Herrlicher Klamauk trotz Anlaufschwierigkeiten — „Charleys Tante“ am Theater Vorpommern

Eine Theaterkritik von Florian Leiffheidt 

Was soll man als Student aus reichem englischen Hause tun, wenn man für ein Rendezvous eine Aufsichtsperson — ja gar eine Anstandsdame — benötigt und ebenjene nicht anwesend ist? Was soll man tun, wenn die Gelegenheit für eine Verabredung nur einmal greifbar ist? Eine ebenso unterhaltsame wie skurrile Antwort auf diese Fragen liefert derzeit die Inszenierung  von Brandon Thomas‘ Bühnenklassiker Charleys Tante, welche am vergangenen Samstag in Greifswald vor nahezu ausverkauftem Haus Premiere feierte.

SKURRILE IDEE SORGT FÜR KOMIK UND KONFUSION

Charley Wykeham (Ronny Winter) liebt Anny Spettigue (Josefine Schönbrodt), sein Freund Jack Chesney (Sören Ergang) liebt Kitty Verdun (Svetlana Wall). Die beiden Damen stehen jedoch kurz vor der Abreise nach Schottland, die Stephen Spettigue (Jörg F. Krüger) — Onkel von Anny und Vormund von Kitty — veranlasst hat. Die Not ist groß, ausweglos scheint die Lage, denn der Besuch von Charleys Tante verzögert sich um einen Tag — die Anstandsdame fehlt also, für die große Liebe scheint es keine Hoffnung zu geben. Zum Glück gibt es da noch den Butler des Hauses Chesney, den stets arbeitsamen und ergebenen Brassett (Markus Voigt). Kurzerhand schlüpft er in die Rolle der Tante, um das geplante Treffen zu ermöglichen.

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Diese Idee sorgt für jede Menge Verwirrungen, Irrungen und Komik, die sich schier endlos steigern, wenn sich sowohl Vater Chesney (Jan Bernhardt) als auch die echte Tante aus Brasilien (Julia Klawonn) zum Geschehen gesellen.

MUTIGES BÜHNENBILD — EIN HAUCH DÜSTERER ATMOSPHÄRE

Der Klassiker von Brandon Thomas — mehrfach verfilmt und eine der bekanntesten Komödien der Welt — wird am Theater Vorpommern in einer von Marcus Everding bearbeiteten Fassung aufgeführt. Diese Bearbeitung verlegt die Handlung ins Jahr 1912 — auf den 16. April 1912, um genau zu sein. Am Tag zuvor sank die Titanic, am Tag darauf verdunkelte eine Sonnenfinsternis Deutschland, gut zwei Jahre später begannen der Erste Weltkrieg und der Kollaps des jungen 20. Jahrhunderts. Das mutige, sehr schlichte und fast karg wirkende Bühnenbild verweist in seiner düsteren Art auf ebenjene dunklen, tragischen Ereignisse — und das in einer Komödie? Ja, es erscheint durchaus angebracht und sinnvoll, auf leuchtende Farben ebenso zu verzichten wie auf konkrete Räume. Die leere, große, dunkle Bühne, wenige Requisiten und Bühnennebel reichen aus, um den Zuschauer in die Atmosphäre des Stückes zu (ent)führen.

Der Inszenierung von Steffen Pietsch gelingt es — trotz der düsteren Ereignisse — den Humor nicht zu kurz kommen zu lassen. Leider geschieht dies jedoch erst wirklich im zweiten Teil, wenn es scheint, als sei eine Art Knoten geplatzt: Es wird gejauchzt, geschrien, gekreischt, gealbert und verkitscht. Dies geschieht bewusst und gezielt, keinesfalls unfreiwillig oder beliebig. Es wirkt fast, als herrsche im ersten Teil ein Klamaukverbot — leider, denn ein bisschen mehr würde dem Stück guttun. Zu herrlich ist es, zu sehen, in welche immer skurriler werdende Situationen die Handlung mündet — nicht zuletzt dank eines hinreißenden Markus Voigt in der Doppelrolle des Brassett und der „Fake-Tante“.

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ECHTE GLANZLEISTUNG EINER FALSCHEN TANTE — UNTERHALTUNG MIT KITSCH

Eine schauspielerische Glanzleistung nach der anderen wird dargeboten, mit vollem Körper- und Stimmeinsatz! Leider ist zu bemerken, dass es darstellerisch große Unterschiede in der Darbietung der Rollen gibt, vor allem zwischen den älteren Protagonisten und ihren jüngeren Kollegen. Sören Ergang und Ronny Winter als Studenten aus reichem, edlem Hause wirken schlichtweg ebenso blass wie die beiden wohlhabenden Damen, mit einer Ausnahme: der Darbietung ihrer jeweiligen Rendezvous- und Liebesszenen zu kitschiger Musik – ein Traum von (hoffentlich!) gewolltem Klamauk – so schön kann Kitsch sein!
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Schließlich — so viel sei verraten — kommt mit dem Eintreffen der echten Tante mit dem Namen Donna Lucia d’Alvarez nach großer Verwirrung, vielen Verliebtheiten und einer Reihe Albernheiten alles ins Reine und zu einem tröstlichen Ende: Immerhin ist das Stück ja eine Komödie! Das Stück endet, das Publikum zeigt sich zufrieden und spendet der falschen Tante einen nahezu euphorischen Applaus. Applaus für eine unterhaltsame, spaßige, mutig und alberne Inszenierung, bei der sich der Ausspruch einer Garderobiere in der Stückpause geradezu aufdrängt: „Bitte bleiben Sie, im zweiten Teil wird es besser!“

Charleys Tante

Komödie von Brandon Thomas, Neubearbeitung von Marcus Everding

Inszenierung: Steffen Pietsch
Bühne und Kostüme: Katharina Grantner
Dramaturgie: Dr. Sascha Löschner

Nächste Termine in Greifswald: 15./22./28. 12.

Infos und Karten: Theater Vorpommern

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