben machen, dass hier ein Jugendlicher spricht. Und gerade die Sprechweise lässt den Darsteller Felix Meusel verschwinden und nur noch Maik auf der Bühne anwesend sein.
Man hat an diesem Abend nirgendwo den Gedanken, dass Schauspieler Jugendliche spielen. Im Gegenteil, man glaubt, tatsächlich Pubertierenden dabei zuzusehen, wie sie zu rockiger Musik tanzen, sich in einem See mit Wasser bespritzen, in einem geklauten Auto durch den „Wilden Osten“ fahren – ein Trip, den man sich als Teenager vielleicht selbst herbeigewünscht hat. Das Publikum an diesem Abend ist zutiefst begeistert. Sowohl zur Pause als auch nach dem Ende gibt es frenetisch Applaus – zu Recht! Was Der gute Tod durch emotionale Tiefe und Trauer vermag, gelingt der finalen Premiere des Theater Vorpommern durch Leichtigkeit, Komik und einen Hauch Nostalgie – möchte man nach diesem Abend doch noch einmal 15 Jahre alt und „endgeil“ pubertär sein.
TSCHICK
von Wolfgang Herrndorf
Inszenierung: Arnim Beutel
Ausstattung: Sabine Pommerening
Dramaturgie: Dr. Sascha Löschner
Nächste Vorstellung in Greifswald: 5. Juni
Infos und Karten: Theater Vorpommern
(Fotos: Barbara Braun, MuTphoto)
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Florian Leiffheidt studiert derzeit Germanistik und Musikwissenschaft in Greifswald. Er absolvierte Dramaturgie- und Regiehospitanzen am Theater Vorpommern, u.a. bei Katja Paryla („Nachtasyl“, 2011) und Uta Koschel („Das Fest„, 2012). Zudem inszenierte er 2012 am Studententheater Ionescos „Unterrichtsstunde“ und ist derzeit als Regieassistent bei der „Opernale“ 2013 tätig.
Ein Gedanke zu „Endgeil! – Wolfgang Herrndorfs TSCHICK beendet Spielzeit am Theater Vorpommern“